1999 war die Euro-Euphorie unter den beteiligten Finanzministern groß. Braucht es 16 Jahre später einen Neustart? Foto: EU-Kommission (1999)
Aktuell feilen die Euro-Staaten an ihrer künftigen Währungsgemeinschaft. Auch auf Publixphere wird vom großen Wurf geträumt - etwa von einer Europäischen Republik. Der EU-Experte Michael WohlgemuthOpen Europe Berlin ist allerdings skeptisch. Machen es sich EU-Föderalisten zu einfach?
Ein Beitrag von Michael WohlgemuthOpen Europe Berlin
Es geht mir hier nicht um „Mehr Europa oder weniger Europa“ – solche Diskussionen sind meist oberflächlich und unsinnig. Es geht um eine „bessere EU“ – und das kann in manchen Bereichen mehr Macht für Brüssel bedeuten, in anderen weniger. „Mehr Union“ ist sicher in der Flüchtlingskrise angesagt. Aber darum geht es hier jetzt mal nicht. Sondern um die europäische Wirtschafts- und Währungsunion (WWU), kurz die Eurozone.
Die Binse hierzu lautet: die WWU sei ein „politisches Projekt“ und das entscheidende Manko der WWU die unvollendete „politische Union“. Das ist leicht gesagt. Kritisch wird es, sobald konkretere Vorschläge präsentiert werden. Nun liegen aus Brüssel, Berlin und Paris neue Konzepte und Visionen vor. Das dabei souverän ignorierte Problem ist nur: für weitgehende und konkrete Schritte in Richtung „politische Union“ fehlt die rechtlich und demokratisch legitimierende Substanz.
Diesen Sommer wurde ein „5-Präsidenten-Bericht“ vorgelegt: „Die Wirtschafts- und Währungsunion Europas vollenden“. Der Entwurf ist insgesamt überaus vage (hierzu mehr hier). Vor allem zur eigentlichen „politischen Union“ sagen die fünf EU-Präsidenten kaum Substantielles oder Konkretes.
Anders in Paris und Berlin (hierzu mehr hier).
Wirtschaftsregierung vs. Wirtschaftsverfassung
In Paris wurde schon immer von einer „politischen Union“ gesprochen. Europäische „Wirtschaftsregierung“ meint hier vor allem: Vergemeinschaftung der Schulden der Eurozone, noch mehr fiskalpolitisches Engagement der EZB, gemeinsame Steuern der EU, gemeinsames Budget der Eurozone, gemeinsame europäische Arbeitslosenversicherung, gemeinsame Einlagensicherung und mehr europäische Industriepolitik, konkret: Subventionen für europäische (französische) Champions, Hilfen und Protektion für „Verlierer“ der Globalisierung.
Anstelle ordnungspolitischer Regeln der Selbstbindung von Regierungen sollen „politische“ Entscheidungen stehen, intergouvernementale Willensakte von Staatschefs, die gedeckt oder getrieben von einer Mehrheit in einem Parlament der Eurozone über ein durch vergemeinschaftete Steuern und Schulden finanziertes Eurozonenbudget verfügen.
In Berlin fordert man (zumindest Wolfgang Schäuble) auch eine „Fiskalunion“, meint damit aber etwas ganz Anderes. Diese „politische“ Union soll weitgehend „entpolitisiert“ werden; verbindliche Regeln (etwa des „Fiskalpakts“) sollen durch möglichst automatische Sanktionen oder mithilfe unabhängiger Organe durchgesetzt werden. Wirtschaftsverfassung statt Wirtschaftsregierung! Diese Formel würde auf zentrale Ideen der ordo-liberalen „Freiburger Schule“ zurückgreifen, die einst als Grundlage der Sozialen Marktwirtschaft dienten. Das hieße aber Primat regelbasierter Ordnungspolitik gegenüber interventionistischer Prozesspolitik.
Voraussetzung: Vorraussetzung: Volksabstimmung
Die Vorschläge aus Paris und Berlin entsprechen stärker der Vision eines europäischen Bundesstaats, wenn auch eines jeweils sehr unterschiedlichen: eines diskretionär-interventionistischen oder eines regelgebunden-ordnungspolitischen. Eine Zustimmung aller 28 Mitgliedstaaten zu dem einen oder anderen europäischen Wirtschaftsmodell ist illusorisch. Bestenfalls kommt es zu einer typisch „europäischen“ Lösung mit unklar definierten Elementen aus beiden Visionen.
Wie auch immer: jede Variante einer politischen Union verlangt demokratische Legitimation nicht nur der Vertragsänderung selbst, sondern auch des Vollzugs einer Verlagerung zentraler Elemente bisher nationalstaatlicher Ausübung von Souveränität.
Das Bundesverfassungsgericht wird nicht müde festzustellen, dass die EU kein Bundesstaat werden könne, solange das deutsche Volk einem solchen Schritt nicht in einer Volksabstimmung zugestimmt habe. Dabei geht es um den Kernbestand staatlicher Souveränität: das Budget- und Steuerrecht.
"EU-Föderalisten sind in einiger Verlegenheit"
Freilich haben sich die „roten Linien“ aus Karlsruhe am Ende noch immer als recht flexibel erwiesen. Die Pläne der fünf Präsidenten sind hinreichend vage. Solange deutsche Budgetbelastungen in ihrem Umfang begrenzt bleiben und der jeweiligen Zustimmung des Bundestags unterliegen, könnte da noch etwas gehen. Anders ist es mit bundesstaatlichen Visionen, nach denen EU-Organe eigene Steuerkompetenzen erhalten und Schulden, Arbeitslosenversicherungen oder Spareinlagen „vergemeinschaftet“ werden sollen. Dann gilt verfassungsrechtlich wie demokratietheoretisch die Losung der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung: “no taxation without representation!“ (übersetzt etwa: „Keine Besteuerung ohne gewählte politische Vertretung!“).
Das EU-Parlament oder ein daraus destilliertes „Eurozonen-Parlament“ ist hierauf keine Antwort. Denn es fehlt ein weiteres zentrales demokratisch-rechtsstaatliches Prinzip: „one man, one vote“. Die Stimme eines Maltesers hat bei Europawahlen über elf Mal mehr Gewicht als die einer Deutschen.
Gerade demokratisch-egalitaristisch gesinnte EU-Föderalisten sind deshalb in einiger Verlegenheit. Sie müssen eine pan-europäische Öffentlichkeit, Identität und Solidarität und damit entgegen empirischer Evidenz die Entstehung eines funktionierenden pan-europäischen Parteiensystems imaginieren oder simulieren.
Einfach schon einmal mit „politischer Union“ als europäischer Wirtschaftsregierung oder Wirtschaftsverfassung zu beginnen in der Hoffnung, dass ein europäischer Demos einem elitär-vorauseilenden Quasi-Bundesstaat schon eines Tages folgen wird, ist ein riskantes Unterfangen. Es könnte die europäische Einigung eher beschädigen denn fördern (mehr dazu hier und hier).
Einladung: Alle Interessierten sind herzlich eingeladen, unter #EURemix das Europa der Zukunft auf Publixphere zu diskutieren - über alle politischen Ansätze und ökonomischen Denkschulen hinweg.
Links zur Debatte:
European Republic: Europa: Eine neue Version ist verfügbar
Ulrike Guérot: United we stand?
Project for Democratic Union: Schäuble - Der letzte deutsche Patriot
Redaktion: Juncker-Plan, Grexit, Demokratie