2. #pxp_thema: Medienkritik


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Nicht nur auf Facebook und auf YouTube sind die Vorwürfe allgegenwärtig. Demnach berichten deutsche Medien einseitig und verzerrt über aktuelle Konflikte - von Gaza bis zur Ukraine. Auch Experten beobachten Schwarz-Weiß-Malerei. Redaktionen wehren sich. Aktuelle Diskurse der Medienkritik im Überblick. Von Alexander Wragge


Hinweis: Im September 2014 haben wir uns persönlich zur Medienkritik ausgetauscht. Hier geht es zur Aufzeichnung. Eine Zusammenfassung der Debatte bis Anfang 2015 findet ihr hier. Unten findet ihr die aktuellen Diskussionen zur Medienkritik.


Medienkritik gibt es im Grunde seit es Medien gibt. Den Beginn einer breiten und auch wissenschaftlich fundierten Auseinandersetzung mit Medien und ihren Produktionsbedingungen datieren viele Forschungen allerdings auf das 19. und 20. Jahrhundert (Siehe Wikipedia: Medienkritik). Speziell die Reflexion der nationalsozialistischen Propaganda und der Massenmedien prägten die Disziplin im deutschsprachigen Raum. Traditionelle Fragestellungen sind: Gibt es eine objektive Berichterstattung? Inwieweit bedienen Medien bestimmte Denkmuster, politische und wirtschaftliche Interessen? Wir haben aktuelle Kontroversen zusammengestellt.


Freund-Feind-Schemata: Das Hadern mit der Einseitigkeit

In aktuellen Konflikten sehen sich Redaktionen immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt, bestimmte Akteure zu dämonisieren und die Welt schablonenhaft in Gut und Böse einzuteilen. Auch die Ursachen für mediale Schwarz-Weiß-Malerei stehen zur Diskussion.

Besonders in der Ukraine-Krise beklagen viele Mediennutzer einen einseitigen, anti-russischen Tenor der Berichterstattung, der in der Auswahl der Nachrichten als auch in einer wertenden Wortwahl zum Ausdruck komme. Kritisiert wird etwa ein zu positives Bild der oppositionellen Maidan-Bewegung in Kiew, die zum Sturz von Präsident Viktor Janukowitsch führte. Rechtsradikale und russenfeindliche Strömungen innerhalb der Maidan-Bewegung habe man etwa ausgeblendet (Siehe hierzu etwa Einträge der Blogs kritisch-konstruktiv und Kritische Massen).

So berichtet die Deutsche Welle von einer “Rebellion der Leser”. Auch das ARD-Medienmagazin ZAPP dokumentiert eine Protestwelle von Medienkonsumenten, speziell via Facebook....

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Hanno Gundert, Geschäftsführer des Journalisten-Netzwerks n-ost, stützt die Kritik an der medialen Aufbereitung des Konflikts in Deutschland: "Die gesamte Berichterstattung ist von Schwarz-Weiß-Positionen geprägt – in der einen wie in der anderen Richtung", so Gundert gegenüber der Deutschen Welle.

Die deutschen Medien hätten anfangs eine sehr ähnliche Sichtweise auf den Konflikt in der Ukraine gehabt wie die Bundesregierung - nämlich einseitig und unausgewogen, meint der Politikwissenschaftler Simon Weiß (Universität Heidelberg). “Kritische Stimmen zum Vorgehen der ukrainischen Übergangsregierung in der Ostukraine, zur eskalierenden Rolle des Westens und zu den ökonomischen und militärischen Interessen von USA und EU bleiben Mangelware”, kommentierte David Goeßmann im Deutschlandfunk Mitte Mai 2014. Peter Nowak von Telepolis meint: "Lange Zeit wurde in der deutschen Öffentlichkeit die massive rechte Präsenz in der ukrainischen Oppositionsbewegung weitgehend ignoriert."

Eine Gruppe international tätiger Sozial- und Geisteswissenschaftlern wiederum hält mit einem Aufruf (veröffentlicht von der Heinrich-Böll-Stiftung) dagegen – und verteidigt die auch “Euromaidan” genannte Oppositionsbewegung: “Der Kiewer Euromaidan ist keine extremistische, sondern eine freiheitliche Massenbewegung zivilen Ungehorsams." Sie warnen vor einer Instrumentalisierung Maidan-kritischer Inhalte durch Moskaus “Polittechnologen”. Diese Berichte könnten “rhetorische Munition für Moskaus Kampf gegen die ukrainische Unabhängigkeit” liefern.

Schwarz-Weiß-Malerei im Nahost-Konflikt?

Auch im Gaza-Konlikt steht zur Debatte, ob deutsche Medien einseitig berichten. Die Welt beobachtet “überwiegend propalästinensische Berichterstattung” in deutschen Medien. Auch die taz-Journalistin Sonja Vogel meint, Israel werde einseitig als Angreifer dargestellt. “Von der Hamas oder ‘den Palästinensern’ auf der anderen Seite keine Spur.”

Umgekehrt wird der Vorwurf erhoben, deutsche Medien folgten israelischer Propaganda. So spricht der Publizist Jürgen Todenhöfer von einem “Netz der Lügen” im Gaza-Konflikt. Etwa werde die Behauptung, dass die Hamas Israel zerstören wolle, “gebetsmühlenartig von israelischen Regierungen vorgetragen und von der Mehrheit der Medien ungeprüft nachgeplappert”. Todenhöfer steht selbst in der Kritik, die Lage in Nahost verzerrt darzustellen. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München, beschwerte sich in einem offenen Brief, dass Todenhöfer seine "bizarre Sicht der Dinge" auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ungebremst als absolute Wahrheit verkaufen dürfe.

Unreflektierter, bequemer Journalismus?

Die Erklärungsmuster für eine einseitige, schablonenhafte Berichterstattung sind vielfältig. Die ehemalige Moskau-Korrespondentin der ARD, Gabriele Krone-Schmalz, nennt in einem Interview mit dem ARD-Medienmagazin ZAPP (Text, Video) als einen Grund die “Bequemlichkeit” von Redaktionen. “Wenn ich gegen den Strom schwimme, muss ich mich gut munitionieren. Schwimme ich mit dem Strom, hat keiner Fragen und ich bin schneller fertig mit meinem Job.” Auch sei die Welt einfacher zu sortieren, “wenn man sie in Gut und Böse unterteilt”.

Diese "schablonenhafte Berichterstattung" kritisiert Krone-Schmalz scharf. “Es kann einfach nicht sein, dass Journalisten bevor sie über etwas berichten, sich nicht mit ihren eigenen Freund-Feindbildern beschäftigen. (...) Sich über so etwas klar zu werden, die Dinge von allen Seiten zu betrachten, ist für mich seriöser Journalismus.”

In einem offenen Brief an das ZAPP-Magazin verweist der Journalist und Buchautor Boris Reitschuster auf mögliche Interessenkonflikte von Krone-Schmalz, die mehrfach mit Vorträgen und Moderationen für kremlnahe Unternehmen tätig gewesen sei. In ihrer Antwort stuft die Magazin-Redaktion die ehemalige ARD-Korrespondentin als "russlandfreundlich" ein.

Dominieren transatlantische Denkmuster in den Redaktionen?

Der freie Journalist und Sozialwissenschaftler Stefan Korinth meint, Redaktionen würden aufgrund ihres Personals eine "anti-russische Sicht" fördern. Die meisten Vertreter der “Oberschicht des deutschen Journalismus” seien in der in der “Bundesrepublik des Kalten Krieges” sozialisiert und politisiert worden. Top-Zeitungsjournalisten seien “stark in euro-atlantische Eliten-Netzwerke eingebunden”, daher würden “transatlantische Denkmuster dominieren”, so Korinth. Der “russlandfeindliche Konformitätsdruck in deutschen Redaktionsstuben” scheine beachtlich.

Auch das Medienmagazin ZAPP geht der Frage nach, welche Verbindungen zwischen renommierten Zeitungsjournalisten und transatlantischen Gruppierungen bestehen. Hierüber hatte zunächst der Medienwissenschaftler Uwe Krüger geforscht (Siehe Krügers Buch: “Meinungsmacht. Der Einfluss von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten"). Das ZDF-Satiremagazin Die Anstalt griff Krügers Ergebnisse auf. Gegen die Darstellung ihrer Beziehungen zu transatlantischen Lobbyvereinigungen haben die betroffenen Journalisten allerdings eine einstweilige Verfügung erwirkt. Die entsprechende Passage aus Die Anstalt wurde vom ZDF aus der Mediathek genommen, ist aber auf YouTube noch nachzusehen (ab Minute 36).

Stefan Kornelius, Ressortleiter Außenpolitik bei der Süddeutschen Zeitung, wehrt sich im ZAPP-Beitrag gegen den Vorwurf, wegen seiner Beziehungen zu transatlantischen Vereinigungen voreingenommen zu berichten (Siehe hierzu auch den Blog des Interviewers Daniel Bröckerhoff). Entsprechende Kontakte seien Teil seines Geschäfts als Journalist. Zugleich stellt Kornelius mehr Transparenz in Aussicht.

Mangel an Ressourcen, Mangel an Expertise

Als weitere Erklärung für einseitige Berichterstattung gelten die aktuellen Arbeitsbedingungen des Journalismus, speziell fehlende Zeit für Recherche. “Es ist sicher ein Vorteil, wenn man auf Grund der neuen technischen Möglichkeiten ganz schnell reagieren kann. Mit Blick auf die Recherche kann das aber auch ein Nachteil sein", meint Gabriele Krone-Schmalz. Stefan Korinth verweist zudem auf einen Mangel an Personal vor Ort. “Besonders gut sichtbar werden die fehlenden Ressourcen der Medien beim Blick auf die Auslandsstudios von ARD und ZDF. Beide Sender haben hierbei quasi identische Strukturen aufgebaut. Für Ostmitteleuropa ist das Studio in Warschau zuständig, für die riesige Landmasse östlich davon bis zum Pazifik das Studio Moskau.” Auch die bereits genannte Gruppe von Sozial- und Geisteswissenschaftlern empfiehlt mehr Vor-Ort-Recherche. “Dies könnte dazu beitragen, dass die bedauernswert häufigen Klischees, Irrtümer und Fehlinterpretationen in westlichen Diskussionen über die Lage in der Ukraine künftig vermieden werden.”

Kommunikation in Lichtgeschwindigkeit

Auch Frank Schirrmacher, bis zu seinem Tod am 12. Juni 2014 Feuilleton-Chef der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, setzte bei seiner Medienkritik an den Produktionsbedingungen an. Ein “Echtzeitjournalismus” setze auf die Semantik der Eskalation und werde dadurch selbst zur Waffe, so Schirrmacher Ende März 2014. In der Ukraine-Krise vermisste Schirrmacher die Reflexion der Ereignisse zugunsten einer politischen und gesellschaftlichen Kommunikation im “Lichtgeschwindigkeitsmodus”. “Es ist das erste europäische Krisenereignis, das vollständig im Zeichen der neuen automatisierten Medienökonomie steht.” Auch auf Publixphere wird die Geschwindigkeit der politischen Einordnung nachrichtlicher Geschehnisse kritisiert (Siehe Kommentare in der Diskussion: "Medien: Plädoyer gegen die Propaganda-Universen")

“Größtmögliche Unvoreingenommenheit und Unabhängigkeit”

Viele Redaktionen wehren sich gegen den Vorwurf der Einseitigkeit. So beobachtet Hannah Beitzer im März 2014 in der Süddeutschen Zeitung, es gebe “sehr wohl Artikel über den Einfluss der Rechten auf Übergangsregierung und Maidan”. In der Wochenmagazin Zeit setzt sich Bernd Ulrich mit der Frage auseinander, warum so viele Bürger die Krimkrise ganz anders beurteilen als Politik und Medien.

Kai Gniffke, Chefredakteur von ARD-aktuell, verweist darauf, dass journalistisches Arbeiten immer auch Auswahl und Gewichtung bedeute. Es könne keine Berichterstattung "nach dem Rechenschieber" erfolgen, das sei unseriös, so Gniffke.

Auch die ARD-Berichterstattung zur Ukraine steht in der Kritik, etwa die Bezeichnung “Pro russischer Mob” für “Demonstranten in der Region Donenzk (Siehe Leserkommentar auf Focus Online). Gniffke erklärt, man habe stets versucht, auch bei der Sprache nicht die eine oder andere Position unreflektiert zu übernehmen. Zwar räumt Gniffke ein: “Mag sein, dass wir nicht in jedem Beitrag den journalistisch optimalen Weg getroffen haben.” Allerdings stimme die Gesamtleistung. Man habe sich um “größtmögliche Unvoreingenommenheit und Unabhängigkeit” bemüht.

Das Magazin Spiegel wehrt sich gegen den Vorwurf, der Magazintitel "Stoppt Putin jetzt!" (Ausgabe 31 / 2014) sei "kriegstreiberisch”. “Das ist eine absurde Behauptung, die weder durch das Titelbild gedeckt wird noch durch die Artikel im Heft”, heißt es von Seiten der Redaktion. Auch organisiert auftretende, anonyme User würden “jegliche Kritik an Russland mit einer Flut an Wortmeldungen in den Foren vieler Online-Medien kontern”, heißt es in der Hausmitteilung.

screenshot ZDF heuteIm April musste sich ZDF-Moderator Claus Kleber für einen Fehler entschuldigen. Fälschlicherweise hatte man berichtet, ein russischer Oberstleutnant befehlige eine Einheit von Seperatisten in der Ostukraine. Inzwischen macht das Video auf YouTube die Runde, unter dem Titel: "ZDF Heute Journal verstrickt sich in Propaganda-Lügen". Foto & Teaser: Screenshot, Mediathek ZDF Heute vom 15.04.2014 [weniger anzeigen]


Staatliche Propaganda: Wo hört die Wahrheit auf?

Welchen Einfluss haben staatlich finanzierte Medien auf den öffentlichen Diskurs? Wie glaubwürdig sind sie? Diese Fragen stellen sich aktuell vor allem im Ukraine-Konflikt. Auch der Einfluss russischer Propaganda auf die deutsche Öffentlichkeit steht zur Diskussion.

Medienkonsumenten in Russland und der Ukraine bekommen derzeit in den landeseigenen Massenmedien ganz unterschiedliche Ereignisse und Interpretationen des Konflikts zu sehen, zu hören und zu lesen. Die staatlichen Medien stützen dabei die Darstellung der jeweiligen Regierung. Die Ukraine-Krise sei auch ein Krieg der Lügen, schreibt Focus Online. Beide Seiten – auch die ukrainische – wollten den Gegner mit gezielter Desinformation schlagen. Den “Propaganda-Kampf” beschreiben auch SZ Online, Spiegel Online und Welt Online – meist mit Fokus auf die russische Seite. Der Soziologe Denis Volkok vom russischen Meinungsforschungsinstitut Lavada beobachtet, im russischen Fernsehen werde eine “andere Wirklichkeit” konstruiert. Der Wissenschaftsautor Thomas Grüter meint: “Die russischen Staatssender geben laufend Berichte über alle möglichen Verschwörungen heraus”...

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Auch in der Ukraine ist es schlecht um eine freie und unabhängige Presse bestellt. Auf der Rangliste der Pressefreiheit, erstellt von der Nicht-Regierungs-Organisation “Reporter ohne Grenzen”, landet die Ukraine auf Platz 127 (Russland liegt auf Rang 148). Reporter ohne Grenzen berichtet, wie auch der ukrainische Staat Journalisten einschüchtert.

UN warnt vor Eskalation durch Propaganda

Die Folgen der Propaganda beschrieb das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte (UNHCHR) im Mai 2014 so: “Die Fortsetzung der Rhetorik des Hasses und der Propaganda heizt die Eskalation der Krise im Osten der Ukraine an und hat das Potential, (die Ereignisse) außer Kontrolle geraten zu lassen.”

Auf Zeit Online schildert der Journalist Steffen Dobbert, wie er und ein russischer Freund die Ukraine-Krise aufgrund verschiedener Informationsquellen ganz unterschiedlich bewerten. Dobbert und sein Freund werfen sich gegenseitig vor, auf russische bzw. ukrainische Propaganda hereinzufallen.

Expansion russischer Medien nach Deutschland

Auch der Einfluss russischer Staatsmedien im deutschsprachigen Raum steht zur Diskussion. Seit der Ukraine-Krise versuche Russland massiv, die deutsche Öffentlichkeit zu beeinflussen, schreibt Zeit Online. Beispielsweise helfe der Publizist Jürgen Elsässer mit seinem Compact-Magazin, “die Interpretationsmuster des Kreml zu verbreiten”.

Einem Medienbericht zufolge wollen der russische Fernsehsender Russia Today als auch die Nachrichtenagentur Rossiya Segodnya nach Deutschland expandieren. Beide Medien finanziert der russische Staat. “Wir wollen ganz einfach die Dominanz der sogenannten angelsächsischen Medien beenden”, zitiert das Wall Street Journal den Chef von Rossija Sewodnja, Dmitri Kisseljow (Siehe auch die Kisseljow-Portaits auf BBC, Englisch und FAZ.net).

Die freie Journalistin Gemma Pörzgen kritisiert in einem Bericht (April 2014) des ARD-Medienmagazins ZAPP eine “gezielte Kampagne des Kremls gegen westliche Staaten”, die mit viel Desinformation arbeite.

Wie umgehen mit Russia Tooday?

Der Süddeutsche Verlag hat im April 2014 die vom russischen Staat finanzierte Werbebeilage Russland Heute gestoppt. „Wir wissen, dass es Russland Heute darum geht, ein positives Russlandbild zu vermitteln“, erklärte der stellvertretende SZ-Chefredakteur Wolfgang Krach gegenüber der taz. „Das halten wir zu einem Zeitpunkt, wo Russland Soldaten und Panzer auf die Krim schickt, grundsätzlich nicht für richtig.“ Eine Moderatorin des englischen Programms des TV-Senders Russia Today quittierte vor laufender Kamera ihre Arbeit. "Ich kann nicht für einen von der russischen Regierung finanzierten Sender arbeiten, der die Taten Putins beschönigt”, so Liz Wahl zur Begründung.

Der Journalist Patrick Galey warnt allerdings davor, im Fall Russia Today mit zweierlei Maß zu messen. So hätten etwa US-Medien mehrere Journalisten entlassen, die sich kritisch zum Anti-Terrorkampf und zum Irak-Krieg geäußert hatten. Im Westen beobachtet Galey Arroganz gegenüber Gegenargumenten. "Wir denken, dass wir – weil wir die Medienlandschaft und lange Zeit auch die Nachrichtenagenda kontrollieren – auch automatisch die Kontrolle über die Wahrheit haben."

Sanktionen - auch im Informationskrieg

Im Rahmen von Wirtschaftssanktionen geht die EU auch gegen die staatliche Presse aus Russland vor. So verhängte die EU gegen Rossija Sewodnja-Chef Kisseljow ein Einreiseverbot und eine Vermögenssperre.

Der hessische EU-Abgeordnete Michael Gahler (CDU) will die Sanktionen auf weitere Personen ausweiten, auch auf "Journalisten, die in unsäglicher Weise die Wahrheit verdrehen, ihr Berufsethos verletzen". Auf eine Sanktions-Liste gehören laut Gahler etwa "europäische oder amerikanische Staatsbürger, die für Russia Today arbeiten". "Den Amerikanern könnte man auch die Einreise nach Europa verweigern, und den Europäern vielleicht, die in Amerika, damit man auch bei uns deutlich macht, wer sich zu so etwas herablässt oder dafür bezahlen lässt, der wird auch persönlich sanktioniert", so Gahler im Interview mit dem Deutschlandfunk (29. August 2014).

Die ukrainische Regierung hat die Ausstrahlung 14 russischer TV-Sender wegen “Kriegspropaganda” verboten. Sie sollen notfalls mit Störanlagen blockiert werden, berichtet Spiegel Online.

picture alliance / russian look)Dmitri Kisseljow gilt als Hardliner und "Propaganda-Chef" der russichen Regierung. Die EU lässt ihn nicht mehr einreisen. Foto & Teaser: picture alliance / russian look [weniger anzeigen]


Neue Medienkritik und Gegenöffentlichkeit

Die finanziellen und technischen Schwellen, ein Medienangebot zu betreiben, sind im Online-Zeitalter rasant gesunken. Auffällig ist: viele Akteure nutzen die relativ jungen Kanäle wie YouTube und Facebook, um eine Art Gegenöffentlichkeit zu den traditionellen Medien zu behaupten. Prominente Einzelpersonen und neue Medienanbieter werfen den etablierten Redaktionen immer wieder vor, den Bürgern die Wahrheit über Konflikte vorzuenthalten oder bestimmte Gruppen abzuwerten – etwa die neuen Montagsdemos. Vielerorts verschwimmt die Grenze zur Verschwörungstheorie...

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Der Börsenexperte Dirk Müller (Spitzname “Mr. Dax”) spricht etwa auf YouTube über die “Gehirnwäsche” mancher deutscher Medien in der Ukraine-Krise (Video). Als Erklärung für den Konflikt legt Müller US-amerikanische Interessenpolitik nahe. Müllers Einschätzungen in eigenen Clips aber auch in Talkshows werden auf YouTube viel geklickt, oft mehrere hunderttausendmal. Allerdings sind Müllers Analysen umstritten. Spiegel Online kommentiert, eines von Müllers Büchern ("Showdown: Der Kampf um Europa und unser Geld") strotze nur so vor "abenteuerlichen Thesen”. On einem Interview wehrt sich Müller. Er könne alle Fakten im Buch belegen.

Auch der ehemalige RBB-Moderator und Aktivist Ken Jebsen erhebt schwere Vorwürfe gegen Massenmedien in Deutschland, speziell die öffentlich-rechtlichen (siehe etwa Jebsens Rede: “Die Lügen-Mechanik - Wie wir von den Medien manipuliert werden”). Sein eigenes Online-Angebot KenFM (Text, Audio, Video) bezeichnet Jebsen als “Sprachrohr für eine Bewegung (...), die globale Veränderung möchte und sich in den Montagsdemonstrationen formiert.” Ken Jebsen wirft den etablierten Massenmedien vor, die Montagsdemos absichtlich zu ignorieren und abzuwerten. Medien würden nicht über die Proteste berichten, weil “unsere Medien schon lange nicht mehr unsere Medien sind, oder anders, sie waren es auch nie: unsere Medien. Diese Medien sind Propagandainstrumente, um uns das Gehirn zu waschen”, so Jebsen (März 2014).

Die Journalistin Sarah Kern kontert in der Rhein-Zeitung den Vorwurf, die neuen Montagsdemos würden absichtlich verschwiegen (7.Mai 2014): "Eine Kampagne, bewusst nicht über diese Demonstrationen zu berichten, kann angesichts der vergleichsweise geringen Teilnehmerzahlen aber vermutlich eher als Verschwörungstheorie bezeichnet werden." Zugleich setzt sich Kern mit den Protagonisten der Bewegung auseinander.

Medienkritik als Systemkritik

Der Politologe und Sozialwissenschaftler Kyrosch Alidusti rät in einem Diskussionsbeitrag auf Publixphere dazu, die aktuelle Medienkritik als Krise der (politischen) Repräsentation zu betrachten, die er am Auftauchen von selbsterklärten "Anti-Politik-Parteien" und populistischen Einzelpersönlichkeiten nachzeichnet. Medien werden Alidusti zufolge als Teil eines politischen Systems wahrgenommen, dem mit Misstrauen und Desinteresse begegnet wird. Politische Interessen - etwa in der westlichen Außenpolitik - würden kaum medial hinterfragt. So würden die Medien als "Teil der politischen Inszenierung" erlebt. "Die Kritik an der Russland-Berichterstattung ist daher Teil des Misstrauens gegenüber einer eindeutigen Schuldzuschreibung, die Medien und Politik weitgehend teilen", so Alidusti.

Xavier Naidoo: Opfer einer Kampagne?

Die Bewegung der Montagsdemos ist umstritten. Zur Diskussion steht vor allem ihre Nähe zu Rechtsradikalen, Antisemiten, Anti-Amerikanern und Verschwörungstheoretikern. Einen Überblick hierzu bieten unter anderem die Rhein-Zeitung und Richard Zietz auf [Freitag.de]((https://www.freitag.de/autoren/maennlicherlinker/friedensbewegung-wie-weiter) (26. Mai 2014).

Immer wieder in der Kritik: die Berichterstattung über die Montagsdemos. Beispielsweise kommentierte Spiegel Online-Kolumnist Georg Diez einen Auftritt des Sängers Xavier Naidoo auf einer Montagsdemo in Mannheim, Naidoo sei ein “politischer Irrläufer, der für neue rechte Überzeugungen steht” (22. August 2014). Die Belege, die Diez für seine Thesen liefert, werden wiederum in dem YouTube-Video “Die Spiegel Online PROPAGANDA-Front” hinterfragt, erstellt offenbar von Sympathisanten der Montagsdemos. Diez habe wichtige Informationen unterschlagen und sei journalistisch unseriös vorgegangen.

Xavier Naidoo selbst reagiert mit dem Lied “Straßenunterhaltungsdienst - Die Wahrheit” auf YouTube. Darin beschreibt er sich selbst als “libertären, gläubigen Menschen”. Zugleich verweist er auf das Buch “Die Vereinigten Staaten von Europa – Geheimdokumente enthüllen die dunklen Pläne der Elite” von Oliver Janich, erschienen im – für Verschwörungstheorien bekannten - Kopp-Verlag. “Lest mal nach, so seh’ ich’s auch”, singt Naidoo. Offen bleibt, wie ironisch Naidoo seinen Text meint.

Medienkompetenz gegen klagemauer.tv & Co?

Neben Einzelpersonen versprechen zahlreiche (Online-)Medien "Wahrheiten", die in etanlierten Medien verschwiegen oder verzerrt dargestellt würden. Dazu gehören etwa n23.tv und klagemauer.tv. Auch das Compact Magazin von Jürgen Elsässer wirbt mit "Mut zur Wahrheit", das unter anderem von Spiegel Online als rechtspopulistisch eingestuft wird.

Der Medienjournalist Stefan Winterbauer (meedia.de) sieht speziell in der Ukraine-Krise ein “Fest für Verschwörungstheoretiker”. “Eigentlich wären diese Eiterbeulen der Meinungsfreiheit nicht der Rede wert”, so Winterbauer in Bezug auf Angebote wie klagemauer.tv. “Bei einem politisch komplexen und unübersichtlichen Konflikt wie in der Ukraine oder wie in Syrien entfalten die Giftspritzer aus dem Netz aber möglicherweise eine nicht zu unterschätzende Wirkung.”

Speziell die Möglichkeiten der viralen Verbreitung von "kruden Theorien" über Facebook sieht Winterbauer kritisch. “Da steht dann die aktuelle Polit-Verschwörungstheorie scheinbar gleichberechtigt neben dem jüngsten Katzenvideo, der Nachrichtenparodie vom Postillon oder einem der berüchtigten Online-Scherze, Hoax genannt.” Auch falle es in der virtuellen Welt der Social Networks zunehmend schwer, zwischen echt und unecht zu unterscheiden. Als Reaktion wünscht sich Winterbauer mehr Medienkompetenz. “Ein Schulfach Medienkunde wäre keine schlechte Idee.”

Sind Verschwörungstheoretiker für den Diskurs verloren?

Der Wissenschaftsjournalist Thomas Grüter meint, Verschwörungstheorien seien Ausdruck von Vorurteilen. Den Parallelwelten von Verschwörungstheoretikern ist seiner Analyse nach schwer beizukommen. “Wer entschlossen ist, diese Dinge zu glauben, ist auch kaum umzustimmen”, so Grüter im Interview mit Carta.info. Das Argumentationsmuster, sich gleichgeschalteten Medien gegenüber zu sehen, verortet Grüter aktuell bei rechtspopulistischen Parteien. “Der Vorwurf der heimlichen gegnerischen Absprache konstruiert eine Feindschaft und ist der typische Unterbau von Verschwörungstheorien.”

Im Forum auf carta.info werden Grüters Thesen hinterfragt. Grüter gehe unreflektiert mit dem Begriff “Verschwörungstheorie" um, indem er diesen als "Kampfbegriff" benutze, meint etwa Forist "Arq".

Autoritätsverlust der Leitmedien

SZ-Journalist Stefan Kornelius - der selbst wegen Verbindungen zu transatlantischen Vereinigungen in der Kritik steht (Siehe Abschnitt: Freund-Feind-Schemata) - sieht derweil den Einfluss traditioneller Medien sinken. “Wir haben Einfluss, aber ganz ehrlich gesagt, wenn ich mir anschaue, was im Netz passiert, der Einfluss wird immer weniger, die Autorität der Leitmedien oder der etablierten Medien wird immer stärker hinterfragt."

MontagsmahnwacheIgnorieren Medien absichtlich die über die Montagsdemos? Foto: CC BY-NC-ND 2.0 by watchyaworld [weniger anzeigen]


Journalistische Regeln und Standards

Was viele Medienkritiker einfordern, ist bereits in verschiedenen Leitlinien und Regeln für die journalistische Arbeit vorgesehen. Allerdings bekennen sich längst nicht alle Medien zu den Grundsätzen. Als oberste Gebote formuliert der Pressekodex die “Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit”.

Beim Presskodex handelt es sich um Grundsätze, denen sich Medien freiwillig verpflichten. Der Deutsche Presserat wacht über die Einhaltung und geht Beschwerden nach. Schärfste Sanktion ist die öffentliche Rüge, die das betroffene Medium veröffentlichen muss...

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Der Pressekodex sieht auch eine besondere Sorgfalt beim journalistischen Arbeiten vor. Beispielsweise dürfe der Sinn von Informationen durch Bearbeitung, Überschrift oder Bildbeschriftung weder entstellt noch verfälscht werden. “Unbestätigte Meldungen, Gerüchte und Vermutungen sind als solche erkennbar zu machen.” Ebenfalls untersagt: Vorverurteilungen von Einzelpersonen (im juristischen Sinn) und Diskriminierungen (wegen des Geschlechts, einer Behinderung oder seiner Zugehörigkeit zu einer ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe). Geboten sind der Schutz der Persönlichkeit und der Ehre.

Auch verbietet der Kodex Journalisten und Verlegern, Tätigkeiten auszuüben, “die die Glaubwürdigkeit der Presse in Frage stellen könnten”. Im Text heißt es: “Übt ein Journalist oder Verleger neben seiner publizistischen Tätigkeit eine Funktion, beispielsweise in einer Regierung, einer Behörde oder in einem Wirtschaftsunternehmen aus, müssen alle Beteiligten auf strikte Trennung dieser Funktionen achten.”

Regelungslücke Internet

Allerdings ist die Zuständigkeit des Presserats begrenzt, bislang weitgehend auf (traditionelle) Printmedien und deren Online-Ausgaben. Laut Deutschem Presserat haben sich erst eine Handvoll “reine journalistische Online-Medien” zu den Grundsätzen verpflichtet. Viele Angebote wie der Kopp-Verlag haben die Regeln nicht angenommen und unterliegen nicht der Freiwilligen Selbstkontrolle. Der Presserat geht auch keinen Beschwerden gegen sie nach. Auch private Fernsehsender und Multimedia-Dienst-Anbieter haben sich zur Selbstkontrolle verpflichtet, hier geht es allerdings hauptsächlich um den Jugendschutz (Siehe FSF und FSM).

Online-Plattformen wie YouTube und Facebook, die viele Inhalte-Anbieter als Kanäle nutzen, haben Nutzungsbestimmungen, die beispielsweise "Hassreden" verbieten (siehe hier und hier). Sie reagieren auf Beschwerden auch mit Löschungen. Allerdings bleibt die "Löschpolitik" für viele Beobachter intransparent und willkürlich. So kommentiert der Internetforscher Geert Lovink im Interview im iRights.info: "Facebook wird Inhalte löschen, die Gewinne gefährden. Wenn zum Beispiel eine große Mehrheit der Nutzer dagegen ist, dass auf Facebook extremistische Inhalte sind, wird das Unternehmen sie löschen. Basta. Wenn nicht, dann nicht. Hinter dieser Zensur steckt keine Ethik, sondern nur ein marktorientiertes Kalkül."

Bereits 2012 forderte der FDP-Medienpolitiker Jimmy Schulz ein internationales Wertesystem für das Online-Fernsehen. Mit Bezug auf ein umstrittenes anti-islamisches Mohammed-Video auf YouTube sagte Schulz im Interview mit iRights.info: "In diesem Fall bestimmt mit der Google-Tochter YouTube letztlich eine amerikanische Firma, was wir sehen und was nicht. Diese Fragen werden immer wieder auftreten. Wir werden uns auch fragen, was wir mit rechtsradikalen, etwa antisemitischen Filmen machen. Hier in Deutschland können wir sie verbieten, auf Internet-Sender im Ausland haben wir aber keinen Einfluss."

Presserecht

Neben dem Pressekodex haben sich weitere Grundsätze herausgebildet, beispielsweise die Nachrichtenregeln. Sie sollen gewährleisten, dass Medienkonsumenten nicht einseitig oder falsch informiert werden. Dazu gehören beispielweise: die Gegenüberstellung sich widersprechender Standpunkte; die Stützung von Aussagen durch Tatsachen bzw. die Nutzung möglichst mehrerer und glaubwürdiger Quellen; Abgrenzung von eigenen und fremden Aussagen und die Trennung von Nachrichten und Kommentaren. Eine entsprechende Ausbildung ist aber keine zwingende Voraussetzung, um als Nachrichtenjournalist tätig zu sein. Jeder darf sich Journalist nennen.

Neben freiwilligen Regeln setzt das Gesetz der Pressefreiheit in Deutschland bestimmte Grenzen (Siehe Wikipedia: Presserecht). Das konkrete Presserecht liegt in der Hand der Bundesländer. Die Auslegung orientiert sich teilweise am Pressekodex, etwa in Punkto journalistische Sorgfaltspflicht. Das Presserecht sichert einer freien Presse Rechte und Privilegien, etwa Auskunfts- und Informationsansprüche gegenüber Behörden oder das Zeugnisverweigerungsrecht. Strafrechtlich untersagt sind auch der Presse Tatbestände wie Beleidigung, die Preisgabe von Staatsgeheimnissen und die Volksverhetzung. [weniger anzeigen]