Dokumentation: Bericht über den zweiten Europäischen Salon

Joanna Scheffel PhotographyDer zweite Europäische Salon in der Saarländischen Landesvertretung beim Bund. Foto: ©Joanna Scheffel Photography

In Europa steht die Wahl zum Europäischen Parlament bevor. Dies war der Anlass, im Rahmen des zweiten Europäischen Salons am 30. April 2014 über die Demokratie in der Europäischen Union zu diskutieren. Podiumsteilnehmer der zweistündigen Debatte waren Dr. Franziska Brantner, Mitglied des Deutschen Bundestags, Bündnis 90/Die Grünen; bis vor kurzem Europaabgeordnete und außenpolitische Sprecherin der Fraktion Grüne/EFA im Europäischen Parlament, Dr. Thomas Darnstädt, Redakteur DER SPIEGEL, Jon Worth, EU-Blogger, Prof. Dr. Hans Michael Heinig, Lehrstuhl für Öffentliches Recht an der Universität Göttingen sowie Eva Breitbach als Vertreterin der Online-Community des Europäischen Salons (salon.publixphere.de). Unter der Moderation von Prof. Dr. Christian Calliess ging es in der Podiumsdiskussion etwa um Fragen, wie Demokratie in der Europäischen Union verstanden werden kann und welche Erwartungen an eine europäische Öffentlichkeit gestellt werden können. Prof. Calliess öffnete die Debatte ebenfalls für Beiträge und Fragen aus dem Publikum. Es hatten sich viele Studierende genauso wie Interessierte aus der Fachöffentlichkeit in der Landesvertretung des Saarlandes beim Bund eingefunden.

Entsprechend der Projektverknüpfung “Europadiskussionen online und offline” wurde die Podiumsdiskussion zuvor online vorbereitet. Auf salon.publixphere.de hatten die Podiumsgäste vorab Statements zu den folgenden Fragen abgegeben: Ist die EU zu einem Elitenprojekt verkommen, wie es in der Medienöffentlichkeit vielfach heißt? Wie schaffen wir dann ein Europa der Bürger? Wird die Wahl durch den Wegfall der Drei-Prozent-Sperrklausel demokratischer? Kritik an der EU wird oft mit Euroskespis gleichgesetzt: Geht diese Gleichung auf? Die Online-Community hatte die Statements hinterfragt, kommentiert und bewertet. Eva Breitbach brachte das Meinungsbild aus der Online-Debatte auf dem Podium ein und leitete die im Online-Forum gestellten Fragen direkt an die Panelisten weiter.

Joanna Scheffel PhotographyFoto: ©Joanna Scheffel Photography

Es war sowohl auf der Internetplattform, als auch auf dem Podium ausgiebig darüber diskutiert worden, ob in der EU ein Demokratiedefizit ausgemacht werden muss. Prof. Calliess begegnete dieser Annahme in seinem Eingangsstatement, indem er die zwei Legitimationsstränge der EU aufzeichnete. Darunter sind die Legitimation der gewählten nationalen Minister im Ministerrat und die der gewählten Abgeordneten im EU-Parlament zu verstehen.

Die Panelisten versäumten es in diesem Zusammenhang nicht, die Funktionsweise der europäischen Institutionen in Anbetracht der Eurokrise zu bewerten. Etwa kritisierte Dr. Brantner die fehlende Einbindung des EU-Parlaments in die Euro-Rettungspolitik. Das Parlament musste den Vorgaben für die Krisenländer durch die Troika aus IWF, EZB und EU-Kommission nicht zustimmen. Laut Dr. Brantner fand im Parlament zwar eine europäische Debatte zu Wegen aus der Krise statt, diese sei jedoch unverbindlich geblieben. Dies hat laut Prof. Heinig seinen Grund darin, dass das EU-Parlament bei den Rettungsmaßnahmen nichts zu entscheiden gehabt habe. Schließlich sei es bei den "Verteilungskämpfen" um nationale Budgets gegangen.

Joanna ScheffelDr. Franziska Brantner, Bündnis 90/Die Grünen. Foto: Joanna Scheffel Photography.

Die Institutionen der EU wurden aber nicht nur mit Kritik, sondern auch mit Vorschlägen bedacht. So brachte Dr. Brantner eine Idee ein, wie die Entscheidungen der deutschen Vertreter in Brüssel transparenter und demokratischer fallen könnten. Bislang enthält sich die deutsche Regierung in Brüssel, wenn sich die Koalitionspartner nicht einig sind. Brantner schlägt vor, in diesen Fällen den Bundestag über die deutsche Position in der EU abstimmen zu lassen. Beispielsweise hätte sich auf diese Weise unter Umständen eine Koaltition aus SPD/Grünen/Linken bilden können, als in Europa über die Zulassung von Genmais zu entscheiden war. Stattdessen hatte die schlichte Enthaltung der Regierung für Empörung gesorgt.

Ähnlich wie bereits die Teilnehmer an der Onlinedebatte, beschäftigten sich auch die Panelisten nicht nur mit praktischen Fragen der Kompetenzverteilung, sondern führten in Ergänzung eine theoretische Diskussion darüber, was europäische Demokratie überhaupt sein und leisten kann. Prof. Heinig, aber auch Dr. Brantner, machten den Punkt sehr stark, dass von der europäischen Demokratie sehr viel erwartet werde, oftmals mehr als von der nationalen Demokratie. Prof. Heinig verwies zum Beispiel auf die grundlegende Problematik, Fachdiskussionen mit einer breiten Öffentlichkeit zu führen. Dieses Problem betreffe auch die Bundespolitik. Auch Dr. Brantner meinte, dass beim Thema Demokratie und Transparenz oftmals mit zweierlei Maß gemessen werde. So seien alle Sitzungen des EU-Parlaments öffentlich im Internet mitzuverfolgen - anders als viele Ausschusssitzungen im Bundestag - und trotzdem sprächen viele von einem europäischen Demokratiedefizit. Sie sagte aber auch, es sei vielversprechender, die Herausforderungen einer "Demoicracy“, also einer Ausübung von Herrschaft durch viele verschiedene Völker, zu diskutieren als "immer dieser Idee hinterherzuhängen, wir könnten jemals mit so vielen unterschiedlichen Sprachen und so vielen unterschiedlichen nationalen Gegebenheiten eine einzige, zeitgleiche europäische Öffentlichkeit haben".

Joanna ScheffelProf. Dr. Hans Michael Heinig. Foto: Joanna Scheffel Photography

Als eine der Voraussetzungen einer europäischen Demokratie spielte die "Europäische Öffentlichkeit" in der Diskussion die zentrale Rolle. Auch hier kam das Podium auf Doppelstandards zu sprechen. Prof. Heinig sieht Anzeichen dafür, dass an eine europäische Öffentlichkeit weit höhere Maßstäbe angelegt werden als an eine nationale, etwa wenn die europäischen Spitzenkandidaturen - wie von Podiumsteilnehmer Dr. Darnstädt - als "PR-Gag" bezeichnet würden. "Wahlkampf besteht ganz wesentlich aus PR-Gags, ohne dass wir das national dauernd kritisieren würden." So erklärte Heinig, für ihn gebe es eine europäische Öffentlichkeit, wenn europaweit große gesellschaftliche Konflikte sowohl in den Massenmedien, als auch in den Familien „am Abendbrottisch“ diskutiert werden. In der europäischen Finanzkrise sei das der Fall gewesen. Für diese These erntete er Widerspruch von Dr. Darnstädt, der meinte, auch in der Eurokrise seien nur nationale Diskussionen zu nationalen Belangen geführt worden. "Die Deutschen haben sich über die Frage zerrissen, wie viel sie noch bezahlen können", so Dr. Darnstädt. "Die Spanier haben eine ebenso hysterische Debatte über die grässlichen Deutschen geführt, die ihnen das Geld nicht gönnen." Stattdessen müsste über das gemeinsame europäische Ziel diskutiert werden. Dies zu ermöglichen, liege auch in der Verantwortung der Medien. Sie müssten in sachlichen Analysen mehr Aufschluss geben über die europäischen Gegenstände der politischen Auseinandersetzung. Prof. Heinig schränkte ein, dies sei vordringlich Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Medien und nicht der privatwirtschaftlichen.

Joanna ScheffelDr. Thomas Darnstädt. Foto: Joanna Scheffel Photography

Die Diskussion musste sich sowohl online, als auch auf dem Podium der Frage zuwenden, ob es sich bei der EU um ein Elitenprojekt handelt. EU-Blogger Jon Worth antwortete, Bürgerinteressen würden etwa dank der Europäischen Bürgerinitiative und neuer Online-Protest-Möglichkeiten vermehrt wahrnehmbar. In diesem Rahmen stünden sich oftmals Bürgerinteressen und Wirtschaftsinteressen gegenüber. So etwa beim Hughs Fish Fight, einer Protestbewegung für mehr Nachhaltigkeit in der EU-Fischereipolitik. Worth prophezeite für die kommenden Jahre eine Einflussnahme auf die europäische Politik durch interessierte und engagierte Bürger. Eine Stimme aus dem Publikum merkte dazu an, auch Bürgerbegehren und Referenden böten letztlich wieder nur Führungseliten Gestaltungmöglichkeiten. Sowohl auf europäischer als auch nationaler Ebene sei Politik unter anderem wegen der Komplexität der Themen zwangsläufig ein Elitenprojekt. Dem müsse mit Bildung begegnet werden und nicht, indem man vor dem Projekt EU als solchem zurückschrecke.

Das im Februar 2014 gefällte Urteil des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungswidrigkeit der Drei-Prozent-Sperrklausel im deutschen Europawahlrecht bot Gesprächsstoff in der Online-Debatte sowie auf dem Podium am 30. April. Das Gericht erntete einige Kritik. Prof. Heinig erläuterte, in der Entscheidung werde deutlich, wie skeptisch das Bundesverfassungsgericht dem Europäischen Parlament gegenüberstünde. Es verwehre sich der Idee, dass ein starker europäischer Legitimationsstrang sukzessive und kontinuierlich wächst. Dabei gebe es zahlreiche Fortschritte der europäischen Demokratie zu verzeichnen. Dazu zählte er die Europäisierung des Wahlkampfes, die auch dank der Spitzenkandidaten eingetreten sei. Zudem würden die Entscheidungen im Parlament - anders als früher - eher nach dem politischen Lager als nach der Nationalität getroffen. Diese Entwicklung habe das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Sperrklausel nicht hinreichend zur Kenntnis genommen. So sei tragisch, dass es ausgerechnet bei dieser Wahl keine Sperrklausel gebe. Auch Dr. Brantner äußerte sich kritisch zu dem Urteil. Sie verwies darauf, dass der Einzug kleinerer Parteien aus Deutschland dazu führen könnte, dass in bedeutenden Entscheidungen noch öfter eine ‚Große Koalition‘ die Entscheidung im Europäischen Parlament dominiert, weil sich andere Mehrheiten nicht finden. Die Opposition sei dann zu schwach, um eine richtige Debatte anzustoßen. Eine Auseinandersetzung, die das Interesse der Bürger auf sich zog, habe es immer dann gegeben, wenn sich im Parlament eine Mehrheit jenseits einer Koalition aus Konservativen und Sozialdemokraten gefunden hätte.

Joanna ScheffelJon Worth. Foto:Joanna Scheffel Photography

Jon Worth war da ganz anderer Auffassung. Die wenigen, von kleineren deutschen Parteien entsandten Abgeordneten könnten die Handlungsfähigkeit des Europaparlaments nicht beeinträchtigen. Gefährlich sei vielmehr das Erstarken rechtspopulistischer Kräfte aus Großbritannien, Frankreich und Italien, das derzeit vorhergesagt wird. Dr. Darnstädt meinte schließlich, es sei nicht ausschlaggebend, ob das Bundesverfassungsgericht das Europäische Parlament richtig versteht oder nicht. Anstatt den Blick auf sein Urteil zu richten, müsse über die eigentliche Frage nachgedacht werden, nämlich wie die repräsentative Demokratie in Europa verbessert werden könne. Worth hatte bereits in der Onlinedebatte transnationale Wahlkreise und offene Listen als Verbesserungsvorschläge eingebracht und positives Echo erhalten.

In der Gesamtschau ergab die Auseinandersetzung im Rahmen des zweiten Europäischen Salons einige Vorschläge zur Verbesserung der Funktionsweise der europäischen Institutionen. Gerade die Kompetenzen des Europäischen Parlaments müssten etwa um ein Initiativrecht zur Gesetzgebung erweitert werden.

Joanna ScheffelDas Publikum des zweiten Europäischen Salons. Foto: Joanna Scheffel Photography

Auch wurde vom Podium sowie vonseiten der Zuschauer angemerkt, die Medien, im Besonderen die öffentlich-rechtlichen Medien müssten die europäische Öffentlichkeit besser, das heißt sachlicher informieren. Der der Onlinedebatte entsprungene Vorschlag, die europäische Öffentlichkeit durch Bürgerinitiativen zu politisieren, wurde auf dem Podium aufgegriffen. Jon Worth bejahte, dass die in der Europäischen Bürgerinitiative organisierten Bürger einige Macht hätten und diese zukünftig einzusetzen wüssten. Neben diesen Forderungen, Wünschen und Zukunftsprognosen mahnten Panelisten und Zuschauer zugleich, es dürften keine übersteigerten Ansprüche an eine europäische Demokratie gestellt werden. Diese könne nicht mehr leisten als die nationale Demokratie, in welcher es beispielsweise ebenfalls Eliten gebe, die den politischen Prozess steuerten.

Joanna ScheffelPodium und Publikum des zweiten Europäischen Salons. Foto: Joanna Scheffel Photography