Europäische Bürgerinitiative


©János Balázs (CC BY-SA 2.0)Foto & Teaser: ©János Balázs (CC BY-SA 2.0)

Europäische Bürgerinitiative

Vom Recht auf Wasser über die Legalisierung von Cannabis bis zur Medienvielfalt – für zahlreiche Anliegen wird das recht junge Instrument der Europäischen Bürgerinitiative (EBI) genutzt. Finden sich in sieben EU-Staaten mindestens eine Million Unterstützer, muss die EU-Kommission tätig werden. Ein Überblick. Von Alexander Wragge

Was ist eine Europäische Bürgerinitiative?

Viel wird geklagt über den fehlenden Einfluss der Bürger auf europäische Entscheidungsprozesse. Seit 2012 gibt es ein neues Instrument, mit der sie sich in der EU Gehör verschaffen können. Doch die Hürden für eine erfolgreiche Europäische Bürgerinitiative (EBI) sind hoch...

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Bei der EBI (Offizielle Webseite) handelt es sich um eine Form des Bürgerbegehrens (Siehe hierzu auch Wikipedia). Wenn eine Million Wahlberechtigte aus mindestens sieben Mitgliedstaaten innerhalb von 12 Monaten eine Europäische Bürgerinitiative unterstützen, muss sich die EU-Kommission mit ihren Forderungen befassen. Allerdings zählt ein Land nur, wenn dort mindestens 0,2 Prozent der Bevölkerung die Initiative unterstützen. In Deutschland sind das rund 75.000 Menschen.

Am Ende verpflichtet eine erfolgreiche Initiative die EU-Kommission nicht dazu, auch Gesetzesänderungen vorzuschlagen. Die Brüsseler Behörde muss jedoch in einer Stellungnahme erklären, warum sie gegebenenfalls keinen rechtlichen Handlungsbedarf sieht. Darin gleicht das Verfahren einer Petition an den Bundestag. Die EBI ist das weltweit erste Element grenzüberschreitender, partizipativer und digitaler Demokratie.

Initiativen dürfen allerdings nicht jedes erdenkliche Anliegen hervorbringen. Der Anwendungsbereich ist auf die Kompetenzbereiche der EU beschränkt. Dazu zählen beispielsweise die Bereiche Landwirtschaft, Umwelt, Verkehr und Verbraucherschutz.

Unzulässig sind Initiativen, die gegen die Menschenrechte und die Werte der Union verstoßen.

Ablauf

Die Kommission prüft zunächst innerhalb von zwei Monaten, ob eine Initiative zulässig ist (siehe auch den Leitfaden für EBI). Danach können die Initiatoren – auch online – Unterschriften sammeln. Nationale Stellen prüfen, ob die Unterschriften gültig sind. In Deutschland ist hierfür das Bundesveraltungsamt in Köln zuständig. Die Organisatoren müssen außerdem offenlegen, wer ihre Initiative finanziert.

Hat eine Initiative das erforderliche Quorum erreicht, hält das EU-Parlament eine öffentliche Anhörung zu ihrem Anliegen ab. Anschließend muss die EU-Kommission erläutern, wie sie reagiert. Wenn sie ein Gesetzgebungsverfahren einleitet, muss am Ende in der Regel das EU-Parlament zustimmen. In manchen Fällen ist auch nur der Rat der Europäischen Union zuständig, also die Regierungen der EU-Staaten. EU-Parlament und Rat können gegebenenfalls auf Änderungen hinwirken oder ein Vorhaben ganz stoppen.

Grundlagen und Kritik

Die rechtlichen Voraussetzungen für die EBI schuf die EU 2009 mit dem Lissabon-Vertrag (Siehe Art. 11 Abs. 4 und Art. 24 AEU-Vertrag). Die Details zum Verfahren regelt eine Verordnung von 2011. Die Idee zur EBI geht auf den Europäischen Konvent von 2003 zurück, der eine Verfassung für Europa entwarf. Das Ziel: direkte Demokratie auf EU-Ebene ermöglichen.

Teilweise werden große Erwartungen in das Instrument gesetzt. Sylvia-Yvonne Kaufmann (Präsidiumsmitglied der Europa-Union Deutschland) erklärte 2010: „Das völlig neuartige Instrument der Europäischen Bürgerinitiative, mit dem erstmalig supranationale direkte Demokratie zur Anwendung kommen wird, birgt in sich eine große Chance für das europäische Einigungsprojekt.“ Die Europäische Bürgerinitiative werde öffentlichen Debatten über die europäische Politik zweifellos neue Impulse verleihen.

Der Verein Mehr Demokratie e.V., der sich für die EBI stark gemacht hat, zieht eine gemischte Bilanz. "Positiv bleibt, wir haben in der EU das weltweit erste Bürgerbeteiligungsinstrument überhaupt geschaffen“, so Vorstandssprecher Michael Efler. „Aber es ist ein sehr schwaches Instrument." Letztlich sei die EBI nur ein "Vorschlagsrecht an die EU-Kommission" mit recht hohen bürokratischen Hürden. 2015 will die EU prüfen, ob sich das Instrument bewährt hat. Die Evaluation gilt es laut Efler zu nutzen, um die EBI zu einem echten direktdemokratischen Initiativ-Verfahren auszubauen. [weniger anzeigen]


Erste gültige Initiative: Recht auf Wasser

Die Bürgerinitiative “Wasser ist ein Menschenrecht!” (Englisch: „Right2Water“) erreichte im Dezember 2013 mit rund 1,68 Millionen gültigen Unterschriften als erste das geforderte Quorum. Rund 1,2 Millionen Unterstützer fand die Initiative allein in Deutschland. Die Reaktion der EU-Kommission steht in der Kritik.

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„Right2Water“ hält Wasser für ein öffentliches Gut und wendet sich gegen eine Privatisierung der Wasserversorgung. Außerdem fordert „Right2Water“ einen universellen Zugang zu Wasser sowie eine sanitäre Grundversorgung.

Mitte Februar 2014 fand eine öffentliche Anhörung vor der EU-Kommission und dem Umweltausschuss des EU-Parlaments statt. Am 19. März legte die EU-Kommission als Reaktion auf „Right2Water“ eine Mitteilung vor.

Die Kommission verweist darin vor allem auf bestehende Gesetzgebungen, die es verstärkt durchzusetzen gelte. So zitiert sie etwa die gültige EU Wasserrahmenrichtlinie aus dem Jahr 2000: "Wasser ist keine übliche Handelsware, sondern ein ererbtes Gut, das geschützt, verteidigt und entsprechend behandelt werden muss."

In Punkto Privatisierung der Wasserversorgung verweist die Kommission auf eine frühere Entscheidung. Binnenmarktkommissar Michel Barnier hatte zwar stets bestritten, er wolle die Privatisierung vorantreiben. Allerdings hatte Barnier in Reaktion auf entsprechende Befürchtungen die Wasserversorgung Mitte 2013 aus der sogenannten EU-Konzessionsrichtlinie herausgenommen (Siehe hierzu auch TAZ-Artikel), die für mehr Wettbewerb bei der Vergabe von Nutzungsrechten führen soll.

Auch bei internationalen Handelsverhandlungen - gemeint ist wohl auch das geplante Transatlantische Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP – will die Kommission sicherstellen, dass die bestehende Handhabung der Wasserdienstleistungen auf kommunaler, regionaler und nationaler Ebene respektiert wird.

Zugleich weist die Kommission die Idee zurück, den EU-Staaten im Sinne eines Grundrechts eine Wasserversorgung aus öffentlicher Hand vorzuschreiben. Die Entscheidung über die optimale Verwaltung von Wasserdienstleistungen liege fest in den Händen der Behörden in den Mitgliedstaaten, so die Brüsseler Behörde. Die Kommission werde auch künftig EU-Recht beachten, wonach die EU zu Neutralität gegenüber den nationalen Entscheidungen über die Eigentumsordnung für Wasserversorgungsunternehmen verpflichtet ist.

Kritiker warnen, vor allem hochverschuldete Staaten wie Portugal oder Griechenland stünden aktuell unter Druck, ihre Wasserwerke zu privatisieren – auch wegen den Sparvorgaben der Troika, an der die Kommission beteiligt ist. Auch hier spielt die Kommission den Ball zurück in die Mitgliedsländer. "Die Kommission fordert (...) die Mitgliedstaaten auf, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten allen Bürgerinnen und Bürgern einen Mindestzugang zur Wasserversorgung gemäß den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation zu sichern und die Wasserrichtlinie ordnungsgemäß umzusetzen."

Zumindest in Punkto Trinkwasserqualität will die Kommission handeln. So soll es eine öffentlichen Konsultation zu möglichen Verbesserungen und Gespräche über neue Richtwerte geben.

Die Europäische Gewerkschaftsverband für den öffentlichen Dienst (EGÖD) - Initiator und Finanzier von "Right2Water" - reagiert verhalten auf die Kommissionsmitteilung. EGÖD-Vizegeneralsekretär Jan Willem Goudriaan kommentiert in einer Stellungnahme: „Die Reaktion der Europäischen Kommission ist wenig ambitioniert darin, den Erwartungen von 1,9 Millionen Menschen gerecht zu werden. Ich bedauere, dass es keinen Gesetzesvorschlag für die Anerkennung des Menschenrechts auf Wasser gibt." EGÖD vertritt nach eigenen Angaben 8 Millionen Mitglieder und 189 Gewerkschaften aus 33 europäischen Ländern. Auch die deutsche Dienstleistungsgewerkschaft ver.di ist Mitglied, die sich in Deutschland für "Right2Water" einsetzte.

Sven Giegold, EU-Abgeordneter und Spitzenkandidat der Grünen für die Europawahlen, kritisiert die Reaktion der Kommission. Der Umgang mit dieser ersten erfolgreichen Europäischen Bürgerinitiative sei ein Schlag ins Gesicht der Bürger. "Alle weiße Salbe der Kommission von Konsultationen und Respekt für die Bürgerinitiative kann nicht darüber hinwegtäuschen: Ohne Gesetzesvorschläge der EU-Kommission werden die Initiatoren der Bürgerinitiative und die Bürgerinnen und Bürger keine Hoffnung auf mehr Europäische Demokratie aus dieser Aktion schöpfen." Der EU-Journalist und Blogger Eric Bonse kommentiert: "Die EBI wird ausgebremst, die Wähler werden um ein wichtiges Thema betrogen." [weniger anzeigen]


Laufende und gescheiterte Initiativen

Aktuell sammeln zahlreiche Initiativen europaweit Unterschriften. Manche scheiterten bereits an der Zulassung oder mangelnder Unterstützung. Eine Übersicht bietet das Amtliche Register aller EBI bei der EU-Kommission...

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Europäische Bürgerinitiative für Medienpluralismus

Die Initiative sammelt bis zum 19. August 2014 Unterschriften. Ihr Ziel ist es, die Medienvielfalt in Europa mit einer eigenen EU-Richtlinie schützen. Initiatoren sind das Netzwerk European Alternatives, das sich für eine aktive europäische Bürgerschaft einsetzt, und die Journalistenvereinigung Alliance Internationale de Journalists. In Deutschland unterstützen die Journalisten-Gewerkschaften DJV und dju, sowie der Verein Digitale Gesellschaft das Vorhaben.

Konkret fordert die Initiative eine EU-Richtlinie (siehe auch Diskussion "Medienpluralismus unterstützen!"):

• die einer Eigentumskonzentration im Medien- und Werbemarkt entgegenwirkt,

• die die Unabhängigkeit bestehender Aufsichtsgremien von politischem Einfluss garantiert,

• die dem Missbrauch von vorherrschender Meinungsmacht für wirtschaftliche und politische Partikularinteressen vorbeugt,

• die in Form eines regelmäßigen Berichts über Medienkonzentration in den Mitgliedsstaaten die Medienbesitzstrukturen transparent macht und die Unabhängigkeit der Medien bewertet.

• Leitlinien und best practices neuer, zukunftsfähiger Verlagsmodelle sollen die Qualität des Journalismus garantieren und diejenigen unterstützen, die in dieser Branche arbeiten.

Weitere aktuelle Initiativen

Ein internationales Bündnis aus mehr als 150 Organisationen fordert den Stopp der Verhandlungen zum EU-Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP). Am 15. Juli hat es die Registrierung einer entsprechenden Europäischen Bürgerinitiative der EU-Kommission beantragt.

Bis zum 6. August 2014 sammelt auch eine Bürgerinitiative Unterschriften, die Bildungsausgaben aus der EU-Defizitberechnung herausnehmen will. So soll eine qualitativ hochwertige Bildung in Europa auch in Zeiten der Krise gesichert werden. Die Initiative „Turn me off“ sammelt bis zum Februar 2015 dafür Unterstützung, die nächtliche Beleuchtung von Geschäften und nicht genutzten Büros EU-weit zu verbieten. Die „Europäische Initiative Freies Dampfen“ will die „Freie Verwendung von elektronischen Zigaretten“ erreichen, hier läuft die Unterschriftensammlung bis zum 25. November 2014. Die Legalisierung von Cannabis hat sich „Weed like to talk“ zum Ziel gesetzt (die Unterschriftensammlung läuft bis zum 20. November 2014).

Gescheiterte Initiativen

Zahlreiche Bürgerinitiativen schafften es nicht innerhalb des vorgeschriebenen Zeitraums von zwölf Monaten genügend Unterzeichner zu finden. Manche scheiterten auch an der Registrierung.

Nicht zulässig war beispielsweise die aus Deutschland gestartete Initiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Die Kommission erklärt, die Forderung sei auf Grundlage des EU-Rechts nicht zu verwirklichen. Dieses sehe bei der "Bekämpfung sozialer Ausgrenzung" - auf dieses EU-Ziel hatten sich die Organisatoren berufen - keine Vereinheitlichung der nationalen Rechtsvorschriften vor. Ein Anti-Atom-Begehren lehnte die Kommission ab, weil ein Ausstieg aus der Atomenergie in den Verträgen der EU nicht vorgesehen sei.

Die EU-Kommission legt online schriftlich dar, warum sie eine Initiative zurückgewiesen hat (Siehe Liste aller abgelehnten Registrierungen). [weniger anzeigen]


Links
 zum Thema

EU-Kommission: Europäische Bürgerinitiative

EU-Kommission: Leitfaden zur Europäischen Bürgerinitiative

EU-Kommission: Amtliches Register aller EBI

EU: Verordnung über die Europäische Bürgerinitiative

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss: Leitfaden zur europäischen Bürgerinitiative

Mehr Demokratie e.V.: Europäische Bürgerinitiative