Prostitution gesetzlich verbieten?

Foto: Jake Guild (CC BY 2.0)

Louisa startete die Diskussion „Prostitution nun doch gesetzlich verbieten?“ (4. Dezember 2013). Hintergrund ist die politische Debatte um eine Verschärfung der Prostitutionsgesetzgebung in Deutschland. Louisa fragt, ob das schwedische Modell Sinn macht, welches den Kauf sexueller Dienstleistungen verbietet („Freier-Bestrafung“). Alle Politik-Interessierten waren und sind eingeladen, sich einzubringen. Die folgende Kurzdarstellung bezieht sich auf die Kommentare und Beiträge bis zum 13. Juni 2014


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Knackpunkte der Diskussion

  • muss es das Ziel sein, Prostitution abzuschaffen oder geht es darum rechtliche, gesellschaftliche und soziale Bedingungen zu verbessern?

  • gibt es freiwillige, selbstbestimmte, menschenwürdige Prostitution bzw. Sexarbeit? Wo beginnen Zwang und Ausbeutung?

  • Darf der Staat darüber bestimmen, was Menschen mit ihrem Körper tun?

Politischer Kontext

Union und SPD einigten sich in ihrem Koalitionsvertrag (Dezember 2013, Seite 104) darauf, die Gesetzgebung zur Prostitution zu verschärfen. Ein konkreter Gesetzentwurf wird noch erarbeitet (Stand 11. Juni 2014). Das Bundesfamilienministerium hat erste Ansatzpunkte vorgestellt. Demnach soll unter anderem das Mindestalter für Prostituierte von 18 auf 21 angehoben werden. „Menschenunwürdige Geschäftsmodelle" wie Flatrate-Bordelle soll es nicht mehr geben.

Die – seinerzeit rot-grüne – Bundesregierung hatte die Sittenwidrigkeit von Prostitution 2002 aufgehoben. Das Ziel: die rechtliche und soziale Situation von Prostituierten stärken. Frauenrechtler*innen halten den Ansatz jedoch für gescheitert. Das Gesetz von 2002 trage die „Handschrift der Frauenhändler und ihrer LobbyistInnen“, heißt es in einem „Appel gegen Prostitution“ (Nobember 2013), initiiert von der feministischen Zeitschrift „Emma“: „Seither ist Deutschland zu Europas Drehscheibe für Frauenhandel und zum Paradies der Sextouristen aus den Nachbarländern geworden.“

Von der aktuellen schwarz-roten Bundesregierung fordert die Initiative unter anderem: „die Ächtung und, wenn nötig, auch Bestrafung der Freier“. Eine Bestrafung der Freier findet sich auch im „nordischen“ oder „schwedischen“ Modell. In Schweden ist der Kauf sexueller Dienstleistungen seit 1998 verboten. Das EU-Parlament empfiehlt in einer Entschließung (Februar 2014) diesen Ansatz. Die deutsche Legalisierung komme einer "Genehmigung der sexuellen Ausbeutung“ gleich.

Themen der Publixphere-Diskussion:

Fehlende Informationen

Viele Kommentare verweisen auf fehlende Informationen zur Prostitution in Deutschland und Europa. Emil fragt beispielsweise: „Gibt es verlässliche Zahlen und Fakten zu einem erfolgreichen Verbot? Ist selbstbestimmte und menschenwürdige Prostitution (…) ein Ausnahmefall?“ Patrick Müller meint: „Ich habe den Eindruck, man weiß besser, wie viel illegale Schwarzarbeit existiert als legale Prostitution.“

Schon über die Gründe der fehlenden Informationen gibt es eine Kontroverse. HekateGT kommentiert: „Das liegt unter anderem daran, dass viele Sexarbeiterinnen sich nicht öffentlich outen wollen, weil sie keine Lust darauf haben, in ihrem privaten Umfeld diskriminiert und ausgegrenzt zu werden.“ Berta zufolge fehlen Statistiken, „weil (...) ein Großteil der Frauen aus armen Ostblockländern zu uns kommen und sich hier prostituieren bzw. zur Prostitution gezwungen werden. Wer hat denn ein Interesse daran, dass diese Frauen irgendwie 'registriert' werden? Die Zuhälter? Die Bordellbesitzer? Die Frauen? Die Freier vielleicht? Wohl eher nicht.“

Zur Frage „Wer geht zu Prostituierten?“ hat HannahDo eine eigene Diskussion gestartet. Das Forum sammelt hier verschiedene Artikel zum Thema.

Was muss geregelt werden?

Offen bleibt im Forum, welche Regelungen zu reformieren sind, um Prostituierte (Frauen und Männer) vor Ausbeutung zu schützen. HekateGT kommentiert: „alle die widrigen Begleitumstände, die immer wieder im Zusammenhang mit Sexarbeit thematisiert werden - als da sind: sexuelle Nötigung, Vergewaltigung, Menschenhandel - werden bereits durch das STGB („Strafgesetzbuch“, Anm. d. R.) abgedeckt.”

sonjdol hält das Prostitutionsgesetz für den falschen Ansatzpunkt, um Menschenhandel einzudämmen – hierfür gebe es Gesetze gegen Menschenhandel. „Ich verstehe nicht, warum alle immer wieder in diese Falle tappen. Als würde man Vergewaltigung durch eine Regulierung einvernehmlichen Sexes reduzieren können und nicht durch Paragraphen, die sich direkt auf Vergewaltigung beziehen.“ sonjdol fordert, eher über effektive Gesetze gegen Menschenhandel zu diskutieren und die Opferrechte zu stärken, woran die Politik aber kaum Interesse habe.

Emil verweist dagegen auf den Entschluss des EU-Parlaments. Ihm zufolge stellt die Einstufung der Prostitution als legale „Sexarbeit“ keine Lösung dar, um schutzbedürftige Frauen und Mädchen vor Gewalt und Ausbeutung zu schützen. sonjdol kritisiert den Parlamentsbeschluss scharf, unter anderem als „Zeichen der anhaltenden Stigmatisierung“ von Sexarbeiterinnen.

Freierbestrafung

Die Option, die Inanspruchnahme sexueller Dienstleistungen durch Freier zu verbieten („schwedisches Modell"), streift das Forum nur kurz. HekateGT hält es für einen „Schuss in den Ofen: „(…) die Sexarbeit ist dadurch nicht weniger geworden - aber die Gewalt gegen Sexarbeiterinnen ist dramatisch angestiegen.“ sonjdol meint mit Verweis auf einen Artikel des Online-Magazins menschenhandelheute.net: „Das Schwedische Modell basiert auf der Stigmatisierung und Entrechtung von Prostituierten. Es hilft ihnen nicht.“ Das Magazin Emma, auf dessen Kampagne der Diskussionsanstoß Bezug nimmt, kommt dagegen zu einer anderen Einschätzung: Die schwedische Regierung könne belegen, „dass das Anti-Freier-Gesetz Frauen und Mädchen aus dem Osten Europas vor Zwangsprostitution schützt“.

Sexarbeit oder Prostitution? Beruf oder Ausbeutung?

In der Diskussion dominieren grundsätzliche Fragen zur Prostitution – etwa, ob es sich um einen gesellschaftlich akzeptierten Beruf handeln kann. HekateGT sieht es so. Sexarbeit sei "an sich" kein Problem. „Was wir brauchen sind nicht zusätzliche Reglementierungen, sondern das Herausholen der Sexarbeit aus der Grauzone. NICHT die Sexarbeit ist das Problem, sondern die Art und Weise, in der die Gesellschaft diesen Beruf wahrnimmt“.

Dagegen schreibt Berta: „Prostitution ist (…) eine der ältesten Arten von Ausbeutung von Frauen. Es gab Zeiten und Gesellschaften (und gibt es noch heute), da gehörten Frauen quasi zu Haushalt (wie das Vieh).“ sonjdol meint dagegen, die meisten Sexarbeiter*innen würden ihre Würde nicht angegriffen sehen.

Wo fängt der Zwang an?

Gerungen wird mit der Frage, ob es eine selbstbestimmte, freiwilige Prostitution bzw. Sexarbeit geben kann. Louisa kommentiert: „Ich denke (...), dass viele durch bestimmte (nicht frei entschiedene) Situationen das Gefühl haben, sich prosituieren zu müssen. Auch dieses könnte man als Zwangsprostitution im weitesten Sinne verstehen.“ Kilian meint: „Prostitution aus einer Zwangslage heraus wollen wir nicht und wir wissen, das Zwang sehr früh anfangen kann.“ Emil verweist auf die Sichtweise des schwedischen Gesetzgebers, wonach es einen selbstbestimmten Sexarbeiter nicht geben könne, da immer ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Käufer und Dienstleister bestehe.

HekateGT verweist hier auf andere Berufe: „Es gibt IMMER ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer“. sonjdol hält die freiwillige Prostitution für möglich, wenn sie fragt: „Warum sollen Menschen nicht mir ihrer Sexualität anfangen dürfen, was sie wollen, solange kein Zwang im Spiel ist?“

HekateGT dreht das Zwangsargument um, und sieht in der Sexarbeit auch eine Befreiung von ökonomischen und staatlichen Zwängen (Leiharbeit, Werkverträge, Billigjobs, Hartz IV). Ihrer Auffassung zufolge wollen Prostitutionsgegner diesen Weg verhindern: „(…) wenn (…) Frauen in die Sexarbeit gehen um sich noch einen Rest von Selbstständigkeit zu sichern, dann ist das natürlich ein Schlupfloch, das man dicht machen muss. Denn wohin kämen wir, wenn die Arbeitssklavinnen sich noch das letzte Bisschen Verfügung über ihren eigene Körper selbst vorbehalten würden?“

Darf der Staat eingreifen?

Verschiedene Sichtweisen gibt es auch zur Frage, wann der Staat sexuelle Aktivitäten regulieren darf. Im Fall der "Sexarbeit" lehnt sonjdol das grundsätzlich ab: „Nein, der Staat darf und soll kein Recht haben, mir die Entscheidung abzunehmen, was ich mit meinem Körper mache. Ich bin weder Eigentum noch Sklavin des Staates. Der Staat darf meinetwegen Sexarbeit besteuern oder wie (andere Jobs) regulieren, aber vorschreiben, ob man das tun darf oder nicht, definitiv nicht.“ Undine kommentiert: „Es ist unfassbar zynisch, über die Köpfe der Betroffenen hinweg Entscheidungen zu treffen und dabei von Schutz und Würde zu reden.“

Emil meint dagegen: „..bei der grundsätzlichen Frage, ob der Staat einschränken darf, wie ich mit meinem Körper (und meiner Seele?) umgehe, bin ich echt ratlos.“ Berta verteidigt den Ansatz, gesetzlich gegen Prostitution vorzugehen. Es gehe in der Prostitutionsdebatte um die Frage, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen. „Öffnen wir dem Kapitalismus Tür und Tor - und lassen zu, dass (Frauen)Körper bzw. (Frauen)Körperöffnungen zur Ware werden, dass Sex beliebig gekauft und verkauft werden kann und öffnen damit den Weg für Zuhälter, Menschenhändler und Bordellbesitzer, die damit fett Kohle machen? Oder haben wird dem etwas entgegenzusetzen?“

Auch Krause fragt nach den Grenzen der Marktwirtschaft: „Warum soll nicht wenigstens die menschliche Sexualität – immerhin ein wesentlicher Teil des Lebens und für viele Menschen grundlegender Bestandteil ihrer Identität – von einer neoliberal-kapitalistischen Verwertungslogik ausgenommen sein?“

sonjdol kommentiert dagegen: „Kapitalismus hin, Kapitalismus her: Ich finde es schlimmer, dass Menschen ihr Gehirn und ihre Intelligenz an Konzerne verkaufen, um Kohle auf dem Rücken armer Menschen zu verdienen.“ Prostitution sei gesetzlich nicht abzuschaffen. „Es ist eine gesellschaftliche Praxis, die es immer geben wird - in der einen oder anderen Form. Und sei es in der Form eines Dates, wo Frau mit Mann ins Bett geht, wenn er sie zu einem teuren Essen einlädt.“


Text: Alexander Wragge und Katharina Mosene

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Foto & Teaser: Jake Guild | CC BY 2.0