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Medienkritik: Symptom gesellschaftlicher Veränderungen


Bernd Lucke by WDKrause (CC BY-SA 3.0)Wenn Medien die Alternative für Deutschland (AfD) meiden, erweisen sie sich bei AfD-Anhängern als "Teil des Establishments", beobachtet der Politologe und Sprachwissenschaftler Kyrosch Alidusti. Im Bild: AfD-Chef Bernd Lucke. Foto: WDKrause CC BY-SA 3.0


Ein Beitrag von Kyrosch Alidusti

Die Publixphere-Redaktion hat mich gebeten, meine Sicht in die aktuelle Debatte "Medienkritik" einzubringen.

Gerne möchte ich die Diskussion erweitern, und zwar um die Krise der politischen Repräsentation, in deren Kontext sich die aktuelle Vertrauenskrise von Medien abspielt. Die Thesen: Die Teilnahme an der öffentlichen Kommunikation ist voraussetzungsvoll, die Kenntnis der politischen Traditionen und Erzählungen ist wichtiger Teil für ein Verständnis, das sich nicht nur in ein gesellschaftliches oben und unten auflöst. Das Desinteresse bzw. der Stolz, unpolitisch zu sein, führt dazu, dass immer weniger politische Sichtweisen und Narrationen verstanden werden. Die Medien als die Verbreiter der Erzählungen werden mit ihnen zum Teil zurecht identifiziert.

Medienkritik kann man aus zwei Perspektiven betrachten, entweder isoliert oder als Symptom gesellschaftlicher Veränderungen: das Auftauchen populistischer Einzelpersönlichkeiten und Parteien, die als ein-Punkt-Partei auftraten und sich als Anti-Politik- und Anti-Parteien-Parteien ausgeben: die Piraten (Vgl. Saskia Richter 2013) und die Alternative für Deutschland oder soziale Bewegungen wie die Mahnwachen für den Frieden oder Occupy.

Betrachtet man die Medien zunächst als ein System, dann ist seine Funktion die des Gatekeepers, des Entscheiders über Themen und Wichtigkeiten und der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Wirklichkeit. Allerdings wird diese Funktion mit der Konkurrenz des Internets brüchig. Die User unterlaufen diese wichtige Funktion der Medien, indem sie die Informationen für die Medien (Agenturmeldungen, Pressemitteilungen) mitlesen. Sie können bestenfalls zu Agendasettern werden und Themen auf die Tagesordnung setzen. Allerdings sind sie dafür wiederum auf die herkömmlichen Medien angewiesen. Das Internet erlaubt es den Internetusern zudem, Themen zur Kenntnis zu nehmen, auch wenn sie es nicht in die Medien schaffen, und haben damit eine Möglichkeit des Urteils über das Präferenzsystem der Medien.

Misstrauen gegenüber dem System

Unter dem Titel "Internetaffin und postdemokratisch" schreibt Priska Daphi zur Teilnehmerschaft der neuen Montagsmahnwachen:

"Das große Misstrauen in politische Institutionen, die starke Unzufriedenheit mit der existierenden Demokratie und die geringen Einbindung in etablierte politische Organisationen verdeutlichen die Entfremdung gegenüber dem bestehenden politischen System. Die geringe Einbindung in bestimmte politische Szenen weist zudem auf eine schwache ideologische Festlegung hin, […]."

Dieses Misstrauen gegenüber dem System erstreckt sich auch auf die Medien. Wurde das Mediensystem vorher schon von als Teil von „denen da oben“ gesehen, hat die öffentlichkeitswirksame Demonstration der Vernetzung zwischen Politik bzw. Lobbygruppen und Journalismus durch die Kabarettsendung „Die Anstalt“ dies belegt.

Hinzu kommt, dass eine eigene Verortung im politischen Ideenspektrum für viele nach eigenen Angaben nicht möglich ist, was zu einer Skepsis gegenüber zusammenhängenden politischen Ideen führt. Dass diese Skepsis, im Falle der Mahnwachen im Bezug auf die Außenpolitik erwachte, ist kein Zufall, wird diese doch auch von der Politik selbst als Interessenpolitik bezeichnet. Die Interessen werden jedoch kaum medial hinterfragt und so werden die Medien Teil der politischen Inszenierung erlebt. Die Kritik an der Russland-Berichterstattung ist daher Teil des Misstrauens gegenüber einer eindeutigen Schuldzuschreibung, die Medien und Politik weitgehend teilen.

Distanz zu den Medien wuchs

Auch die Alternative für Deutschland (AfD) hat mit dem Euro, der mit der EU-Politik verknüpft wurde, ein außenpolitisches Thema aufgegriffen. Außer der Kritik am Euro ist das Motto Ideologiefreiheit. „Wir verorten uns überhaupt nicht in diesem Rechts-Links-Schema, wir sind eine Partei des gesunden Menschenverstands“ erklärte Lucke mehrfach (*siehe OVB online vom 3. September 2014*).

„Bei den Piraten dominierten Protest und Kritik an den etablierten Parteien. Ihnen fehlten die politische Grundhaltung und das politische Thema, die ihre Politik in eine gesellschaftliche Richtung wiesen“ nennt die Politikwissenschaftlerin Saskia Richter einen von drei Punkten, die die Piraten prägen. Sie sind die Anti-Parteien Partei der letzten Jahre und folgen damit den Grünen der 80er. Wurden die Piraten mit ihrem Thema Internetsicherheit und Demokratie als zeitgemäße Einpunkte-Partei wahrgenommen, wurde die AfD weitgehend medial gemieden. Weshalb sich die Medien aus Sicht der Mitglieder als Teil des Establishments erwiesen und die Distanz zu den Medien wuchs.


Kommentare

  • Ich habe den Eindruck, zwischen den etablierten Parteien sowie dem Mainstream der Medien klafft ein tiefer Graben zwischen ihnen und der Bevölkerung, was die Einstellung zur Beteiligung an Kriegseinsätzen, Waffenexporten in Nicht-NATO-Länder etc angeht. Die Bevölkerung möchte keine Beteiligung in irgendeiner Form.

    Um mit Bert Brecht in seinem Gedicht "Die Lösung" von 1953 zu sprechen: "Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung (mit der Unterstützung der Medien. D.Red.) löste das Volk auf und wählte ein anderes?"

  • Liebes Forum,

    eine Zusammenfassung von unserem #pxp_thema zu Medienkritik steht nun hier online.

  • und wie, das ist doch die unterliegende frage bringen wir vertrauen zurück? kritischer medienkonsum muss gelehrt werden, ebenso wie die ureigene funktion jedes bürgers / jeder bürgerin sender und mithin öffentlichkeit zu sein. aber wie lehrt sich vertrauen außer über erfahrung?

    • Das Thema Vertrauen kam mir in diesem Kontext in letzter Zeit gehäuft in den Sinn. Vertrauensbildend wären z.B. eine öffentliche Stellungnahme zu "Fehlern" die gemacht wurden, eine transparentere Darstellung hinsichtlich Entscheidungen, ein Bemühen um Offenheit hinsichtlich Alternativen... Auf der anderen Seite, auf der des Volkes wären Verzeihen und verantwortliches, gemeinschaftsorientiertes Mitdenken und Handeln notwendig. Vertrauen ist da, wenn es keine zwei "Seiten" mehr in diesem Sinne gibt.

  • Hallo Herr Alidusti,

    ich glaube, ein wenig mehr Differenzierung ist doch notwendig. Die AfD wird medial nicht ignoriert, ganz im Gegenteil. Der Angriff auf die Medien, die angeblich die arme AfD ausblenden oder runtermachen - das war doch von Anfang an eine ziemlich abgeschmackte AfD-Masche. Das gehoert wohl dazu, wenn man sich als Anti-Parteien-Partei geriert, als "unbequem".

    • Sehr richtig GeertV, dies ist eine "Masche", aber wenn wir über das Thema Mediennutzung/Kritik sprechen, dann muss die subjektive Wahrnehmung der "Betroffenen" mitverhandelt werden. Und man könnte einwenden, es wurde viel über sie geschrieben, dass man aber aus die Währungsunion aussteigt, dies war ja die Forderung, wurde nicht thematisiert. Insofern konnte tatsächlich bei den AfD-Anhängern (ich bin keiner) der Eindruck aufkommen, man setze sich nicht mirt ihnen auseinander. Dass bestimmte Themen medieal nicht verhandet werden und stattdessen über die Partei berichtet wird, ist eine mediale Strategie und üblich, aus Sicht der "Betroffenen" muss dies aber als Ablenkungsmanöver gedeutet werden.

      • Lieber Herr Alidusti,

        auch der Euro-Diskurs wurde gefuehrt. Die Presse kannte ueber Monate kein anderes Thema als das Fuer und Wider der Eurozonen-Aufspaltung.

        Mit der AfD-Extrem-Position Euro-Aufspaltung setzten sich jedoch Regierende schon deshalb nicht auseinander, weil die Verunsicherung an den Maerkten zu gross geworden waere - in der Krise blieb nur klare Kante Pro Euro uebrig. Die "Geburtsfehler" des Euros sind dagegen laengst Common Sense auch bei der CDU.

        Aber es stimmt, die Auseinandersetzung mit AfD Positionen muss nun beginnen. Auch CDU/CSU koennten es Herrn Lucke einmal laut und deutlich ins Gesicht sagen, wie viele Sozialbeitraege und wie viel BIP Auslaender in Deuschland Jahr fuer Jahr erwirtschaften, und dass Thueringen mit einen Auslaenderanteil von 1,5 Prozent keine Angst zu haben braucht, abgeschafft zu werden. Fuer mich bleibt am Ende einzig Innere Sicherheit als Thema uebrig. Wie kriminell ist es denn in Ostdeutschland? Ich habe keine Ahnung. Bisher fuehlte ich mich nirgends auf der Welt sicherer als in Deutschland, ausgenommen die Nazi - ich meine AfD-Hochburgen im Osten.

  • Hallo Herr Alidusti,

    Sie beschreiben den wahren Kern hinter der Medienkritik sehr gut. Es ist auch eine Krise der (persönlichen) politischen Verortung in Narrativen. Allein schon die Verwirrung um das Etikett "neurechts" zeigt die Hilflosigkeit mit alten Schablonen hantierender Medien. Ich muss staunen, wer und was alles "neurechts" sein soll: die Montagsdemos, Xavier Naidoo, Christian Kracht, Peter Sloterdijk, Ken Jebsen. die AfD...

    Da "rechts" zurecht das disqualifizierende Label dieses Landes ist, sollten wir den Umgang damit genau reflektieren, genau sagen, was wir damit meinen. Sonst bleibt bei den Etikettierten nur die fundamentale System- und Medienkritik. Sonst dürfen sie sich tagtäglich bestätigt fühlen in ihrer Theorie der 'Gleichschaltung'.

    • Sorry Herr /Frau Bachmann, zum Thema "rechts" und "neurechts" habe ich eine andere Meinung und zwischen Naidoo, Sloterdijk und Ken Jebsen muss man unterscheiden, aber bei den letzen beiden würde ich zumindest unterschreiben, dass sie Elemente einer politischen Idee vertreten, die extrem konservativ bis rechts sind. Eine einheitliche rechte Gesinnung würde ich den beiden allerdings nicht unterstellen.

      • Hall Herr Alidusti, danke für die Antwort! Ich nehme sie gern zum Anlass, die Hintergründe dieser politischen Ideen einmal nachzulesen. Gerade angesichts der Erfolge der AfD steht ja die Frage wie ein Elefant im Raum, mit was für einer neuen, "uneinheitlichen" (?) Art von "Rechts"(?) wir es in Deutschland zu tun bekommen.