Eine Verfassung für das Internet


Foto: Camera dei DeputatiBürger sind aufgerufen, den italienischen Verfassungsentwurf zu kommentieren. Foto: Camera dei Deputati


Politiker, Experten und Bürger diskutieren weltweit über Grundrechte für das Internet. Über Publixphere können sich Interessierte direkt in eine italienische Initiative einbringen. Die aktuellen Diskurse und Beteiligungsmöglichkeiten im Überblick.


Ein speziell eingerichteter Ausschuss der italienischen Abgeordnetenkammer hat eine Erklärung über die Rechte der Bürger im Internet ausgearbeitet. Die deutsche Fassung könnt ihr auf Publixphere kommentieren (bis zum 27. Februar 2015). Am Ende der Kommentarphase werden eure Kommentare übersetzt und direkt an die italienische Abgeordnetenkammer übersandt. Somit werden die Publixphere-Kommentare in den nächsten Entwurf der Erklärung einfließen. Bis zum Ende der Kommentierungsphase werden wir uns wie immer auch um die Stellungnahmen von Experten bemühen.

Publixphere nimmt dieses innovative und grenzüberschreitende Projekt zum Anlass, die Debatte unter dem Titel “Eine Verfassung für das Internet” zu vertiefen. Denn die italienische Initiative steht im Kontext zahlreicher globaler Diskurse zur Regelung des digitalen Raums. Dazu gehören die Web We Want-Kampagne, das brasilianische Gesetz Marco Civil da Internet, sowie Initiativen Deutschlands, Frankreichs und des Vereinigten Königreichs. Der Bundestag hat den neuen Ausschuss “Digitale Agenda” eingesetzt.

Hier gibt es nun die Möglichkeit, die Themen dieser Initiativen und Gremien zu diskutieren (Neue Diskussion anlegen). Welche Grundrechte und Regelungen brauchen wir im Netz? Natürlich können auch Punkte aufgegriffen werden, die in den laufenden Initiativen noch keine Rolle spielen. Auch hier bemühen wir uns wie immer, VertreterInnen aus Politik, Wissenschaft und Gesellschaft auf Publixphere zu holen.

Aktuelle Diskurse

Italien: “Entwurf der Erklärung über die Rechte der Bürger im Internet”

Die Erklärung ist das Resultat einer im Juli von der italienischen Abgeordnetenkammer – einer der beiden Kammern des italienischen Parlaments – eingesetzten Kommission zum Thema Internetverfassung. Die Kommission besteht aus Abgeordneten des Parlaments (jeweils einem pro Partei) und ausgewählten Experten. Der Entwurf kann noch bis zum 27. Februar 2015 mit weiteren interessierten Experten und Bürgern auf Publixphere diskutiert werden. Der von der Abgeordnetenkammer überarbeitete Entwurf soll an das italienische Parlament und an die italienische Regierung weitergeleitet werden.

Hier geht es zur Diskussion des Entwurfs (deutsche Fassung)

Ziel der Kommission ist es, einen Beitrag nicht nur zur italienischen, sondern auch zur europäischen und weltweiten Debatte über die Zukunft des Internets zu leisten. Das Internet soll nicht nur als Raum der wirtschaftlichen Entwicklung betrachtet werden, sondern auch als ein Raum, in dem Menschenrechte zu wahren sind.

Eine Magna Carta für das Internet: Die Web We Want-Kampagne von Tim Berners-Lee

Der italienische Entwurf einer Erklärung der Rechte der Bürger im Internet schließt an die Web We Want-Kampagne an, die Tim Berners-Lee ins Leben gerufen hat, der Begründer des World Wide Web. Das Motto: “Welches Internet wollen wir haben?” Das Ziel: In jedem Land soll es einen Rechtekatalog für das Internet geben, der sich an einer Magna Charta für das Internetzeitalter orientiert. Ein zentrales Anliegen: Aus dem Internet soll kein Werkzeug der Überwachung und der Freiheitsbeschneidung werden.

Die “Web We Want”-Kampagne beschreibt sich selbst als eine “globale Bewegung um die Zukunft des Netzes zu verteidigen, zu behaupten und zu verändern”. Die Kampagne sei eine Antwort auf “Bedrohungen der Zukunft des Netzes mit einer praktischen und positiven Vision”. Es gelte, die Macht der Menschen auf der ganzen Welt freizusetzen, um ein Netz zu verteidigen, zu behaupten und zu verändern, das allen gehöre. “Wir zielen auf echte Veränderungen auf der nationalen und globalen Ebene.”

Die Mission setzt auf ein freies und offenes Netz: “Wir konzentrieren uns auf die Nutzung innovativer Ansätze, um Unterstützung für nationale und regionale Kampagnen zu gewinnen, die sich für eine Welt einsetzen in der jeder überall online sein kann und dazu in der Lage ist, am freien Austausch von Wissen, Ideen, Zusammenarbeit und Kreativität über das offene Netz teilzunehmen.” Mit Spenden werden weltweit Projekte, Kampagnen und Gruppen gefördert, insbesondere in den Entwicklungsländern.

Die fünf Prinzipien orientieren sich an der Erklärung der Menschenrechte der UN und am Ziel sozialer Teilhabe und Gerechtigkeit:

  • Freiheit der Meinungsäußerung online und offline
  • Erschwinglicher Zugang zu einer universell verfügbaren Kommunikations-Plattform
  • Schutz persönlicher Nutzerdaten und das Recht darauf, vertraulich zu kommunizieren
  • Vielfältige, dezentralisierte und offene Infrastruktur
  • Neutrale Netze, die nicht nach Inhalt oder Nutzern diskriminieren

Einen guten Hintergrund gibt's hier.

Die Brasilianer haben’s vorgemacht: das Marco Civil da Internet

Brasilien hat im April 2014 das Gesetz Marco Civil da Internet verabschiedet. Es verankert Grundsätze, Garantien, Rechte und Pflichten für die Nutzung des Internets in Brasilien. Das Marco Civil-Gesetz ist die erste erfolgreich verabschiedete Internetverfassung der Welt und nicht nur inhaltlich, sondern auch verfahrenstechnisch interessant.

Inhaltlich umfasst der Marco Civil zentrale Grundsätze wie die Wahrung der Meinungsfreiheit, die Gewährung und Garantie der Netzneutralität, und den Schutz der Privatsphäre (s. Art. 3). Das Gesetz ist das Resultat eines langwierigen Prozesses, der 2007 durch eine Gruppe von Wissenschaftlern um Ronaldo Lemos, Direktor des Institute of Technology & Society at Rio de Janeiro State University initiiert wurde. Über mehrere Jahre wurde der Marco Civil in einem offenen Konsultationsprozess weiterentwickelt, an dem sowohl die interessierte Öffentlichkeit, die Regierung, globale und lokale Unternehmen, Zivilgesellschaft und andere Akteure teilgenommen haben.

Mehr zum Thema findet ihr auf netzpolitik.org

Bemühungen nationaler Parlamente in Europa

Neben dem italienischen bemühen sich weitere europäische Parlamente darum, bestimmte Rechte im Internet für Bürger zu verankern. Zu diesen gehören Deutschland, Frankreich, und das Vereinigte Königreich.

Deutschland: Ausschuss “Digitale Agenda”

Deutschland setzte im Februar 2014 den parlamentarischen Ausschuss “Digitale Agenda” ein. Dieser schließt an die Enquete Kommission Internet und digitale Gesellschaft an, die – ähnlich dem derzeit eingesetzten Ausschuss der italienischen Abgeordnetenkammer – sowohl aus Parlamentariern als auch aus Experten bestand (siehe: Abschlussbericht April 2013). Der Ausschuss widmet sich erstmals als ständiges parlamentarisches Gremium der Netzpolitik. Verschiedene Aspekte der Digitalisierung und der Vernetzung werden fachübergreifend diskutiert. Die Bundesregierung wiederum lädt ein, ihre eigene Digitale Agenda zu kommentieren.

Frankreich: “Commission de réflexion et de propositions ad hoc sur le droit et les libertés à l’âge du numérique”

Das Französische Parlament setzte im Sommer 2014 die "Commission de réflexion et de propositions ad hoc sur le droit et les libertés à l’âge du numérique" ein. Der Kommission gehören sowohl Parlamentarier als auch Experten an. Anfang 2015 sollen erste Ergebnisse veröffentlicht werden.

Derzeit läuft ein öffentlicher Konsultationsprozess, angestoßen allerdings nicht von der parlamentarischen Kommission, sondern von der französischen Regierung. Hier geht es zur Beteiligungsplattform (auf Französisch).

Auch der Französische Staatsrat greift das Verhältnis zwischen Menschenrechten und digitalen Entwicklungen in seinem Jahresreport 2014 auf.

Vereinigtes Königreich: “Kommission für digitale Demokratie”

Im Vereinigten Königreich gibt es seit Ende 2013 eine Kommission für digitale Demokratie, eingesetzt vom Sprecher des House of Commons. Die Kommission untersucht die “Möglichkeiten digitaler Technologien für die parlamentarische Demokratie im Vereinigten Königreich”. Im Januar 2015 wird die Kommission ihre Empfehlungen veröffentlichen. Bis dahin sind die Bürger aufgerufen, ihre Meinungen einzubringen.