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Entzieht sich die EU ihrer Verantwortung zum Schutz von Flüchtlingen?


picture alliance/ROP!Durch das italienische Rettungsprogramm "Mare Nostrum" konnten zwischen Oktober 2013 und Oktober 2014 rund 140.000 Menschen gerettet werden. Foto: picture alliance / ROP!


Ein Beitrag des Europäischen Salons

Nach wiederholten Flüchtlingskatastrophen auf dem Mittelmeer fordern Stimmen unterschiedlicher politischer Facon, wie jüngst auch die Vereinten Nationen, eine bessere finanzielle Ausstattung der Rettungsprogramme für Flüchtlinge.

Die genaue Ausgestaltung der Seenotrettungsprogramme ist allerdings nach wie vor umstritten. Das im vergangenen Jahr ausgelaufenene italienische Rettungsprogramm "Mare Nostrum" wurde zum 1. November 2014 durch die EU-Grenzschutzmission "Triton" abgelöst und bildet zur Zeit die Basis europäisch koordinierter Seenotrettung. Nach Aussage von EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström könne "Triton" das italienische Rettungsprogramm aber nicht ersetzen und es müsse kontinuierlich auf ein gemeinsames Europäisches Asylsystem hingearbeitet werden. Ebenso wie bei Seenotrettung stellt sich auch auf dieser übergeordneteren Ebene aber die Frage der Ausgestaltung.

Update (20. April 2015)

Am Montag (20. April 2015) tagten die EU-Außen- und Innenminister in einer Dringlichkeitssitzung. Ergebnis ist ein 10-Punkte-Plan (in Stichpunkten). Vorgesehen sind mehr Geld für Triton und ein verschärftes Vorgehen gegen Schlepper (Pressemitteilung).

Auch deutsche Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) zeigte sich nach bisherigem Zögern zu mehr Hilfe bereit: "Die Seenotrettung muss erheblich verbessert, schnell organisiert und europäisch finanziert werden." Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) stellt in Aussicht, rund sechs Millionen Euro bereitzustellen, um die Seenotrettungsaktion Mare Nostrum wieder aufleben zu lassen. Müller sagte der Saarbrücker Zeitung: „Die Seenotrettungsaktion Mare Nostrum zu beenden, hat vielen das Leben gekostet.“

Am Donnerstag (23. April) sollen die EU-Staats- und Regierungschefs über Konsequenzen aus der jüngsten Flüchtlingskatastrophe zu beraten.

In Vorbereitung auf die Veranstaltung am 27.04.2015 stellt der Europäische Salon folgende grundsätzliche Frage:

Entzieht sich die Europäische Union ihrer Verantwortung zum Schutz und zur Aufnahme von Flüchtlingen und Asylbewerbern? Wenn ja, welche Maßnahmen sind zur Verbesserung der europäischen Flüchtlingssituation zu ergreifen?


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Kommentare

  • Ein europäisches Mare Nostrum ist alternativlos

    Ich weiß, es gibt diese Abwägung zwischen "Push" und "Pull"-Funktionen in der EU-Flüchtlingspolitik, die sicher ihre Begründung hat, ein echtes Dilemma bezeichnet.

    Trotzdem: Wir sind Menschen. Wir können Menschen nicht einfach ertrinken lassen. Ertrinken. Deshalb muss Mare Nostrum sofort wieder mit EU-Mitteln eingeführt werden. Das ist alternativlos.

    Alle anderen grundsätzlichen, wichtigen Probleme können immer noch geklärt werden. Das alles kostet Geld und kompliziert, sicher. Aber tut mir leid, Menschenleben zählen einfach mehr.

  • Mein Vorschlag: Der Asylantrag muss auch ohne Überfahrt zu stellen sein, z.B. über die Botschaften der EU-Länder. Wenn dem Antrag stattgegeben wird, sollte die EU die sichere Reise gewährleisten. Auch frage ich mich ganz konkret nach dem Versagen der EU in Libyen. Erst Gaddafi mit Raketen aus dem Amt fegen, und dann versinkt alles in Bürgerkrieg und Chaos? Das war doch absehbar.

    • Das nicht einzulösende Grundrecht

      Hallo jkippenberg. Erst einmal habe ich das Gefühl, dass kaum eine Problematik so viel Ratlosigkeit hervorruft wie das Flüchtlings-Dilemma. Dein Vorschlag zeigt das ganz gut.

      Die Asylverfahren vom europäischen Boden weg ins Ausland zu verlagern, leuchtet erst einmal ein. Denn die Entscheidung bleibt ja ungeachtet des Ortes, an dem sich Antragssteller und Bearbeiter befinden, diesselbe: entweder ein Mensch hat Recht auf Schutz, weil er zum Beispiel als Homosexueller, als Frau, als angehöriger einer Minderheit, als Oppositioneller verfolgt wird, oder nicht. Das ist ein Grundrecht. Wäre es irgendwie teilbar, also würden wir sagen, dieses Grundrecht gilt bei uns nur für maximal 500.000 Menschen pro Jahr, wäre es kein Grundrecht mehr.

      Was passiert aber jetzt, wenn dieses Grundrecht maximal in Anspruch genommen wird? Also wenn alle Menschen, die asyl- und schutzberechtigt sind, auch tatsächlich kommen? Ich kann das nur vermuten, aber aktuell wären wohl weite Teile der Bevölkerung von Eritrea asyl- oder doch wenigstens schutzberechtigt (Siehe Artikel zur Lage in Eritrea).

      Also in Deiner Variante würden jetzt Millionen von Eritreäern bei einer EU-Botschaft oder einem Aufnahmezentrum (wo liegt genau der Unteschied) das Aufnahmeverfahren beginnen und dann in die EU kommen.

      Ich glaube, die unausgesprochene Angst in der Debatte ist, dass das praktisch nicht geht, dass es Europa überfordert. Dass die potenziell Millionen Menschen keine nachhaltige Perspektive in Europa hätten. Wer diese Angst als rechtsradikal abtut, soll sagen, dass es geht und wie.

      Also wir haben es mit einem ehrenwerten, für den einzelnen Menschen lebensrettenden Grundrecht zu tun, das zu Ende gedacht, aktuell weltweit nicht einlösbar ist. Das ist übrigens nichts neues. Viele Menschenrechte sind weltweit betrachtet offensichtlich nicht einlösbar.

      Was machen wir in dieser Situation? Die ehrlichsten Wege wären a) das Grundrecht abschaffen oder b) mit allen Mitteln versuchen, dieses Grundrecht für so viele Menschen wie möglich verfügbar machen, also die Flucht nach Europa maximal zu vereinfachen und Europa auf die maximale Aufnahme vorzubereiten. Dass Europa auch 10, 20, 30 Millionen Menschen zusätzlich ernähren und beherbergen kann, steht ausser Frage.

      Zu beiden konsequenten Wegen kann sich aber niemand durchringen. Stattdessen gibt es diesen Mittelweg. Es wird am Grundrecht festgehalten UND gleichzeitig machen wir es den Menschen so schwer wie möglich, dieses Grundrecht wahrzunehmen (Dublin II, Frontex, Grenzsicherung). Warum? Weil wir das Grundrecht wollen und gleichzeitig Angst vor seiner letzten Konsequenz haben. Wir sind da etwas schizophren.

      Als ersten Schritt, um uns die Angst zu nehmen, würde ich gerne einmal wissen, wie viele Menschen tatsächlich weltweit schutzberechtigt sind und wieviele davon nach Europa wollen (das sind ja längst nicht alle). Dann würde ich ganz nüchtern überlegen: können sie alle kommen? Und dann: welche Alternativen gibt es? Vielleicht zwingt uns auch diese ganz nüchterne Erwägung dazu, ein wenig die Welt zu retten, also zum Beispiel einem Land wie Eritrea genau jetzt so zu helfen, dass der Exodus aufhört, die Menschen nicht mehr fliehen müssen.

      Also mein Vorschlag: Entscheiden wir uns noch einmal bewusst für das Grundrecht auf Flüchtlingsschutz und Asyl und gestalten dann unsere Außen- und Innenpolitik so, dass wir es auch wirklich einlösen können.

      • Hallo MichaelB , erst zeichnest Du ein Dilemma und dann bleibst Du aber die Lösung irgendwie schuldig. Oder habe ich Dich nicht verstanden?

    • Imho hat die EU in Libyen schon versagt, bevor sie sich schließlich dazu aufgerafft hat ihren engen Verbündeten Ghaddafi doch zu vertreiben - dieser hat uns schließlich ganz prima die Flüchtlinge vom Hals gehalten, all die Jahre, mithilfe großer finanzieller Unterstützung...wir alle wussten, dass wenn Menschen in den Ländern des Arabischen Frühlings keine Zukunft sehen, sie zu uns kommen, egal auf welchem Wege, egal um welchen Preis - dies wird sich auch in absehbarer Zeit nicht ändern. Es ist ihr gutes Recht! Also? Wege öffnen und Grenzen? Betreute Überfahrten oder Aslyantragsstellen an den Ablegehäfen? Ist das rechtlich möglich, und bürokratisch? Und löst es wirklich das Problem?

  • Ja Europa entzieht sich seiner Verantwortung! Sogar Spiegel Online hat es gestern gut gesagt. "Doch die Politik gibt sich ratlos - selbst das Mitgefühl scheint verloren". Der Unterschied zur öffentlichen und staatlichen Anteilnahme am Germanwings-Absturz wirkt schon surreal. Selbst wenn De Maizière andere Pläne hat als Menschen in Seenot zu retten, dann müssten diese doch dennoch Chefsache sein, Kabinettssitzung, EU-Gipfel. Deutschland ist kalt geworden, richtig erkaltet. Es freut sich übers Wirtschaftswachstum. Betrauert den Abschied von Kloppo. Selbst über die Forderungen Griechenlands will niemand nachdenken.