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BDI zu TTIP: Die Bedenken ernst nehmen – die Chancen aber auch


Hinweis: Das geplante Freihandelsabkommen zwischen EU und USA (TTIP) bewegt seit Monaten die Community auf Publixphere (siehe alle laufenden Diskussionen). Die Redaktion holt deshalb die Positionen von Akteur*innen und Verbänden ein. Stormy-Annika Mildner und Fabian Wendenburg vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) stellen ihre Position zu TTIP zur Diskussion:

"Die Verhandlungen über die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) gehen im Mai in die vierte Runde. TTIP soll kein klassisches Freihandelsabkommen werden. Nicht nur sollen Zölle abgeschafft werden. Den USA und der EU geht es vor allem darum, nicht-tarifäre Hemmnisse für den transatlantischen Handel und die gegenseitigen Investitionen abzubauen. Zudem soll TTIP zahlreiche „Handels-Plus-Themen“ umfassen: öffentliche Auftragsvergabe, Wettbewerb oder auch Investitionen, Umwelt und Soziales.

Für die deutsche Wirtschaft sind die USA ein attraktiver Markt. Von der Abschaffung der Industriezölle, einer besseren Zusammenarbeit im regulatorischen Bereich oder auch der Öffnung der amerikanischen Vergabemärkte versprechen sich große wie mittelständische Unternehmen Impulse für mehr Handel, mehr Investitionen und mehr Arbeitsplätze. Durch die gemeinsame Weiterentwicklung von Standards und Handelsregeln können wir zudem unser strategisches Gewicht in der Weltwirtschaft stärken. Und von der Schaffung eines transatlantischen Handelsraums würde ein starkes politisches Signal für die transatlantische Partnerschaft ausgehen.

Während die deutsche Wirtschaft geschlossen hinter TTIP steht, stößt das transatlantische Projekt in der Zivilgesellschaft auf massive Kritik – nicht nur, aber insbesondere in Deutschland. Viele fürchten, dass TTIP zu sinkenden Verbraucher-, Sozial- und Umweltstandards führen und demokratische Entscheidungsprozesse aushebeln wird. Die EU-Kommission nimmt die Sorgen der Bevölkerung ernst. Ende Januar rief sie eine Beratergruppe ins Leben – die TTIP Advisory Group –, der Vertreter von NGOs, Gewerkschaften und Wirtschaft angehören. Zudem leitete sie Ende März ein Konsultationsverfahren zu dem besonders strittigen Thema Investitionsschutz und dem geplanten Investor-Staat-Schiedsmechanismus (ISDS) ein. Die Verhandlungsführer werden nicht müde zu betonen: TTIP hat nicht zum Ziel, Standards zu senken. Dennoch halten sich die Vorwürfe hartnäckig.

TTIP ist kein De-Regulierungsprojekt! Auch die Industrie hat kein Interesse an einem Absenken der Standards: Wir brauchen hohe Standards, etwa im Bereich der Produktsicherheit oder auch der Qualitätssicherung, um unsere Waren und Dienstleistungen „Made in Germany“ weltweit verkaufen zu können. Gegenseitige Anerkennung von Zulassungs- und Testverfahren oder auch von Betriebsprüfungen ist nur dann möglich, wenn diese ein vergleichbares Sicherheits-, Verbraucherschutz- und Umweltschutzniveau garantieren. Dann aber kann gegenseitige Anerkennung Kosten reduzieren. Gerade kleine und mittlere Unternehmen würden davon profitieren. Für sie stellen administrative Kosten häufig kaum zu überwindende Marktzutrittsbarrieren dar. Durch TTIP würden sich für sie neue Absatzmärkte eröffnen. Davon profitiert auch der Verbraucher: Arbeitsplätze werden geschaffen und Preise sinken.

Regulierungskooperation hebelt demokratische Entscheidungsprozesse nicht aus! In TTIP wollen sich die EU und die USA auf Prinzipien und Vorgehensweisen für den Umgang mit regulatorischen Angelegenheiten einigen. Dazu gehört beispielsweise die Schaffung eines bilateralen Kooperations-/Konsultationsmechanismus. So wollen sich beide Seiten rechtzeitig über anstehende Regulierungsinitiativen informieren und die Wirkungen auf den transatlantischen Handel stärker analysieren. Dabei bleibt aber die gesetzgeberische Souveränität der EU und der USA unangetastet.

Frühzeitige Konsultationen und der institutionalisierte Austausch der Regulierungsbehörden ersetzen nicht die Parlamente. Durch TTIP können die Amerikaner Deutschland oder auch andere EU-Mitgliedstaaten weder dazu zwingen, den Markt für gentechnisch veränderte Nahrungsmittel und Hormonfleisch zu öffnen, noch das umstrittene Fracking zuzulassen. Überdies hat die EU-Kommission explizit erklärt, einige Bereiche nicht zur Verhandlung zu stellen. Dazu gehören die öffentliche Daseinsvorsorge oder auch Kultursubventionen.

Die USA können ISDS nicht nutzen, um Europa zur Rücknahme von Gesetzen zu zwingen! Deutschland ist ein Pionier des völkerrechtlichen Investitionsschutzes. Mit 131 Investitionsschutzverträgen verfügt es über die meisten solcher Abkommen weltweit. Fast alle diese Abkommen enthalten einen Inverstor-Staat Schiedsmechanismus (ISDS). Im Falle einer direkten oder indirekten Enteignung sowie willkürlichen oder auch diskriminierenden staatlichen Maßnahme kann ein Investor vor einem internationalen Schiedsgericht auf Entschädigung klagen, ohne den nationalen Rechtsweg ausschöpfen zu müssen. Investitionsverträge sind ein wichtiges Instrument deutscher Unternehmen, um ihre Investitionen im Ausland zu schützen. Zugegeben – es gibt Defizite in bestehenden Investitionsschutzabkommen und ISDS, etwa die mangelnde Transparenz, das Fehlen eines Berufungsmechanismus oder auch die unzureichende Definition von Ausnahmen und zentralen Begrifflichkeiten. TTIP bietet die Chance, diese Defizite gemeinsam mit den USA anzugehen und so ein Abkommen zu verhandeln, das für Verhandlungen mit anderen Staaten als Blaupause dienen kann.

Was für den Investitionsschutz gilt, gilt für viele Bereiche: Wenn die EU und die USA nicht gemeinsam Regeln und Standards entwickeln, dann werden dies andere tun – oder keiner. Darum stellt das TTIP eine Chance dar. Und darüber sollten wir diskutieren – nicht nur über die Risiken."

BDI: Überblick zu TTP


Kommentare

  • Im Falle einer direkten oder indirekten Enteignung sowie willkürlichen oder auch diskriminierenden staatlichen Maßnahme kann ein Investor vor einem internationalen Schiedsgericht auf Entschädigung klagen, ohne den nationalen Rechtsweg ausschöpfen zu müsse

    Nun darf nicht übersehen werden, dass ISDS Mechanismen für Verträge mit unzuverlässigen Staaten gedacht waren und qualitativ weit hinter den regulären Rechtsweg zurückfallen. Das manifestiert sich beispielsweise in der Tatsache, dass den Schiedsrichtern üblicherweise die Befähigung zum Richteramt fehlt. Die USA und die EU sind moderne Rechtstaaten und es gibt keinen Anlass die gesetzgeberischen Prerogative zwischen diesen Partnern zu beschneiden. Die eigentliche Wirkung entfalten derartige Schiedsgerichte bekanntlich im voreiligen Gehorsam des jeweiligen Gesetzgebers. Die Kommission hat mit ihrer Konsultation bereits angedeutet, dass ISDS zur Disposition steht. Seine Einbindung ist für den Abschluss von TTIP vollkommen unkritisch, allenfalls untergräbt es die institutionelle Unterstützung durch das Europäische Parlament.

    Wenn die EU und die USA nicht gemeinsam Regeln und Standards entwickeln, dann werden dies andere tun – oder keiner.

    In dieser Einschätzung deutet sich meiner Ansicht nach eine deutliche Unterschätzung der Strahlkraft der Brüsseler Regulierung an. Die Regeln, die für 28 rechtlich diverse Mitgliedsstaaten passen, werden weltweit nachvollzogen, nicht nur von Beitrittskandidaten und Wahl-Nicht-EU-Europäern wie Schweiz und Norwegen. In der Tat haben derzeit nur die USA noch das Gewicht sich an diesen Regeln aus Brüssel nicht freiwillig zu orientieren, und das geschieht nicht immer zu ihrem Nutzen. Der Einfluss von US-Regulierung auf andere Staaten ist bescheiden. Im TTIP-Prozess erlangen sie einen regulativen Einfluss, der den weltweiten Machtverhältnissen nicht mehr entspricht und den Europäern unzureichend Gewicht verschafft.

    Abwarten bei gleichzeitiger weiterer Vertiefung des Binnenmarktes und forcierter Nachbarschaftspolitik stärkt das Gewicht der Europäischen Seite. Die "anderen" sind weit und breit nicht zu erblicken.

    Es ist schon ein seltsamer Treppenwitz ein Freihandelsabkommen mit einem Staat aufzunehmen, der mit "Buy America" dem Freihandelsgedanken Hohn spricht und ausgerechnet seine Schlachtmethoden von vorgestern den europäischen Verbrauchern aufzwingen möchte, statt sich an europäische Regeln anzupassen. Noch haben die USA das Gewicht, sich dieser Anpassung zu entziehen aus protektionistischen Motiven, aber die Zeit läuft ab.

    • Hallo arabentisch, Du meinst: Europa hat weltweit größeres ökonomisches Gewicht als die USA und auch die besser durchdachten Regulierungsmechanismen. Die USA versuchen in TTIP, so gut es geht, ihr überholtes ökonomisches System zu retten, anstatt sich einfach den weltweit anerkannteren europäischen Normen anzupassen. ..... Ist es tatsächlich nicht so, dass sich die USA mit ihren unzureichenden Standarts derart isoliert haben, dass es für sie kein zurück sondern nur ein voraus gibt? Die USA können nur versuchen ihre Standarts auf andere zu übertragen, um nicht isoliert zu werden. Neben noch anderen sind hier die besten Beispiele die für uns völlig unzureichenden us- amerikanischen Agrar- und Energiestandarts.

      • Vielleicht nicht ökonomisches Gewicht, aber regulatives Gewicht ganz bestimmt. Welcher Staat übernimmt denn überhaupt US-Recht?

        Viele Staaten auf der Welt sind frühere Kolonien der europäischen Mächte, das bedeutet, sie haben Rechtstraditionen, die unseren ähnlich sind. Europäische Richtlinien sind in alle möglichen Sprachen übersetzt. Jetzt haben wir 28 Mitgliedstaaten in der EU plus die Anwärter, die sich uns angleichen.

        Mit dem Aufstieg des BRIC Blocks (Brazil, Russia, India, China) verschieben sich die Gewichte. Die sind ökonomisch wichtig, aber zeigen kaum regulative Ausstrahlung.

        1994 war die EU jung, 2014 haben wir ein kritisches Gewicht erlangt. Die EU Kommission verhandelt derzeit mehr wie "1994". Die USA müssen sich sowieso langfristig an europäischen Regeln orientieren und können mit dem "Pivot nach Asien" nur scheitern.

        Agrar und Energie ist einfach das, was auf der Exportagenda steht. Chlorhuhn, Pharmafleisch, Genmais, Frackinggas, alles nicht gerade appetitlich. Das kann man natürlich durchsetzen, wenn man was anzubieten hat oder die Verhandlungspartner sich wie Vasallen aufführen. Die wichtige Kehrfrage von "Was droht uns mit TTIP?" ist: "Was kann man bei den USA durchsetzen?"

        Europäische Unterstützer beschränken sich derzeit auf vage strategische Vorteile. Über Forderungen an die USA sprechen die Befürworter nicht in dem Maße wie sie die europäische Kritik an amerikanischen Forderungen zu beruhigen suchen.

        • Du siehst es ganz ähnlich wie ich!

          Es entsteht die Befürchtung, dass da ein Pudding mit einem Speiselöffel verhandelt. Wenn Europa es nicht schafft, sein erreichtes Gewicht auch selbstbewußt in die Waagschale zu legen, wird es in absehbarer Zeit kaum mehr als ein realisiertes amerikanisches Interessengebiet sein. Weggeschenkt von Politikern, denen das Gefühl und die Vision fehlt den speziellen inneren Befindlichkeiten und Interessen die entsprechende außenpolitische Gestalt zu verleihen.

          Die gegenwärtige außenpolitische Lage ist eigentlich eine Chance, die sehr selten vorkommt. Dennoch möchte man fast vermuten, dass der europäische Bürokratismus sich vom selbstbewussten amerikanischen Pragmatismus die Wange tätscheln lässt. Europa der eingewobene Statist, dessen Politiker in der derzeitigen Lage bereits betonen, dass die Nato nicht nur ein militärisches sondern ein politisches Bündnis sei. Damit ist dann wohl bereits so eine Art Eisenring um dieses Gebilde geschmiedet. Ein Gebilde welches vor allem der ökonomischen und geopolitischen Interessensphäre der vorausagierenden USA dient. Unabhängig davon ob deren Standards mit europäischen Wünschen und Befindlichkeiten in Einklang zu bringen sind.

  • Hinweis: Unser Partnerprojekt, der Europäische Salon, widmet sich in seiner kommenden Veranstaltung dem Thema "Auf dem Weg zur transatlantischen Wirtschaftsgemeinschaft mit TTIP". Wir möchten alle Interessierten auf die Podiumsdiskussion am 20. November in Berlin aufmerksam machen und herzlich zu Online-Diskussion des Themas einladen! Ab jetzt kann hier diskutiert werden, alle Beiträge haben die Chance, in die Podiumsdiskussion einzufließen.

  • Liebes Forum,

    für euch der Hinweis:

    Die Europa-Union Deutschland nutzt Publixphere als gemeinnützige, überparteiliche Plattform, um ihren Bürgerdialog "TTIP - Wir müssen reden!" online zu begleiten. Aktuell lädt die Europa-Union ein, folgende Aspekte der TTIP-Debatte zur diskutieren: Demokratie, Transparenz und Legitimität; Handel, Investitionen, Wettbewerb; Umwelt-, Arbeitnehmer- und Verbraucherschutz.

    Außerdem werden die Vor-Ort-Veranstaltungen des Bürgerdialogs mit Online-Foren vorbereitet. Aktuell kann diskutiert werden: Welche Chancen und Risiken bringt TTIP für Kiel und Umgebung? Weitere Städte werden Folgen.

    Fühlt euch herzlich eingeladen, TTIP in diesem Rahmen weiterzudiskutieren.