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Dr. Franziska Brantner zur Frage nach der Sperrklausel bei den EU-Wahlen


Das BVerfG hat am 26. Februar 2014 die Drei-Prozent-Sperrklausel im Europawahlrecht für verfassungswidrig erklärt. Wird die Europawahl damit demokratischer? Oder unterbewertet das BVerfG die Bedeutung des Europaparlaments für die europäische Demokratie?

Dr. Brantner: Die Karlsruher Richter begründeten ihre Entscheidung damit, dass die EU-Volksvertretung über weniger Macht und Einfluss verfüge als der Deutsche Bundestag. Ich halte dieses Urteil wie auch den früheren Richterspruch für rückwärtsgewandt, wirklichkeitsfremd und – im Hinblick auf die Europawahlen Ende Mai – für verheerend. Die Entscheidung blendet aus, dass das Europa-Parlament in den vergangenen Jahrzehnten erheblich an Befugnissen dazugewonnen hat und heute einen gewichtigen Gegenspieler zu den nationalen Regierungen darstellt. Auch wenn noch wichtige Rechte für das Parlament fehlen, wird es diese sicherlich nicht erreichen, wenn es durch seine Zusammensetzung zum Kasperletheater gemacht wird. Sperrklauseln sind keine Unterdrückung der Demokratie, sie stärken vielmehr die Handlungsfähigkeit von Parlamenten.

Kurzvorstellung Dr. Brantner


Wir haben die Podiumsgäste des zweiten Europäischen Salons zum Thema "Vor der Wahl zum Europäischen Parlament: Europa der Bürger – Europa der Eliten?" vorab um ihre Meinung zu unterschiedlichen Fragen gebeten, um sie online zu diskutieren. Alle Online-Beiträge und Kommentare haben die Chance, am 30. April auf dem Podium direkt in die Diskussion mit den Experten einzufließen.

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Kommentare

  • Aber macht es wirklich so einen großen Unterschied, ob eine 3%-Klausel gilt oder nicht? Es kommt doch höchstens zu Änderungen in der Fraktionsbildung...ich bin mir nicht sicher, ob wir wirklich mit einer Zersplitterung des Parlaments rechnen müssen...ich habe keine Angst davor und sehe es auch nicht als Einschränkung der Demokratie. Sondern denke, dass es vielmehr ein wichtiger Schritt zur Politisierung der Bürger hinsichtlich einer Identifikation mit der EU sein könnte...

  • Liebe Frau Brandtner, mit "Kasperletheater" meinen Sie wohl politische Kräfte wie die Tierschutzpartei oder die Freien Wähler, die nun ins Europaparlament einziehen könnten. Für mich klingt das schwer nach Arroganz der etablieren Parteien. Die großen Fünf haben in unserer Demokratie kein Abo auf Parlamentssitze und Posten. Sie müssen sich der Konkurrenz von unten stellen, anstatt sie mit Sperrklauseln klein zu halten. Für mich gibt es ein entscheidendes Argument gegen die Klauseln. Allein die Erwartung, dass etwa die Tierschützpartei die Hürde nicht überspringt, hindert Wähler daran, ihr ihre Stimme zu geben. Diese psychologische Hürde fehlt nun. Wir werden sehen, wieviele Menschen die Kleinen tatsächlich für ihre Programme erreichen können. Abgesehen davon, können die Großen immer noch alle Stimmen einsammeln - sie müssen sich eben anstrengen.

  • Frau Dr. Brantner, Sie sagen, dass die Folgen für die Europawahl verheerend seien. Aber wird die "Macht" der Sperrklausel, u.a. zur Verhinderung von extremistischen Parteien, nicht überbewertet? Sollte sich nicht eher in der Gesellschaft etwas verändern? Vielleicht war das Absetzen der Klausel auch ein indirektes Zeichen dafür, nicht zu viel Verantwortung in die Prozentzahl zu legen...

  • Liebes Forum, in der 'Offline'-Diskussion in Berlin ergaben sich zu dieser Frage noch einige Impulse.

    • so begründete Frau Brantner noch einmal, warum sie die Abschaffung der Sperrklausel so kritisch sieht. Der Einzug kleiner Parteien aus Deutschland werde dazu führen, dass in wichtigen Entscheidungen noch öfter eine 'Große Koalition' im Parlament entscheidet, weil sich keine anderen Mehrheiten finden. Das sei der Opposition und einer richtigen Debatte im EU-Parlament abträglich
    • Widerspruch kam hier vom EU-Blogger Jon Worth. Die vier bis fünf Abgeordneten kleinerer Parteien, die möglicherweise nach dem Wegfall der Sperrklausel aus Deutschland ins kommende Europaparlament einziehen, würden dessen Handlungsfähigkeit nicht beeinträchtigen. Die eigentliche Gefahr sei hier das Erstarken rechtspopulistischer Kräfte aus Großbritannien, Frankreich und Itialen, das derzeit vorhergesagt wird. "Der deutsche politische Prozess funktioniert immer noch deutlich besser als in anderen Ländern."
    • auch aus dem Publikum kam hier Widerspruch. Der Fall der Sperrklausel sei nicht das Problem, sondern die fehlende inhaltliche Auseinandersetzung mit den Kleinstparteien. Ein Einzug rechter Parteien müsse verhindert werden.
  • Ich sehe im Wegfall der Sperrklausel für die kommende Wahl insbesondere eine Chance für die etablierten, größeren Parteien, wieder näher auf die Bürger zuzugehen.

    Die größeren Parteien können durch ihre nicht zu unterschätzende integrative Kraft auch kritische Positionen einfangen oder zumindest entkräften, um einer tatsächlichen Zersplitterung vorzubeugen. Sie tragen gerade eine Verantwortung, nicht in Furcht vor rechtspopulisitischen oder sonstigen kritischen Strömungen im Parlament zu erstarren. sie müssen vielmehr überzeugen, welche Chancen Europa für jeden einzelnen Bürger bringt!

    Da bringt es nichts die Karlsruher Richter für dieses Urteil zu schelten ("verheerend" finde ich zu stark) - vielmehr muss es angenommen und als Handlungsgrundlage für die nächste Wahl akzeptiert werden. Denn sonst wird genau der gegenteilige und unerwünschte Effekt erzeugt, dass die kleineren, möglicherweise EU-kritischen "Splitter"parteien immer mehr Zulauf erhalten.

    Aber was wäre im Sinne der Demokratie eigentlich so falsch daran, auch kleinere Parteien zu akzeptieren und zu integireren.

    Sperrklauseln sind "keine Unterdrückung der Demokratie" sagten Sie... nein, das stimmt!

    Aber sie stärken eben nicht nur die Handlungsfähigkeit des Parlaments, sondern auch den Willen der Wähler und für ein Europa der Bürger, für das Sie, Frau Dr. Brantner, ja auch plädieren, kommt es doch gerade auf diesen gestärkten Wählerwillen an: jeder Einzelne soll sich ernst genommen fühlen und seine Stimme soll erhört werden in Europa!