Der Skandal in den Medien – brutale Form der Menschenjagd oder dringend benötigte Aufklärung? - Historie

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  • Der Skandal in den Medien – brutale Form der Menschenjagd oder dringend benötigte Aufklärung?

    von Community Management , angelegt

    Wikileaks Mobile Information Collection Unit (CC BY 2.0) Wikileaks Mobile Information Collection Unit (CC BY 2.0) Wikileaks-Truck vor Fox-News-Zentrale. Foto & Teaser: Wikileaks Mobile Information Collection Unit CC BY 2.0


    Ein Beitrag von Hanne Detel

    Skandale sind, das lässt sich leicht zeigen, überall. Und es ist unendlich leicht geworden, sich zu empören – auch ohne das Informationsgewitter der digitalen Überall-Medien. Man muss nur eine Zeitung zur Hand nehmen, am besten die mit den großen Schlagzeilen. Man muss nur die Abendnachrichten einschalten, vorzugsweise die der privaten Sender. Man muss sich nur in irgendeiner Weise mit den Erregungsmaschinen der modernen Mediengesellschaft verbinden. Und schon ist er da, unabweisbar, aufdringlich und laut: der Skandal. Er treibt uns um, wenn auch nur für kurze Zeit; er fordert Opfer, die wir schnell vergessen; er zwingt zur öffentlichen Buße, was uns freut.

    Es gibt Finanz- und Korruptionsskandale, Sex- und Missbrauchsskandale, Skandale des Feuilletons und der intellektuellen Debatte, politische Skandale, Skandale der Kirchen und der Gewerkschaften, der Unternehmen, der Banken und der Medien, des Sports, des Theaters und der Literatur. „Tag für Tag“, so der Philosoph Peter Sloterdijk, „versuchen Journalisten neue Erreger in die Arena einzuschleusen, und sie beobachten, ob der Skandal, den sie auslösen wollen, zu blühen beginnt. Man darf nicht vergessen, dass in jeder modernen Nation jeden Tag zwanzig bis dreißig Erregungsvorschläge lanciert werden, von denen naturgemäß die meisten nicht zu dem gewünschten Ergebnis führen. Die moderne Gesellschaft ist zwar eine sehr skandalisierungsfreudige Lebensform, aber sie nimmt nicht jeden Skandalisierungsvorschlag auf. Die meisten Erregungsvorschläge werden abgelehnt oder mit mäßigem Interesse studiert.“

    Wenn es jedoch zum Skandal kommt, dann ist der Moment der kollektiven Empörung besonders aufschlussreich. Denn hier probt die Allgemeinheit das große moralische Gespräch und erklärt sich, welche Werte gelten oder doch gelten sollen. Im Skandalschrei offenbaren Einzelne oder auch ganze Nationen ihr Verständnis von Normalität und vergewissern sich ihrer Werte: je gleichförmiger die Entrüstung, desto stabiler und akzeptierter das Wertesystem, das verletzt wurde. Eine offene, eine pluralistische Gesellschaft, die sich nicht mehr an positiv zu bestimmende Werte gebunden fühlt, eine Gesellschaft, die in ganz unterschiedliche Welten und Wirklichkeiten zerfällt, fingiert eine Einheit, eine kollektive Moral in der Abgrenzung und dem gemeinsamen Zorn auf das, was sie als schlecht und böse erkannt hat. Auch die Konfrontation mit dem Abseitigen, dem Unmoralischen und Skandalösen erlaubt es, so schon Emile Durkheim, der Mitbegründer der modernen Soziologie, letztlich moralische Normen zu bekräftigen und in der Grenzüberschreitung die Grenze selbst wieder sichtbar zu machen. Das ist die Moral der Unmoral.

    Allerdings hat die allgemeine Skandalsucht, diese moderne Form der Wertedebatte, keine besonders gute Presse. Man nimmt sie eher angewidert zur Kenntnis. Im Kampf um Aufmerksamkeit und Marktanteile praktizierten Journalisten, so heißt es, eine brutale Form der Menschenjagd. Der Skandal werde zu einer überaus schädlichen Kommunikationsform. Wahrheit, meint beispielsweise der Kommunikationswissenschaftler Hans Mathias Kepplinger, sei zwar noch erkennbar, habe aber in der Regel keine Chance sich durchzusetzen. Ohnehin sei der Skandalisierer mehr Künstler als Analytiker, der den Skandal erst kreativ aus dem Material von Missständen produziere. Das heißt: Der in den Massenmedien lancierte und verbreitete Skandal ist bei genauerer Betrachtung Instrument der Aufklärung – und der Gegenaufklärung. Er erzwingt, oft äußerst brutal und effektiv, dies lässt sich positiv verbuchen, Verantwortung und den womöglich dringend gebotenen Neuanfang – und stimuliert doch andererseits häufig nur die gedankenarme Schadenfreude, den voyeuristischen Zeitvertreib, das kollektive Amüsement über den dramatischen Absturz der einst gefeierten Helden. Er setzt Themen und lässt die moralische Debatte dringlich erscheinen, schüchtert Mächtige ein, zerstört Hierarchien der Herrschaft und erreicht mitunter die Kraft einer urdemokratischen Wahl, die gefährliche Charismatiker und Despoten zu Fall bringt. Der Skandal hat zwei Gesichter.

    Was ist Eure Meinung zum Skandal in den Medien? Welches der beiden Gesichter kommt häufiger zum Vorschein? Geht es den Medien Eurer Ansicht nach vor allem um Aufklärung, um Auflage oder aber um Macht?


    Der Beitrag ist in längerer Form im Buch „Der entfesselte Skandal. Das Ende der Kontrolle im digitalen Zeitalter“ der beiden Tübinger Medien- und Kommunikationswissenschaftler Bernhard Pörksen und Hanne Detel erschienen (Herbert von Halem Verlag, 2012).

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    Wikileaks Mobile Information Collection Unit (CC BY 2.0)Wikileaks-Truck vor Fox-News-Zentrale. Foto & Teaser: Wikileaks Mobile Information Collection Unit CC BY 2.0 Link: https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/de/ (CC BY 2.0)


    Ein Beitrag von Hanne Detel

    Skandale sind, das lässt sich leicht zeigen, überall. Und es ist unendlich leicht geworden, sich zu empören – auch ohne das Informationsgewitter der digitalen Überall-Medien. Man muss nur eine Zeitung zur Hand nehmen, am besten die mit den großen Schlagzeilen. Man muss nur die Abendnachrichten einschalten, vorzugsweise die der privaten Sender. Man muss sich nur in irgendeiner Weise mit den Erregungsmaschinen der modernen Mediengesellschaft verbinden. Und schon ist er da, unabweisbar, aufdringlich und laut: der Skandal. Er treibt uns um, wenn auch nur für kurze Zeit; er fordert Opfer, die wir schnell vergessen; er zwingt zur öffentlichen Buße, was uns freut.

    Es gibt Finanz- und Korruptionsskandale, Sex- und Missbrauchsskandale, Skandale des Feuilletons und der intellektuellen Debatte, politische Skandale, Skandale der Kirchen und der Gewerkschaften, der Unternehmen, der Banken und der Medien, des Sports, des Theaters und der Literatur. „Tag für Tag“, so der Philosoph Peter Sloterdijk, „versuchen Journalisten neue Erreger in die Arena einzuschleusen, und sie beobachten, ob der Skandal, den sie auslösen wollen, zu blühen beginnt. Man darf nicht vergessen, dass in jeder modernen Nation jeden Tag zwanzig bis dreißig Erregungsvorschläge lanciert werden, von denen naturgemäß die meisten nicht zu dem gewünschten Ergebnis führen. Die moderne Gesellschaft ist zwar eine sehr skandalisierungsfreudige Lebensform, aber sie nimmt nicht jeden Skandalisierungsvorschlag auf. Die meisten Erregungsvorschläge werden abgelehnt oder mit mäßigem Interesse studiert.“

    Wenn es jedoch zum Skandal kommt, dann ist der Moment der kollektiven Empörung besonders aufschlussreich. Denn hier probt die Allgemeinheit das große moralische Gespräch und erklärt sich, welche Werte gelten oder doch gelten sollen. Im Skandalschrei offenbaren Einzelne oder auch ganze Nationen ihr Verständnis von Normalität und vergewissern sich ihrer Werte: je gleichförmiger die Entrüstung, desto stabiler und akzeptierter das Wertesystem, das verletzt wurde. Eine offene, eine pluralistische Gesellschaft, die sich nicht mehr an positiv zu bestimmende Werte gebunden fühlt, eine Gesellschaft, die in ganz unterschiedliche Welten und Wirklichkeiten zerfällt, fingiert eine Einheit, eine kollektive Moral in der Abgrenzung und dem gemeinsamen Zorn auf das, was sie als schlecht und böse erkannt hat. Auch die Konfrontation mit dem Abseitigen, dem Unmoralischen und Skandalösen erlaubt es, so schon Emile Durkheim, der Mitbegründer der modernen Soziologie, letztlich moralische Normen zu bekräftigen und in der Grenzüberschreitung die Grenze selbst wieder sichtbar zu machen. Das ist die Moral der Unmoral.

    Allerdings hat die allgemeine Skandalsucht, diese moderne Form der Wertedebatte, keine besonders gute Presse. Man nimmt sie eher angewidert zur Kenntnis. Im Kampf um Aufmerksamkeit und Marktanteile praktizierten Journalisten, so heißt es, eine brutale Form der Menschenjagd. Der Skandal werde zu einer überaus schädlichen Kommunikationsform. Wahrheit, meint beispielsweise der Kommunikationswissenschaftler Hans Mathias Kepplinger, sei zwar noch erkennbar, habe aber in der Regel keine Chance sich durchzusetzen. Ohnehin sei der Skandalisierer mehr Künstler als Analytiker, der den Skandal erst kreativ aus dem Material von Missständen produziere. Das heißt: Der in den Massenmedien lancierte und verbreitete Skandal ist bei genauerer Betrachtung Instrument der Aufklärung – und der Gegenaufklärung. Er erzwingt, oft äußerst brutal und effektiv, dies lässt sich positiv verbuchen, Verantwortung und den womöglich dringend gebotenen Neuanfang – und stimuliert doch andererseits häufig nur die gedankenarme Schadenfreude, den voyeuristischen Zeitvertreib, das kollektive Amüsement über den dramatischen Absturz der einst gefeierten Helden. Er setzt Themen und lässt die moralische Debatte dringlich erscheinen, schüchtert Mächtige ein, zerstört Hierarchien der Herrschaft und erreicht mitunter die Kraft einer urdemokratischen Wahl, die gefährliche Charismatiker und Despoten zu Fall bringt. Der Skandal hat zwei Gesichter.

    Was ist Eure Meinung zum Skandal in den Medien? Welches der beiden Gesichter kommt häufiger zum Vorschein? Geht es den Medien Eurer Ansicht nach vor allem um Aufklärung, um Auflage oder aber um Macht?


    Der Beitrag ist in längerer Form im Buch „Der entfesselte Skandal. Das Ende der Kontrolle im digitalen Zeitalter“ der beiden Tübinger Medien- und Kommunikationswissenschaftler Bernhard Pörksen und Hanne Detel erschienen (Herbert von Halem Verlag, 2012).

  • Der Skandal in den Medien – brutale Form der Menschenjagd oder dringend benötigte Aufklärung?

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    Ein Beitrag von Hanne Detel Link: https://publixphere.net/i/publixphere-de/user/HanneDetel/about

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    Es gibt Finanz- und Korruptionsskandale, Sex- und Missbrauchsskandale, Skandale des Feuilletons und der intellektuellen Debatte, politische Skandale, Skandale der Kirchen und der Gewerkschaften, der Unternehmen, der Banken und der Medien, des Sports, des Theaters und der Literatur. „Tag für Tag“, so der Philosoph Peter Sloterdijk, „versuchen Journalisten neue Erreger in die Arena einzuschleusen, und sie beobachten, ob der Skandal, den sie auslösen wollen, zu blühen beginnt. Man darf nicht vergessen, dass in jeder modernen Nation jeden Tag zwanzig bis dreißig Erregungsvorschläge lanciert werden, von denen naturgemäß die meisten nicht zu dem gewünschten Ergebnis führen. Die moderne Gesellschaft ist zwar eine sehr skandalisierungsfreudige Lebensform, aber sie nimmt nicht jeden Skandalisierungsvorschlag auf. Die meisten Erregungsvorschläge werden abgelehnt oder mit mäßigem Interesse studiert.“

    Wenn es jedoch zum Skandal kommt, dann ist der Moment der kollektiven Empörung besonders aufschlussreich. Denn hier probt die Allgemeinheit das große moralische Gespräch und erklärt sich, welche Werte gelten oder doch gelten sollen. Im Skandalschrei offenbaren Einzelne oder auch ganze Nationen ihr Verständnis von Normalität und vergewissern sich ihrer Werte: je gleichförmiger die Entrüstung, desto stabiler und akzeptierter das Wertesystem, das verletzt wurde. Eine offene, eine pluralistische Gesellschaft, die sich nicht mehr an positiv zu bestimmende Werte gebunden fühlt, eine Gesellschaft, die in ganz unterschiedliche Welten und Wirklichkeiten zerfällt, fingiert eine Einheit, eine kollektive Moral in der Abgrenzung und dem gemeinsamen Zorn auf das, was sie als schlecht und böse erkannt hat. Auch die Konfrontation mit dem Abseitigen, dem Unmoralischen und Skandalösen erlaubt es, so schon Emile Durkheim, der Mitbegründer der modernen Soziologie, letztlich moralische Normen zu bekräftigen und in der Grenzüberschreitung die Grenze selbst wieder sichtbar zu machen. Das ist die Moral der Unmoral.

    Allerdings hat die allgemeine Skandalsucht, diese moderne Form der Wertedebatte, keine besonders gute Presse. Man nimmt sie eher angewidert zur Kenntnis. Im Kampf um Aufmerksamkeit und Marktanteile praktizierten Journalisten, so heißt es, eine brutale Form der Menschenjagd. Der Skandal werde zu einer überaus schädlichen Kommunikationsform. Wahrheit, meint beispielsweise der Kommunikationswissenschaftler Hans Mathias Kepplinger, sei zwar noch erkennbar, habe aber in der Regel keine Chance sich durchzusetzen. Ohnehin sei der Skandalisierer mehr Künstler als Analytiker, der den Skandal erst kreativ aus dem Material von Missständen produziere. Das heißt: Der in den Massenmedien lancierte und verbreitete Skandal ist bei genauerer Betrachtung Instrument der Aufklärung – und der Gegenaufklärung. Er erzwingt, oft äußerst brutal und effektiv, dies lässt sich positiv verbuchen, Verantwortung und den womöglich dringend gebotenen Neuanfang – und stimuliert doch andererseits häufig nur die gedankenarme Schadenfreude, den voyeuristischen Zeitvertreib, das kollektive Amüsement über den dramatischen Absturz der einst gefeierten Helden. Er setzt Themen und lässt die moralische Debatte dringlich erscheinen, schüchtert Mächtige ein, zerstört Hierarchien der Herrschaft und erreicht mitunter die Kraft einer urdemokratischen Wahl, die gefährliche Charismatiker und Despoten zu Fall bringt. Der Skandal hat zwei Gesichter.

    Was ist Eure Meinung zum Skandal in den Medien? Welches der beiden Gesichter kommt häufiger zum Vorschein? Geht es den Medien Eurer Ansicht nach vor allem um Aufklärung, um Auflage oder aber um Macht?


    Der Beitrag ist in längerer Form im Buch „Der entfesselte Skandal. Das Ende der Kontrolle im digitalen Zeitalter“ der beiden Tübinger Medien- und Kommunikationswissenschaftler Bernhard Pörksen und Hanne Detel erschienen (Herbert von Halem Verlag, 2012).

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    von Redaktion, angelegt

    Wikileaks Mobile Information Collection Unit (CC BY 2.0)Wikileaks-Truck vor Fox-News-Zentrale. Foto & Teaser: Wikileaks Mobile Information Collection Unit (CC BY 2.0)


    Skandale sind, das lässt sich leicht zeigen, überall. Und es ist unendlich leicht geworden, sich zu empören – auch ohne das Informationsgewitter der digitalen Überall-Medien. Man muss nur eine Zeitung zur Hand nehmen, am besten die mit den großen Schlagzeilen. Man muss nur die Abendnachrichten einschalten, vorzugsweise die der privaten Sender. Man muss sich nur in irgendeiner Weise mit den Erregungsmaschinen der modernen Mediengesellschaft verbinden. Und schon ist er da, unabweisbar, aufdringlich und laut: der Skandal. Er treibt uns um, wenn auch nur für kurze Zeit; er fordert Opfer, die wir schnell vergessen; er zwingt zur öffentlichen Buße, was uns freut.

    Es gibt Finanz- und Korruptionsskandale, Sex- und Missbrauchsskandale, Skandale des Feuilletons und der intellektuellen Debatte, politische Skandale, Skandale der Kirchen und der Gewerkschaften, der Unternehmen, der Banken und der Medien, des Sports, des Theaters und der Literatur. „Tag für Tag“, so der Philosoph Peter Sloterdijk, „versuchen Journalisten neue Erreger in die Arena einzuschleusen, und sie beobachten, ob der Skandal, den sie auslösen wollen, zu blühen beginnt. Man darf nicht vergessen, dass in jeder modernen Nation jeden Tag zwanzig bis dreißig Erregungsvorschläge lanciert werden, von denen naturgemäß die meisten nicht zu dem gewünschten Ergebnis führen. Die moderne Gesellschaft ist zwar eine sehr skandalisierungsfreudige Lebensform, aber sie nimmt nicht jeden Skandalisierungsvorschlag auf. Die meisten Erregungsvorschläge werden abgelehnt oder mit mäßigem Interesse studiert.“

    Wenn es jedoch zum Skandal kommt, dann ist der Moment der kollektiven Empörung besonders aufschlussreich. Denn hier probt die Allgemeinheit das große moralische Gespräch und erklärt sich, welche Werte gelten oder doch gelten sollen. Im Skandalschrei offenbaren Einzelne oder auch ganze Nationen ihr Verständnis von Normalität und vergewissern sich ihrer Werte: je gleichförmiger die Entrüstung, desto stabiler und akzeptierter das Wertesystem, das verletzt wurde. Eine offene, eine pluralistische Gesellschaft, die sich nicht mehr an positiv zu bestimmende Werte gebunden fühlt, eine Gesellschaft, die in ganz unterschiedliche Welten und Wirklichkeiten zerfällt, fingiert eine Einheit, eine kollektive Moral in der Abgrenzung und dem gemeinsamen Zorn auf das, was sie als schlecht und böse erkannt hat. Auch die Konfrontation mit dem Abseitigen, dem Unmoralischen und Skandalösen erlaubt es, so schon Emile Durkheim, der Mitbegründer der modernen Soziologie, letztlich moralische Normen zu bekräftigen und in der Grenzüberschreitung die Grenze selbst wieder sichtbar zu machen. Das ist die Moral der Unmoral.

    Allerdings hat die allgemeine Skandalsucht, diese moderne Form der Wertedebatte, keine besonders gute Presse. Man nimmt sie eher angewidert zur Kenntnis. Im Kampf um Aufmerksamkeit und Marktanteile praktizierten Journalisten, so heißt es, eine brutale Form der Menschenjagd. Der Skandal werde zu einer überaus schädlichen Kommunikationsform. Wahrheit, meint beispielsweise der Kommunikationswissenschaftler Hans Mathias Kepplinger, sei zwar noch erkennbar, habe aber in der Regel keine Chance sich durchzusetzen. Ohnehin sei der Skandalisierer mehr Künstler als Analytiker, der den Skandal erst kreativ aus dem Material von Missständen produziere. Das heißt: Der in den Massenmedien lancierte und verbreitete Skandal ist bei genauerer Betrachtung Instrument der Aufklärung – und der Gegenaufklärung. Er erzwingt, oft äußerst brutal und effektiv, dies lässt sich positiv verbuchen, Verantwortung und den womöglich dringend gebotenen Neuanfang – und stimuliert doch andererseits häufig nur die gedankenarme Schadenfreude, den voyeuristischen Zeitvertreib, das kollektive Amüsement über den dramatischen Absturz der einst gefeierten Helden. Er setzt Themen und lässt die moralische Debatte dringlich erscheinen, schüchtert Mächtige ein, zerstört Hierarchien der Herrschaft und erreicht mitunter die Kraft einer urdemokratischen Wahl, die gefährliche Charismatiker und Despoten zu Fall bringt. Der Skandal hat zwei Gesichter.

    Was ist Eure Meinung zum Skandal in den Medien? Welches der beiden Gesichter kommt häufiger zum Vorschein? Geht es den Medien Eurer Ansicht nach vor allem um Aufklärung, um Auflage oder aber um Macht?


    Der Beitrag ist in längerer Form im Buch „Der entfesselte Skandal. Das Ende der Kontrolle im digitalen Zeitalter“ der beiden Tübinger Medien- und Kommunikationswissenschaftler Bernhard Pörksen und Hanne Detel erschienen (Herbert von Halem Verlag, 2012).

  • Der Skandal in den Medien – brutale Form der Menschenjagd oder dringend benötigte Aufklärung?

    von Hanne Detel, angelegt

    Skandale sind, das lässt sich leicht zeigen, überall. Und es ist unendlich leicht geworden, sich zu empören – auch ohne das Informationsgewitter der digitalen Überall-Medien. Man muss nur eine Zeitung zur Hand nehmen, am besten die mit den großen Schlagzeilen. Man muss nur die Abendnachrichten einschalten, vorzugsweise die der privaten Sender. Man muss sich nur in irgendeiner Weise mit den Erregungsmaschinen der modernen Mediengesellschaft verbinden. Und schon ist er da, unabweisbar, aufdringlich und laut: der Skandal. Er treibt uns um, wenn auch nur für kurze Zeit; er fordert Opfer, die wir schnell vergessen; er zwingt zur öffentlichen Buße, was uns freut.

    Es gibt Finanz- und Korruptionsskandale, Sex- und Missbrauchsskandale, Skandale des Feuilletons und der intellektuellen Debatte, politische Skandale, Skandale der Kirchen und der Gewerkschaften, der Unternehmen, der Banken und der Medien, des Sports, des Theaters und der Literatur. „Tag für Tag“, so der Philosoph Peter Sloterdijk, „versuchen Journalisten neue Erreger in die Arena einzuschleusen, und sie beobachten, ob der Skandal, den sie auslösen wollen, zu blühen beginnt. Man darf nicht vergessen, dass in jeder modernen Nation jeden Tag zwanzig bis dreißig Erregungsvorschläge lanciert werden, von denen naturgemäß die meisten nicht zu dem gewünschten Ergebnis führen. Die moderne Gesellschaft ist zwar eine sehr skandalisierungsfreudige Lebensform, aber sie nimmt nicht jeden Skandalisierungsvorschlag auf. Die meisten Erregungsvorschläge werden abgelehnt oder mit mäßigem Interesse studiert.“

    Wenn es jedoch zum Skandal kommt, dann ist der Moment der kollektiven Empörung besonders aufschlussreich. Denn hier probt die Allgemeinheit das große moralische Gespräch und erklärt sich, welche Werte gelten oder doch gelten sollen. Im Skandalschrei offenbaren Einzelne oder auch ganze Nationen ihr Verständnis von Normalität und vergewissern sich ihrer Werte: je gleichförmiger die Entrüstung, desto stabiler und akzeptierter das Wertesystem, das verletzt wurde. Eine offene, eine pluralistische Gesellschaft, die sich nicht mehr an positiv zu bestimmende Werte gebunden fühlt, eine Gesellschaft, die in ganz unterschiedliche Welten und Wirklichkeiten zerfällt, fingiert eine Einheit, eine kollektive Moral in der Abgrenzung und dem gemeinsamen Zorn auf das, was sie als schlecht und böse erkannt hat. Auch die Konfrontation mit dem Abseitigen, dem Unmoralischen und Skandalösen erlaubt es, so schon Emile Durkheim, der Mitbegründer der modernen Soziologie, letztlich moralische Normen zu bekräftigen und in der Grenzüberschreitung die Grenze selbst wieder sichtbar zu machen. Das ist die Moral der Unmoral.

    Allerdings hat die allgemeine Skandalsucht, diese moderne Form der Wertedebatte, keine besonders gute Presse. Man nimmt sie eher angewidert zur Kenntnis. Im Kampf um Aufmerksamkeit und Marktanteile praktizierten Journalisten, so heißt es, eine brutale Form der Menschenjagd. Der Skandal werde zu einer überaus schädlichen Kommunikationsform. Wahrheit, meint beispielsweise der Kommunikationswissenschaftler Hans Mathias Kepplinger, sei zwar noch erkennbar, habe aber in der Regel keine Chance sich durchzusetzen. Ohnehin sei der Skandalisierer mehr Künstler als Analytiker, der den Skandal erst kreativ aus dem Material von Missständen produziere. Das heißt: Der in den Massenmedien lancierte und verbreitete Skandal ist bei genauerer Betrachtung Instrument der Aufklärung – und der Gegenaufklärung. Er erzwingt, oft äußerst brutal und effektiv, dies lässt sich positiv verbuchen, Verantwortung und den womöglich dringend gebotenen Neuanfang – und stimuliert doch andererseits häufig nur die gedankenarme Schadenfreude, den voyeuristischen Zeitvertreib, das kollektive Amüsement über den dramatischen Absturz der einst gefeierten Helden. Er setzt Themen und lässt die moralische Debatte dringlich erscheinen, schüchtert Mächtige ein, zerstört Hierarchien der Herrschaft und erreicht mitunter die Kraft einer urdemokratischen Wahl, die gefährliche Charismatiker und Despoten zu Fall bringt. Der Skandal hat zwei Gesichter.

    Was ist Eure Meinung zum Skandal in den Medien? Welches der beiden Gesichter kommt häufiger zum Vorschein? Geht es den Medien Eurer Ansicht nach vor allem um Aufklärung, um Auflage oder aber um Macht?


    Der Beitrag ist in längerer Form im Buch „Der entfesselte Skandal. Das Ende der Kontrolle im digitalen Zeitalter“ der beiden Tübinger Medien- und Kommunikationswissenschaftler Bernhard Pörksen und Hanne Detel erschienen (Herbert von Halem Verlag, 2012).

  • Der Skandal in den Medien – brutale Form der Menschenjagd oder dringend benötigte Aufklärung?

    von Hanne Detel, angelegt

    Skandale sind, das lässt sich leicht zeigen, überall. Und es ist unendlich leicht geworden, sich zu empören – auch ohne das Informationsgewitter der digitalen Überall-Medien. Man muss nur eine Zeitung zur Hand nehmen, am besten die mit den großen Schlagzeilen. Man muss nur die Abendnachrichten einschalten, vorzugsweise die der privaten Sender. Man muss sich nur in irgendeiner Weise mit den Erregungsmaschinen der modernen Mediengesellschaft verbinden. Und schon ist er da, unabweisbar, aufdringlich und laut: der Skandal. Er treibt uns um, wenn auch nur für kurze Zeit; er fordert Opfer, die wir schnell vergessen; er zwingt zur öffentlichen Buße, was uns freut.

    Es gibt Finanz- und Korruptionsskandale, Sex- und Missbrauchsskandale, Skandale des Feuilletons und der intellektuellen Debatte, politische Skandale, Skandale der Kirchen und der Gewerkschaften, der Unternehmen, der Banken und der Medien, des Sports, des Theaters und der Literatur. „Tag für Tag“, so der Philosoph Peter Sloterdijk, „versuchen Journalisten neue Erreger in die Arena einzuschleusen, und sie beobachten, ob der Skandal, den sie auslösen wollen, zu blühen beginnt. Man darf nicht vergessen, dass in jeder modernen Nation jeden Tag zwanzig bis dreißig Erregungsvorschläge lanciert werden, von denen naturgemäß die meisten nicht zu dem gewünschten Ergebnis führen. Die moderne Gesellschaft ist zwar eine sehr skandalisierungsfreudige Lebensform, aber sie nimmt nicht jeden Skandalisierungsvorschlag auf. Die meisten Erregungsvorschläge werden abgelehnt oder mit mäßigem Interesse studiert.“

    Wenn es jedoch zum Skandal kommt, dann ist der Moment der kollektiven Empörung besonders aufschlussreich. Denn hier probt die Allgemeinheit das große moralische Gespräch und erklärt sich, welche Werte gelten oder doch gelten sollen. Im Skandalschrei offenbaren Einzelne oder auch ganze Nationen ihr Verständnis von Normalität und vergewissern sich ihrer Werte: je gleichförmiger die Entrüstung, desto stabiler und akzeptierter das Wertesystem, das verletzt wurde. Eine offene, eine pluralistische Gesellschaft, die sich nicht mehr an positiv zu bestimmende Werte gebunden fühlt, eine Gesellschaft, die in ganz unterschiedliche Welten und Wirklichkeiten zerfällt, fingiert eine Einheit, eine kollektive Moral in der Abgrenzung und dem gemeinsamen Zorn auf das, was sie als schlecht und böse erkannt hat. Auch die Konfrontation mit dem Abseitigen, dem Unmoralischen und Skandalösen erlaubt es, so schon Emile Durkheim, der Mitbegründer der modernen Soziologie, letztlich moralische Normen zu bekräftigen und in der Grenzüberschreitung die Grenze selbst wieder sichtbar zu machen. Das ist die Moral der Unmoral.

    Allerdings hat die allgemeine Skandalsucht, diese moderne Form der Wertedebatte, keine besonders gute Presse. Man nimmt sie eher angewidert zur Kenntnis. Im Kampf um Aufmerksamkeit und Marktanteile praktizierten Journalisten, so heißt es, eine brutale Form der Menschenjagd. Der Skandal werde zu einer überaus schädlichen Kommunikationsform. Wahrheit, meint beispielsweise der Kommunikationswissenschaftler Hans Mathias Kepplinger, sei zwar noch erkennbar, habe aber in der Regel keine Chance sich durchzusetzen. Ohnehin sei der Skandalisierer mehr Künstler als Analytiker, der den Skandal erst kreativ aus dem Material von Missständen produziere. Das heißt: Der in den Massenmedien lancierte und verbreitete Skandal ist bei genauerer Betrachtung Instrument der Aufklärung – und der Gegenaufklärung. Er erzwingt, oft äußerst brutal und effektiv, dies lässt sich positiv verbuchen, Verantwortung und den womöglich dringend gebotenen Neuanfang – und stimuliert doch andererseits häufig nur die gedankenarme Schadenfreude, den voyeuristischen Zeitvertreib, das kollektive Amüsement über den dramatischen Absturz der einst gefeierten Helden. Er setzt Themen und lässt die moralische Debatte dringlich erscheinen, schüchtert Mächtige ein, zerstört Hierarchien der Herrschaft und erreicht mitunter die Kraft einer urdemokratischen Wahl, die gefährliche Charismatiker und Despoten zu Fall bringt. Der Skandal hat zwei Gesichter.

    Was ist Eure Meinung zum Skandal in den Medien? Welches der beiden Gesichter kommt häufiger zum Vorschein? Geht es den Medien Eurer Ansicht nach vor allem um Aufklärung, um Auflage oder aber um Macht?

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    Der Beitrag ist in längerer Form im Buch „Der entfesselte Skandal. Das Ende der Kontrolle im digitalen Zeitalter“ der beiden Tübinger Medien- und Kommunikationswissenschaftler Bernhard Pörksen und Hanne Detel erschienen (Herbert von Halem Verlag, 2012).

  • Der Skandal in den Medien – brutale Form der Menschenjagd oder dringend benötigte Aufklärung?

    von Hanne Detel, angelegt

    Skandale sind, das lässt sich leicht zeigen, überall. Und es ist unendlich leicht geworden, sich zu empören – auch ohne das Informationsgewitter der digitalen Überall-Medien. Man muss nur eine Zeitung zur Hand nehmen, am besten die mit den großen Schlagzeilen. Man muss nur die Abendnachrichten einschalten, vorzugsweise die der privaten Sender. Man muss sich nur in irgendeiner Weise mit den Erregungsmaschinen der modernen Mediengesellschaft verbinden. Und schon ist er da, unabweisbar, aufdringlich und laut: der Skandal. Er treibt uns um, wenn auch nur für kurze Zeit; er fordert Opfer, die wir schnell vergessen; er zwingt zur öffentlichen Buße, was uns freut.

    Es gibt Finanz- und Korruptionsskandale, Sex- und Missbrauchsskandale, Skandale des Feuilletons und der intellektuellen Debatte, politische Skandale, Skandale der Kirchen und der Gewerkschaften, der Unternehmen, der Banken und der Medien, des Sports, des Theaters und der Literatur. „Tag für Tag“, so der Philosoph Peter Sloterdijk, „versuchen Journalisten neue Erreger in die Arena einzuschleusen, und sie beobachten, ob der Skandal, den sie auslösen wollen, zu blühen beginnt. Man darf nicht vergessen, dass in jeder modernen Nation jeden Tag zwanzig bis dreißig Erregungsvorschläge lanciert werden, von denen naturgemäß die meisten nicht zu dem gewünschten Ergebnis führen. Die moderne Gesellschaft ist zwar eine sehr skandalisierungsfreudige Lebensform, aber sie nimmt nicht jeden Skandalisierungsvorschlag auf. Die meisten Erregungsvorschläge werden abgelehnt oder mit mäßigem Interesse studiert.“

    Wenn es jedoch zum Skandal kommt, dann ist der Moment der kollektiven Empörung besonders aufschlussreich. Denn hier probt die Allgemeinheit das große moralische Gespräch und erklärt sich, welche Werte gelten oder doch gelten sollen. Im Skandalschrei offenbaren Einzelne oder auch ganze Nationen ihr Verständnis von Normalität und vergewissern sich ihrer Werte: je gleichförmiger die Entrüstung, desto stabiler und akzeptierter das Wertesystem, das verletzt wurde. Eine offene, eine pluralistische Gesellschaft, die sich nicht mehr an positiv zu bestimmende Werte gebunden fühlt, eine Gesellschaft, die in ganz unterschiedliche Welten und Wirklichkeiten zerfällt, fingiert eine Einheit, eine kollektive Moral in der Abgrenzung und dem gemeinsamen Zorn auf das, was sie als schlecht und böse erkannt hat. Auch die Konfrontation mit dem Abseitigen, dem Unmoralischen und Skandalösen erlaubt es, so schon Emile Durkheim, der Mitbegründer der modernen Soziologie, letztlich moralische Normen zu bekräftigen und in der Grenzüberschreitung die Grenze selbst wieder sichtbar zu machen. Das ist die Moral der Unmoral.

    Allerdings hat die allgemeine Skandalsucht, diese moderne Form der Wertedebatte, keine besonders gute Presse. Man nimmt sie eher angewidert zur Kenntnis. Im Kampf um Aufmerksamkeit und Marktanteile praktizierten Journalisten, so heißt es, eine brutale Form der Menschenjagd. Der Skandal werde zu einer überaus schädlichen Kommunikationsform. Wahrheit, meint beispielsweise der Kommunikationswissenschaftler Hans Mathias Kepplinger, sei zwar noch erkennbar, habe aber in der Regel keine Chance sich durchzusetzen. Ohnehin sei der Skandalisierer mehr Künstler als Analytiker, der den Skandal erst kreativ aus dem Material von Missständen produziere. Das heißt: Der in den Massenmedien lancierte und verbreitete Skandal ist bei genauerer Betrachtung Instrument der Aufklärung – und der Gegenaufklärung. Er erzwingt, oft äußerst brutal und effektiv, dies lässt sich positiv verbuchen, Verantwortung und den womöglich dringend gebotenen Neuanfang – und stimuliert doch andererseits häufig nur die gedankenarme Schadenfreude, den voyeuristischen Zeitvertreib, das kollektive Amüsement über den dramatischen Absturz der einst gefeierten Helden. Er setzt Themen und lässt die moralische Debatte dringlich erscheinen, schüchtert Mächtige ein, zerstört Hierarchien der Herrschaft und erreicht mitunter die Kraft einer urdemokratischen Wahl, die gefährliche Charismatiker und Despoten zu Fall bringt. Der Skandal hat zwei Gesichter.

    Was ist Eure Meinung zum Skandal in den Medien? Welches der beiden Gesichter kommt häufiger zum Vorschein? Geht es den Medien Eurer Ansicht nach vor allem um Aufklärung, um Auflage oder aber um Macht?

    -- Der Beitrag ist in längerer Form im Buch „Der entfesselte Skandal. Das Ende der Kontrolle im digitalen Zeitalter“ der beiden Tübinger Medien- und Kommunikationswissenschaftler Bernhard Pörksen und Hanne Detel erschienen (Herbert von Halem Verlag, 2012).

  • Der Skandal in den Medien – brutale Form der Menschenjagd oder dringend benötigte Aufklärung?

    von Hanne Detel, angelegt

    Skandale sind, das lässt sich leicht zeigen, überall. Und es ist unendlich leicht geworden, sich zu empören – auch ohne das Informationsgewitter der digitalen Überall-Medien. Man muss nur eine Zeitung zur Hand nehmen, am besten die mit den großen Schlagzeilen. Man muss nur die Abendnachrichten einschalten, vorzugsweise die der privaten Sender. Man muss sich nur in irgendeiner Weise mit den Erregungsmaschinen der modernen Mediengesellschaft verbinden. Und schon ist er da, unabweisbar, aufdringlich und laut: der Skandal. Er treibt uns um, wenn auch nur für kurze Zeit; er fordert Opfer, die wir schnell vergessen; er zwingt zur öffentlichen Buße, was uns freut.

    Es gibt Finanz- und Korruptionsskandale, Sex- und Missbrauchsskandale, Skandale des Feuilletons und der intellektuellen Debatte, politische Skandale, Skandale der Kirchen und der Gewerkschaften, der Unternehmen, der Banken und der Medien, des Sports, des Theaters und der Literatur. „Tag für Tag“, so der Philosoph Peter Sloterdijk, „versuchen Journalisten neue Erreger in die Arena einzuschleusen, und sie beobachten, ob der Skandal, den sie auslösen wollen, zu blühen beginnt. Man darf nicht vergessen, dass in jeder modernen Nation jeden Tag zwanzig bis dreißig Erregungsvorschläge lanciert werden, von denen naturgemäß die meisten nicht zu dem gewünschten Ergebnis führen. Die moderne Gesellschaft ist zwar eine sehr skandalisierungsfreudige Lebensform, aber sie nimmt nicht jeden Skandalisierungsvorschlag auf. Die meisten Erregungsvorschläge werden abgelehnt oder mit mäßigem Interesse studiert.“

    Wenn es jedoch zum Skandal kommt, dann ist der Moment der kollektiven Empörung besonders aufschlussreich. Denn hier probt die Allgemeinheit das große moralische Gespräch und erklärt sich, welche Werte gelten oder doch gelten sollen. Im Skandalschrei offenbaren Einzelne oder auch ganze Nationen ihr Verständnis von Normalität und vergewissern sich ihrer Werte: je gleichförmiger die Entrüstung, desto stabiler und akzeptierter das Wertesystem, das verletzt wurde. Eine offene, eine pluralistische Gesellschaft, die sich nicht mehr an positiv zu bestimmende Werte gebunden fühlt, eine Gesellschaft, die in ganz unterschiedliche Welten und Wirklichkeiten zerfällt, fingiert eine Einheit, eine kollektive Moral in der Abgrenzung und dem gemeinsamen Zorn auf das, was sie als schlecht und böse erkannt hat. Auch die Konfrontation mit dem Abseitigen, dem Unmoralischen und Skandalösen erlaubt es, so schon Emile Durkheim, der Mitbegründer der modernen Soziologie, letztlich moralische Normen zu bekräftigen und in der Grenzüberschreitung die Grenze selbst wieder sichtbar zu machen. Das ist die Moral der Unmoral.

    Allerdings hat die allgemeine Skandalsucht, diese moderne Form der Wertedebatte, keine besonders gute Presse. Man nimmt sie eher angewidert zur Kenntnis. Im Kampf um Aufmerksamkeit und Marktanteile praktizierten Journalisten, so heißt es, eine brutale Form der Menschenjagd. Der Skandal werde zu einer überaus schädlichen Kommunikationsform. Wahrheit, meint beispielsweise der Kommunikationswissenschaftler Hans Mathias Kepplinger, sei zwar noch erkennbar, habe aber in der Regel keine Chance sich durchzusetzen. Ohnehin sei der Skandalisierer mehr Künstler als Analytiker, der den Skandal erst kreativ aus dem Material von Missständen produziere. Das heißt: Der in den Massenmedien lancierte und verbreitete Skandal ist bei genauerer Betrachtung Instrument der Aufklärung – und der Gegenaufklärung. Er erzwingt, oft äußerst brutal und effektiv, dies lässt sich positiv verbuchen, Verantwortung und den womöglich dringend gebotenen Neuanfang – und stimuliert doch andererseits häufig nur die gedankenarme Schadenfreude, den voyeuristischen Zeitvertreib, das kollektive Amüsement über den dramatischen Absturz der einst gefeierten Helden. Er setzt Themen und lässt die moralische Debatte dringlich erscheinen, schüchtert Mächtige ein, zerstört Hierarchien der Herrschaft und erreicht mitunter die Kraft einer urdemokratischen Wahl, die gefährliche Charismatiker und Despoten zu Fall bringt. Der Skandal hat zwei Gesichter.

    Was ist Eure Meinung zum Skandal in den Medien? Welches der beiden Gesichter kommt häufiger zum Vorschein? Geht es den Medien Eurer Ansicht nach vor allem um Aufklärung, um Auflage oder aber um Macht?

    Der Beitrag ist in längerer Form im Buch „Der entfesselte Skandal. Das Ende der Kontrolle im digitalen Zeitalter“ der beiden Tübinger Medien- und Kommunikationswissenschaftler Bernhard Pörksen und Hanne Detel erschienen (Herbert von Halem Verlag, 2012).