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WENIG SOUVERÄN


Foto: picture alliance / Wolfgang Kumm3. Oktober 1990: 45 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkrieges sind die Deutschen wieder in einem souveränen Staat vereint. Sind Zweifel daran angebracht? Foto: picture alliance / Wolfgang Kumm

Deutschlands Souveränität wird fast nur in (neu-)rechten Medien und Milieus in Frage gestellt. Nemo fordert in seinem Beitrag: "Holt dieses Thema heraus aus dem braunen Sumpf der Rechten und der Verschwörungstheoretiker." Zu Recht?


Ein Beitrag von nemo

DEUTSCHLAND, MERKEL & DER BND

Mit der sogenannten NSA-Affäre und den Verstrickungen des BND in vermeintlich illegale Praktiken der USA beim Ausspähen deutscher Firmen und europäischer Institutionen und Politiker kommt eine alte Frage wieder auf den Tisch: die Frage nach der völkerrechtlichen Souveränität der Bundesrepublik. Diese Frage wird bisher nur in obskuren rechtsnationalen Kreisen diskutiert und wäre es wert von kritischen Liberalen und Linken dem unsäglichen ideologischen Sumpf der neuen und alten deutschen Rechten entrissen zu werden.

NATO TRUPPENSTATUT

Erste Anfänge sind gemacht. Der Freiburger Historiker Prof. Josef Foschepoth hat in seiner Rede zur Überreichung des Whistleblower-Preises von Transparancy International an (den natürlich nicht anwesenden) Edward Snowden im Jahr 2013 dazu einen wichtigen Beitrag geleistet. So wies er dabei z.B. auf die Verpflichtungen der Bundesrepublik gegenüber den (West)Alliierten aus dem Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut von 1959 hin, das bis heute gültig ist. Dieses sichert den (ehemaligen) Alliierten (ohne Russland versteht sich) völkerrechtlich wirksam u.a. Exterritorialität ihrer Basen in der Bundesrepublik zu, die Möglichkeit sich bei Bedrohung ihrer Truppen in Deutschland militärischer Mittel zu bedienen sowie das Privileg einen sehr weit gefassten Personenkreis dem Recht des Entsendelandes zu unterwerfen, solange dies Truppen auf deutschem Boden stationiert hat. Mithin gilt auch auf deutschem Staatsgebiet auch immer noch US-Recht. Außerdem ist die Regierung der Bundesrepublik verpflichtet alle in dem o.a. Zusammenhang auftauchenden Erkenntnisse, Handlungen etc. als Amtsgeheimnis zu bewerten und ein Bekanntwerden unter allen Umständen zu verhindern - inkl. Eingriff in die Arbeit der deutschen Justiz und damit Aufhebung der Gewaltenteilung.

WEITGEHEND LEGAL

Alle ehemaligen (West)Alliierten haben Truppen auf deutschen Boden und wie gesagt das Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut ist weiterhin gültig. Aber bleiben wir einmal bei den USA. Im Licht dieser völkerrechtlichen Vereinbarungen (… und Völkerrecht „bricht“ nationales Recht, so wie europäisches Recht deutsches Recht „bricht“) wird klar, warum die USA mit ihrem „Treiben“ in Ramstein (Stichwort: Exterritorialität) weder US-amerikanisches noch deutsches Recht verletzen und warum die Bundesregierung dies weder aufklären (Stichwort: Amtsgeheimnis) noch bekannt machen oder gar beenden kann. Gleiches gilt für die Aktivitäten der NSA. Spionage (Aufklärung) wird traditionell völkerrechtlich dem militärischen Komplex zugerechnet. Um seine Truppen auf deutschem Boden vor einer vermeintlichen Bedrohung, wie hypothetisch auch immer, zu schützen kann die NSA natürlich auch in Deutschland „aufklären“ und dies völlig legal. Nach dem US-Recht sowieso und nach deutschem Recht auch, denn völkerrechtliche Vereinbarungen wie das NATO-Truppenstatut stehen über deutschem Recht. Bis heute. Unter den Begriff des Amtsgeheimnisses, wie oben beschrieben fällt natürlich z.B. auch die sogenannte Selektoren-Liste die der NSA-Untersuchungsausschuss einfordert. Damit wird klar, dass diese Liste niemals jemand außerhalb des Kanzleramtes zu sehen bekommt. Wer sich ausführlicher informieren möchte kann den Redetext von Prof. Foschepoth als PDF herunterladen oder die Rede im Video anhören und zwar hier und hier. Foschepoths Blog mit weiteren interessanten Beiträgen findet sich hier Außerdem empfehle ich Foschepoths Buch „Überwachtes Deutschland“, Göttingen, 2013.

KEIN EIERTANZ MEHR

Würde Kanzlerin Merkel auf ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen u.a. aus dem Nato-Truppenstatut gegenüber den ehemaligen (West)Alliierten hinweisen, könnte sie sich den Eiertanz ihrer Vertreter vor dem NSA-Untersuchungsausschuss sparen, der in der letzten Woche im bemerkenswerten Auftritt eines zitternden „Häufchen Elends“ namens Dr.T. vom BND gipfelte. Gleiches gilt für das Theater um das sogenannte No-Spy-Abkommen. Man kann allerdings erahnen, warum sie dies niemals tun wird, obwohl wir, wie ich denke, eine breite Diskussion über die eingeschränkte Souveränität der Bundesrepublik brauchen, vor allem wenn dadurch Grundrechte wie die Unverletzlichkeit des Post- und Fernmeldegeheimnisses ausgehebelt werden.

ZEITZEUGE EGON BAHR

Eine weitere Stimme unter denen, die bisher Zweifel an einer vollständigen Souveränität der Bundesrepublik äußerten, ist der SPD-Politiker Egon Bahr. Er tat dies in einem Beitrag für die Zeit, in mehreren Videos, u.a. hier und in einem Interview der Jungen Freiheit mit dem er sich 2004 viel Ärger einhandelte, gilt dieses Zeitung doch zu Recht als Zentralorgan der Neuen Rechten. U.a. erinnerte Bahr sich daran, dass Willy Brandt eine Art „geheimer Unterwerfungserklärung“ vor den drei (West)Alliierten abgeben musste.

NACH 1990 SOUVERÄN?

Wie auch immer, mit dem 2plus4-Vertrag ist die volle Souveränität der BRD vordergründig hergestellt. Gleichwohl haftet dieser Lösung und anderen staats- und völkerrechtlichen Lösungen etwas Provisorisches an. Es ist kein Friedensvertrag im völkerrechtlichen Sinne, wir haben immer noch „nur“ ein Grundgesetz, ein Konstrukt wie es das Völkerrecht eigentlich für besetzte Gebiete unter fremder Verwaltung oder Gebiete vorsieht, in denen jede staatliche Ordnung komplett zusammengebrochen ist und keine „Verfassung“ und alte Vorbehalte der (West)Alliierten bleiben über das Nato-Truppenstatut weiterhin gültig. Provokant und zugespitzt formuliert könnte man sagen: „Alle verhalten sich so als sei die Bundesrepublik souverän“. Nach der alten Juristenregel „Gelebtes Recht vor/über totem Recht“. Allerdings, gilt das auch im Völkerrecht?

Wir sind in der Bundesrepublik mit diesen völker- und staatsrechtlichen Konstrukten viele Jahrzehnte sehr gut gefahren und erfolgreich im Kielwasser der USA gesegelt, politisch und ökonomisch. So könnte man mit einiger Berechtigung fragen: brauchen wir überhaupt Souveränität in einer Zeit in der Nationalstaaten immer mehr an Bedeutung verlieren, in der wir ohnehin Souveränität freiwillig an z.B. an die EU oder die NATO abgeben? Sollen wir doch noch Friedenverträge mit unseren ehemaligen Gegnern und jetzigen Freunden schließen und uns damit den Forderungen nach Reparationen (Griechenland) aussetzen?

Ich glaube ja, denn wir haben eine Situation erreicht in der durch fehlende Souveränität in einigen Bereichen Grundrechte ausgehöhlt und die Gewaltenteilung einer Demokratie ausgehebelt wird.

Deshalb brauchen wir eine breite Diskussion auch unter Liberalen und Linken. Holt dieses Thema heraus aus dem braunen Sumpf der Rechten und der Verschwörungstheoretiker. Es ist zu wichtig für den Fortbestand unserer Demokratie.


Kommentare

  • Wozu eine Verfassung?

    Hallo nemo,

    ich gebe zu, ich tue mich sehr schwer mit diesem Thema. Ich verhalte mich nämlich auch so als sei die Bundesrepublik souverän. Der Unterschied zwischen Verfassung und Grundgesetz ist mir nicht klar, bin auch kein Jurist. Haben denn alle Demokratien eine ordentliche "Verfassung"? Deutschland ist UN-Mitglied, kann völkerrechtliche Verträge machen, hat alle staatlichen Organe usw. und entscheidet selbst, in welchen Krieg es zieht (nicht in den Irak, nicht nach Libyen usw). Ich erkenne einfach keine Nicht-Souveränität.

    Aber es gibt natürlich die starke Westanbindung. Aber meine Güte, wen wundert's, wenn man sich noch mal in die Stunde Null nach Völkermord, Holocaust und Weltkrieg zurückversetzt? Und gründeten die USA den BND nicht mehr oder minder selbst? Ich finde diese geschichtliche Bindung nicht weiter schlimm. Trotzdem finde ich es überfällig, eigene und amerikanische Interessen nicht mehr automatisch als deckungsgleich zu betrachten, vor allem dort, wo es gefährlich wird (Krieg und Frieden, Drohnenkrieg, Massenüberwachung usw). Diesen Schritt muss die Generation BRD aber noch machen, ich kenne da viele Vertreter, die das wohl nicht mehr in den Kopf bekommen.