Hangout mit Jürgen Klute: Was tun gegen Jugendarbeitslosigkeit in Europa?

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Im Google-Hangout der Politikfabrik vom 22.05.2014 mit Jürgen Klute, MdEP, Linke (Mitglied des Wirtschafts- und Haushaltsausschusses) diskutierten Publixphere-Redakteur Alexander Wragge und Blogger Michael Fulde zum Thema 'Was tun, gegen die Jugendarbeitslosigkeit in Europa?'. Schon im Vorfeld hatte die Publixphere-Community dieses Thema kontrovers diskutiert. Hier nun die Zusammenfassung.

Zur grundsätzlichen Frage verbesserter Fördermöglichkeiten Jugendlicher seitens der EU verwies MdB Brigitte_Pothmer MdB, Grüne (Grüne) im Forum bereits auf bestehende Modelle hin:

„Eine Möglichkeit wäre zum Beispiel das Förderprogramm MobiPro zuverlässig und seriös auszufinanzieren. MobiPro-EU wurde im letzten Jahr als Beitrag zum Kampf gegen die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Europa und zur Sicherung des deutschen Fachkräftebedarfs aufgelegt.“

User Klaus empfand diesen Vorstoß als 'eine recht kleine Maßnahme', Brigitte_Pothmer MdB, Grüne hielt dagegen und bestand darauf, dass dieses Programm immerhin für die Teilnehmer*innen einen großen Unterschied mache.

User*in moseni wies dagegen darauf hin, dass es auf Dauer nicht das Ziel sein könne junge, qualifizierte Arbeitskräfte in 'fremden' Arbeitsmärkten unterzubringen, worauf Brigitte_Pothmer MdB, Grüne antwortete:

„Langfristig brauchen und wollen wir einen europäischen Arbeitsmarkt. Die Erfahrungen mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit zeigen, dass Menschen zwar mehrere Jahre in einem anderen Land arbeiten, aber dann häufig auch wieder in ihre Heimat zurückkehren. Dort profitieren sie dann natürlich auch von den Erfahrungen und Qualifikationen, die sie in einem anderen Land gesammelt haben.“

MdEP Jürgen Klute Die LINKE wies in diesem Zusammenhang in Rekurs auf die Diskussion im Forum bereits zu Beginn des Hangouts noch einmal nachdrücklich auf die große Verantwortung der EU hin, Teilhabe am Wohlstand zu schaffen um demokratisches, pro-europäisches Interesse innerhalb der Nationalstaaten aufrecht zu erhalten. Förderprogramme, so Klute, würden jungen Leuten helfen und Perspektiven schaffen. Er selbst habe im Ruhrgebiet beobachten können, dass staatliche Maßnahmen durchaus geeignet seien Regionen wirtschaftlich wieder 'auf die Beine' zu stellen. Die geförderte Mobilität in europäischen Programmen sei deshalb zwar gut, gleichzeitig dürfe diese aber in keinem Zwang münden und keine dauerhafte Abwanderung qualifizierter Fachkräfte aus ihren heimischen Ökonomien nach sich ziehen. 'Abwanderungs'-Ländern ginge zunehmend Fachkompetenz verloren, wohingegen 'Ziel'-Länder wie Deutschland deutlich profitierten, indem sie sich bereits die Ausbildung sparten. Den 'Entsende'-Ländern fehlten darüber hinaus Steuereinnahmen und Einzahlende in die Sozialsysteme. Länder wie Deutschland sollten deshalb in eine Art 'Kompensations-Fond' einzahlen um ein faires Gleichgewicht innerhalb der konkurrierenden Ökonomien zu gewährleisten – so etwas sei, nach Klutes Einschätzung, vorerst aber nicht durchsetzbar. Bereits beim Aufstocken der 'Jugendarbeitslosigkeitsinitiative', die alle jungen Erwachsenen bis zum 25. Lebensjahr in ihrer Ausbildung fördert, habe es massiven Gegenwind – vor allem aus Deutschland und Großbritannien – gegeben. Deshalb würden für alle 28 Mitgliedsstaaten weiterhin nur sechs Milliarden Euro für die nächsten sieben Jahre bereitgestellt – dies sei, so Klute, eine viel zu geringe Summe.

Community-Mitglied Sebastian äußerte im Forum:

„Sind Fördermaßnahmen auf EU-Ebene effektiver als auf nationaler/regionaler Ebene? Oder müssen EU-weite sowie nationale Förderprogramme Hand in Hand laufen?“

Jürgen Klute geht davon aus, dass unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklungen zwischen den Ländern ausgeglichen werden müssen. Selbstverständlich aber müssten die Mittel, die die EU bereitstellt mit nationalen Mitteln ergänzt werden, sodass die Verantwortung auf beiden Seiten liege und eine Art 'Kombinationsmodell' entstehe.

UserIn anne-marie fragte ganz konkret wohin mehr Gelder fließen sollten, Bachmann schloss sich mit der Frage an, wie der Staat überhaupt in der Lage sei Arbeit zu schaffen. Der Europa-Parlamentarier machte deutlich, dass nach seiner Auffassung genau dort Arbeitslosigkeit tendenziell eher hoch sei, wo der Staat fehle. Programme könnten dem Abhilfe schaffen. Natürlich könne der Staat nicht allein alle Arbeitsplätze schaffen, dennoch brauche es Instrumente, um Jugendlichen einen freien Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Es gehe also um eine gute Kombination des Einsatzes staatlicher Mittel im Zusammenspiel mit der freien Wirtschaft.

Redakteur Alexander Wragge lenkte nachfolgend das Gespräch auf das Beispiel und Vorbild Skandinavien. In der Grundtendenz, so Klute, könne das skandinavische Modell mit seiner umfassenden Daseinsvorsorge beispielhaft gelten, man müsse jedoch den unterschiedlichen Entwicklungsstand der Länder bei potentiellen Zukunftsmodellen miteinbeziehen.

User CarstenWag äußerte im Forum, dass er es für utopisch hält Vollbeschäftigung als politisches, realistisches Ziel zu formulieren und fragte nach einem Modell für verkürzte Arbeitszeit:

„Könnte ein 6-Stunden-Arbeitstag oder eine 4-Tage-Woche eine Lösung sein? Oder wären Arbeitszeitkonten oder sogar Kurzarbeit eine Möglichkeit?“

Klaus wies darauf hin, dass Arbeitszeiten bisher allerdings keine EU-Kompetenz seien:

„Wie wollen Sie im Parlament Entscheidungen zum Arbeitsmarkt an sich ziehen und mit welchem Argument überzeugen Sie die Bürger, das diese bei Ihnen gut aufgehoben sind?“

Jürgen Klute machte deutlich, dass es zunehmend zu Modellen der Arbeitszeitverkürzung, Flexibilisierung im Rahmen aufgabenbezogener Arbeitsfelder, mithin zu einer Umverteilung von Arbeit kommen müsse. Dies stünde im Übrigen keinesfalls im Widerspruch zu Vollbeschäftigung. Die Obergrenzen für Arbeitszeiten liegen, so Klute, in der Souveränität der EU, dies böte große Spielräume für neue Vorstellungen der Nutzung vorhandener Arbeitskraft.

Gegenüber den Kritikern des europäischen Binnenmarktes, einer kapitalgesteuerten Zerschlagung der Sozialsysteme einzelner Mitgliedsstaaten, der europäischen Linken und dem zunehmenden Verdruss gegenüber dem europäischen Projekt stellte Klute fest, dass dieser Frust zwar berechtigt sei, dennoch habe Europa deutlich mehr Positives in die Waagschale zu werfen. Die Linke müsse sich darüber hinaus mehr einbringen. Nur über eine ökonomische Integration könne innerhalb Europas auch nachhaltige Sozialpolitik betrieben werden. Es brauche schließlich Verteilungsspielräume und menschenwürdige Produktivverhältnisse, die wiederum gesellschaftliche Verhältnisse bestimmen. Demokratie brauche Wohlstand. Genau deshalb müssten mehr Mittel auf europäischer Ebene zur Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit bereitgestellt werden, einhergehend mit einer vernünftigen Wirtschaftspolitk, die Arbeitsplätze schaffe.

Wir danken Alexander Wragge, Michael Fulde und Jürgen Klute für dieses spannende Gespräch.


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