Wie verändert das Internet politische Teilhabe?

Foto: Miles Heller (CC BY 2.0)

Online und Offline, ein Drama in 5 Akten

Das HIIG fragte am 11. Juni 2014 auf Publixphere: "Gesellschaftliche Partizipation im Internet - Die ewig gleichen Muster oder verwirklichen wir die Potentiale von Online-Partizipation heute anders?" Diese Diskussion diente auch der Vorbereitung des "Digitalen Salons" am 25. Juni in Berlin. Am 20. Juni ist die Partizipationsstudie 2014 (PDF) des HIIG erschienen. Der Publixphere-Hintergrund-Text zum Thema "Online-Partizipation" (Formen, Kontroversen etc.) findet sich hier. Die folgende Kurzdarstellung bezieht sich auf die Kommentare und Beiträge bis zum 09. Juli 2014.

Funktioniert politische 'Meinungsbildung' online überhaupt? Kann eine Online-Plattform in irgendeiner Weise Leute 'empowern' ohne im 'realen Leben' ein Gefühl von Zusammengehörigkeit und/oder Vertrauen hergestellt zu haben?

Ein Klick im Web ist schnell gemacht. Ich bin dafür, ich bin dagegen. Demokratie vom Sofa. Welche Möglichkeiten gibt es, online Demokratie zu wagen? Warum partizipieren immer mehr Menschen im Internet und wie verändert das die politische Teilhabe?

EXPOSITION

Unter dem Begriff Online-Partizipation (oder auch E-Partizipation) werden verschiedene ‘elektronische’ Beteiligungsformen gefasst - von der reinen Information über Bürgerbefragungen bis hin zur Online-Petition. Letztlich gehört die Online-Partizipation zum großen Feld der politischen Teilhabe, das traditionell viele analoge Instrumente kennt (Petitionen, Beschwerden, Bürgerversammlungen etc.) und diese gewissermaßen digitalisiert abbildet. Angelehnt an die klassischen Wege demokratischer Mitbestimmungstools bestimmen die Faktoren Transparenz und Information die digitalen Räumen, die durchaus als Foren ‘neuer Öffentlichkeit’ gelten dürfen, in denen Kontakt aufgenommen wird und BürgerInnen sich vernetzen.

Um die große Bandbreite digitaler Beteiligung an der Schnittstelle zur analogen Welt abzubilden hat das Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG) hierzu die "Partizipationsstudie 2014" (20. Juni 2014) erstellt. Demnach partizipieren online überwiegend jüngere Befragte und Akademiker, Männer sind häufiger aktiv als Frauen.

HIIG: “Je stärker die Selbstwirksamkeitserwartung einer Person ist, desto eher wird sie sich auch an online oder offline Formen von Partizipation beteiligen, weil sie dann auch eher erwartet, etwas erreichen zu können. Für Personen, die keine Wirkungsmächtigkeit ihres Handel erwarten, erscheint die Handlung auch nicht lohnenswert.”

Den euphorischen Hoffnungen, das Internet würde aufgrund eines einfachen und schnelleren Zugangs zu politischen Prozessen automatisch ein demokratisches Potential entfalten, steht also eine empirische Ernüchterung gegenüber: Alter, Bildungsgrad und politisches Interesse erklären nach wie vor am besten, warum wir uns bei gesellschaftlichen Fragen engagieren oder eben nicht - egal ob online oder offline. Ist diese Debatte also längst überholt?

STEIGERUNG

Community-Mitglied Mayte ist vom Gegenteil überzeugt. Ihrer Meinung nach kann ein wissenschaftliches Institut wie das HIIG entscheidend zu einem Umdenken im Umgang mit digitalen Formaten beitragen, solange es als neutraler Akteur auftritt. Die Aufgabe liege weiterhin darin, ein gesamtgesellschaftliches Bewusstsein für die Chancen und Grenzen der Onlinebeteiligung zu schärfen, mithin Diskurse aufrecht zu erhalten. So gilt es Formate zu entwickeln, die den UserInnen am meisten dienen, Schwellen und Zugangsschranken zu verringern und Anreize zu setzen, um BürgerInnen zu Partizipation zu motivieren.

PERIPETIE

Das große Verhängnis, das dem Web zunehmend zusetzt - so sind sich die Foristen auf Publixphere einig - wurzelt in den bestehenden Verhältnissen der analogen Welt, die sich selbstverständlich ins Netz tragen. Die NutzerInnenschaft differenziert sich durch unterschiedliche (technische, ressourcenabhängige) Zugangsmöglichkeiten und mangelnde Medienkompetenz. Die vorherrschende / dominierende Diskussionskultur kann, vor dem Hintergund von Anonymität und Unverhältnismäßigkeit, in Shitstorms münden und prägt zusätzlich das Verhalten verschiedener Nutzertypen. Auch der Verwurf das Web sei nach wie vor ein Elitenprojekt fügt sich in dieses Bild.

Infrastruktur trifft immer auch auf gesellschaftliche Strukturen.

Klicktivismus statt Aktivismus, kein gangbarer Weg?

RETARDIERENDES MOMENT

Für das Netz als Partizipationsmotor sprechen die Faktoren Information (solange ein gleicher, freier Zugang gesichert ist), Vernetzung und Kollaboration, vielfältige Formen von Protest, die Möglichkeit eines Konterkarierens bestehender Deutungshoheiten in Konkurrenz zu Meinungsmachern und dem Establishment.

nemo: “Die bislang fehlende Partizipation breiterer Bevölkerungsschichten ist sicherlich bedenkenswert, erklärt aber nach meiner Meinung nicht warum diese Erweiterung des ‘öffentlichen Raumes’ mit den Möglichkeiten des Webs bisher nicht die Wirkungsmächtigkeit entfaltet hat, die so viele erwartet haben.”

So konträr und komplex das Thema Online-Partizipation im Forum gehandelt wurde, so stellt sich auch die Studie dar. Oft verschwimmen Begrifflichkeiten, zu oft orientiert sich die Messbarkeit des Outcomes von Online-Formaten einzig in Relation zum analogen Vorgänger. Zu selten wird Online-Handlung differenziert voneinander abgegrenzt, als fehlten echte Definitionen. Noch immer.

Für das Web als neuen Diskursraum, als Raum oppositioneller Möglichkeiten, als Raum neuer kreativer Ideen und echter Macht- und Herrschaftskritik jenseits den Regeln ‘repressiver Toleranz’ spricht für Forist nemo vor allem das Prinzip Wikileaks, das unser aller Bewusstsein für die Hintergründe und Folgen politischer Entscheidungs- und Handlungsprozesse geschärft habe. Auch das Verhindern von ACTA gilt vielen DiskussionsteilnehmerInnen als Zeichen für web-generierten Protest, der sich auf die Straße trug, in einer neuen europäischen Öffentlichkeit.

Nicht wenige aber sind noch immer vom Web ausgeschlossen. Politisches Desinteresse, Misstrauen in die etablierte Parteienlanschaft oder das Gefühl, keine Stimme zu haben, werden sich zudem nicht einfach so durch das Angebot zum Mitreden online in Luft auflösen.

UserIn Michelle meint daran anknüpfend: “Vertrauen in die politischen Institutionen aufzubauen und Lust an Beteiligung zu wecken sind Generationenaufgaben, Bildungsaufgaben. Ein Wandel in der politischen Kultur. Das braucht Zeit. Verfrühte Resignation aufgrund überhöhter Erwartungen würde diesen Prozess im Keim ersticken.”

Für Julia (HIIG) HIIG stecken die Chancen von Online-Partizipation vor allem in der Verbindung mit traditionellen, analogen Partizipationsmöglichkeiten, in einem sogenannten ‘Medienmix’. Die Online-Komponente könne so effektiv Öffentlichkeit für anschließende Offline-Veranstaltungen generieren und vice versa. So könne auch auf der kleineren (kommunalen) Ebene und mit Rücksicht auf weniger internetaffine Gruppen Politik nah am Bürger gemacht werden. Darüber hinaus partizipieren NutzerInnen und BürgerInnen überhaupt nur dann, wenn sie sich ernst genommen fühlen, so gilt es gleichermaßen das wechselseitige Vertrauen zwischen Politik und Wählerschaft wieder herzustellen.

Wo UserIn isabel sich noch darüber sorgt, dass wir es bei Unterzeichnern von Online-Petitionen hauptsächlich mit ‘Geeks und Nerds’ zu tun haben, mit einer ‘digitalen Elite’ also, die sie nicht für repräsentativ hält begreift nemo das Netz vielmehr als Chance auf einen Wege aus der der ‘Krise der Repräsentation’ (Michelsen/Walter).

KATASTROPHE

Bleibt aus. Zunächst. Oder?

Ein Fazit der Redaktion: In Zeiten von Big Data, Heartbleed und X-Keyscore klingt der Term Partizipation ebenso unspektakulär wie sperrig. Vom ‘sich aneigenen’ sind repräsentative Massendemokratien doch weit entfernt, ob mit oder ohne Online-Tools. Natürlich leben wir in keiner Polis, haben faktisch weder alle das selbe Anrecht auf Anhörung noch die selbe Frequenz der Verlautbarung. Zudem ist mit den nicht enden wollenden Affairen um den Missbrauch der Privatsphäre von UnserInnen durch Geheimdiensttechniken der Umgang mit dem Web sensibler geworden, vorsichtiger.

Es gilt neue Räume zu finden, in den Persönlichkeits-, Bürger- und Menschrechte gewahrt bleiben. In denen informationelle Selbstbestimmung und Meinungsfreiheit wieder zu den Pfeilern werden anhand derer sich aufgeklärte Gesellschaften messen lassen müssen. Es gilt den/die BürgerIn als ArbeitsgeberIn der politischen Elite rückzuversichern und als die Grundlage von Demokratie wieder in den Mittelpunkt zu rücken. Capiamus.


Foto & Teaser: Miles Heller | CC BY-SA 2.0