Ansichten der Fraktionen im Europäischen Parlament zu den Themen „Migration und Flucht“

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Aufgrund der durch den Vertrag von Lissabon neu erlangten legislativen Befugnisse des Europäischen Parlaments im Rahmen der EU-Gesetzgebung werden zunächst in Kurzform Gesetzgebungskompetenz und Gesetzgebungsverfahren der EU darstellt. Im Anschluss folgen die Ansichten der Fraktionen im Europäischen Parlament zu den Themen „Migration und Flucht“.

Gesetzgebungskompetenz / Gesetzgebungsverfahren

Gemäß dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 1 EUV) darf die EU nur gesetzgeberisch tätig werden, wenn ihr in den Verträgen eine ausdrückliche Ermächtigung hierzu erteilt wird. Grundlage für die Ermächtigung zur Gesetzgebung im Bereich Asyl und Einwanderung sind Art. 77 ff. AEUV. Bei der Entwicklung eines europäischen Asylsystems und einer gemeinsamen Einwanderungspolitik werden das Europäische Parlament und der Rat im Verfahren der Mitentscheidung (Art. 294 AEUV) tätig. Hier entscheiden das Parlament, in dem die Bürger der Union repräsentiert sind, und der Rat, als Vertretung der mitgliedsstaatlichen Regierungen, gleichberechtigt über das Zustandekommen eines Gesetzes: Ohne ein beidseitiges Einverständnis kann eine Rechtsvorschrift nicht erlassen werden. Das Mitentscheidungsverfahren findet in etwa drei Viertel aller Gesetzgebungsvorhaben Anwendung, ist also das wichtigste Verfahren zur Rechtsetzung auf EU-Ebene.

Gesetzgebungsinitiative

Nachdem die Kommission einen Gesetzgebungsvorschlag gemacht hat, wird dieser zwischen Parlament und Rat verhandelt. Die Kommission hat das alleinige Initiativrecht, Rat und Parlament können sie jedoch dazu auffordern, von diesem Recht Gebrauch zu machen. Mit Hilfe einer Europäischen Bürgerinitiative können dies auch Bürger tun.

Erste Lesung

Der Kommissionsvorschlag gelangt zu Rat und Parlament. Im Parlament wird sodann der zuständige Ausschuss mit dem Entwurf befasst, der dann über die Initiative beraten und Änderungsvorschläge machen kann. Dann stimmt das Plenum über den Vorschlag ab und das Ergebnis wird dem Rat zugeleitet. Stimmt der Rat dem unveränderten Gesetzestext, der die Zustimmung des Parlaments erhalten hat oder den Änderungen zu, ist das Gesetz zustande gekommen. Der Rat kann aber ebenfalls Änderungen vornehmen, die in einem gemeinsamen Standpunkt benannt und begründet werden. Dieser gemeinsame Standpunkt wird zur zweiten Lesung an das Europäische Parlament übermittelt.

Zweite Lesung

Mit einfacher Mehrheit kann das Parlament den Standpunkt des Rates annehmen und das Gesetz zustande bringen. Billigt das Parlament den Standpunkt des Rates jedoch nicht, kann es ihn mit der Mehrheit seiner Mitglieder ablehnen, womit das Gesetz gescheitert wäre. Auch hat es die Möglichkeit, den gemeinsamen Standpunkt des Rates erneut zu ändern. Dafür ist ebenfalls die Mehrheit der Parlamentsmitglieder nötig. In diesem Fall nimmt die Kommission Stellung zu den Änderungswünschen des Parlaments. Mit dieser Stellungnahme entscheidet sich, welche Mehrheit sodann im Rat, in der dort stattfindenden zweiten Lesung nötig ist, damit das Gesetz zustande kommen kann. Hat die Kommission die Änderungswünsche des Parlaments gebilligt, so kann der Rat den Gesetzentwurf in dieser Fassung mit qualifizierter Mehrheit annehmen. Hat die Kommission die Änderungen des Parlaments jedoch abgelehnt, muss der Rat ihnen einstimmig zustimmen, um das Gesetz erlassen zu können. Sollte der Rat das Gesetz in der vom Parlament gewünschten Fassung ablehnen, ist ein Vermittlungsausschuss einzuberufen.

Vermittlungsausschuss

Im Vermittlungsausschuss versuchen sich die Ratsmitglieder und eine zahlenmäßig entsprechende Anzahl an Parlamentsmitgliedern auf einen gemeinsamen Gesetzesentwurf zu einigen. Die Kommission nimmt an den Arbeiten teil. Wird innerhalb von sechs Wochen keine Fassung des Gesetzes gefunden, der beide Seiten zustimmen können, ist das Gesetz gescheitert. Gelingt es dem Vermittlungsausschuss jedoch, einen Entwurf zu erarbeiten, so haben Rat und Parlament in dritter Lesung über diesen Text zu entscheiden.

Dritte Lesung

Damit aus dem Entwurf des Vermittlungsausschusses ein Rechtsakt werden kann, muss er mit der Mehrheit der Stimmen im Parlament und einer qualifizierten Mehrheit im Rat angenommen werden. Lehnt eines der Organe den Text jedoch ab, ist das Gesetz nicht zustande gekommen.

Ansichten der Fraktionen im Europäischen Parlament

Aus der Struktur des Gesetzgebungsverfahrens ergibt sich, dass das Zustandekommen einer Richtlinie oder Verordnung insbesondere auch vom Parlament abhängig ist. Entscheidend für den Inhalt eines Rechtsaktes sind demnach maßgeblich die verschiedenen Fraktionen innerhalb des Parlaments. Derzeit haben sich im europäischen Parlament sieben starke und weniger starke Fraktionen zusammengefunden, welche im Folgenden sukzessive vorgestellt werden.

Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialisten und Demokraten im Europäischen Parlament (S&D) – 190 Sitze (Abgeordnete der deutschen Partei SPD)

Die Fraktion der S&D fordert, die Europäische Union müsse im Bereich Migration und Asyl in drei Richtungen wirken, die sie mit den Überbegriffen Prävention, Schutz und Integration umschreibt.

Die Steuerung von Migration soll Ziel und die Prävention von Migration ein Mittel zur Erreichung sein. Sie erklärt, nur durch Beseitigen der politischen und wirtschaftlichen Ursachen, die in den Herkunftsländern Menschen zum Auswandern zwingen, könne illegale Zuwanderung verhindert werden. Eine dieser Ursachen sei politische Instabilität und die EU müsse durch ihre Außenbeziehungen und Entwicklungszusammenarbeit mit den Herkunftsländern zur Förderung der Demokratie beitragen. Auch müsse die Entwicklungspolitik der EU darauf abzielen, besonders schutzbedürftigen Gruppen der Gesellschaft (Kinder und unbegleitete Minderjährige, Frauen und Mädchen, LGBTI-Personen) zu mehr Rechten und Chancen zu verhelfen. EU-Hilfen dürften nicht daran gekoppelt werden, dass Herkunftsländer Migrationsströme zu steuern versuchen und Rückübernahmeabkommen schließen, mit denen der Grundsatz der Nichtzurückweisung nicht einzuhalten ist. Die Fraktion ist zudem der Ansicht, die EU-Visapolitik könne auch zur Demokratisierung und zum Aufbau von Wohlstand in Drittländern eingesetzt werden. Dort könne eine positive Entwicklung durch das Knüpfen persönlicher und geschäftlicher Kontakte, durch wissenschaftlichen und kulturellen Austausch mit der EU angestoßen werden. So befürwortet die Fraktion der S&D Visaerleichterungen und eine Liberalisierung der Visumsvergabe für alle Länder, die illegale Migration bekämpfen.

Um Migranten und Asylsuchende, die Europa etwa auf dem Seeweg zu erreichen versuchen, besser zu schützen, verlangt die S&D, die Grenzschutzagentur FRONTEX müsse Such- und Rettungsmaßnahmen aktiver unterstützen. Die Grenzschutzmitarbeiter müssten die nötige Ausbildung erhalten, sodass sie die einschlägigen Bestimmungen des EU-Rechts und des Völkerrechts, einschließlich der Grundrechte kennen. Außerdem fordert die Fraktion, die Mittel für FRONTEX und das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) seien mit dem Ziel aufzustocken, dass diese die Mitgliedstaaten etwa bei Rettungsaktionen auf See künftig besser unterstützen können. Die EU und die Mitgliedstaaten müssten außerdem alle Rechtsvorschriften ändern oder überarbeiten, auf deren Grundlage Strafe dafür droht, Migranten in Seenot Hilfe zu leisten. Um jene Mitgliedsstaaten, in denen verhältnismäßig viele Asylsuchende ankommen, zu unterstützen und damit letztlich die Schutzsuchenden selbst zu schützen, müsse es in der EU mehr Umsiedlungsangebote wie das Pilotprojekt EUREMA geben. In dessen Rahmen wurden in Malta angekommene Flüchtlinge mit internationalem Schutzstatus in anderen Mitgliedsstaaten aufgenommen. Nicht nur durch finanzielle Unterstützung sei Solidarität mit den betroffenen Mitgliedstaaten zu üben. Dies betreffe allerdings nicht nur EU-Mitgliedstaaten, sondern genauso die außer-europäischen Länder, die den Großteil der Flüchtlinge aufgenommen hätten. Bei humanitären Krisen müssten die EU und ihre Mitgliedsstaaten alle rechtlichen Wege prüfen, Geflüchteten eine vorübergehende Einreise in die EU zu ermöglichen.
Zu EU-internen Grenzkontrollen vertritt die Fraktion die Position, Migrationsströme dürften nicht als Bedrohung der inneren Sicherheit gewertet werden und rechtfertigten nicht die Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen.

Auch möchte die S&D-Fraktion Fortschritte auf dem Gebiet der Integration erreichen. Dabei geht es ihr zum Beispiel um die Rechte von Arbeitnehmern aus dem Ausland, deren arbeitsrechtliche Lage umso schlechter sei, je kürzer die Dauer ihres Aufenthalts. Die Fraktion fordert, Arbeitsmigranten das Recht auf Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft zu garantieren. Generell sei dafür zu sorgen, dass Migranten vollwertige Mitglieder der Gesellschaft würden, letztendlich durch die Aussicht auf Einbürgerung. Alles andere würde zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft führen – eine solche aber stünde im Widerspruch zu den grundlegenden Werten der EU. Wichtig sei zudem der Zugang zu Bildung generell und speziell Ausbildung sowie medizinische Versorgung für Migranten und ihre Kinder, auch wenn sie keine gültigen Ausweispapiere haben. Zur Umsetzung dieser Maßnahmen sei der EU-Haushalt entsprechend aufzustocken. Die S&D fordert, die Beschränkung für die Einstellung von Drittstaatsangehörigen im öffentlichen Dienst aufzuheben; zumindest soweit es nicht um öffentliche Ämter geht. Zudem müsse Bürgern mit rechtmäßigen Wohnsitz in Europa nach einem gewissen Zeitraum das Recht zur Teilnahme an kommunalen, nationalen und regionalen Wahlen gewährt werden.

Fraktion der Europäischen Volkspartei (Christdemokraten) – 219 Sitze (Abgeordnete der deutschen Partei CDU)

Nach Ansicht der EVP-Fraktion handelt es sich bei der Einwanderungs- und Asylpolitik um ein politisch heikles Thema für die EU. Sie bewertet es als problematisch, dass die Asylfrage innerhalb der EU nicht einheitlich behandelt werde, obwohl es im Großteil der Union Binnengrenzen nicht mehr gibt. So habe die in einem Mitgliedstaat getroffene Entscheidung, Asyl zu gewähren, direkte Auswirkungen auf die anderen Mitgliedstaaten. Die Mitgliedsstaaten müssten die bestehenden Vorschriften des gemeinsamen Asylsystems vollständig umsetzen. Menschen, die vor politischer Verfolgung und vor Bürgerkriegen fliehen, sei mit Erteilung des Flüchtlingsstatus, beziehungsweise Gewährung von subsidiärem Schutz Zuflucht in Europa zu gewähren. Auch sollten organisiertes Verbrechen und Menschenhandel bekämpft werden; so könnten Tragödien entlang der europäischen Küste verhindert werden.

Gleichzeitig müsse gegen Missbrauch vorgegangen werden und zwischen Flüchtlingen und Wirtschaftsmigranten unterschieden werden. Wirtschaftsmigranten ohne Aufenthaltsgenehmigung müssten im Einklang mit dem Völker- und EU-Recht in ihre Herkunftsländer zurückgeführt werden. Die Fraktion fordert, die EU solle in den Herkunftsländern der Migranten bessere Information über ihre Zuwanderungspolitik und die Risiken einer irregulären Einwanderung zur Verfügung stellen. Zugleich brauche es zielgerichtete Entwicklungshilfe und humanitäre Hilfen. Die Fraktion der europäischen Volkspartei betont, sie respektiere die Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten für die legale Einwanderung zum Zwecke des Arbeitsmarktzugangs. Doch ist sie zugleich der Ansicht, die Mitgliedstaaten sollten EU-Bürgern beim Zugang zum Arbeitsmarkt Vorrang einräumen.

Die EVP-Fraktion ist ebenso wie die der S&D der Ansicht, die finanziellen, personellen und technischen Ressourcen von FRONTEX müssten erhöht werden – allerdings v.a. um dadurch „Europas Grenzen sicherer zu machen“. Zu diesem Zweck sollten auch die Rolle und Befugnisse der Grenzschutzagentur gestärkt werden. Auch die Fraktion der Christdemokraten bemerkt, insbesondere kleinere Länder und Mitgliedstaaten entlang der europäischen Küsten seien mit besonderen Herausforderungen in Bezug auf Migrationsfragen konfrontiert. Sie fordern Verantwortung und Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten, verbunden mit wirksamen Maßnahmen gegen Asylmissbrauch.

Zwar ist auch die EVP-Fraktion der Ansicht, bei der Freizügigkeit als Grundprinzip der EU dürfe es keine Rückschritte geben. Mehr noch solle die Mobilität von Arbeitnehmern in der EU vereinfacht und so erhöht werden. Zugleich fordert sie aber, „Sozialbetrug und Sozialdumping“ dürften nicht toleriert werden. Auch müsse die EU die Kriterien der Familienzusammenführung überprüfen.

Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE) – 69 Sitze (Abgeordnete der deutschen Partei FDP)

Die Fraktion der Allianz der Liberalen und Demokraten (ALDE) legt ihrer Positionierung die Annahme zugrunde, die Unionsbürger erwarteten einen umfassenden und guten Schutz der EU-Außengrenzen und wirkungsvolle Maßnahmen im Kampf gegen illegale Einwanderung. Die Fraktion bewertet dies als gerechtfertigt, betont jedoch zugleich, der Kampf gegen illegale Einwanderung und der Schutz der Grenzen müssten stets in Übereinstimmung mit den Menschenrechten, namentlich dem Recht auf Asyl und dem Prinzip der Nichtzurückweisung stehen.

Auch die Fraktion der ALDE fordert, in der Union müsse ein gemeinsames Asylsystem aller Mitgliedstaaten eingerichtet werden, das fair und menschlich ist und dem Prinzip der gegenseitigen Solidarität gerecht wird. Die mit Asylgesuchen besonders befassten Mitgliedstaaten finanziell zu unterstützen, sei nur ein erster Schritt. Darüberhinaus müsse ein System entwickelt werden, mit dessen Hilfe, die sich mit dem Ankommen der Schutzsuchenden ergebenden Aufgaben, fair unter den Mitgliedstaaten aufgeteilt werden können.

Ähnlich wie die Fraktion der S&D ist die ALDE der Meinung, der Druck durch illegale Einwanderung müsse durch eine Strategie gelindert werden, die in zwei Richtungen zielt. Sowohl den Gründen, aus welchen Migranten ihre Herkunftsländer verlassen als auch den Erwartungen, wegen derer sie die EU erreichen möchten, müsse man sich widmen. Verstärkte Grenzkontrollen allein seien nicht die Lösung, sondern es brauche zugleich eine bessere Entwicklungspolitik. Der Abschluss von Handelspartnerschaften mit den Herkunftsländern und die Auszahlung finanzieller Unterstützung an sie müssten an die Bedingung geknüpft werden, dass sie Demokratie und die Geltung der Menschenrechte vorantreiben. So könne für die Menschen eine Alternative zur irregulären Ausreise aus ihrem Herkunftsland entstehen.

Außerdem spricht sich die Fraktion der Liberalen und Demokraten für eine kohärente und menschliche Politik der Rückführung aus, die in Zusammenarbeit mit den betreffenden Drittländern zu entwickeln sei. Diese müssten die Menschen besser vor den Risiken einer illegalen Einreise in die EU warnen und zugleich über die Möglichkeiten informieren, regulär einzureisen. Rückübernahmeübereinkommen seien nicht bilateral zu schließen, sondern müssten durch und für die ganze Union ausgehandelt werden, um eine dauerhafte, umfassende Lösung zu erhalten. Auch ist die Fraktion der Ansicht, es brauche eine bessere Methode zur Überwachung der EU-Außengrenzen. Sowohl das Mandat, als auch die Ressourcen von FRONTEX müssten überprüft werden. Zudem erklärt die ALDE, besonderes Augenmerk auf den Kampf gegen Menschenhandel legen zu wollen. Mehr als bereits gegenwärtig vorhandene Daten über Migranten zu erheben und zu sammeln, lehnt die Fraktion ab. Sie befürwortet es, möglichst vielen qualifizierten Drittstaatlern die Möglichkeit zu geben, zur Aufnahme einer Beschäftigung in die EU einzureisen. Eine offene Haltung einzunehmen machten der ständige globale Wettbewerb um qualifizierte Arbeitskräfte und der demographische Wandel nötig. Außerdem müsse die Union weitere Visaerleichterungen mit ihren Nachbarländern aushandeln.

Zwar betont die Fraktion die primäre Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Gestaltung der Rechte und Pflichten von Zuwanderern, doch äußert sie zugleich, ihre Integration könne nur gelingen, wenn ihnen in allen Mitgliedstaaten die Grundrechte gewährt werden. Sie müssten das Recht auf Bildung und Ausbildung, Zugang zu Sozialleistungen und Gesundheitsversorgung und die Möglichkeit zur Teilnahme am sozialen, kulturellen und politischen Leben haben. Die Fraktion fordert, in allen Mitgliedstaaten müsse Drittstaatlern und Staatenlosen, die für mehr als fünf Jahre ihren dauerhaften Aufenthalt in der EU hatten, das Recht eingeräumt werden, an Kommunal- und Gemeindewahlen teilzunehmen. Außerdem ist ihr wichtig, Zuwanderer bestmöglich in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Mit Sprachkursen und Integrationskursen sei darauf hinzuwirken, dass Immigranten ebenso gute Einstellungschancen haben, wie ihre einheimischen Mitbewerber. Die Fraktion betont, es brauche einen konstruktiven interkulturellen Dialog und einen bedachten öffentlichen Diskurs über Migration, Integration und Staatsbürgerschaft. Die Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa meint, gelungene Integration erfordere sowohl die Aufnahmebereitschaft der Unionsbürger, als auch den Integrationswillen der Immigranten.

Fraktion der Europäischen Konservative und Reformisten - 72 Sitze (Abgeordnete der deutschen Partei AfD)

Die Fraktion der Europäische Konservative und Reformisten unterstützt ein System von effektiven Migrationskontrollen innerhalb Europas. Die Entscheidungshoheit über die Einwanderung solle dabei allerdings bei den Mitgliedstaaten bleiben. Zwei Argumente der Fraktion dafür sind, dass die Staaten Europas in ihrer Entwicklung und Demographie zu unterschiedlich seien, um eine gemeinsame effektive Migrationspolitik durchzusetzen. Die Mitgliedstaaten sollten nach ihren Bedürfnissen entscheiden können, ob und in welchem Maße sie Migration in ihrem Land zulassen. Dennoch müsse auch die Entwicklung des Binnenmarktes der Europäischen Union in Betracht gezogen werden. Durch das Schengen-Abkommen seien Personen, die sich im Europäischen Raum befinden, mobiler geworden. Dementsprechend müsse die Europäische Union eine koordinierende Rolle in der Kontrolle der Migration innerhalb Europas einnehmen. Diese Rolle gewinne besonders in Fragen der „illegalen Migration“ an Tragkraft, weswegen Kontrollen an den Europäischen Außengrenzen intensiver werden müssten. Die Kontrollkompetenz der Staatsgrenzen solle den Mitgliedstaaten vorbehalten bleiben, die Finanzierung derselben allerdings durch Mitwirkung aller Mitgliedstaaten getragen werden.

Die Fraktion der EKR befürwortet eine koordinierende Rolle der Europäischen Union im Kampf gegen den Menschenhandel. Diese grenzüberschreitende Problematik könne am besten aktiv durch die Stärkung der EU in diesem Bereich eingedämmt werden.

Eine einheitliche Visapolitik wird von der Fraktion als Mittel der Wahl zu einer Koordinierung der Migration vorangebracht. In der Asylpolitik müssten EU und Mitgliedstaaten stärkere Fortschritte machen, um den großen Ansturm von Flüchtlingen zu verhindern. Angesetzt werden müsse dabei in den Herkunftsorten der Flüchtlinge durch eine gemeinsame Finanzierung von Entwicklungshilfeprojekten; Teile dieses bereits bestehenden Etats unterstützen Konfliktverhütungs- und „Good Governace“-Programme. Ein weiterer Teil solle nach Ansicht der EKR-Fraktion möglichst für den Empfang und die Neuansiedlung von Asylsuchenden in ihren Heimatstaaten verwendet werden.

Die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformisten hebt allerdings auch hervor, dass ein klares und faires Verfahren zur Aufnahme von Asylsuchenden in Europa möglich sein muss.

Konföderale Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke – 52 Sitze (Abgeordnete der deutschen Partei DIE LINKE)

Die Abgeordneten der GUE/NGL im Innenausschuss des Europäischen Parlaments haben jüngst am 28. April 2015 einen alternativen 10-Punkte-Plan zur Erneuerung der europäischen Asyl- und Migrationspolitik erarbeitet. Dieser beinhaltet folgende Punkte:

  1. Einrichtung einer groß angelegten internationalen Seenotrettungsmission im zentralen Mittelmeer, einschließlich von Schiffen, die permanent auf See stationiert sind

  2. Sicheren und legalen Zugang für Asylsuchende und Migranten zum Territorium der EU-Staaten, auch durch humanitäre Visa

  3. Strikte Einhaltung des internationalen Verbots der Zurückweisung von Asylsuchenden

  4. Sofortiges Beenden des Khartoum-Prozesses und jeglichen Outsourcings in Drittstaaten

  5. Einfrieren der Entwicklungshilfe für das aktuelle Regime in Eritrea

  6. Anwendung der Dublin-Verordnungaussetzen

  7. Die EU-Richtlinie über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen (Richtlinie 2001/55/EG) für Syrer und Eritreer anwenden

  8. Einrichtung eines für die EU-Staaten verbindlichen Programms für Neuansiedlung

  9. Solidarität zwischen den EU-Staaten bei der Aufnahme von Asylsuchenden und Migranten, einschließlich durch Umverteilungsprogramme

  10. Massive Erhöhung von Hilfen für die Länder in Nahost und Afrika, die am meisten Flüchtlinge und Migranten aufnehmen.

Fraktion Die Grünen/Europäische Freie Allianz (Grüne/EFA) - 50 Sitze (Abgeordnete der deutschen Partei Bündnis 90/Die Grünen)

Die Fraktion der Grünen und der Europäischen Freien Allianz fordern ein radikales Umdenken in der europäischen Einwanderungs- und Asylpolitik, um weitere Katastrophe mit vielen Toten im Mittelmeer zu verhindern. Dafür soll ein ständiges, humanitäres Seenotrettungsprogramm auflegt werden, sichere und legale Zuwanderungswege in die EU geschaffen werden, die Ursachen für Migration in den Herkunftsländern angegangen werden und das Dublin-System durch ein europäisches, solidarisches Asylsystem ersetzt werden.

Ein von der EU und den Mitgliedstaaten finanziertes Seenotrettungsprogramm soll nach dem Vorbild des italienischen Programms „Mare Nostrum“ Flüchtlingsboote auf hoher See aktiv suchen und Flüchtlinge retten. Frontex darf seinem Mandat nach nur auf SOS-Rufe reagieren. Katastrophen, wie in jüngster Zeit, könnte durch diese Herangehensweise vorgebeugt werden.

Nach Schätzungen kommen rund 90 Prozent aller Asylbewerber in der EU irregulär über die Grenzen. Dies ist nach Ansicht der Fraktion der Grünen und der Europäischen freien Allianz eine Folge fehlender legaler und sicherer Zuwanderungswege in Europa. Flüchtlinge und Einwanderer würden gezwungen, ihr Leben in die Hände von Schleppern zu legen und die gefährliche Reise über das Mittelmeer oder andere Grenzen zu wagen. Vor allem im Rahmen von Resettlement-Programmen müssten mehr Flüchtlinge von den EU-Mitgliedstaaten aufgenommen werden. Die EU-Kommission müsse ein gemeinsames, europäisches Resettlement-Programm auferlegen, welches für alle Mitgliedstaaten verbindliche Vorgaben beinhalte. Grundlage dafür solle ein Verteilungsschlüssel sein, der die Bevölkerung, Wirtschaftsfaktoren und die Zahl der bereits aufgenommenen Flüchtlinge berücksichtigt. Nach der UNHCR besteht ein Bedarf an der Aufnahme von circa 370 000 Flüchtlingen. Dafür sollten alle Möglichkeiten für humanitäre Visa genutzt werden. Flüchtlinge aus besonders bedrohten Regionen sollten auch ohne Visa einreisen können (so zum Beispiel Syrer). Darüber hinaus unterstützt die Fraktion nach Empfehlung des UNHCR weitere Zugangsmöglichkeiten wie Familienzusammenführungen, private Sponsorenprogramme oder Studien- und Ausbildungsprogramme.

Die Verantwortung, die von jedem EU-Mitgleidstaat übernommen werden muss, spielt für die Fraktion eine besondere Rolle. Ihrer Meinung nach sei es dringend notwendig sich auf ein Verteilungsprogramm zu einigen und vor allem Flüchtlinge aus den Mitgliedstaaten zu verteilen, die bei der Aufnahme an ihre Grenzen stoßen (Italien, Griechenland, Malta etc.). Ein europäisches, solidarisches Asylsystem solle das Dublin System auf kurz oder lang ersetzen. Der Fraktion der Grünen ist dafür auch besonders wichtig, dass Interessen der Mitgliedstaaten genauso berücksichtigt werden, wie die der Asylbewerber. Asylbewerber sollten dort Asyl beantragen dürfen, wo sie bereits Anknüpfungspunkte haben wie Familienanschluss, bessere Aussichten auf Arbeit oder die Sprache sprechen. Integrationschancen würden dadurch enorm verbessert werden und dazu führen, dass weniger Flüchtlinge zwischen die Mitgliedstaaten „pendeln“. Der Verteilungsschlüssel solle insbesondere für diejenigen gelten, die keine besonderen Anknüpfungspunkte in der Europäischen Union haben. Für die Zusammenarbeit innerhalb der EU müsse dafür gesorgt werden, dass eine gegenseitige Anerkennung von Asylbescheiden zwischen den Mitgliedstaaten möglich gemacht wird. Der Vorschlag, Asylzentren in Drittstaaten einzurichten, wird von der Fraktion der Grünen und Europäischen Freien Allianz deutlich abgelehnt. Ihrer Meinung nach könne das System leicht zur Abwehr von Flüchtlingen genutzt werden, solange noch kein effektives System besteht, Flüchtlinge in Resettlement-Programmen aufzunehmen.

Fraktion Europa der Freiheit und der direkten Demokratie – 47 Sitze (keine Abgeordneten aus Deutschland)

Europa der Freiheit und der direkten Demokratie (EFDD oder EFD) ist die Fraktion im Europäischen Parlament, die Parteien des EU-skeptischen Spektrums umfasst.

Die Fraktion lehnt ein zentralisiertes Asylsystem grundsätzlich ab, um die Souveränität der europäischen Staaten nicht zu gefährden. Gründe dafür liegen für die EFD-Fraktion u.a. in dem demokratisch nicht legitimierten Zustandekommen einer solchen Richtlinie, sowie der Gefahr, durch die Vereinfachung des Asylsystems einen „Ansturm auf Europa“ zu fördern, wodurch nur Menschenhändler profitierten. In weiteren migrationspolitischen Fragen scheint die Fraktion durch die Versammlung zahlreicher Parteien und Meinungen eher zerspalten. Äußerungen zum Umgang mit Asylbewerbern und Zuwanderern beziehen sich auf den jeweiligen Mitgliedstaat - eine europäische Lösung solle es nicht geben.


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