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Demokratische Verhältnisse mit Militärgewalt erzwingen?


Ein Beitrag von Doro

Das Wort "Demokratie" wird m.E. zu undifferenziert und inflationär gebraucht. Als sei die "Demokratie" unhinterfragt und eo ipso die beste denkbare Regierungsform. Das trifft auf Staaten mit einer ethnisch und religionsmäßig (konfessionelle Unterschiede außer Acht gelassen!) weitgehend konformen Bevölkerung zu. In Wahlen entscheidet man sich mehrheitlich für das politische Programm, mit dem man regiert werden möchte. Die unterlegenen Parteien gehen "demokratisch" in die Opposition. Ethnische und religiöse Minderheiten haben gleiche Bürgerrechte. Das kann nicht funktionieren in Staaten mit sehr unterschiedlichen Ethnien. Oder sehr unterschiedlichen Religionszugehörigkeiten. Zumal, wenn die unterschiedlichen Gruppen annähernd gleich stark sind. Man kann es Christen nicht verdenken, wenn sie sich der Scharia nicht unterordnen können. Man kann es vielleicht auch Muslimen nicht verdenken, wenn sie mit einer liberalen Gesellschaftsordnung von Christen nicht zurecht kommen. "Demokratische" Wahlen bringen in solchen Ländern keine Demokratie. Die Sieger fühlen sich demokratisch autorisiert, die Verlierer fühlen sich fortan unterdrückt, ihrer Rechte, ja, allem, was ihre Identität betrifft, beraubt. Kann man überhaupt in einem Land zusammen leben und einen gemeinsamen Staat bilden? Oder wäre es nicht besser, sich zu trennen und die Landesgrenzen neu zu ziehen? Das Unglück will es aber oftmals, dass in der einen Region mehr Bodenschätze lagern als in der andern, dass es der einen Region wirtschaftlich besser geht als der andern. Eine neue Grenzziehung wird dadurch vereitelt. Gewaltsame Konflikte sind beinahe wie ein Naturgesetz. Und wie ein Naturgesetz scheint die EU die gewaltsamen Auseinandersetzungen in den afrikanischen Ländern zu sehen und auch in Zukunft damit zu rechnen. Statt die Ursachen zu analysieren und den Gewaltausbrüchen vorzubeugen, perfektioniert man in der EU die militärische Zusammenarbeit, denkt über Eingreiftruppen nach, über Waffenlieferungen, über die Ausbildung afrikanischer Soldaten (Sicherheitskräfte?), über die Aufstockung der Bundeswehr bei Auslandseinsätzen, über nichts als ein "militärisches Engagement". Als ließe sich Gewalt mit Gewalt im Keim ersticken! Wissen eigentlich die deutschen Soldaten, die jetzt schon nach Mali oder Zentralafrika geschickt werden, welchen Auftrag sie da genau haben, oder welchen Plan Deutschland und die EU mit diesen Ländern hat, genauer gesagt: wofür sie da kämpfen und notfalls sterben sollen? Ich bin enttäuscht über unsere neue Verteidigungsministerin Frau (!) von der Leyen und über unseren Außenminister F.W. Steinmeier: wir müssen mit militärischem Engagement, wo auch immer, unser Ansehen in der Welt wieder herstellen, das unter der Zurückhaltung von G. Westerwelle gelitten hat. ( Die Geschichte sieht es vielleicht eines Tages anders.) Ich frage mich, was wäre, wenn China, inzwischen die dritte Großmacht neben den USA und der EU, auch so denken würde und Militärmissionen in die Bürgerkriegsländer Afrikas schicken würde? Es wäre ein komisches Zusammentreffen. Würde man sich gegenseitig die Hand reichen und beteuern: wir sind hier nur aus humanitären Gründen, um weiteres Blutvergießen zu verhindern?

Was denkt Ihr über das alles?


Kommentare

  • Ich möchte hier nochmal einen Punkt im Diskussions-Text aufgreifen, den ich sehr wichtig finde. Nämlich die Frage, ob heute nicht neu über die Grenzen zu sprechen ist, die europäische Kolonialmächte in der Welt hinterlassen haben, nicht nur in Afrika, auch im Irak und in Syrien. Wieviel Unheil diese künstlich - auf dem Reißbrett in London und Paris - gezogenen Grenzen bewirkt haben! Der Sudan wurde nach vielen Jahren des Mordens in zwei Hälften getrennt. Geht es den Menschen dort nun besser? Könnten andere afrikanische Länder diesem Beispiel folgen?

    Oft wird so getan, als wären Grenzen für die Ewigkeit. Leider besteht die "Sicherheitspolitik" traditionell darin, bestehende Grenzen zu schützen - wenn ich die Definition hier auf Publixphere richtig verstanden habe. Aber gerade wir Deutschen wissen, ein Staat kann auch vergehen, es können neue und bessere kommen.

    Warum traut sich bisher niemand daran, die verflixten Kolonial-Grenzen in Frage zu stellen? Gerät dann die Welt ins Wanken? Zu riskant, damit anzufangen?

    • Graustufe ist dafür
      +1

      Lieber Bachmann, ich finde, dass Sie genau die richtige Frage stellen. Auch ich argumentiere oft mit der Fremdeinwirkung auf Staatengründung.

      Dabei sehe ich allerdings keine Verantwortung bei den ehemaligen Kolonialmächten. Denn wie ich bereits in meinem Eingangsstatement dargelegt habe, muss eine Staatsgrenze von innen heraus definiert werden. Sie brachten das Beispiel Irak. In diesem Land leben so viele unterschiedliche (religiöse) Kulturen zusammen, welche vor der Staatsgründung kaum Berührungspunkte hatten. Der Zwang, sich in eine Gemeinschaft einzugliedern, mit der man sich nicht identifizieren kann, führt früher oder später zu Unzufriedenheit.

      Nun könnte man meinen, dass letztlich eine Eskalation in Form einer Revolution die einzige Möglichkeit ist einen Staat zu verändern?

      Und genau hier stehe ich fest in meiner Überzeugung: Ja, das braucht es!

      So extrem diese Einstellung auch klingt, aber Sie hatten es ebenfalls erwähnt. Wir Deutschen wissen sehr gut, was ein Volk alles durchmachen muss, damit es seinen Platz in der Welt findet. Auch wenn unsere Identitässuche noch andauert ;)

  • Graustufe ist dafür
    +2

    Liebe Doro,

    ich möchte mit einer sehr provokanten These antworten:

    Jeder politische oder gesellschaftliche Umschwung innerhalb eines Landes muss von innen heraus geschehen. Folglich ist jeder Einfluss von Dritten, äußeren Kräften zu unterbinden.

    Zunächst klingt diese These noch relativ harmlos. Doch damit geht natürlich die Forderung einher, dass jegliche (militärische) Intervention von außen abzulehnen ist. Und schon geht die große Diskussion über Verantwortung der Westmächte los.

    Ich denke nicht, dass Demokratie ein Staatsmodell ist, welches für jede Kultur geeignet ist. Vor allem kann Sie nicht erzwungen werden. Demokratie zeichnet sich durch den Willen des Volkes. Doch wo ist der Wille des Volkes, wenn die Demokratie von anderen erzwungen wird. Wir erleben gerade auf der Arabischen Halbinsel und in Nordafrika, wie sehr sich die Vorstellungen einer Staatsform unterscheiden. Und es sind Minderheiten, welche Europa zum Vorbild erklärt haben.

    So hart es klingt, aber unsere Aufgabe ist:

    Zuzusehen und abwarten. Mit allen nicht-militärischen Mitteln Unterstützung zu leisten und die Waffenlieferungen in Krisenregionen zu stoppen. Nur dadurch gelingt es uns, im Nachgang Aufbauhilfe zu leisten.

  • Hallo Doro,

    mich haben die Äußerungen von Frau Von der Leyen auch aufgewühlt. Sie sagt:

    "Wir können nicht zur Seite schauen, wenn Mord und Vergewaltigung an der Tagesordnung sind, schon allein aus humanitären Gründen. In Zentralafrika entfaltet sich ein blutiger Krieg zwischen Christen und Muslimen. Wir können nicht zulassen, dass der Konflikt die ganze Region in Flammen setzt."

    Da frage ich mich: Kann die Bundeswehr diesen Flächenbrand dauerhaft verhindern? Muss sie dann für immer dort bleiben? Warum greift die Bundeswehr nicht immer ein, wenn auf der Welt blutige Kriege ausbrechen? Warum soll sie es jetzt?

    Außerdem würde ich gerne mal eine Kosten-Nutzen-Rechnung für die militärische Friedenssicherung hören. Der Irak-Krieg hat Schätzungen zufolge 3 Billionen (!) US-Dollar gekostet. Was wäre gewesen, hätte man den Schiiten,Sunniten und Kurden 3 Billionen Dollar gegeben, für die Ausbildung, für Schulen und Unis, für die Infrastruktur. Wäre der Irak dann immer noch grausamstes Bürgerkriegsland? Ich glaube nicht.

    • Das Problem bei einer solchen Rechnung ist einfach, dass man nicht wissen kann, was passiert wäre, hätten wir anders gehandelt. Das ist das grundsätzliche Problem der Sozialwissenschaften, da man im Gegenteil beispielsweise zu Naturwissenschaften keine Kontrollgruppe einrichten kann, um den Effekt einer Reform zu überprüfen. Das bedeutet: Wir wissen nicht was im Irak, in Afghanistan, in Libyen oder auf dem Balkan passiert wäre, genauso wie wir nicht wissen, was passiert wäre, hätten wir in Syrien eingegriffen.

      Das bedeutet nicht, dass wir uns darüber keine Gedanken machen können oder Vermutungen anstellen dürften. Aber hinterher zu sagen, ein anderes Vorgehen hätte einen bestimmten Effekt gehabt, halte ich nicht für aussagekräftig. Gab es denn einen Fall, bei dem 3 Billionen für Schulen und Unis einen Krieg beendet haben?

      • Das hat ja noch niemand probiert! Aber meine Güte, das ist das Zehnfache der gesamten Staatsschulden Griechenlands! Natürlich bekämen wir Länder mit - sinnvoll eingesetzem - Geld eher auf die Beine als mit Waffen und Krieg. Es ist doch eher so, dass dieser ganze Apparat sich selbst erhalten muss. Sie brauchen alle ihre Daseinsberechtigung, die Bundeswehr, die US-Armee, die NSA, die Rüstungsindustrie, dieser ganze vermaledeite Apparat. Da wollen viele tausend Brieftaschen vom Staat gestopft werden. Und kaum ist ein Ende der Einsätze im Irak und Afgahnistan absehbar, muss uns Von der Leyen den nächsten schmackhaft machen. Das ist kein Zufall. Dieses System braucht Krieg, um nicht zusammenzubrechen. Es muss Raketen und Drohnen und Waffen verkaufen, horrende Militär-Etats rechfertigen. Und Von der Leyen braucht Einsätze, um mit Truppenbesuchen ins Fernsehen zu kommen. Es ekelt mich alles nur an.

  • Also wenn ich das richtig verstanden habe, steht bisher zur Debatte, die Zahl der Bundeswehr-Soldaten in Mali von 180 auf 250 Mann aufzustocken. Sie bilden dort Sicherheitskräfte aus. Auch einen Lazarett-Airbus (MedEvac) könnte die Bundeswehr zur Verfügung stellen, um verwundete Soldaten aus Zentralafrika zu bringen.

    Auf der einen Seite beruhigt mich dieser kleine Umfang des angedachten Engagements. Auf der anderen Seite frage ich mich, warum Von der Leyen dann so einen Wind machen muss, als würde die Bundeswehr Massenvergewaltigungen und einen Flächenbrand verhindern. Was sollen diese Töne? Persönliche Profilierungs-Sucht wird spätestens dann gefährlich, wenn es um Soldaten geht, die Deutschland - auch in den Tod - schicken kann. Und was wollen eigentlich die Franzosen? Glauben Sie ernsthaft daran, dass sie Afrika militärisch befrieden können?

    Wer mal die ganze Verlogenheit Europas in Zentralafrika bestaunen will, sollte sich den Film "Der gekaufte Konsul" angucken.