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Neuwahlen in Griechenland: Kommt es jetzt zum Showdown in der Eurozone?


Alexis Tsipras. Foto: Daniele VicoAlexis Tsipras (mitte) führt Griechenlands Linksbündnis Syriza an. Syriza fordert einen radikalen Kurswechsel gegenüber Griechenlands Gläubigern und liegt in Umfragen vor den anstehenden Neuwahlen (geplant am 25. Januar 2015) vorn. Foto: Daniele Vico (CC BY-ND 2.0)


Ein Beitrag von MisterEde

Als Debattenbeitrag will ich fünf Fragen in den (Euro-)Raum werfen:

Was passiert wenn Syriza die Regierungsmehrheit übernimmt?

Was passiert wenn Griechenland tatsächlich seine Auslandsschulden streicht?

Welche Folgen hätte das für die ESM-Bürgen?

Welche Folgen hätte das für die Kreditwürdigkeit des ESM und der übrigen Euro-Staaten?

Wie würde sich dies auf die anderen Krisenländer (z.B. Spanien) auswirken, bei denen eine solche linke Mehrheit und ein ähnlicher Kurs zumindest denkbar wären?


Kommentare

  • DIE GRIECHISCHE TRAGÖDIE

    Hallo MisterEDE, ich will versuchen Deine fünf Fragen mal in der vorgegebenen Reihenfolge abzuarbeiten:

    1 Wer nach der Wahl am 25. Januar 2015 in Athen die Regierung stellt ist m. E. völlig offen. Meinungsumfragen haben sich in Griechenland in den vergangenen Jahren leider als notorisch unzuverlässig erwiesen. Ob Alexis Tsipras, mit seiner Syriza als Sieger – was ich persönlich dem griechischen Volk wünschen würde! - ins Ziel geht steht also noch lange nicht fest. Wenn ja, braucht er dann in jedem Fall Koalitionspartner. Er wird deswegen nach einem Wahlkampf mit deutlich moderateren Forderungen versuchen sein Land aus der Schuldenfalle zu befreien als er es derzeit vorgibt.

    ANSCHWELLENDER BOCKSGESANG*

    Ich höre auch schon wieder jenen anschwellenden Bocksgesang (siehe unten), wenn die Eurozone und der IMF, orchestriert von Frau Dr. Merkel wie gewohnt die gesamteuropäische Apokalypse beschwören werden, die dann eintritt, wenn die Syriza die Politik in Griechenland bestimmt. Der IMF hat ja schon mal angefangen und erst einmal den Geldhahn zugedreht. Ob das dieses Mal verfängt ist allerdings fraglich, denn seit den letzten Wahlen hat sich die Lebenssituation für die Mehrheit der griechischen Wähler dramatisch verschlechtert. Die aus Berlin verordnete Austeritätspolitik hat dazu geführt, dass das BIP massiv sank und weiter sinkt, die Staatsverschuldung im Verhältnis zum BIP damit - trotz eines Schuldenerlasses in 2012 - auf über 180% kletterte (in EUR ca. 322 Milliarden in 2013), Massenarbeitslosigkeit herrscht, Armut und Obdachlosigkeit ständig zunehmen. Auch der sogenannte Primärsaldo (Haushaltsüberschuss ohne Zinszahlungen und Schuldentilging) ist weiter negativ. Alle anderslautenden Angaben erwiesen sich leider als falsch, weshalb die Troika die Auszahlung einer weiteren Kredittranche derzeit verhindert.

    Eine weitere Möglichkeit, die ich nicht von der Hand weisen würde, wäre eine Koalition von Nea Dimokratia, Pasok und den Faschisten der Goldenen Morgendämmerung, griech. Chyso Agvi, die bei den Wahlen im Januar ebenfalls zulegen werden oder eine von diesen tolerierte Koalition. Vorteil: die Agvi verfügt über keine eigene wirtschaftspolitische Programmatik, die sie dann infrage stellen müsste. Brüssel, Berlin und der IMF konnten und können, wenn es um ihre Interessen geht, mit solchen Lösungen wunderbar leben. So hat sie damals weder der Eintritt der italienischen Neo-Faschisten in die Regierung Berlusconi noch die jahrelange Zusammenarbeit der ÖVP in Wien mit dem Rechtsradikalen und SS-Fans Jörg Haider sonderlich gestört.

    DER ZWEITE UND (FINALE?) HAIRCUT

    2 Die optimistische Variante: Griechenland wird die Auslandsschulden nicht einseitig streichen. Tsipras wird das versuchen, wovon Samaras jede Nacht träumt und sich nicht traut: den zweiten (finalen?) Haircut (Schuldenschnitt) zu verhandeln, der die griechische Staatsverschuldung auf ein vertret- und finanzierbares Maß reduziert. Diese läge nach der Einschätzung vieler Fachleute etwa bei 100 % des BIP, also etwas unterhalb des Niveaus auf dem Griechenland vor Beginn der Schuldenkrise lag. Also eine Reduzierung um ca. 140 Milliarden EUR auf dann ca. 180 Milliarden. Da Merkel et al. den privaten Banken- und Finanzsektor rechtzeitig aus der Schusslinie genommen haben, der jetzt nur noch ca. 19% der griechischen Staatsschulden hält und der IMF aus verschiedenen Gründen (u.a. die Struktur der Geldgeber) ebenfalls nicht auf seine Forderungen verzichten kann, wird dies der europäische Steuerzahler über den EMS und die EZB bezahlen. Und dies um einen hohen Preis, nicht nur in der Form von vielen Milliarden EUR, sondern auch des wiederholten offenen Rechtsbruchs, weil der EZB Staatsfinanzierung verboten ist. Dies wissend reagieren die Finanzmärkte bisher sehr gelassen, obwohl manche Äußerungen klingen wie das Pfeifen im Walde.

    Für Tsipras gäbe es übrigens keinen besseren Zeitpunkt dies zu erreichen, als 2015. Sein Drohpotential ist beachtlich, denn es geht wirklich um den Showdown in der Eurozone, ja ich würde sogar sagen es geht um das gesamte Projekt Europäische Union. Und damit wären wir bei der pessimistischen Variante, dem griechischen Staatsbankrott. Die Kosten eines zweiten Haircuts, so groß die Summen auch sein mögen, sind immer noch Peanuts im Vergleich zu einem griechischen Staatsbankrott in einem Europa, das dann endgültig in die Abwärtsspirale von Depression und Deflation geriete. Eigentlich sind wir da ja schon angelangt. Für 2015 wird eine negative Inflationsrate bei einem wahrscheinlichen Nullwachstum des gesamteuropäischen BIP erwartet. Da hilft dann auch keine zweifelhafte Neuberechnung des BIP inkl. Umsätzen aus Prostitution, Drogenhandel und Schwarzarbeit etc. Da diese Zahlen naturgemäß geschätzt werden müssen, sind hier einer großzügigen Interpretation Tür und Tor geöffnet. Nur diese Neuberechnung hat Deutschland im 3. Quartal 2014 ein Miniwachstum von 0,1% beschert und verhindert, dass wir auch nominell in eine Rezession ( zwei Quartale mit negativem Wachstum) abgerutscht sind.

    AUSGETRÄUMT: DIE SCHWARZE NULL

    3 Die Folgen dieses zweiten Haircut wird der Steuerzahler anteilig über die Haushalte der Länder der Eurozone zahlen. Wenn er das denn kann. Betroffen wäre hier zunächst der ESM. (Vorgänger war der ESFS). Er finanziert sich über den freien Kapitalmarkt. Also sind regelmäßig Zins- und Tilgungszahlungen fällig, logischerweise sowohl an die Kreditgeber (Kapitalmarkt) als auch von den Kreditnehmern (Krisenstaaten), die alle auch selbst noch für den ESM haften. Fallen nun die vom ESM an Griechenland bisher gewährten und ausgezahlten Kredite durch einen zweiten Haircut aus, müssen die restlichen Mitglieder diesen Verlust von ca. 130 Milliarden EUR ausgleichen. Entweder indem sie in entsprechender Höhe Kapital (für die BRD ca. 35 Milliarden EUR) nachschießen oder ihr Bürgschaftsrisiko entsprechend erhöhen und der ESM das nötige Geld erst einmal am freien Kapitalmarkt besorgt. Das Risiko erhöht sich für Deutschland natürlich je mehr Mitglieder des ESM sich dazu selbst nicht in der Lage sehen. Bei den Südländern sowie Frankreich und Italien bezweifle ich dies ernsthaft. Irgendwann müssen aber auch diese zusätzlichen Kredite zurückgezahlt werden und zwar von den Steuerzahlern der Eurozone. Schwarze Null & Schuldenbremse wären in Deutschland also hinfällig. Dies ist wie gesagt die optimistische Variante.

    4 Ich sehe bei dieser Variante der Kreditwürdigkeit der ESM dank der starken deutschen Beteiligung nicht sonderlich tangiert. Was aber mit Sicherheit passieren wird, ist dass sich für alle anderen EU Länder mit der Ausnahme des Vereinigten Königreichs die Refinanzierung ihrer Staatsschulden am freien Kapitalmarkt deutlich verteuert, insbesondere für die Südländer plus Irland. Auch Frankreich und Italien dürften mittelfristig wieder signifikant höhere Zinsen für ihre Staatsanleihen zahlen müssen. Da sie diese Mehrbelastung nicht ohne weiteres aus den laufenden Haushalten finanzieren können, bleibt nur ein weiterer Abbau des Sozialstaats oder eine Erhöhung der Staatsverschuldung. Es könnte aber besonders für Frankreich und Italien sehr eng werden. Nur ist kein ESM vorstellbar, der das auffangen könnte.

    Deshalb meine Prognose: Die EZB wird, wie schon geplant, weiter geltendes Recht brechen und massiv in die Staatsfinanzierung einsteigen und Geld drucken, bis zur Papierproduktion alle Wälder Finnlands abgeholzt sind und versuchen so weiter Zeit zu kaufen. Die größte Bad Bank der Welt, mit unvorstellbaren Haftungsrisiken für Deutschland bei einem Auseinanderbrechen der Eurozone.

    5 Natürlich werden die Südländer die gleichen Forderungen stellen. In Spanien wird das korrupte Rajoy-Regierung die nächste Wahl nicht überstehen und mit Podemos steht eine frische linke Kraft bereit. Allerdings wird es hier wohl eher eine GroKo nach Berliner Vorbild zwischen PSOE und der konservativen PP geben. Was von da und aus Portugal an Forderungen kommt, kann ich nicht seriös einschätzen.

    Ich habe mit diesem Zwischen-Titel einen geistigen Diebstahl begangen. Botho Strauß hat ihn 1993 für ein Essay im Spiegel in einem allerdings anderen politischen Zusammenhang benutzt. Aber die Anspielung auf die klassische antike griechische Tragödie, in der der Bocksgesang eine zentrale Rolle spielt, lag einfach zu nahe, um der Versuchung zu widerstehen. In der griechischen Tragödie übrigens geht der Held stets zugrunde, scheitert an seiner eignen Hybris. Auch Alexis Tsipras kann das passieren, denn auch ein zweiter Haircut löst keines der grundsätzlichen Probleme der griechischen Volkswirtschaft: Das strukturelle Haushaltsdefizit und die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit. Außerhalb der Eurozone durch eine massive Abwertung der Währung ließe sich die wiederherstellen, als Mitglied der Eurozone nicht. Deshalb bleibt eigentlich weiter nur der Weg der internen Abwertung: Löhne senken und die Sozialstandards auf Drittweltniveau herunterfahren. So will es der neoliberal organisierte Markt. Und für denjenigen, der dies nicht schafft sieht er das Ausscheiden aus dem Markt vor, sprich den Staatsbankrott.

    • Lieber nemo,

      Ihre kenntnisreichen Ausführungen hinsichtlich der Situation in Griechenland im Besonderen, aber auch hinsichtlich volkswirtschaftlicher Grundsätze im Allgemeinen und geistesgeschichtlicher Traditionen der Antike erfüllen mich mit Respekt. Trotzdem möchte ich als Laie mein Unbehagen an einem, wie ich denke, wesentlichen Punkt Ihres Beitrags äußern:

      An Ihrem unhinterfragt negativem Gebrauch des Begriffs "neoliberal". Als sei damit alles gesagt. "Löhne senken und die Sozialstandards auf Drittweltniveau herunterfahren. So will es der neobliberal organisierte Markt."

      Ist nicht der Neoliberalismus eher die theoretische Grundlage der sozialen Marktwirtschaft? Und ich kann in einer sozialen Marktwirtschaft weniger Schlechtes sehen als z.B. in einer komplett staatlich gelenkten Wirtschaft.

      Konkret: Bedeutet nicht der europäische Rettungsschirm für Griechenland Fördern und Fordern? Jeder Kreditgeber fördert einen Kreditnehmer, aber fordert auch von ihm. Es geht gar nicht anders.

      Wenn Griechenland die Forderungen, die es erfüllen muss, den Schwächsten auferlegt und seine Sozialstandards unerträglich absenkt, dann ist das doch nicht die Schuld des EU -"Rettungsschirms", sondern eine verfehlte Wirtschafts- und Sozialpolitik Griechenlands selbst, das sich nicht traut, Struktur- und Steuerreformen durchzuführen und die unsäglich Reichen, die es auch gibt, für die zu erfüllenden Forderungen heranzuziehen.

      Aber ich glaube, das ist auch schon unzählige Male gesagt worden, und man dreht sich argumentativ im Kreis.

      Eine perfekte Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung gibt es m.E. nicht. Die soziale Marktwirtschaft ist m.E. die relativ beste, die Freiheit und soziale Verantwortung miteinander verwirklicht. Sie muss allerdings immer wieder nach der einen oder anderen Seite austariert werden. Auch gerade in Griechenland unter den gegenwärtigen Bedingungen. Sozialismus gegen Kapitalismus bringt m. E. nichts, wie es das Beispiel vieler ehemals sozialistischer Staaten zeigt.

      • Hallo Doro,

        zum Begriff „Neoliberalismus“ will ich mich kurz einklinken, auch wenn Sie nemo gefragt haben.

        Der Neoliberalismus geht davon aus, dass ein freier Markt die beste Form des Wirtschaftens ist. Entsprechend soll der Staat nach dieser Ideologie im Bereich der Wirtschaft nur eine einzige Sache machen, nämlich durch einen Rahmen gewährleisten, dass dieser freie Markt existiert (also z.B. der Wettbewerb nicht durch Kartelle und Preisabsprachen unterwandert wird).

        Die Soziale Marktwirtschaft kennzeichnet sich hingegen dadurch, dass über einen solchen neoliberalen Rahmen hinausgehende Mechanismen (z.B. Progressive Steuersätze) implementiert werden oder der Staat an manchen Stellen in das Wirtschaftsleben (z.B. zur Sicherung der Daseinsvorsorge) eingreift. Genau solche Maßnahmen, welche die Marktwirtschaft zu einer sozialen Marktwirtschaft werden lassen, lehnt der Neoliberalismus allerdings ab.

        Damit ist die neoliberale Rahmensetzung für das Wirtschaften zwar eine Grundlage für die soziale Marktwirtschaft, gleichzeitig ist der Neoliberalismus aber auch genau jene Ideologie, mit der versucht wird, die soziale Marktwirtschaft wieder auszuhöhlen.

        Schuld ist die neoliberale Marktgläubigkeit

        P.S.: Weder Neoliberalismus, noch Ordoliberalismus, Kapitalismus, Sozialismus, Marktwirtschaft oder sonstige Wirtschaftssysteme berücksichtigen von sich aus „Externalitäten“, also die Auswirkungen des Wirtschaftens auf unbeteiligte Dritte (z.B. Umweltverschmutzung). Aus meiner Sicht wäre es daher dringend nötig, den sozialen Rahmen der Marktwirtschaft in diese Richtung anzupassen, anstatt in umgekehrter Richtung, der neoliberalen Ideologie folgend, das Soziale aus der Sozialen Marktwirtschaft wieder zu streichen.

        www.mister-ede.de - Ein Update für die soziale Marktwirtschaft

        • Danke MisterEde für die klärenden Worte. Ich habe mich auch schon an anderer Stelle auf publixphere ausführlich zur Ideengeschichte von Liberalismus und Neo-Liberalismus geäußert.

          • Hallo nemo, den empfehlenswerten Beitrag habe ich mit Interesse gelesen (aber auch schon als Sie ihn in die Debatte eingebracht haben).

        • Hallo MisterEde,

          danke für Ihre Erklärung des Begriffs "neoliberal". Ist es wirklich so, dass es die neoliberale Ideologie ist, "das Soziale aus der Sozialen Marktwirtschaft wieder zu streichen"?

          Gut, es gibt dafür sicherlich eine unendliche Literatur (und Schulen) für Betriebs- und Volkswirtschaftler. Als Laie kann man da gar nicht so tief einsteigen.

          Ich finde es nur nicht so gut, den Begriff "neoliberal" als Schimpfwort zu benutzen, als sei damit alles gesagt, so wie den Begriff "Manchester-Kapitalimus". Und Letzteren will ja wohl keiner.

          Kann man sich darauf einigen, dass die "soziale Marktwirtschaft", die keine Ideologie ist, sondern pragmatisch, der Anthropologie entsprechend, nichts Feststehendes, sondern ständig auszutarieren, die, wenn auch nicht die absolut, so doch aber die relativ beste Wirtschaftsordnung ist?

          • Hallo Doro,

            nein es ist nicht die Ideologie das soziale aus der Sozialen Marktwirtschaft zu streichen, das passiert so nebenbei, wenn man sich auf den Markt als Instrument zur Gestaltung der Wirtschaftsordnung fixiert. Als Schimpfwörter verwende ich anderes, allerdings viel angenehmer als Fußpilz ist der Neoliberalismus aus meiner Sicht trotzdem nicht. Wir können uns auch gerne darauf einigen, dass die Soziale Marktwirtschaft ideal ist, die Frage bleibt aber, ob wir dann das gleiche meinen, weil die Spannweite der Gestaltungen doch sehr groß ist. Vielleicht kann ich das in nächster Zeit mal aufschlüsseln. Was ich auf jeden Fall genauso sehe, dass es nicht die ultimative Ausgestaltung gibt, sondern immer wieder nachjustiert werden muss.

    • dazu sehr treffend auch jakob augstein ... ich drücke der griechischen linken die daumen!

    • Hallo nemo,

      vielen Dank für diese ausführliche Antwort. Leider kann ich Ihnen nicht annähernd so ausführlich antworten, weil meine Fragen nicht rhetorisch waren, sondern sich mir tatsächlich stellen. Ich kenne weder das Wahlsystem noch die Stimmungslage ausreichend, um z.B. einschätzen zu können, ob ein Szenario denkbar ist, bei dem sich jetzt die beiden großen Richtungen (aktuelle Politik fortsetzen / auf Konfrontation mit der Troika gehen) gegenseitig blockieren. Ist es möglich, dass wir wie in Weimar im nächsten Jahr 3 Wahlen kurz gefolgt von erneuten Parlamentsauflösungen erleben werden, weil weder die eine noch die andere Seite die entsprechenden notwendigen Mehrheiten erreichen können?

      Und so setzt sich mein Rätseln fort. Was würde z.B. mit Syriza an der Regierung geschehen? Danke für den Hinweis auf ein mögliches Erfordernis einer Koalitionsbildung. Aber auch Syriza selbst kann ich zu wenig einschätzen. Gerade die Forderung den Schuldendienst einzustellen wirkt für mich z.B. wie eine Betrachtung durch eine nationalistische Brille. Auf der anderen Seite kann ich mir vorstellen, dass Syriza tatsächlich ein paar wichtige Reformen anpacken würde, z.B. mit Hinblick auf Steuergestaltung und Steuerverwaltung. Insgesamt kann ich mir aber noch kein Urteil bilden, auch deshalb danke für Ihre Einschätzung.

      Meine größten Befürchtungen, was einen Zahlungsstopp anbelangt, sind zurzeit ein Rückfall in die Rettungssystematik von 2009, das Entstehen einer moralischen Schieflage und steigende Zinsen für diverse Euro-Staaten. Letzteres haben Sie auch so genannt und mit dem Rückfall meine ich vor allem dieses Ungewisse, also eine Zeit, in der keiner weiß, wo es hingeht und sich die Spitzenpolitiker von einem Krisentreffen zum nächsten hangeln. Die moralische Schieflage könnte die Probleme zusätzlich verschärfen, denn wer könnte es z.B. Spanien oder Portugal verübeln, wenn diese nicht mehr bereit wären auch noch die Kredite aus Griechenland mit abzubezahlen. Oder was, wenn Irland seine Bankenrettungsschulden dann ebenfalls ganz oder teilweise nicht mehr bedienen möchte?

      Beim ESM habe ich aufgrund seines Aufbaus grundsätzlich bedenken (www.mister-ede.de - Die Konstruktion des ESM und seine Zukunftsaussichten), allerdings kann ich nicht einschätzen, wie hoch die griechischen Verbindlichkeiten gegenüber dem ESM mittlerweile sind. Vor zwei Jahren wäre meines Erachtens ein Schuldenschnitt (was auch nochmal ein Unterschied zu einem Totalausfall ist) möglich gewesen, aber wie das bei einem Totalausfall im Frühjahr 2015 aussehen würde, traue ich mir zurzeit nicht zu beurteilen zu. Danke deshalb auch hier für Ihre Antwort.

  • Das Community Management hat gerade die Ergebnisse der pxp_themas Medienkritik zusammengestellt. Dass die Damen und Herren bei den Öffentlich-Rechtlichen nichts aus diesem Debakel gelernt haben, zeigt die Berichterstattung auch über das Grexit-Szenario. Da werden munter die Parolen der Bundesregierung nachgeplappert ohne die einmal zu hinterfragen.

    Tenor: Der EURO ist sicher. Der Topf des ESM ist prall gefüllt und die Bankenunion garantiert, dass der Steuerzahler nicht die Zeche zahlen muss. Zehn Minuten Recherche auf den Websites von Bundesfinanzministerium und EU-Kommission beweisen das Gegenteil. Selbst dazu fühlen sich das Staatsfernsehen der BRD nicht mehr verpflichtet.

    Der Topf des ESM ist nicht mit 500 Milliarden gefüllt, sondern halb leer. Das restliche zur Verfügung stehende Ausleihvolumen liegt bei ca. 273 Milliarden. Aber eigentlich ist in dem Topf gar nichts drin! Sozusagen null Inhalt. Leer. Alles Summen, die über die 80 Milliarden eingezahltes Kapital der ESM-Mitglieder hinausgehen muss der sich nämlich erst am freien Kapitalmarkt erst besorgen und natürlich zurückzahlen.

    Bei der Bankenunion ist der vorgesehene Ausgleichsfond zur Abwicklung zahlungsunfähiger Banken in Höhe von lächerlichen 50 Milliarden EURO noch nicht einmal eingerichtet. Das Geld sollen die Banken dann erst in den nächsten Jahren in verträglichen Portionen einzahlen.

  • Euro-Ausschluss und Einstellung des Schuldendienstes
    Bei meinen obigen Fragen habe ich mich lediglich auf den Punkt „Einstellung des Schuldendienstes“ beschränkt, weil das ja, wenn ich es richtig verstanden habe, das mögliche Szenario ist und eben nicht der Austritt Griechenlands aus dem Euro. In der öffentlichen Debatte und zahlreichen Artikeln hierzulande ist es jedoch genau umgekehrt. Dort wird nicht die Einstellung des Schuldendienstes thematisiert, sondern der Euro-Austritt, obwohl das ja in Griechenland auch von Syriza so nicht angestrebt wird.

    Meine Frage daher: Ist das ein absichtliches Verwirrspiel deutscher Politiker, weil unsere Regierung keine Antwort auf die Frage weiß, was bei einer Einstellung des Schuldendienstes und gleichzeitigem Verbleib Griechenlands in der Eurozone passiert? Es wäre doch durchaus denkbar, dass die griechische Zentralbank normal weiter arbeitet, während z.B. der Zentralstaat seinen Schuldendienst einstellt.

    Amüsant wäre bei einem solchen Vorgehen, dass plötzlich die einzigen sicheren Kredite genau jene durch nichts abgesicherten Forderungen des Target2-Systems der EZB wären, die vor kurzem noch als besonders heikel angesehen wurden.

  • Alles nur ein Pokerspiel?

    Interview des Deutschlandfunks mit dem österreichischen EU-Abgeordneten Michel Reimon - Grüne

    Hier nochmal der Link: http://www.deutschlandfunk.de/euro-austritt-griechenlands-ein-pokerspiel-auf-sehr-hohem.694.de.html?dram:article_id=307779

  • Hallo MisterEde, gute Fragen. Nach allem, was bisher zu lesen ist, lässt das alles die "Märkte" bisher kalt. Ist Griechenland nicht mehr "systemrelevant", hat kein "Erpressungspotenzial" mehr und kann ruhig aus dem Euro austreten? Ich kann das nicht wirklich glauben. Und selbst wenn, muss die EU dem EU-Land Griechenland nicht nochmal kräftig helfen? Und was wird aus den EZB- und ESM-Geldern?

    Ich vermute eher, dass die "Märkte" sich sehr sicher sind, dass selbst Syriza in einer Koaltionsregierung (?) diesen radikalen Schritt nicht schafft, und dass die Grexit-Befürworter in der CDU nur ein wenig rumprollen sozusagen. Unabhängig vom Ökonomischen ist das eine echte Kraftprobe finde ich. Was können Wähler noch gegen die Zusammenhänge und Verträge ausrichten?

    Und rein technisch. Wann kommt der Bankenrun in Griechenland? Am Wahlabend? Oder schon davor?

    • Hallo Rakaba,

      Du sprichst von "Kraftprobe" und stellst die Frage: "Was können Wähler noch gegen die Zusammenhänge und Verträge ausrichten"?

      Meine Frage ist: Sollten Wähler einer nationalen Regierung, indem sie mehrheitlich eine antieuropäische Partei wählen, das ganze Projekt Eurozone oder sogar die EU zum Scheitern bringen dürfen? Wenn in Griechenland Syriza als Wahlsieger hervorgeht, wird das noch nicht passieren. Aber nicht auszudenken, wenn nacheinander in Frankreich der Front National und in Deutschland die AfD an die Macht käme!

      • Hallo Doro

        Sie fragen: „Sollten Wähler einer nationalen Regierung, indem sie mehrheitlich eine antieuropäische Partei wählen, das ganze Projekt Eurozone oder sogar die EU zum Scheitern bringen dürfen?“

        Meine nicht ganz ernst gemeinte Antwort ist: „Ich denke nicht, dass wir CSU-Wähler sanktionieren sollten.“

        • Hallo MisterEde,

          so ganz von der Hand zu weisen, ist die Befürchtung nicht, dass nationale Wahlen das Projekt Eurozone bzw sogar die ganze EU in Frage stellen oder sogar zum Einsturz bringen könnten. Nicht nur in Griechenland, auch in Polen, Spanien, ganz zu schweigen von Großbritannien erfreuen sich antieuropäische Parteien einer immer größer werdenden Wählerschaft. (Die CSU in Deutschland würde ich nicht zu den antieuropäischen Parteien rechnen. Da gibt es ganz andere...)

          Wenn man die geringe Wahlbeteiligung in den europäischen Ländern bedenkt und den Prozentsatz derer, die ihrer Unzufriedenheit bzw. Ablehnung der Eurozone bzw der EU in der Wahl ihrer Partei Ausdruck geben wollen, dann finde ich es im Blick auf die Gesamtzahl der Wahlberechtigten in der EU einfach unverantwortlich, wenn diese Minderheit die Eurozone und EU - verzeihen Sie das schlechte Deutsch - "kaputt machen" können.

          Natürlich gibt es keine Sanktionen gegen nationale Parteien und ihre Wähler. Ich weiß auch kein Instrument der Selbsterhaltung der EU und der Einflussnahme auf nationale Wahlen. Aber müsste nicht Brüssel darüber nachdenken und medial viel mehr dazu tun, den Bürgern Europas aufzuzeigen, wie positiv sich die EU bisher ausgewirkt hat, und dass ein Weg zurück, ein Zustand vor der Existenz der EU desaströs wäre?

          • Liebe Doro, das Recht auf freie und geheime Wahlen ist das wichtigste und fundamentalste Grundrecht der Bürger einer Demokratie, des Volkes als Souverän. Ein „Supergrundrecht“, um einen Begriff unseres Ex-Innenministers aufzugreifen. Und solange das EU-Parlament keine „EU-Regierung“ z.B. in Form der jetzigen Kommission selbst bestimmen kann, keine rechtlich gesicherten Kontrollmöglichkeiten hat, nicht den Haushalt bestimmen kann ( das Königsrecht aller demokratisch gewählten Parlamente ) und keinerlei eigenen Gesetzesinitiativen vorlegen kann, bleibt und müssen die jeweiligen Wahlen zu den Nationalparlamenten akzeptiert und die Entscheidung der Völker dieser Länder respektiert werden! Ich respektiere ja auch ohne Zögern die katastrophalen Entscheidungen, die das US-amerikanische (Wahl)Volk in regemäßigen Abständen bei einer Wahlbeteiligung von zuletzt 36% (Midterm Elections 2014) trifft. None of our business finde ich.

            Zu Absatz 3: Natürlich müsste die Kommission in ihrer Öffentlichkeitsarbeit gegensteuern. Aber das diskutieren wir ja im Thread Wie wir uns endlich um unsere EU-Politik streiten, den die Redaktion von publixsphere angelegt hat.

          • Hallo Doro,

            Sie haben natürlich Recht, dass die CSU keine antieuropäische Partei ist, nur diese Vorlage musste ich nutzen. Bei Syriza hoffe ich allerdings genauso, dass zwar hier und da mit Populismus der Rand bedient wird (wie das ja auch die CSU ab und an macht), es sich aber dennoch im Kern um eine pro-europäische Partei handelt.

            Anmerkung: Pro -europäisch heißt für mich z.B. auch Positionen zu vertreten, wie die klare Ablehnung von Antisemitismus oder die Garantie von Privateigentum. Am äußerst linken Rand werden aber genau solche Positionen auch abgelehnt, weshalb für mich zu weit links dann eben auch wieder anti-europäisch ist.

            Wie sich aber nun Syriza, die ja auch nicht nur aus Tsipras besteht, hier positioniert, vor allem auch in Abgrenzung zur noch linkeren KKE (kommunistisch), weiß ich halt nicht und da sind wir dann einfach auch bei der Schwierigkeit, dass ich eben kein Griechisch spreche und somit nicht einfach mal in deren Programm stöbern kann.

    • Hallo Rakaba,

      vielen Dank auch für Ihren Beitrag, die ergänzenden Fragen und Links.

  • An anderer Stelle wurde darauf verwiesen, dass die deutsche Grexit-Debatte Wasser auf die Mühlen der Syriza ist. Stimmt, diese Hoffnung hatte ich und ich glaube sie scheint sich zu erfüllen.

  • Ich habe mir mal Gedanken darüber gemacht, wie ein mögliches Szenario aussehen könnte, sollte es morgen zu einem Regierungswechsel in Griechenland kommen. Als mögliches Szenario betrachte ich dabei eine Verhandlungslösung, bei der ein Ausgleich zwischen den verschiedenen widerstreitenden Interessen gefunden wird.

    www.mister-ede.de - Ein mögliches Szenario nach einem Regierungswechsel in Griechenland

  • Liebes Forum,

    hier ein paar Neuigkeiten zum Thema.

    • Alexis Tsipras, Chef der griechischen Linkspartei Syriza, bezeichnet die Debatte über einen Euroaustritt seines Landes als "Schreckgespenst", um die Wähler zu terrorisieren (Quelle: Zeit Online)

    • Die Bundesregierung bestreitet einen Kurswechsel in Sachen Griechenland. Zu "spekulativen Szenarien" wie einem Euroaustritt wollte sich Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag nicht äußern. Die EU-Kommission macht darauf aufmerksam, dass ein Euro-Austritt in den EU-Verträgen nicht vorgesehen ist (Quelle: Zeit Online)