Wie verändert das Internet politische Teilhabe? (Abschnitt 4)

RETARDIERENDES MOMENT

Für das Netz als Partizipationsmotor sprechen die Faktoren Information (solange ein gleicher, freier Zugang gesichert ist), Vernetzung und Kollaboration, vielfältige Formen von Protest, die Möglichkeit eines Konterkarierens bestehender Deutungshoheiten in Konkurrenz zu Meinungsmachern und dem Establishment.

nemo: “Die bislang fehlende Partizipation breiterer Bevölkerungsschichten ist sicherlich bedenkenswert, erklärt aber nach meiner Meinung nicht warum diese Erweiterung des ‘öffentlichen Raumes’ mit den Möglichkeiten des Webs bisher nicht die Wirkungsmächtigkeit entfaltet hat, die so viele erwartet haben.”

So konträr und komplex das Thema Online-Partizipation im Forum gehandelt wurde, so stellt sich auch die Studie dar. Oft verschwimmen Begrifflichkeiten, zu oft orientiert sich die Messbarkeit des Outcomes von Online-Formaten einzig in Relation zum analogen Vorgänger. Zu selten wird Online-Handlung differenziert voneinander abgegrenzt, als fehlten echte Definitionen. Noch immer.

Für das Web als neuen Diskursraum, als Raum oppositioneller Möglichkeiten, als Raum neuer kreativer Ideen und echter Macht- und Herrschaftskritik jenseits den Regeln ‘repressiver Toleranz’ spricht für Forist nemo vor allem das Prinzip Wikileaks, das unser aller Bewusstsein für die Hintergründe und Folgen politischer Entscheidungs- und Handlungsprozesse geschärft habe. Auch das Verhindern von ACTA gilt vielen DiskussionsteilnehmerInnen als Zeichen für web-generierten Protest, der sich auf die Straße trug, in einer neuen europäischen Öffentlichkeit.

Nicht wenige aber sind noch immer vom Web ausgeschlossen. Politisches Desinteresse, Misstrauen in die etablierte Parteienlanschaft oder das Gefühl, keine Stimme zu haben, werden sich zudem nicht einfach so durch das Angebot zum Mitreden online in Luft auflösen.

UserIn Michelle meint daran anknüpfend: “Vertrauen in die politischen Institutionen aufzubauen und Lust an Beteiligung zu wecken sind Generationenaufgaben, Bildungsaufgaben. Ein Wandel in der politischen Kultur. Das braucht Zeit. Verfrühte Resignation aufgrund überhöhter Erwartungen würde diesen Prozess im Keim ersticken.”

Für Julia (HIIG) HIIG stecken die Chancen von Online-Partizipation vor allem in der Verbindung mit traditionellen, analogen Partizipationsmöglichkeiten, in einem sogenannten ‘Medienmix’. Die Online-Komponente könne so effektiv Öffentlichkeit für anschließende Offline-Veranstaltungen generieren und vice versa. So könne auch auf der kleineren (kommunalen) Ebene und mit Rücksicht auf weniger internetaffine Gruppen Politik nah am Bürger gemacht werden. Darüber hinaus partizipieren NutzerInnen und BürgerInnen überhaupt nur dann, wenn sie sich ernst genommen fühlen, so gilt es gleichermaßen das wechselseitige Vertrauen zwischen Politik und Wählerschaft wieder herzustellen.

Wo UserIn isabel sich noch darüber sorgt, dass wir es bei Unterzeichnern von Online-Petitionen hauptsächlich mit ‘Geeks und Nerds’ zu tun haben, mit einer ‘digitalen Elite’ also, die sie nicht für repräsentativ hält begreift nemo das Netz vielmehr als Chance auf einen Wege aus der der ‘Krise der Repräsentation’ (Michelsen/Walter).