+5

Facebook oder die Herausforderung für eine offene Gesellschaft


FotoFoto: Gilles Lambert (CC0 1.0)

Soll Facebook seine Löschpolitik gegen Hasskommentare verschärfen? Jens Best meint, eine wehrhafte offene Gesellschaft rufe nicht den digitalen Blockwart...


Ein Beitrag von Jens Best

+++#mimimi+++Facebook macht nix gegen die Hassleute+++#mimimi+++

Eine Klarstellung

Ich hätte auch gerne ein anderes Internet. Ein Internet, in dem jeder Bürger sein Blog hat, man morgens statt durch eine algorithmisch fremdsortierte Timeline durch seine und anderer Leute wohlsortierte RSS-Feeds geht und sich in den Kommentarfeldern der vielen unterschiedlichen Blogs mit Emotion und Argument begegnet.

Aber stattdessen haben wir Facebook. Das kann man doof finden, und ich finde es auch…suboptimal. Aber mein Punkt ist ein anderer.

Stellt dir vor, es gäbe nicht Facebook, sondern die andere eben beschriebene Internetnutzung in Deutschland. Dann gäbe es auch Leute, die Hassreden gegen Flüchtlinge schreiben würden. Die hätten dieselben Rechtschreibkünste, aber sie würden in Blogs und Kommentarfelder auf Blogs von Bekannten, Städten, Institutionen etc. stehen. Und einige dieser Blogs würden diese Kommentare stehen lassen, so wie es manche Facebookseiten-Admins machen.

Nach welchem großen Onkel, der den Blockwart spielen soll und euch von der Pflicht entbinden, diese Menschen und deren Ausdrucksformen zu ertragen, würdet ihr dann rufen? Wenn Heiko Maas jetzt mal gerne mit Facebook über deren Gemeinschaftsregeln reden will und ihr das alle knorke findet, dann offenbart es doch nur, dass ihr nicht fähig sein wollt, euch diesem Hassmüll selbst zu stellen.

Aus dem Auge, aus dem Sinn, großer Facebook-Meister halt mir die Affen vom Hals, verbiete diesen die Nutzung deiner großen Ecke Internet, weil für solche Leute haben wir das Internet nicht gewollt.

Nach Facebook rufen, weil man meint, mit dem Begriff des „geistigen Brandstifters“ ein pseudo-vernünftiges Argument gefunden zu haben, um denjenigen das digitale Maul zu stopfen, die sich mitten in diesem achso aufgeklärten Deutschland dafür entschieden haben, barbarischen Unsinn zu schreiben und zu brüllen, ist ein Offenbarungseid für eine Gesellschaft, die offen und kritisch sein will.

Es gibt Dinge, die aus der Spur laufen. Dinge, die in einem Rechtsstaat bewusst nicht mit dem Recht geklärt werden, sondern mit der Kultur des Respektes und des Gespräches in einer pluralistischen Gesellschaft, welche sich zu Grund- und Menschenrechten bekennt.

Wenn Teile dieser Gesellschaft anfangen diese Grund- und Menschenrechte infrage zu stellen, auch in merkwürdiger Rechtschreibung und mit sehr unangenehmen Worten, dann ruft eine wehrhafte offene Gesellschaft nicht den digitalen Blockwart, sondern überlegt gemeinsam, wie mit diesen Menschen umzugehen ist.

Es gibt Orte in diesem Land, die sind von einigen der grundlegenden zivilisatorischen Errungenschaften weit entfernt. Das ist ein Problem. Aber kein Problem, das man dadurch löst, dass man diese Menschen vom großen irgendwie anonymen Facebook „bestrafen“ lassen will. Facebook anzujammern ist eine wohlfeile Methode, sich den aktuellen Herausforderungen, die wenig mit Facebook zu tun haben und auch nicht in deren Aufgabenbereich fallen, nicht zu stellen.

Dass dies jetzt auch noch der sowieso seit dem Einknicken vor VDS durchgefallene Luschi von Justizminister, Heiko Maas, macht - wahrscheinlich um mal zur Abwechslung den starken Mann markieren zu können - zeigt, dass der postdemokratische Fisch vom Merkel-Kopf her stinkt. Deutschland braucht kein restriktiveres Facebook, Deutschland braucht ein neues Nachdenken und Handeln, das unseren Aufgaben und der Realität im 21. Jahrhundert gerecht wird.


Hinweis: Dieser Text steht unter cc by-sa Lizenz und wurde zuerst auf Medium.com veröffentlicht

Links zur Debatte:


Kommentare

  • Briefwechsel Maas und Facebook

    Liebes Forum, ein wenig Material zur Diskussion. Justizminister Heiko Maas (SPD) hat sich in einem Brief an Facebook gewandt. Maas erinnert das Unternehmen an seine Regeln, wonach es alle Hassbotschaften löscht, „in denen unter anderem Rasse, Ethnizität, nationale Herkunft, religiöse Zugehörigkeit, sexuelle Orientierung, schwere Behinderungen oder Krankheiten von Personen angegriffen würden“.

    Facebook solle dringend prüfen, ob die gegenwärtigen Standards und deren Anwendung in der Praxis ausreichend seien, so Maas.

    Facebook antwortet mit einer Stellungnahme. Facebook sei kein Ort für Rassismus. "Wir appellieren an die Menschen, unsere Plattform nicht für die Verbreitung von Hassrede zu benutzen. Wir verstehen, dass wir als Facebook eine besondere Verantwortung tragen und arbeiten jeden Tag sehr hart daran, die Menschen auf Facebook vor Missbrauch, Hassrede und Mobbing zu schützen." Mitte September könnte ein Treffen zwischen Maas und Facebook stattfinden.

    Beck (Grüne) fordert mehr Ermittlungen

    Volker Beck (Grüne) meint: "Mit Facebook reden reicht nicht." Beck fordert Maas auf, im Rahmen der Justizministerkonferenz zu besprechen, "wie von Seiten der Staatsanwaltschaften bei Hetze, Gewaltaufrufen und massiven Beleidigungen gegen Gruppen und Einzelpersonen aufgrund ihrer ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität konsequenter ermittelt und angeklagt wird." Zur Begründung erklärt Beck: "Die Verbreitung von Hassbotschaften und Gewaltaufrufen im Internet leistet einen Beitrag zur Erosion der demokratischen Kultur."

    Ausführlich wird hierzu auch auf Netzpolitik.org diskutiert:

    Rechte Hetze im Netz: Was will Maas eigentlich von Facebook?

    Liebe Grüße! Alex

  • CarstenWag ist dafür
    +1

    Genau, facebook ist erstmal ja auch ein Unternehmen, klar trägt auch dieses gesellschaftliche Verantwortung, gerade, wenn es als Medium bzw. Plattform agiert und so viele Menschen auf der ganzen Welt betrifft. Aber sich jetzt über die Gatekeeper-Funktion von facebook zu streiten, bringt die Sache doch nicht weiter und löst nicht das grundsätzliche Problem. Wo die Grenzen zwischen einer Netiquette von Facebook und der Position des Richters über "gut" und "böse" (auch so eine Definitionsfrage) verlaufen, ist mal wieder eine Grauzone, die einfach nicht gelöst und fest definiert werden kann...dennoch sehe ich facebook keineswegs in der Verantwortung. Menschen, die hetzen wollen, werden sich ihre Ort suchen, an denen sie hetzen können. Ich glaube nur eine offene Debatte im Netz sowie in der Offline-Welt kann uns weiter bringen. Konfrontation statt Rückzug. Und den Appell von Maas an facebook finde ich zum lächeln. Tja, dann kann die Politik doch einfach alle gesellschaftliche Verantwortung in die Hände anderer geben, why not....werden wir schon sehen, was daraus wird. Ich bin davon überzeugt, dass das der falsche Ansatzpunkt ist.

  • Ich denke, es ist umgekehrt: Facebook genießt ein riesiges Privileg! Normalerweise ist man für das verantwortlich, was man in die Welt trägt. Entsprechend können sich Anbieter solcher Internetforen auch nur ausnahmsweisen von dieser Verantwortung befreien und zwar dann, wenn sie dafür sicherstellen, dass solche Beiträge schnell wieder gelöscht werden.

    Genau das macht Facebook aber anscheinend nicht, weshalb dieses Privileg zu Recht in Frage gestellt wird.

    Das Problem des Rassismus wird dadurch natürlich nicht beseitigt, das stimmt, aber zumindest wird so das Hassverbreiten erschwert.

    • "was man in die Welt trägt" - Facebook schreibt keine Hass- oder Hetzkommentare, sondern User. Die Rechtssprechung zu user-generated-content ist zwar vorhanden, aber sie macht - zum Glück - Facebook nicht zum Richter über Kommentare.

      • Hallo Jens Best, ich weiß was Du meinst. Aber! :) Das war ja die Kritik, Facebook macht sich sehr wohl zum Richter, indem es jegliche Nacktheit sehr erfolgreich aus Facebook raushält. Die Nacktheits-Erkennung ist wohl technisch viel ausgereifter und einfacher als die Erkennung von volksverhetzenden Sätzen. Ist klar.

        Generell beneide ich Facebook nicht. Was mit einem Spaß begann - das Klassenbuch ins Netz verlegen - ist zur größten Weltöffentlichkeitsmaschine geworden, auch zur (wahlentscheidenden) Politik- und Meinungsmaschine. Jeder Eingriff will da wohl überlegt sein. Vor allem bräuchte es Transparenz darüber, warum wir sehen, was wir sehen, und was nicht.

        Wie Du finde ich, ist der Streit und die aufklärerische Auseinandersetzung immer der Löschung und Zensur vorzuziehen. Aber das würde ich den Betroffenen überlassen, die ja Facebook-Inhalte melden können oder eben nicht. Die Grenzen der demokratischen Auseinandersetzung empfindet jeder anders. Entscheiden müssen dann Menschen, die die Regeln auslegen, Facebook-Richter sozusagen. Die rote Linie ist natürlich das Strafrecht, das eben auch auf Facebook gelten muss, sonst macht sich der Rechtsstaat lächerlich.

        Als ersten Schritt fände ich es Facbook zumutbar, 100 Experten für Volksverhetzung, Drohungen etc. einzustellen, die in der Lage sind, einen Inhalt zügig so zu beurteilen, ob er erstmal zu löschen/sperren ist, bis die Sache vor Gericht geklärt ist. Das ist eben der Preis, wenn man mit den Daten von über einer Milliarde Menschen so eine ungeheure Macht anhäuft, so ein unglaubliches Potenzial an Geschäften. Das Silicon-Valley kann nicht beides auf einmal haben - die Weltherrschaft im 21. Jahrhundert - und so eine "Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts"-Position, sobald es irgendwelche ethischen und rechtlichen Probleme gibt. Das gilt übrigens auch für Youtube, das bis heute mit Urheberrechtsverletzungen seiner Nutzer krass Kasse macht, so mein Eindruck.

        • Jens Best ist dagegen
          +1

          Es ist schon eine Anmaßung von Facebook, bei der Darstellung von Nacktheit als Zensor aufzutreten. Finde es immer merkwürdig, wenn argumentiert wird, dass Facebook ja schon bei den Brüsten Richter spielen würde und man das dann doch wohl auch bei dies und jenem erwarten könne.

          Es ist umgekehrt, Facebook müsste auch das Veröffentlichen von Aktfotos zulassen, schliesslich entscheide ich als User, was ich der Öffentlichkeit oder meinem Bekanntenkreis zeigen will. Und da wir ja strikte Alterskontrolle bei Facebook haben (zumindest offiziell), könnte Facebook solche Fotos gerne algorithmisch erkennen und dann bei unter 16jährigen einfach ausblenden.

          Auch deinem Satz, dass wäre halt der Preis, wenn man "mit den Daten von über einer Milliarde Menschen ungeheure Macht anhäuft" kann ich keinen argumentativen Zusammenhang für eine vorgerichtliche Zensur erkennen, welcher irgendwie konditional unausweichlich zu begründen ist.

          • Hallo Jens Best,

            zu: "Auch deinem Satz, dass wäre halt der Preis, wenn man "mit den Daten von über einer Milliarde Menschen ungeheure Macht anhäuft" kann ich keinen argumentativen Zusammenhang für eine vorgerichtliche Zensur erkennen, welcher irgendwie konditional unausweichlich zu begründen ist."

            Gemeint ist, dass man nicht Gatekeeper sein kann, ohne irgendwann in eine Verantwortung zu geraten. Man kann nicht auf der einen Seite so viel kommerzielle verwenbare Daten wie möglich von den Nutzern ziehen (wir können über die ganze Verwendungsphantasie gern mal gesondert diskutieren), und auf der anderen Seite so tun, als sei man kein Akteur, der mittlerweile riesigen Enfluss auf die Weltwahrnehmung hat. Zeitungen, die früheren Gatekeeper, entschieden sich auch für eine Ethik, für Grenzen. Facebook will das nicht, macht es dann aber doch - wozu sonst die schwammigen Nutzungsbestimmungen? Ob Facebook will oder nicht, es kommt irgendwann zu diesen Fragen - was zeigen wir, was nicht? Welche Verantwortung haben wir, auch wenn wir die nie wollten (sondern einfach nur Kohle machen). Und da wäre Klarheit für alle das beste, schließlich ist Facebook ein gesellschaftlich sehr relevanter Faktor geworden.

          • „schliesslich entscheide ich als User, was ich der Öffentlichkeit oder meinem Bekanntenkreis zeigen will“

            Das stimmt so nicht. Sie als User entscheiden nur, was Sie an Facebook senden. Facebook entscheidet, was andere Nutzer sehen. Verbreitet FB Hetze, muss FB bestraft werden. Ganz einfach.

            Es ist schon eine Anmaßung von Facebook, bei der Darstellung von Nacktheit als Zensor aufzutreten.

            Was FB veröffentlicht ist deren Sache. Wenn FB nur Beiträge von Personen mit dem Vornamen Pippilotta Viktualia Rullgardina Krusmynta Efraimsdotter veröffentlichen will, ist das auch ok. Insofern ist es schon eher eine Anmaßung, dass Sie entscheiden wollen, was Facebook zu tun und lassen hat. Zensur ist übrigens eine staatliche Maßnahme und Facebook ist mir nicht so wirklich als Staatsunternehmen bekannt.

      • Hallo Jens Best,

        "was man in die Welt trägt" - Facebook schreibt keine Hass- oder Hetzkommentare, sondern User

        „In die Welt tragen“ (verbreiten) und „schreiben“ sind zwei unterschiedliche Dinge. Emils Antwort schließe ich mich an.