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Wirtschaft und globaler Menschenrechtsschutz: Herausforderungen an den demokratischen Rechtsstaat


Gastbeitrag für den Europäischen Salon von Dr. Daniel Augenstein

Dr. Daniel Augenstein arbeitet als Associate Professor im Europäischen und internationalen öffentlichen Recht an der Universität Tilburg in den Niederlanden. Dr. Augenstein beschäftigt sich seit vielen Jahren schwerpunktmäßig mit dem Thema Menschenrechtsschutz und Unternehmensverantwortung. In diesem Bereich hat er eine Reihe von Fachpublikationen vorgelegt, und an mehreren internationalen Studien unter anderem für das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, die Europäische Kommission, und die Vereinten Nationen mitgewirkt. Gelegentlich assistiert Dr. Augenstein auch als Rechtsanwalt in internationalen Verfahren, die Menschenrechtsverletzungen multi-nationaler Konzerne zum Gegenstand haben. Gegenwärtig verbringt Dr. Augenstein einen durch die Humboldt Stiftung geförderten Forschungsaufenthalt am Wissenschaftszentrum Berlin mit dem Ziel, eine Monographie zum Thema Global Business and the Law and Politics of Human Rights abzuschließen.

Der moderne Menschenrechtsschutz, wie er sich in Europa aus der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte im Zuge der Französischen Revolution herausgebildet hat, ist eng mit dem demokratischen Rechtsstaat liberaler Prägung verknüpft. Das nationale Verfassungsrecht verpflichtet den Staat, die Menschen- oder Grundrechte seiner Bürger gegen Eingriffe der öffentlichen Gewalt wie auch im Verhältnis zwischen privaten (nicht-staatlichen) Akteuren zu schützen. Dieser staatsbezogene Menschenrechtsbegriff spiegelt sich im Völkerrecht, das die Rechte und Pflichten von Staaten in ihrem inter-nationalen Verhältnis zueinander zum Gegenstand hat. Aus beiden Perspektiven entfalten Menschenrechte ihre Schutzwirkung traditionell in einem durch das Staatsgebiet territorial begrenzten Rechtsverhältnis zwischen öffentlichen Institutionen und privaten Individuen. Doch schöpft der Menschenrechtsschutz seine normative Kraft keinesfalls ausschließlich aus dem positiven (gesetzten) Recht des Staates, sondern erhebt auch den kritischen Anspruch, das Handeln staatlicher Akteure an moralische und politische Legitimationsbedingungen zu knüpfen. Die nach dem zweiten Weltkrieg von den Vereinten Nationen erarbeitete Allgemeine Erklärung der Menschenrechte macht die „Anerkennung der angeborenen Würde und der gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder der Gemeinschaft der Menschen“ zur „Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt“. Gleichzeitig verbürgen die Menschenrechte neben „liberalen“ Abwehrrechten gegen den Staat auch politische Teilhaberechte in der Ausgestaltung des öffentlichen Gemeinwohls. Das erklärt, aus politischer Sicht, die Verankerung des universellen Geltungsanspruchs der Menschenrechte in der institutionellen Form des demokratischen Rechtsstaats.

Wirtschaftliche Globalisierung, emblematisch verkörpert in den Operationen sogenannter „multi-nationaler“ oder „trans-nationaler“ Unternehmen, unterminiert die rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen des Menschenrechtsschutzes in der internationalen Staatsordnung. Die menschenrechtlichen Herausforderungen, die sich aus dem Spannungsverhältniss zwischen einem nach wie vor staatsbezogenen Rechts- und Politikverständnis und einer zunehmenden globalen Verflechtung ökonomischer Prozesse ergeben, sind mittlerweile hinlänglich bekannt und dokumentiert. Zum einen manifestieren sich diese Herausforderungen in den erheblichen (negativen wie positiven) menschenrechtlichen Auswirkungen privaten Handelns, das als solches nicht unmittelbar an die Vorgaben des öffentlichen Verfassungs- und Völkerrechts gebunden ist. Zum anderen bedingt die Erschließung globaler Märkte, dass die Ursachen von Menschenrechtsverletzungen zunehmend im „trans-nationalen“ Raum, das heißt jenseits der territorialen Hoheitsgewalt einzelner Staaten, zu verorten sind. Einerseits erscheint es mithin, dass die Verankerung der Menschenrechte im demokratischen Rechtsstaat globalen Problemstellungen (etwa die eng verknüpften Themenbereiche des Klimaschutzes, der Armutsbekämpfung, und der Migration) immer weniger gewachsen ist. Anderseits entsteht der manchmal diffuse aber keinesfalls unberechtigte Eindruck, dass Entscheidungen, die fundamentale Interessen der Bürger betreffen, zunehmend außerhalb der demokratisch verfassten Organe des Nationalstaates getroffen werden – sei es in den Machtzentralen multi-nationaler Konzerne oder in den Gremien internationaler Organisationen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Zwei Beispiele.

Erstens In vielen Europäischen Mitgliedsstaaten demonstrieren gegenwärtig Bürger(innen) gegen die Verabschiedung der Freihandelsabkommen TTIP (EU-USA) und CETA (EU-Kanada), unter anderem weil sie eine Aushöhlung des staatlichen Menschenrechtsschutzes durch internationale Schiedsgerichte befürchten. Internationale Schiedsverfahren ermöglichen es privaten Investoren, Staaten wegen einer vermeintlichen Verletzung der im Freihandelsabkommen gegebenen Investitionsgarantien zu verklagen. Derartige Investitionsgarantien können den politischen Handlungsspielraum der betroffenen Staaten auch hinsichtlich einer Verbesserung des nationalen Menschen- und Umweltschutzes einschränken. Zudem sind mit Blick auf den Zweck und die Besetzung der Schiedsgerichte Befürchtungen, diese dienten primär dem Schutz der Wirtschaftsinteressen privater Investoren, sicher nicht von der Hand zu weisen. Doch mag die Plötzlichkeit des politischen Protests überraschen – schließlich haben in Europa Bestrebungen, die Interessen europäischer Unternehmen in Freihandelsabkommen insbesondere mit Entwicklungsländern zu schützen, eine lange Tradition. Noch überraschender ist die Reaktion der für die Verhandlungen zuständigen Kommissarin der Europäischen Union, die sich mit Blick auf die Proteste gegen ihre Handelspolitik von jeglicher direkten politischen Verantwortung frei sagt („I do not take my mandate from the European people“) . Aus beiden Perspektiven stellt sich die Frage, inwieweit es noch plausibel oder gerechtfertigt erscheint, den demokratischen Rechtsstaat ins Zentrum des internationalen Menschenrechtsschutzes zu rücken. Unterdessen zwingt der Konsumentenzorn der westlichen Welt „multi-nationale“ Unternehmen in eine rechtlich verbindliche Vereinbarung mit Gewerkschaften über den Schutz der Menschen- und Arbeitsrechte in Bangladesch, deren Einhaltung ebenfalls durch ein internationales Schiedsgericht überprüft werden soll. Die Geschichte des „Rana Plaza“ Accord on Fire and Building Safety in Bangladesh zeichnet ein anderes Bild des Spannungsverhältnisses zwischen globalen Märkten und staatlichem Menschenrechtsschutz. Noch im März 2010 hatte die Bangladesh Garment Manufacturers and Exporters Association (BGMEA) – einer der größten Arbeitgeberverbände in der lokalen Textilbranche – die in Bangladesch operierenden westlichen Unternehmen vor einer „privaten“ Anhebung des Lohnniveaus auf das Existenzminimum gewarnt. Ein solcher Versuch, Entscheidungen des von der Regierung eingesetzen Lohngremiums zu unterlaufen, sei nicht nur unüberlegt und unerwünscht, sondern verstoße auch gegen staatliches Recht. Teil des Problems ist der globale Wettbewerbsdruck (eine Reihe internationaler Unternehmen beziehen ihre Textilien schon jetzt aus billigeren Billiglohnländern) und eine entsprechende Verquickung der Wirtschaftsinteressen lokaler Produzenten und staatlicher Stellen, mitunter in Personalunion. Es bedurfte des Todes von mehr als 1000 Arbeitern beim Einsturz einer achtstöckigen Textilfabrik nahe der Hauptstadt Dhaka im April 2013, um (möglicherweise) zielführende Schritte gegen die lange bekannten menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen in Bangladeschs Textilindustrie einzuleiten. Nach Jahren des Scheiterns der Volksrepublik Bangladesch wie auch der internationalen Staatengemeinschaft, den Schutz der Arbeits- und Menschenrechte in der lokalen Textilindustrie zu gewährleisten, mag hier ein globaler Lösungsansatz, der diese Rechte mittels einer schiedsgerichtlich überprüfbaren Vereinbarung zwischen internationalen Unternehmen und Gewerkschaften durchsetzt, erfolgversprechender sein.

Zweitens Die Fédération Internationale de Football Association (FIFA) war vielen lange nur als Ausrichter von Fußballweltmeisterschaften und deren Vermarktung unter anderem in der Form eines gleichnamigen Computerspiels bekannt. Aus rechtlicher Sicht mag sich FIFA – ein gemeinnütziger privater Verein mit Sitz in Zürich – wenig vom lokalen Fußballklub gegenüber unterscheiden. Wäre da nicht das für eine gemeinnützige Organisation erstaunliche Vereinsvermögen von geschätzten 1,2 Milliarden Euro und die Tatsache, dass die Wahl des Vereinssitzes in der Schweiz herzlich wenig (pardon!) mit der Qualität des dortigen Fußball zu tun hat. Und natürlich der Umstand, dass sich seit kurzem das FBI und die US-amerikanischen Strafverfolgungsbehörden für die finanziellen Machenschaften einiger Vorstandsmitglieder interessieren, was den Anfang der globalen rechtlichen Aufarbeitung eines der größeren Korruptionsskandale der letzten Jahre bildete. Doch ist FIFA auch schon des Öfteren mit Menschenrechtsverletzungen in den Ausrichterstaaten der Weltmeisterschaften in Verbindung gebracht worden. Südafrika richtete auf Verlangen der FIFA sogenannte „FIFA World Cup Courts“ ein, die in beschleunigten Strafverfahren und unter Beschneidung verfassungsrechtlich garantierter Rechte im Zeitraum der Weltmeisterschaft begangene „Verbrechen“ aburteilen sollten. Das hierbei zwei holländische Frauen, die in orangenen Kostümen im Stadium erschienen waren, wegen Schmarotzermarketing für einen Bierhersteller unter dem Fifa World Cup Special Measures Act angeklagt wurden, mag man noch als Skurrilität abtun. Etwas anderes gilt sicherlich für zwei Staatsangehörige aus Simbabwe, die schon 48 Stunden nach getaner Tat (Raub an ausländischen Journalisten, soweit das bei der gebotenen Eile festzustellen war) ihre 15-jährige Gefängnisstrafe antreten durften. Mit Blick auf die Vorbereitungen der Weltmeisterschaft in Brasilien warnte eine Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen vor Menschenrechtsverletzungen durch Zwangsräumungen und Umsiedlungen der lokalen Bevölkerung im Zuge der Realisierung von Infrastrukturprojekten unter der Ägide von FIFA. Auch in Brasilien stand Bier im Mittelpunkt des Interesses, diesmal dergestalt dass der Schweizer Verein, der sich gegen Drogen im Sport stark macht, im Interesse seiner Sponsoren das der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dienende Verbot alkoholischer Getränke in Fußballstadien kippte. Gleichzeitig entstanden „aus Sicherheitsgründen“ in der näheren Umgebung der Stadien Sperrzonen für lokale Geschäftsleute, die von der FIFA unterstehenden privaten Sicherheitsunternehmen patrolliert wurden. Dass die Weltmeisterschaft im eigenen Land die Mehrheit der Brasilianer „bereichert“ hat, darf mit guten Gründen bezweifelt werden. Neben Korruptionsvorwürfen und der Frage, wer denn bei 50 Grad Celsius (oder an Weihnachten) Fußball spielen kann oder will, überschatten Debatten über die Ausbeutung und unwürdigen (tödlichen) Beschäftigungsbedingungen von Arbeitsmigranten die Vorfreude auf die für 2020 geplante Weltmeisterschaft in Katar. Das Land und seine nationale Fußballorganisation haben diesbezügliche Vorwürfe lange bestritten und bitten stattdessen Ex-DFB Präsident Zwanziger über das Landgericht Düsseldorf, Katar doch nicht länger als „Krebsgeschwür des Weltfußballs“ zu bezeichnen. Die europäischen Unternehmen, die am Projekt Katar beteiligt sind (darunter die Deutsche Bahn, Hochtief, Siemens und ThyssenKrupp), halten sich bisher eher bedeckt. FIFA dagegen wird zunehmend von internationalen Organisationen wie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch oder Amnesty International in die politische Verantwortung genommen. Tatsächlich scheint der Schweizer Verein seine politische Apathie (Sport ist keine Politik und Fairness nur das, was zwischen zwei Fußballtore passt) zu überwinden, und tut jetzt nach eigenem Dafürhalten sein Bestes, um in Verhandlungen mit dem Gastgeberland die Beschäftigungsbedingungen der Arbeitsmigranten zu verbessern. Zudem hat das Exekutivkommitee der FIFA beschlossen, die Leitprinzipien der Vereinten Nationen zu Wirtschaft und Menschenrechten (UN-Leitprinzipien) in die Vergabekriterien für zukünftige Weltmeisterschaften einzuarbeiten, und deren Vorgaben im Verhältnis zu Vertragspartnern und Unternehmen in der Wertschöpfungskette rechtlich verbindlich auszugestalten. Die an Unternehmen gerichtete zweite Säule der UN-Leitprinzipien (die unternehmerische Verantwortung für Menschenrechte), die als sogenanntes „soft law“ keine unmittelbare rechtliche Wirkung entfaltet, wird so durch eine privatrechtliche Vereinbarung zwischen den beteiligten Parteien zum bindenden Rechtsstandard. FIFA und ihre Vertragspartner müssen demnach in Zukunft die im Völkerrecht verbürgten Menschenrechte respektieren, das heißt in Ausübung ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht die Auswirkungen wirtschaftlicher Tätigkeit auf die Menschenrechte ermitteln, verhüten und mildern, sowie im Falle von Menschenrechtsverletzungen Wiedergutmachung leisten. Diese unternehmerische Verantwortung für die Menschenrechte besteht unabhängig von der Fähigkeit und/oder Bereitschaft von Staaten, ihre eigenen menschenrechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen. Gleichzeitig muss FIFA in Zukunft davon Abstand nehmen, ihre wirtschaftlichen Interessen auf Kosten des menschenrechtspolitischen Handlungsspielraums der Ausrichterstaaten durchzusetzen.

Was uns zu der prinzipiellen Frage der Zukunft des Menschenrechtsschutzes im Spannungsverhältnis zwischen demokratischem Rechtsstaat und global operierenden Wirtschaftsunternehmen zurückbringt. Die zunehmende Relevanz unternehmerischer Tätigkeit für die Menschenrechte und die globale Verflechtung von Wirtschaftsinteressen bedeutet nicht, dass die normativen Prämissen rechtsstaatlichen Handelns, die den Geltungsanspruch der Menschenrechte funktional (in der Unterscheidung zwischen öffentlichem und privatem Recht) wie auch räumlich einhegen, überholt wären. Doch mögen die hier diskutierten Beispiele auf einen Transformationsprozess hindeuten, in dem die Grenzlinien zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten, dem Lokalen (Territorialen) und dem Globalen, und letztendlich zwischen Recht, Politik und Wirtschaft neu gezogen werden. Was etwa können wir aus dem Versagen der internationalen Staatengemeinschaft im Fall Bangladeschs lernen? Oder, warum sehen Juristen (in den Vereinigten Staaten) im FIFA Skandal hauptsächlich einen Fall der internationalen Wirtschaftskriminalität, der den internationalen Menschenrechtsschutz bestenfalls am Rande tangiert? Aus rechts- und politiktheoretischer Hinsicht geht es bei der Beantwortung dieser Fragen unter anderem um die Wiederherstellung einer politischen Öffentlichkeit für die Menschenrechte jenseits des Nationalstaates. Im öffentlichen Recht findet dieses Bestreben etwa in den Traditionen des globalen Verwaltungs- und Verfassungsrechts Ausdruck. Im Privatrecht diskutieren wir die Konstitutionalisierung transnationaler privater Regulierung und begeben uns auf die Suche nach den politischen Ursprüngen des internationalen Wirtschaftsrechts. Aus der Perspektive der Rechtspraxis bedingt dieser Transformationsprozess, dass sich Anwälte und Studierende zunehmend damit auseinander setzen dürfen/müssen, wie menschenrechtliche Aspekte sinnvoll in Unternehmensstrukturen integriert werden können, und den Opfern von Menschenrechtsverletzungen im „globalen Dorf“ zu ihrem Recht verholfen werden kann.


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