Nach dem Mord an Redakteuren der französischen Zeitung Charlie Hebdo bekunden Berliner auf dem Pariser Platz ihre Solidarität. GeertV wünscht sich als Reaktion, persönlich miteinander zu reden. Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com.
Ein Beitrag von GeertV
Unter dem Eindruck des verstörenden Mordes an den Redakteuren von Charlie Hebdo überlege ich die ganze Zeit, was jetzt miteinander zu besprechen ist.
Debatten über den Islam kann ich jetzt gerade nicht ertragen. Was haben sie denn jemals gebracht? Ich sehe den Vorsitzenden der deutschen Muslime auf allen Kanälen, von ntv über N24 bis ARD und ZDF diesen Anschlag verurteilen. Was denn auch sonst? Das wird vielen PEGIDAS nicht reichen, viele werden wohl nie zufrieden sein mit diesen Deutschen, mit diesen Europäern muslimischen Glaubens.
Ich kenne insgesamt sechs Muslime, unterschiedlicher könnten sie - auch im Glauben und in der Kultur - gar nicht sein. Ein Kurde, eine Türkin, ein Libanese, drei Palästinenser. Sie sind alle - wen wundert's? - keine Terroristen. Und ich erwarte von ihnen nicht, vor einer gottlosen PEGIDA-AfD-NPD-Inquisition Bekenntnisse abzulegen, gegen etwas, was sie nicht sind, nie waren, nie sein werden. Vor so manchen Leuten, die bei den Lichterketten in den 90er Jahren nicht dabei waren, weil sie klammheimlich oder offen Verständnis für Lichtenhagen und Mölln hatten. Ich kann verstehen, wenn Muslime diese mittelalterliche Sippenhaft verweigern, denn schon diese aktuell wieder massiv um sich greifende Konstruktion von Sippen wider besserer Menschenkenntnis muss endlich aufhören. Wie weisheits-resistent, realitäts-fremd und menschenscheu sind wir eigentlich schon wieder geworden?
Wenn wir jetzt alle zusammen gegen diesen ganzen Wahnsinn demonstrieren. Schön. Noch schöner fände ich, wenn wir alle miteinander reden, persönlich, woher wir auch kommen. Anstatt kontakt- und berührungslos ueber Gruppen zu reden, die nur in der ängstlichen, gnadenlos plump vereinfachenden Fiktion als zusammenlebens-untaugliche und menschen-blinde Abstraktion existieren. Wo diese stockdunkle Fiktion über "die" Anderen hinführen kann, haben uns Extremisten und Fanatiker mit ihren Ideologien schon so oft gezeigt, eben heute der Terrorist, der den am Boden liegenden Polizisten in Paris erschoss, im "Glauben", das Richtige zu tun. Hätte er den Polizisten gekannt, vielleicht jahrelang, vielleicht auch nur ein wenig, er hätte das nicht so kalt und ohne den Moment eines Zögerns tun können, da bin ich mir sicher. So etwas geht nur verblendet. Das geht nur nach einem langen Prozess des "Entmenschlichens" anderer, lebendiger Menschen. Das geht nur in einer Gedankenwelt, in der die Fiktion, die Karikatur, die Satire, ein Grund sein kann, jemanden zu töten.
Es wundert mich überhaupt nicht, dass dort gegen den Islam demonstriert wird, wo es keine muslimischen Menschen gibt. Wo die Fiktion keinen Realitäts-Clash bekommt. Es wundert mich überhaupt nicht, dass der sonst ständig lachende türkischsstämmige Spätkauf-Besitzer mit dem schrägen Humor verstört vor dem Laptop sass und im Internet alles über den Charlie Hebdo-Anschlag las, als ich eben gerade zu ihm reinkam. Er sagte ungefragt vor sich hin: "krank, einfach nur krank, diese Typen". Er war genauso durch wie ich. Nach heute.
Dann sagte er: "Wie diese Idioten schon aussehen!".
Nun, ehrlich gesagt sieht der Späkauf-Besitzer den üblichen Verdächtigen ziemlich ähnlich: schwarze Haare, schwarzer Vollbart. Aber auf den Gedanken, er sei ein islamistischer Terrorist oder irgendeine Gefahr für unser Miteinander käme ich nicht. Dafür kenne ich ihn schon zu lange.
Fast jedes Mal, wenn ich bei ihm Zigaretten kaufe, sagt er ganz ernst: "Das macht 5.000 Euro". Worauf ich dann ganz ernst sage: "Du wirst aber auch jeden Tag billiger". Und dann lachen wir zufrieden. Heute war es anders.
Wen ich noch nicht kenne, sind die PEGIDAS. Also nehme ich mir jetzt vor, in diesem Jahr welche zu treffen. Analysen, Abstraktionen und Fiktionen über ganze "Volksgruppen" kann ich einfach nicht mehr lesen. Auch möchte ich alle aufrufen, 2015 jemanden kennenzulernen, dessen Kultur, Denken oder Aussehen fremd erscheint. Schluss mit der Fiktion.