Lissabon 2013: Eine Aktivistin protestiert gegen die Troika und die Reformpolitik in Portugal. Foto: Pedro Ribeiro Simões CC BY 2.0
Ein Beitrag von Österreichischer Gewerkschaftsbund
Von David Hafner, ÖGB-Europabüro Brüssel
Troika treibt Arbeitsmarktliberalisierung voran
Die Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF hat in den Krisenstaaten, die die Finanzhilfe der europäischen Rettungsschirme in Anspruch nehmen mussten, einen harten Liberalisierungskurs durchgesetzt. Dies geschah nicht nur durch massive Einschnitte in die Sozialsysteme und vor allem Pensionen, sondern auch durch direkte Eingriffe in die Lohnpolitik und die Kollektivvertragssysteme. In ihrer Arbeitsmarktpolitik hat sich die Troika hauptsächlich auf Lohnkürzungen beschränkt. In verschiedenen Publikationen hat insbesondere die Europäische Kommission ihre Zielsetzung deutlich gemacht. In einer Studie der Kommission (Labour Market Developments 2012) wurde ein genauer Fahrplan zur Arbeitsmarktliberalisierung vorgezeichnet. Eine Veränderung der Lohnsysteme sollte über die Reduktion der Deckungsrate von Kollektivverträgen und über eine radikale Dezentralisierung der Lohnverhandlungen erreicht werden. Insbesondere die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften sollte gebrochen werden.
Aushöhlung von Kollektivverträgen
Die Troika hat die Pläne auch weitgehend umgesetzt: Seit 2012 haben 80 Prozent der Betriebskollektivverträge in Griechenland Lohnkürzungen enthalten. Besonders dramatisch war die Entwicklung in Portugal. Die Allgemeinverbindlichkeit von Kollektivverträgen wurde stark eingeschränkt. Die Anzahl der Beschäftigten, die diesen unterliegt, ist daher zwischen 2011 und 2012 von 1,2 Millionen auf knapp über 300.000 gesunken. Auch in Irland und Zypern ist das Kollektivvertragssystem de facto zusammengebrochen. Der soziale Dialog und die von der Kommission in offiziellen Dokumenten gepriesene Sozialpartnerschaft wurden geschwächt und teilweise völlig ausgehebelt. Eingriffe in souveräne Entscheidungsrechte dieser Länder haben das Vertrauen vieler Menschen in die Demokratie stark erschüttert. Dabei sind auch die wirtschaftlichen Erfolge ausgeblieben: Das Wachstum in der EU ist auf einem Tiefpunkt angelangt, die Arbeitslosigkeit steigt auf nie gekannte Rekordwerte, vor allem die Jugendlichen haben in weiten Teilen der Union keine Perspektive mehr. Die wirtschaftliche und soziale Katastrophe in einigen Mitgliedstaaten wird auch Folgen für die übrigen Länder der EU nach sich ziehen. Die negativen Auswirkungen der einseitigen Sparpolitik auf das Wachstum in der EU wurden systematisch unterschätzt. Die sozialpolitischen Ziele der EU-2020-Strategie (Steigerung der Beschäftigung, Armutsbekämpfung) werden durch diese Politik konterkariert und geraten zunehmend in weite Ferne.
Parlament und ILO sehen Menschenrechte verletzt
Die aggressive Reformpolitik der Troika wurde in Hinblick auf rechtliche Bedenken vom Europäischen Parlament und von der International Labour Organisation (ILO) gerügt. Ein umfassendes Rechtsgutachten von AK (Arbeiterkammer) und ÖGB (Österreichischer Gewerkschaftsbund) bestätigte diese Vorwürfe. Seit dem Vertrag von Lissabon umfasst das Primärrecht der Europäischen Union auch eine Grundrechtscharta. Geschützt sind dadurch etwa das Grundrecht auf Tariffreiheit, das Menschenrecht auf Arbeit, das Menschenrecht auf Wohnung und soziale Sicherheit, das Menschenrecht auf Gesundheit sowie das Menschenrecht auf Eigentum.
Da das Unionsrecht auch in der Krise gilt, sind alle europäischen Organe und Institutionen zu seiner Beachtung verpflichtet. Es gibt keinen Ausnahmezustand, der das Unionsrecht suspendiert. Das gilt ganz besonders für die Grundrechte, an die die Kommission und die Zentralbank in all ihren Handlungen gebunden sind. Durch deren Beteiligung an der Troika bzw. an der Memorandapolitik, die unverhältnismäßige Eingriffe in das Arbeitsrecht und die Sozialsysteme vorschreibt, wurden diese wesentlichen durch die Grundrechtecharta, aber auch durch völkervertragliche Menschenrechtskodifikationen geschützten Rechte beeinträchtigt.