Dokumentation: Bericht über die Auftaktveranstaltung

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  • Bericht über die Auftaktveranstaltung

    von admin, angelegt
    1 Am 26. November 2013 fand der Auftakt der
    2 Veranstaltungsreihe “Europäischer Salon” in der Berliner
    3 Repräsentanz der Robert Bosch Stiftung statt. *Prof. Dr.
    4 Christian Calliess, LL.M.* diskutierte mit den Podiumsgästen
    5 über Europäische Werte, nationalen Populismus und die
    6 Notwendigkeit einer europäischen Öffentlichkeit. Vorbereitet
    7 wurde die Veranstaltung auf der neu etablierten
    8 Internetplattform salon.publixphere.de. Hier wurden vorab
    9 die von den Podiumsgästen eingereichten Statements kritisch
    10 hinterfragt und auch weiterführende Aspekte kontrovers
    11 diskutiert. Im Mittelpunkt des Europäischen Salons steht die
    12 Debatte junger Europäer mit Entscheidungsträgern aus
    13 Politik, Wissenschaft und Medien - online und offline.
    14
    15 Über 150 Veranstaltungsteilnehmer aus der Fachöffentlichkeit
    16 sowie Studenten und Schüler fanden sich zum Auftakt im
    17 Atrium der Stiftungsrepräsentanz zur Diskussion mit dem
    18 Staatsminister im Auswärtigen Amt, *Michael Georg Link*, dem
    19 Vorsitzenden des EU-Ausschusses, *Gunther Krichbaum*, dem
    20 Verfassungsrechtler und Mitglied des Wissenschaftskollegs
    21 Berlin, *Prof. Dr. Christoph Möllers, LL.M.* sowie *Daniel
    22 Fazekas*, Mitglied der ungarischen Bewegung “Milla - eine
    23 Million für die Pressefreiheit”, ein. Die ebenfalls
    24 eingeladene Vizepräsidentin der Europäischen Kommission,
    25 *Viviane Reding*, konnte zwar nicht kommen, sendete zur
    26 Eröffnung aber eine Videobotschaft, in der sie die Bedeutung
    27 der direkten Einbindung der Bürger in die Zukunftsdebatte in
    28 Europa betonte, bevor große Reformen und neue Strukturen
    29 angegangen werden können: “Gerade junge Menschen müssen
    30 [dabei] beginnen, diese Debatte als eine Diskussion über ihr
    31 Europa zu sehen.”
    32
    33 In der zweistündigen Diskussionsveranstaltung standen neben
    34 der Notwendigkeit einer starken europäischen Öffentlichkeit
    35 vor allem europaweit zunehmende populistische Tendenzen und
    36 ihre möglichen Grenzen im Fokus. *Prof. Calliess* stellte
    37 eingangs die europäischen Werte als eine solche Grenze zur
    38 Diskussioneiner. Er fragte, ob die EU die in Art. 2 des EUV
    39 genannten Werte in Aufsicht Unionsaufsicht in den
    40 Mitgliedstaaten durchzusetzen habe und inwieweit das
    41 bestehende Instrumentarium hierfür ausreicht. In ihren
    42 jeweiligen Eingangsstatements setzten sich dann die
    43 Podiumsgäste mit der so aufgeworfenen Frage nach Existenz
    44 und Durchsetzung europäischer Werte eingehend auseinander.
    45
    46 *Staatsminister Link* erläuterte zu Beginn den vom
    47 Auswärtigen Amt unterstützten Vorschlag, durch eine
    48 “Grundwerte-Initiative” - auch als “Rechtsstaatsinitiative”
    49 bekannt - einen politischen Monitoringmechanismus zu
    50 schaffen, der für die Einhaltung der europäischen Werte
    51 durch die Mitgliedstaaten der Europäischen Union Sorge
    52 tragen kann. Es handelt sich dabei um eine gemeinsame
    53 Initiative der Außenminister Deutschlands, Dänemarks,
    54 Finnlands und der Niederlande, der sich mittlerweile viele
    55 Mitgliedstaaten angeschlossen haben und die auch von der
    56 Europäischen Kommission aufgegriffen wurde. Letztere werde
    57 diesbezüglich in der ersten Jahreshälfte 2014 ihren
    58 Umsetzungsvorschlag unterbreiten. Für *Staatsminister Link*
    59 vernachlässigt die EU bisher noch die Arbeit an der
    60 gemeinsamen Wertebasis. Um Grundwerteverstößen
    61 entgegenzuwirken, reiche einerseits der öffentlich durch die
    62 Medienberichterstattung ausgeübte Druck nicht aus,
    63 andererseits seien Sanktionen im Ministerrat nicht
    64 durchsetzbar, dies sei bereits mehrfach von
    65 mitgliedstaatlicher Seite signalisiert worden. Ein
    66 politischer Frühwarnmechanismus wie die
    67 Rechtsstaatsinitiative sei aber auch nicht “zahnlos”. Der
    68 Ministerrat müsse ein effektives Instrument bekommen, um
    69 Grundwerteverstöße identifizieren und frühzeitig eingreifen
    70 zu können. Vielleicht wäre es im Falle Ungarns dann auch gar
    71 nicht erst zu den problematischen Maßnahmen gekommen,
    72 konstatierte *Staatsminister Link*. In diesem Zusammenhang
    73 wies er aber auch darauf hin, dass die Grundwerte-Initiative
    74 unterschiedslos alle Mitgliedstaaten einschließen solle.
    75 Ziel sei es, die Lücke zwischen dem noch nie angewandten
    76 Sanktionsverfahren nach Art. 7 EUV und dem
    77 Vertragsverletzungsverfahren mit einem politisch leicht
    78 handhabbaren Instrument zu schließen.
    79 *Prof. Calliess* fragte daraufhin, ob nicht durch ein
    80 “systematisches Vertragsverletzungsverfahren” das
    81 Vertragsverletzungsverfahren für einen effektiven
    82 Grundwerteschutz fruchtbar gemacht werden könne. Dies solle
    83 ermöglichen, dass viele kleine Verletzungen sich zu einem
    84 Eingriff in die Rechtsstaatlichkeit, einem der Werte aus
    85 Art. 2 EUV, addieren. Weiterhin könne über diese Sanktionen
    86 eine Drohkulisse aufgebaut werden. Staatsminister Link
    87 schloss Sanktionen nicht konsequent aus, sofern diese als
    88 Ergebnis eines politischen Prozesses unter Beteiligung aller
    89 Institutionen eingeführt würden. Die Grundwerte-Initiative
    90 sei ein Instrument, das zunächst politisch wachsen müsse.
    91
    92 Dem Gedanken des politischen Prozesses stimmte *Prof.
    93 Möllers* zu: Es müsse mit einer Politisierung begonnen
    94 werden. Die EU solle dabei in kleinen Schritten vorgehen.
    95 Ein innenpolitischer Prozess sei der Ausgangspunkt. Er
    96 kritisierte in diesem Zusammenhang die “Tendenz in der
    97 europäischen Integration, Politik zu verrechtlichen und
    98 Recht zu moralisieren”, und beleuchtete die Existenz einer
    99 europäischen Wertegemeinschaft kritisch - bei vielen Fragen
    100 herrsche in Europa eben gerade kein Konsens für ein
    101 gemeinsames Handeln, wie der Syrienkonflikt verdeutliche.
    102 *Prof. Möllers* hinterfragte, ob es tatsächlich eine Grenze
    103 zwischen Populismus und Demokratie, die ja auch einer der
    104 Grundwerte des Art. 2 EUV ist, geben könne. “Populismus ist
    105 klassischerweise Klientelwirtschaft, man bietet den Leuten
    106 was Nettes an, damit sie einen wählen. *Frau Reding* hat
    107 gerade gesagt, es gibt billigere Roaminggebühren, also das
    108 scheint mir eine klassische populistische Figur zu sein, mit
    109 der man sagt: ‘Wenn ihr für Europa seid, dürft ihr billiger
    110 telefonieren.’ Ist völlig in Ordnung aber das ist eigentlich
    111 nicht das, was wir unter einem normativen Demokratiekonzept
    112 verstehen.” Populismus könne für ihn ein
    113 Mobilisierungsfaktor, ein notwendiges Element von Demokratie
    114 sein.
    115
    116 Nach der Beitrittsvoraussetzung und Durchsetzbarkeit des
    117 Wertekanons des Art. 2 EUV gefragt, rief *Gunther Krichbaum*
    118 die Kopenhagener Kriterien in Erinnerung, die von jedem
    119 beitrittswilligen Staat gemäß Art. 49 EUV zu berücksichtigen
    120 sind. Aber was kommt nach dem Beitritt? Für *Krichbaum*
    121 zeigen die Beispiele Rumäniens, Kroatiens oder Bulgariens,
    122 dass dringend Handlungsbedarf bestehe. Leider sei man aber
    123 erst jetzt so richtig aufgewacht.
    124
    125 Es schloss sich notwendig die Frage danach an, ob die
    126 Einmischung in eigene nationale Angelegenheiten in den
    127 Mitgliedstaaten denn überhaupt begrüßt wird. Hinsichtlich
    128 Ungarn bezog *Daniel Fazekas*, Gründungsmitglied der
    129 ungarischen Bewegung “Milla - eine Million für die
    130 Pressefreiheit”, Stellung. Die Beantwortung der Frage hänge
    131 davon ab, wen man frage: In Regierungspropaganda und
    132 Massenmedien werde die EU dämonisiert. Zudem werde
    133 propagiert, dass es dem Westen äußerst schlecht gehe. Die
    134 andere Seite der Bevölkerung wolle jedoch, dass die EU ihre
    135 Rechte schützt. Insgesamt habe die EU aber schon sehr
    136 positiv auf die Entwicklungen in Ungarn eingewirkt, meint
    137 *Fazekas*, so zum Beispiel durch das “Zurückzupfen” des
    138 Mediengesetzes.
    139 *Fazekas* stellte die Bewegung “Milla” kurz vor, die sich
    140 zunächst lediglich als eine zivilgesellschaftliche Plattform
    141 betrachtete - “im Grunde auf der Verbraucherseite der
    142 Politik”. Ihr Ziel war es, über ihre Facebookseite, durch
    143 Protestorganisationen sowie Informationen das Bewusstsein
    144 einer neuen politischen Generation zu schaffen. In ihrem
    145 12-Punkte-Plan “Minimum Plus” findet sich als ein Aspekt
    146 auch die Einhaltung der Grundrechte und der europäischen
    147 Werte. Mittlerweile ist ein Strang von Milla sogar politisch
    148 aktiv. Zusammen mit dem ehemaligen ungarischen
    149 Premierminister Gordon Bajnai und der Gewerkschaftsgruppe
    150 “Solidarität” haben sie die Koalition “Zusammen 2014”
    151 gegründet.
    152
    153 *Prof. Calliess* warf daraufhin die Frage auf, ob die EU
    154 nicht in einem Dilemma sei, weil sie entweder zu viel oder
    155 zu wenig eingreife. *Krichbaum* erwiderte, dass ein Handeln
    156 der EU zwar oft als Einmischung in innere Angelegenheiten
    157 artikuliert werde, es jedoch keine sei, da spätestens seit
    158 dem Vertrag von Lissabon alle Bürger der Mitgliedstaaten
    159 auch Unionsbürger seien und die Kommission deren
    160 europäische, in der Grundrechte-Charta garantierten
    161 Bürgerrechte zu schützen und zu verteidigen habe.
    162
    163 Als nächstes wurde darüber diskutiert, dass die USA in Bezug
    164 auf die Einhaltung der europäischen Werte in Ungarn im
    165 Vergleich zur EU größere Präsenz zeigten. *Prof. Möllers*
    166 äußerte dabei seinen Eindruck, dass bestimmte Formen von
    167 politischer Handlungsfähigkeit, die man aus dem Bereich des
    168 Völkerrechts kenne, scheinbar vom Tisch seien. Als Gründe
    169 dafür sah er den derzeitigen Punkt des europäischen
    170 Integrationsprozesses sowie den hohen Grad an
    171 Verrechtlichung und Verflechtung der EU an. Die
    172 Möglichkeiten der USA, z.B. Zahlungen einzustellen, habe man
    173 innereuropäisch scheinbar nicht mehr, was zwar kein Argument
    174 gegen die EU sei, aber eine der vielen Ironien des Prozesses
    175 aufzeige.
    176 *Krichbaum* erwiderte, dass die Bundesrepublik die
    177 Möglichkeiten der USA nicht habe. Es müsse eine Balance
    178 gefunden werden zwischen der Existenz von roten Linien und
    179 der Möglichkeit zur Erzeugung eines ausreichenden
    180 politischen Drucks, da alle Mitgliedstaaten in der EU auf
    181 Dauer miteinander verbundene Partner seien. *Staatsminister
    182 Link* plädierte im Zuge dessen für eine gemeinsame
    183 Verteidigung der Werte.
    184
    185 Im Rahmen der offenen Diskussionsrunde mit dem Publikum
    186 kamen gerade von den vielen jungen Gästen sehr “europäische”
    187 Fragen nach der europäischen Identität und damit der
    188 Vermittlung Europas, der Ungleichbehandlung von
    189 Mitgliedstaaten bei der Thematisierung von Werteverstößen
    190 und der Grenze zwischen Populismus und knallharter
    191 Interessensvertretung auf.
    192
    193 Einigkeit herrschte beim Thema europäische Identität
    194 darüber, dass diese erst im Werden sei. Identitätsbildung
    195 müsse von jedem Einzelnen selbst ausgehen, sie könne nicht
    196 von der EU vorgeschrieben werden, so *Prof. Möllers*. Die
    197 fehlende Identität lasse sich auch in den Fehlkonstruktionen
    198 der EU suchen, beispielsweise durch den indirekten Vollzug,
    199 der dazu führe, dass die EU nicht sichtbar sei.
    200
    201 *Krichbaum* und *Staatsminister Link* waren sich einig, dass
    202 im Falle des Werteschutzes nicht mit zweierlei Maß gemessen
    203 werden sollte. *Staatsminister Link* brachte zur Vermeidung
    204 doppelter Standards erneut die Grundwerteinitiative ins
    205 Gespräch, da gerade ein politisches Vorgehen der richtige
    206 Weg sei. *Prof. Möllers* hingegen sah einen Unterschied in
    207 der Behandlung von Ungarn und einem “Alt”-Mitgliedstaat wie
    208 z.B. Frankreich. Mit Ungarn könne man anders umgehen als mit
    209 Frankreich, aber gerade deswegen sei der Vorstoß des
    210 Auswärtigen Amtes, zunächst nur politisch zu agieren, so
    211 “klug”.
    212
    213 Für *Prof. Möllers* ging es primär nicht um eine Vermittlung
    214 Europas, sondern vielmehr um reale, objektive Probleme. Er
    215 plädierte dafür, Probleme nicht zu medialisieren und stellte
    216 dabei auch das Internet als Raum für eine politische Debatte
    217 in Frage: “Worüber redet man im Internet am liebsten? - über
    218 das Internet! [...] Medien sind selbstreferenziell.” Dem
    219 wurde aus dem Publikum entgegengesetzt, dass dies eine
    220 Unterschätzung des Potenzials des Internets sei, politische
    221 Debatte zu verändern und auch den Wertediskurs in Europa
    222 voranzubringen.
    223
    224 Zur Grenze zwischen Interessenvertretung und Populismus
    225 äußerte *Staatsminister Link*, dass Populismus in
    226 Nationalismus übergehe und Feindbilder brauche und benutze,
    227 Interessenvertretung hingegen Regeln brauche und benutze.
    228 *Prof. Möllers* sah Populismus als ein vielleicht auch
    229 notwendiges Element der Demokratie, das als
    230 Mobilisierungsfaktor fungieren könnte.
    231
    232 Aus der Online-Debatte, die vorab auf salon.publixphere.de
    233 geführt wurde, brachte laut *Mayte Peters* (Publixphere
    234 e.V.) drei Kernaussagen in die Diskussion ein: Zum ersten
    235 dürfe Populismus nicht einfach abgetan werden, sondern es
    236 müsse eine kritische Debatte - auch um populistische Themen
    237 - geführt werden dürfen. Zum zweiten entstehe eine
    238 europäische Öffentlichkeit gerade um die Debatten über Werte
    239 und Populismus. Zum dritten reiche der pauschale Rekurs auf
    240 europäische Werte nicht aus.
    241 Werte müssten jedoch auch vermittelt werden können. Aber was
    242 bedeuten die Werte tatsächlich im Alltag der Menschen? Das
    243 Internet sei nicht nur Facebook und Twitter, so *Peters* -
    244 und die Bereiche, in denen wir es bislang geschafft hätten,
    245 den europäischen Raum zu politisieren, beispielsweise in der
    246 ACTA-Debatte, waren Debatten, die über eine Verlinkung
    247 verschiedener Plattformen funktionierten. Dadurch wurde eine
    248 länderübergreifende Aufmerksamkeit geschaffen. Wie das
    249 Beispiel der ungarischen Bewegung “Milla” zeige, reiche der
    250 nationale Raum scheinbar nicht immer aus, um etwas zu
    251 bewegen, sondern es bedürfe eines internationalen Drucks.
    252 An *Staatsminister Link* gerichtet fragte *Mayte Peters*:
    253 “Sie haben gesagt, wir müssen Verantwortungsräume schaffen
    254 und zwar einen lokalen, einen regionalen und einen
    255 mitgliedstaatlichen. Wo bleibt der europäische?” Das Problem
    256 bestehe darin, dass der Raum der europäischen Demokratie
    257 nicht politisiert werde. Außerdem würde die Debatte auf
    258 einem hohen Niveau geführt, mit dem man den Großteil der
    259 Bürger sowie diejenigen nicht erreichen könnte, die sich für
    260 bestimmte Themen interessieren und nicht mehr nur für die
    261 Institutionen Europas. Gerade in diesen Bürgern liege aber
    262 die Chance Europas.
    263
    264 Abschließend ging *Daniel Fazekas* auf die
    265 Internetverlinkung ein. Er betonte, dass für Bewegungen wie
    266 “Milla” entscheidend sei, dass überhaupt Debatten geführt
    267 werden und wenn schon nicht in Budapest, dann egal wo.
    268 “Milla” versuche über verschiedensprachige Facebookseiten,
    269 Nachrichten über Ungarn ins Netz zu stellen. Das Problem
    270 dabei sei jedoch, dass es zwei Sphären von Öffentlichkeit
    271 gebe. Es habe oft keinen Sinn, nationale Probleme im Ausland
    272 zu erklären, wohingegen in Ungarn sie jeder versteht.
    273 Weiterhin warf er die Frage auf, wen es außerhalb von Ungarn
    274 überhaupt interessieren würde. Bürger anderer
    275 Mitgliedstaaten seien empfänglicher für die populistische
    276 Sichtweise, dass Ungarn nicht pluralistisch oder
    277 demokratisch sei.
    278
    279 In seinen Schlussworten kam *Prof. Calliess* auf das dem
    280 Europäischen Salon zugrundeliegende Konzept zurück:
    281 “Inwieweit kann das Internet hier tatsächlich dazu
    282 beitragen, dass wir eben den demokratischen Raum weiten, die
    283 Diskussionssphäre weiten, zu einer europäischen
    284 Öffentlichkeit kommen über das Internet? Das ist sicherlich
    285 eine Frage, die uns weiter beschäftigen wird, auch im
    286 Europäischen Salon.”
  • * Bericht über die Auftaktveranstaltung

    von admin, angelegt
    1 Am 26. November 2013 fand der Auftakt der
    2 Veranstaltungsreihe “Europäischer Salon” in der Berliner
    3 Repräsentanz der Robert Bosch Stiftung statt. *Prof. Dr.
    4 Christian Calliess, LL.M.* diskutierte mit den
    5 Podiumsgästen über Europäische Werte, nationalen Populismus
    6 und die Notwendigkeit einer europäischen Öffentlichkeit.
    7 Vorbereitet wurde die Veranstaltung auf der neu etablierten
    8 Internetplattform salon.publixphere.de. Hier wurden vorab
    9 die von den Podiumsgästen eingereichten Statements kritisch
    10 hinterfragt und auch weiterführende Aspekte kontrovers
    11 diskutiert. Im Mittelpunkt des Europäischen Salons steht
    12 die Debatte junger Europäer mit Entscheidungsträgern aus
    13 Politik, Wissenschaft und Medien - online und offline.
    14
    15 Über 150 Veranstaltungsteilnehmer aus der
    16 Fachöffentlichkeit sowie Studenten und Schüler fanden sich
    17 zum Auftakt im Atrium der Stiftungsrepräsentanz zur
    18 Diskussion mit dem Staatsminister im Auswärtigen Amt,
    19 *Michael Georg Link*, dem Vorsitzenden des EU-Ausschusses,
    20 *Gunther Krichbaum*, dem Verfassungsrechtler und Mitglied
    21 des Wissenschaftskollegs Berlin, *Prof. Dr. Christoph
    22 Möllers, LL.M.* sowie *Daniel Fazekas*, Mitglied der
    23 ungarischen Bewegung “Milla - eine Million für die
    24 Pressefreiheit”, ein. Die ebenfalls eingeladene
    25 Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, *Viviane
    26 Reding*, konnte zwar nicht kommen, sendete zur Eröffnung
    27 aber eine Videobotschaft, in der sie die Bedeutung der
    28 direkten Einbindung der Bürger in die Zukunftsdebatte in
    29 Europa betonte, bevor große Reformen und neue Strukturen
    30 angegangen werden können: “Gerade junge Menschen müssen
    31 [dabei] beginnen, diese Debatte als eine Diskussion über
    32 ihr Europa zu sehen.”
    33
    34 In der zweistündigen Diskussionsveranstaltung standen neben
    35 der Notwendigkeit einer starken europäischen Öffentlichkeit
    36 vor allem europaweit zunehmende populistische Tendenzen und
    37 ihre möglichen Grenzen im Fokus. *Prof. Calliess* stellte
    38 eingangs die europäischen Werte als eine solche Grenze zur
    39 Diskussioneiner. Er fragte, ob die EU die in Art. 2 des EUV
    40 genannten Werte in Aufsicht Unionsaufsicht in den
    41 Mitgliedstaaten durchzusetzen habe und inwieweit das
    42 bestehende Instrumentarium hierfür ausreicht. In ihren
    43 jeweiligen Eingangsstatements setzten sich dann die
    44 Podiumsgäste mit der so aufgeworfenen Frage nach Existenz
    45 und Durchsetzung europäischer Werte eingehend auseinander.
    46
    47 *Staatsminister Link* erläuterte zu Beginn den vom
    48 Auswärtigen Amt unterstützten Vorschlag, durch eine
    49 “Grundwerte-Initiative” - auch als “Rechtsstaatsinitiative”
    50 bekannt - einen politischen Monitoringmechanismus zu
    51 schaffen, der für die Einhaltung der europäischen Werte
    52 durch die Mitgliedstaaten der Europäischen Union Sorge
    53 tragen kann. Es handelt sich dabei um eine gemeinsame
    54 Initiative der Außenminister Deutschlands, Dänemarks,
    55 Finnlands und der Niederlande, der sich mittlerweile viele
    56 Mitgliedstaaten angeschlossen haben und die auch von der
    57 Europäischen Kommission aufgegriffen wurde. Letztere werde
    58 diesbezüglich in der ersten Jahreshälfte 2014 ihren
    59 Umsetzungsvorschlag unterbreiten. Für *Staatsminister Link*
    60 vernachlässigt die EU bisher noch die Arbeit an der
    61 gemeinsamen Wertebasis. Um Grundwerteverstößen
    62 entgegenzuwirken, reiche einerseits der öffentlich durch
    63 die Medienberichterstattung ausgeübte Druck nicht aus,
    64 andererseits seien Sanktionen im Ministerrat nicht
    65 durchsetzbar, dies sei bereits mehrfach von
    66 mitgliedstaatlicher Seite signalisiert worden. Ein
    67 politischer Frühwarnmechanismus wie die
    68 Rechtsstaatsinitiative sei aber auch nicht “zahnlos”. Der
    69 Ministerrat müsse ein effektives Instrument bekommen, um
    70 Grundwerteverstöße identifizieren und frühzeitig
    71 eingreifen zu können. Vielleicht wäre es im Falle Ungarns
    72 dann auch gar nicht erst zu den problematischen Maßnahmen
    73 gekommen, konstatierte *Staatsminister Link*. In diesem
    74 Zusammenhang wies er aber auch darauf hin, dass die
    75 Grundwerte-Initiative unterschiedslos alle Mitgliedstaaten
    76 einschließen solle. Ziel sei es, die Lücke zwischen dem
    77 noch nie angewandten Sanktionsverfahren nach Art. 7 EUV und
    78 dem Vertragsverletzungsverfahren mit einem politisch leicht
    79 handhabbaren Instrument zu schließen.
    80 *Prof. Calliess* fragte daraufhin, ob nicht durch ein
    81 “systematisches Vertragsverletzungsverfahren” das
    82 Vertragsverletzungsverfahren für einen effektiven
    83 Grundwerteschutz fruchtbar gemacht werden könne. Dies solle
    84 ermöglichen, dass viele kleine Verletzungen sich zu einem
    85 Eingriff in die Rechtsstaatlichkeit, einem der Werte aus
    86 Art. 2 EUV, addieren. Weiterhin könne über diese Sanktionen
    87 eine Drohkulisse aufgebaut werden. Staatsminister Link
    88 schloss Sanktionen nicht konsequent aus, sofern diese als
    89 Ergebnis eines politischen Prozesses unter Beteiligung
    90 aller Institutionen eingeführt würden. Die
    91 Grundwerte-Initiative sei ein Instrument, das zunächst
    92 politisch wachsen müsse.
    93
    94 Dem Gedanken des politischen Prozesses stimmte *Prof.
    95 Möllers* zu: Es müsse mit einer Politisierung begonnen
    96 werden. Die EU solle dabei in kleinen Schritten vorgehen.
    97 Ein innenpolitischer Prozess sei der Ausgangspunkt. Er
    98 kritisierte in diesem Zusammenhang die “Tendenz in der
    99 europäischen Integration, Politik zu verrechtlichen und
    100 Recht zu moralisieren”, und beleuchtete die Existenz einer
    101 europäischen Wertegemeinschaft kritisch - bei vielen Fragen
    102 herrsche in Europa eben gerade kein Konsens für ein
    103 gemeinsames Handeln, wie der Syrienkonflikt verdeutliche.
    104 *Prof. Möllers* hinterfragte, ob es tatsächlich eine Grenze
    105 zwischen Populismus und Demokratie, die ja auch einer der
    106 Grundwerte des Art. 2 EUV ist, geben könne. “Populismus ist
    107 klassischerweise Klientelwirtschaft, man bietet den Leuten
    108 was Nettes an, damit sie einen wählen. *Frau Reding* hat
    109 gerade gesagt, es gibt billigere Roaminggebühren, also das
    110 scheint mir eine klassische populistische Figur zu sein,
    111 mit der man sagt: ‘Wenn ihr für Europa seid, dürft ihr
    112 billiger telefonieren.’ Ist völlig in Ordnung aber das ist
    113 eigentlich nicht das, was wir unter einem normativen
    114 Demokratiekonzept verstehen.” Populismus könne für ihn ein
    115 Mobilisierungsfaktor, ein notwendiges Element von
    116 Demokratie sein.
    117
    118 Nach der Beitrittsvoraussetzung und Durchsetzbarkeit des
    119 Wertekanons des Art. 2 EUV gefragt, rief *Gunther
    120 Krichbaum* die Kopenhagener Kriterien in Erinnerung, die
    121 von jedem beitrittswilligen Staat gemäß Art. 49 EUV zu
    122 berücksichtigen sind. Aber was kommt nach dem Beitritt? Für
    123 *Krichbaum* zeigen die Beispiele Rumäniens, Kroatiens oder
    124 Bulgariens, dass dringend Handlungsbedarf bestehe. Leider
    125 sei man aber erst jetzt so richtig aufgewacht.
    126
    127 Es schloss sich notwendig die Frage danach an, ob die
    128 Einmischung in eigene nationale Angelegenheiten in den
    129 Mitgliedstaaten denn überhaupt begrüßt wird. Hinsichtlich
    130 Ungarn bezog *Daniel Fazekas*, Gründungsmitglied der
    131 ungarischen Bewegung “Milla - eine Million für die
    132 Pressefreiheit”, Stellung. Die Beantwortung der Frage hänge
    133 davon ab, wen man frage: In Regierungspropaganda und
    134 Massenmedien werde die EU dämonisiert. Zudem werde
    135 propagiert, dass es dem Westen äußerst schlecht gehe. Die
    136 andere Seite der Bevölkerung wolle jedoch, dass die EU ihre
    137 Rechte schützt. Insgesamt habe die EU aber schon sehr
    138 positiv auf die Entwicklungen in Ungarn eingewirkt, meint
    139 *Fazekas*, so zum Beispiel durch das “Zurückzupfen” des
    140 Mediengesetzes.
    141 *Fazekas* stellte die Bewegung “Milla” kurz vor, die sich
    142 zunächst lediglich als eine zivilgesellschaftliche
    143 Plattform betrachtete - “im Grunde auf der Verbraucherseite
    144 der Politik”. Ihr Ziel war es, über ihre Facebookseite,
    145 durch Protestorganisationen sowie Informationen das
    146 Bewusstsein einer neuen politischen Generation zu schaffen.
    147 In ihrem 12-Punkte-Plan “Minimum Plus” findet sich als ein
    148 Aspekt auch die Einhaltung der Grundrechte und der
    149 europäischen Werte. Mittlerweile ist ein Strang von Milla
    150 sogar politisch aktiv. Zusammen mit dem ehemaligen
    151 ungarischen Premierminister Gordon Bajnai und der
    152 Gewerkschaftsgruppe “Solidarität” haben sie die Koalition
    153 “Zusammen 2014” gegründet.
    154
    155 *Prof. Calliess* warf daraufhin die Frage auf, ob die EU
    156 nicht in einem Dilemma sei, weil sie entweder zu viel oder
    157 zu wenig eingreife. *Krichbaum* erwiderte, dass ein Handeln
    158 der EU zwar oft als Einmischung in innere Angelegenheiten
    159 artikuliert werde, es jedoch keine sei, da spätestens seit
    160 dem Vertrag von Lissabon alle Bürger der Mitgliedstaaten
    161 auch Unionsbürger seien und die Kommission deren
    162 europäische, in der Grundrechte-Charta garantierten
    163 Bürgerrechte zu schützen und zu verteidigen habe.
    164
    165 Als nächstes wurde darüber diskutiert, dass die USA in
    166 Bezug auf die Einhaltung der europäischen Werte in Ungarn
    167 im Vergleich zur EU größere Präsenz zeigten. *Prof.
    168 Möllers* äußerte dabei seinen Eindruck, dass bestimmte
    169 Formen von politischer Handlungsfähigkeit, die man aus dem
    170 Bereich des Völkerrechts kenne, scheinbar vom Tisch seien.
    171 Als Gründe dafür sah er den derzeitigen Punkt des
    172 europäischen Integrationsprozesses sowie den hohen Grad an
    173 Verrechtlichung und Verflechtung der EU an. Die
    174 Möglichkeiten der USA, z.B. Zahlungen einzustellen, habe
    175 man innereuropäisch scheinbar nicht mehr, was zwar kein
    176 Argument gegen die EU sei, aber eine der vielen Ironien des
    177 Prozesses aufzeige.
    178 *Krichbaum* erwiderte, dass die Bundesrepublik die
    179 Möglichkeiten der USA nicht habe. Es müsse eine Balance
    180 gefunden werden zwischen der Existenz von roten Linien und
    181 der Möglichkeit zur Erzeugung eines ausreichenden
    182 politischen Drucks, da alle Mitgliedstaaten in der EU auf
    183 Dauer miteinander verbundene Partner seien. *Staatsminister
    184 Link* plädierte im Zuge dessen für eine gemeinsame
    185 Verteidigung der Werte.
    186
    187 Im Rahmen der offenen Diskussionsrunde mit dem Publikum
    188 kamen gerade von den vielen jungen Gästen sehr
    189 “europäische” Fragen nach der europäischen Identität und
    190 damit der Vermittlung Europas, der Ungleichbehandlung von
    191 Mitgliedstaaten bei der Thematisierung von Werteverstößen
    192 und der Grenze zwischen Populismus und knallharter
    193 Interessensvertretung auf.
    194
    195 Einigkeit herrschte beim Thema europäische Identität
    196 darüber, dass diese erst im Werden sei. Identitätsbildung
    197 müsse von jedem Einzelnen selbst ausgehen, sie könne nicht
    198 von der EU vorgeschrieben werden, so *Prof. Möllers*. Die
    199 fehlende Identität lasse sich auch in den
    200 Fehlkonstruktionen der EU suchen, beispielsweise durch den
    201 indirekten Vollzug, der dazu führe, dass die EU nicht
    202 sichtbar sei.
    203
    204 *Krichbaum* und *Staatsminister Link* waren sich einig,
    205 dass im Falle des Werteschutzes nicht mit zweierlei Maß
    206 gemessen werden sollte. *Staatsminister Link* brachte zur
    207 Vermeidung doppelter Standards erneut die
    208 Grundwerteinitiative ins Gespräch, da gerade ein
    209 politisches Vorgehen der richtige Weg sei. *Prof. Möllers*
    210 hingegen sah einen Unterschied in der Behandlung von Ungarn
    211 und einem “Alt”-Mitgliedstaat wie z.B. Frankreich. Mit
    212 Ungarn könne man anders umgehen als mit Frankreich, aber
    213 gerade deswegen sei der Vorstoß des Auswärtigen Amtes,
    214 zunächst nur politisch zu agieren, so “klug”.
    215
    216 Für *Prof. Möllers* ging es primär nicht um eine
    217 Vermittlung Europas, sondern vielmehr um reale, objektive
    218 Probleme. Er plädierte dafür, Probleme nicht zu
    219 medialisieren und stellte dabei auch das Internet als Raum
    220 für eine politische Debatte in Frage: “Worüber redet man im
    221 Internet am liebsten? - über das Internet! [...] Medien
    222 sind selbstreferenziell.” Dem wurde aus dem Publikum
    223 entgegengesetzt, dass dies eine Unterschätzung des
    224 Potenzials des Internets sei, politische Debatte zu
    225 verändern und auch den Wertediskurs in Europa
    226 voranzubringen.
    227
    228 Zur Grenze zwischen Interessenvertretung und Populismus
    229 äußerte *Staatsminister Link*, dass Populismus in
    230 Nationalismus übergehe und Feindbilder brauche und benutze,
    231 Interessenvertretung hingegen Regeln brauche und benutze.
    232 *Prof. Möllers* sah Populismus als ein vielleicht auch
    233 notwendiges Element der Demokratie, das als
    234 Mobilisierungsfaktor fungieren könnte.
    235
    236 Aus der Online-Debatte, die vorab auf salon.publixphere.de
    237 geführt wurde, brachte laut *Mayte Peters* (Publixphere
    238 e.V.) drei Kernaussagen in die Diskussion ein: Zum ersten
    239 dürfe Populismus nicht einfach abgetan werden, sondern es
    240 müsse eine kritische Debatte - auch um populistische Themen
    241 - geführt werden dürfen. Zum zweiten entstehe eine
    242 europäische Öffentlichkeit gerade um die Debatten über
    243 Werte und Populismus. Zum dritten reiche der pauschale
    244 Rekurs auf europäische Werte nicht aus.
    245 Werte müssten jedoch auch vermittelt werden können. Aber
    246 was bedeuten die Werte tatsächlich im Alltag der Menschen?
    247 Das Internet sei nicht nur Facebook und Twitter, so
    248 *Peters* - und die Bereiche, in denen wir es bislang
    249 geschafft hätten, den europäischen Raum zu politisieren,
    250 beispielsweise in der ACTA-Debatte, waren Debatten, die
    251 über eine Verlinkung verschiedener Plattformen
    252 funktionierten. Dadurch wurde eine länderübergreifende
    253 Aufmerksamkeit geschaffen. Wie das Beispiel der ungarischen
    254 Bewegung “Milla” zeige, reiche der nationale Raum scheinbar
    255 nicht immer aus, um etwas zu bewegen, sondern es bedürfe
    256 eines internationalen Drucks.
    257 An *Staatsminister Link* gerichtet fragte *Mayte Peters*:
    258 “Sie haben gesagt, wir müssen Verantwortungsräume schaffen
    259 und zwar einen lokalen, einen regionalen und einen
    260 mitgliedstaatlichen. Wo bleibt der europäische?” Das
    261 Problem bestehe darin, dass der Raum der europäischen
    262 Demokratie nicht politisiert werde. Außerdem würde die
    263 Debatte auf einem hohen Niveau geführt, mit dem man den
    264 Großteil der Bürger sowie diejenigen nicht erreichen
    265 könnte, die sich für bestimmte Themen interessieren und
    266 nicht mehr nur für die Institutionen Europas. Gerade in
    267 diesen Bürgern liege aber die Chance Europas.
    268
    269 Abschließend ging *Daniel Fazekas* auf die
    270 Internetverlinkung ein. Er betonte, dass für Bewegungen wie
    271 “Milla” entscheidend sei, dass überhaupt Debatten geführt
    272 werden und wenn schon nicht in Budapest, dann egal wo.
    273 “Milla” versuche über verschiedensprachige Facebookseiten,
    274 Nachrichten über Ungarn ins Netz zu stellen. Das Problem
    275 dabei sei jedoch, dass es zwei Sphären von Öffentlichkeit
    276 gebe. Es habe oft keinen Sinn, nationale Probleme im
    277 Ausland zu erklären, wohingegen in Ungarn sie jeder
    278 versteht. Weiterhin warf er die Frage auf, wen es außerhalb
    279 von Ungarn überhaupt interessieren würde. Bürger anderer
    280 Mitgliedstaaten seien empfänglicher für die populistische
    281 Sichtweise, dass Ungarn nicht pluralistisch oder
    282 demokratisch sei.
    283
    284 In seinen Schlussworten kam *Prof. Calliess* auf das dem
    285 Europäischen Salon zugrundeliegende Konzept zurück:
    286 “Inwieweit kann das Internet hier tatsächlich dazu
    287 beitragen, dass wir eben den demokratischen Raum weiten,
    288 die Diskussionssphäre weiten, zu einer europäischen
    289 Öffentlichkeit kommen über das Internet? Das ist sicherlich
    290 eine Frage, die uns weiter beschäftigen wird, auch im
    291 Europäischen Salon.”
  • Bericht über die Auftaktveranstaltung

    von Community Management , angelegt
    1 ![Bericht
    2 Auftaktveranstaltung](https://publixphere-cms.publixphere.de
    3 /de/salon-bilder/c-joanna-scheffel-960-x-350.jpg/@@images/im
    4 age.jpeg)
    5 *Foto&Teaser: ©Joanna Scheffel Photography*
    6
    7
    8 Am 26. November 2013 fand der Auftakt der
    9 Veranstaltungsreihe “Europäischer Salon” in der Berliner
    10 Repräsentanz der Robert Bosch Stiftung statt. *Prof. Dr.
    11 Christian Calliess, LL.M.* diskutierte mit den
    12 Podiumsgästen über Europäische Werte, nationalen Populismus
    13 und die Notwendigkeit einer europäischen Öffentlichkeit.
    14 Vorbereitet wurde die Veranstaltung auf der neu etablierten
    15 Internetplattform
    16 [salon.publixphere.de](https://publixphere.de/i/salon/instan
    17 ce/salon). Hier wurden vorab die von den Podiumsgästen
    18 eingereichten Statements kritisch hinterfragt und auch
    19 weiterführende Aspekte kontrovers diskutiert. Im
    20 Mittelpunkt des Europäischen Salons steht die Debatte
    21 junger Europäer mit Entscheidungsträgern aus Politik,
    22 Wissenschaft und Medien - online und offline.
    23
    24 Über 150 Veranstaltungsteilnehmer aus der
    25 Fachöffentlichkeit sowie Studenten und Schüler fanden sich
    26 zum Auftakt im Atrium der Stiftungsrepräsentanz zur
    27 Diskussion mit dem Staatsminister im Auswärtigen Amt,
    28 *Michael Georg Link*, dem Vorsitzenden des EU-Ausschusses,
    29 *Gunther Krichbaum*, dem Verfassungsrechtler und Mitglied
    30 des Wissenschaftskollegs Berlin, *Prof. Dr. Christoph
    31 Möllers, LL.M.* sowie *Daniel Fazekas*, Mitglied der
    32 ungarischen Bewegung “Milla - eine Million für die
    33 Pressefreiheit”, ein. Die ebenfalls eingeladene
    34 Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, *Viviane
    35 Reding*, konnte zwar nicht kommen, sendete zur Eröffnung
    36 aber eine Videobotschaft, in der sie die Bedeutung der
    37 direkten Einbindung der Bürger in die Zukunftsdebatte in
    38 Europa betonte, bevor große Reformen und neue Strukturen
    39 angegangen werden können: “Gerade junge Menschen müssen
    40 [dabei] beginnen, diese Debatte als eine Diskussion über
    41 ihr Europa zu sehen.”
    42
    43 In der zweistündigen Diskussionsveranstaltung standen neben
    44 der Notwendigkeit einer starken europäischen Öffentlichkeit
    45 vor allem europaweit zunehmende populistische Tendenzen und
    46 ihre möglichen Grenzen im Fokus. *Prof. Calliess* stellte
    47 eingangs die europäischen Werte als eine solche Grenze zur
    48 Diskussion. Er fragte, ob die EU die in Art. 2 des EUV
    49 genannten Werte in Unionsaufsicht in den Mitgliedstaaten
    50 durchzusetzen habe und inwieweit das bestehende
    51 Instrumentarium hierfür ausreicht. In ihren jeweiligen
    52 Eingangsstatements setzten sich dann die Podiumsgäste mit
    53 der so aufgeworfenen Frage nach Existenz und Durchsetzung
    54 europäischer Werte eingehend auseinander.
    55
    56 ![(Podiumsgäste](https://publixphere-cms.publixphere.de/de/s
    57 alon-bilder/podium-960x350.jpg/@@images/image.jpeg) *Das
    58 Podium des 1. Europäische Salons. Foto&Teaser: ©Joanna
    59 Scheffel Photography*
    60
    61 *Staatsminister Link* erläuterte zu Beginn den vom
    62 Auswärtigen Amt unterstützten Vorschlag, durch eine
    63 “Grundwerte-Initiative” - auch als “Rechtsstaatsinitiative”
    64 bekannt - einen politischen Monitoringmechanismus zu
    65 schaffen, der für die Einhaltung der europäischen Werte
    66 durch die Mitgliedstaaten der Europäischen Union Sorge
    67 tragen kann. Es handelt sich dabei um eine gemeinsame
    68 Initiative der Außenminister Deutschlands, Dänemarks,
    69 Finnlands und der Niederlande, der sich mittlerweile viele
    70 Mitgliedstaaten angeschlossen haben und die auch von der
    71 Europäischen Kommission aufgegriffen wurde. Letztere werde
    72 diesbezüglich in der ersten Jahreshälfte 2014 ihren
    73 Umsetzungsvorschlag unterbreiten. Für *Staatsminister Link*
    74 vernachlässigt die EU bisher noch die Arbeit an der
    75 gemeinsamen Wertebasis. Um Grundwerteverstößen
    76 entgegenzuwirken, reiche einerseits der öffentlich durch
    77 die Medienberichterstattung ausgeübte Druck nicht aus,
    78 andererseits seien Sanktionen im Ministerrat nicht
    79 durchsetzbar, dies sei bereits mehrfach von
    80 mitgliedstaatlicher Seite signalisiert worden. Ein
    81 politischer Frühwarnmechanismus wie die
    82 Rechtsstaatsinitiative sei aber auch nicht “zahnlos”. Der
    83 Ministerrat müsse ein effektives Instrument bekommen, um
    84 Grundwerteverstöße identifizieren und frühzeitig
    85 eingreifen zu können. Vielleicht wäre es im Falle Ungarns
    86 dann auch gar nicht erst zu den problematischen Maßnahmen
    87 gekommen, konstatierte *Staatsminister Link*. In diesem
    88 Zusammenhang wies er aber auch darauf hin, dass die
    89 Grundwerte-Initiative unterschiedslos alle Mitgliedstaaten
    90 einschließen solle. Ziel sei es, die Lücke zwischen dem
    91 noch nie angewandten Sanktionsverfahren nach Art. 7 EUV und
    92 dem Vertragsverletzungsverfahren mit einem politisch leicht
    93 handhabbaren Instrument zu schließen.
    94 *Prof. Calliess* fragte daraufhin, ob nicht durch ein
    95 “systematisches Vertragsverletzungsverfahren” das
    96 Vertragsverletzungsverfahren für einen effektiven
    97 Grundwerteschutz fruchtbar gemacht werden könne. Dies solle
    98 ermöglichen, dass viele kleine Verletzungen sich zu einem
    99 Eingriff in die Rechtsstaatlichkeit, einem der Werte aus
    100 Art. 2 EUV, addieren. Weiterhin könne über diese Sanktionen
    101 eine Drohkulisse aufgebaut werden. Staatsminister Link
    102 schloss Sanktionen nicht konsequent aus, sofern diese als
    103 Ergebnis eines politischen Prozesses unter Beteiligung
    104 aller Institutionen eingeführt würden. Die
    105 Grundwerte-Initiative sei ein Instrument, das zunächst
    106 politisch wachsen müsse.
    107
    108 Dem Gedanken des politischen Prozesses stimmte *Prof.
    109 Möllers* zu: Es müsse mit einer Politisierung begonnen
    110 werden. Die EU solle dabei in kleinen Schritten vorgehen.
    111 Ein innenpolitischer Prozess sei der Ausgangspunkt. Er
    112 kritisierte in diesem Zusammenhang die “Tendenz in der
    113 europäischen Integration, Politik zu verrechtlichen und
    114 Recht zu moralisieren”, und beleuchtete die Existenz einer
    115 europäischen Wertegemeinschaft kritisch - bei vielen Fragen
    116 herrsche in Europa eben gerade kein Konsens für ein
    117 gemeinsames Handeln, wie der Syrienkonflikt verdeutliche.
    118 *Prof. Möllers* hinterfragte, ob es tatsächlich eine Grenze
    119 zwischen Populismus und Demokratie, die ja auch einer der
    120 Grundwerte des Art. 2 EUV ist, geben könne. “Populismus ist
    121 klassischerweise Klientelwirtschaft, man bietet den Leuten
    122 was Nettes an, damit sie einen wählen. *Frau Reding* hat
    123 gerade gesagt, es gibt billigere Roaminggebühren, also das
    124 scheint mir eine klassische populistische Figur zu sein,
    125 mit der man sagt: ‘Wenn ihr für Europa seid, dürft ihr
    126 billiger telefonieren.’ Ist völlig in Ordnung aber das ist
    127 eigentlich nicht das, was wir unter einem normativen
    128 Demokratiekonzept verstehen.” Populismus könne für ihn ein
    129 Mobilisierungsfaktor, ein notwendiges Element von
    130 Demokratie sein.
    131
    132 Nach der Beitrittsvoraussetzung und Durchsetzbarkeit des
    133 Wertekanons des Art. 2 EUV gefragt, rief *Gunther
    134 Krichbaum* die Kopenhagener Kriterien in Erinnerung, die
    135 von jedem beitrittswilligen Staat gemäß Art. 49 EUV zu
    136 berücksichtigen sind. Aber was kommt nach dem Beitritt? Für
    137 *Krichbaum* zeigen die Beispiele Rumäniens, Kroatiens oder
    138 Bulgariens, dass dringend Handlungsbedarf bestehe. Leider
    139 sei man aber erst jetzt so richtig aufgewacht.
    140
    141 Es schloss sich notwendig die Frage danach an, ob die
    142 Einmischung in eigene nationale Angelegenheiten in den
    143 Mitgliedstaaten denn überhaupt begrüßt wird. Hinsichtlich
    144 Ungarn bezog *Daniel Fazekas*, Gründungsmitglied der
    145 ungarischen Bewegung “Milla - eine Million für die
    146 Pressefreiheit”, Stellung. Die Beantwortung der Frage hänge
    147 davon ab, wen man frage: In Regierungspropaganda und
    148 Massenmedien werde die EU dämonisiert. Zudem werde
    149 propagiert, dass es dem Westen äußerst schlecht gehe. Die
    150 andere Seite der Bevölkerung wolle jedoch, dass die EU ihre
    151 Rechte schützt. Insgesamt habe die EU aber schon sehr
    152 positiv auf die Entwicklungen in Ungarn eingewirkt, meint
    153 *Fazekas*, so zum Beispiel durch das “Zurückzupfen” des
    154 Mediengesetzes.
    155 *Fazekas* stellte die Bewegung “Milla” kurz vor, die sich
    156 zunächst lediglich als eine zivilgesellschaftliche
    157 Plattform betrachtete - “im Grunde auf der Verbraucherseite
    158 der Politik”. Ihr Ziel war es, über ihre Facebookseite,
    159 durch Protestorganisationen sowie Informationen das
    160 Bewusstsein einer neuen politischen Generation zu schaffen.
    161 In ihrem 12-Punkte-Plan “Minimum Plus” findet sich als ein
    162 Aspekt auch die Einhaltung der Grundrechte und der
    163 europäischen Werte. Mittlerweile ist ein Strang von Milla
    164 sogar politisch aktiv. Zusammen mit dem ehemaligen
    165 ungarischen Premierminister Gordon Bajnai und der
    166 Gewerkschaftsgruppe “Solidarität” haben sie die Koalition
    167 “Zusammen 2014” gegründet.
    168
    169 *Prof. Calliess* warf daraufhin die Frage auf, ob die EU
    170 nicht in einem Dilemma sei, weil sie entweder zu viel oder
    171 zu wenig eingreife. *Krichbaum* erwiderte, dass ein Handeln
    172 der EU zwar oft als Einmischung in innere Angelegenheiten
    173 artikuliert werde, es jedoch keine sei, da spätestens seit
    174 dem Vertrag von Lissabon alle Bürger der Mitgliedstaaten
    175 auch Unionsbürger seien und die Kommission deren
    176 europäische, in der Grundrechte-Charta garantierten
    177 Bürgerrechte zu schützen und zu verteidigen habe.
    178
    179 Als nächstes wurde darüber diskutiert, dass die USA in
    180 Bezug auf die Einhaltung der europäischen Werte in Ungarn
    181 im Vergleich zur EU größere Präsenz zeigten. *Prof.
    182 Möllers* äußerte dabei seinen Eindruck, dass bestimmte
    183 Formen von politischer Handlungsfähigkeit, die man aus dem
    184 Bereich des Völkerrechts kenne, scheinbar vom Tisch seien.
    185 Als Gründe dafür sah er den derzeitigen Punkt des
    186 europäischen Integrationsprozesses sowie den hohen Grad an
    187 Verrechtlichung und Verflechtung der EU an. Die
    188 Möglichkeiten der USA, z.B. Zahlungen einzustellen, habe
    189 man innereuropäisch scheinbar nicht mehr, was zwar kein
    190 Argument gegen die EU sei, aber eine der vielen Ironien des
    191 Prozesses aufzeige.
    192 *Krichbaum* erwiderte, dass die Bundesrepublik die
    193 Möglichkeiten der USA nicht habe. Es müsse eine Balance
    194 gefunden werden zwischen der Existenz von roten Linien und
    195 der Möglichkeit zur Erzeugung eines ausreichenden
    196 politischen Drucks, da alle Mitgliedstaaten in der EU auf
    197 Dauer miteinander verbundene Partner seien. *Staatsminister
    198 Link* plädierte im Zuge dessen für eine gemeinsame
    199 Verteidigung der Werte.
    200
    201 Im Rahmen der offenen Diskussionsrunde mit dem Publikum
    202 kamen gerade von den vielen jungen Gästen sehr
    203 “europäische” Fragen nach der europäischen Identität und
    204 damit der Vermittlung Europas, der Ungleichbehandlung von
    205 Mitgliedstaaten bei der Thematisierung von Werteverstößen
    206 und der Grenze zwischen Populismus und knallharter
    207 Interessensvertretung auf.
    208
    209 Einigkeit herrschte beim Thema europäische Identität
    210 darüber, dass diese erst im Werden sei. Identitätsbildung
    211 müsse von jedem Einzelnen selbst ausgehen, sie könne nicht
    212 von der EU vorgeschrieben werden, so *Prof. Möllers*. Die
    213 fehlende Identität lasse sich auch in den
    214 Fehlkonstruktionen der EU suchen, beispielsweise durch den
    215 indirekten Vollzug, der dazu führe, dass die EU nicht
    216 sichtbar sei.
    217
    218 *Krichbaum* und *Staatsminister Link* waren sich einig,
    219 dass im Falle des Werteschutzes nicht mit zweierlei Maß
    220 gemessen werden sollte. *Staatsminister Link* brachte zur
    221 Vermeidung doppelter Standards erneut die
    222 Grundwerteinitiative ins Gespräch, da gerade ein
    223 politisches Vorgehen der richtige Weg sei. *Prof. Möllers*
    224 hingegen sah einen Unterschied in der Behandlung von Ungarn
    225 und einem “Alt”-Mitgliedstaat wie z.B. Frankreich. Mit
    226 Ungarn könne man anders umgehen als mit Frankreich, aber
    227 gerade deswegen sei der Vorstoß des Auswärtigen Amtes,
    228 zunächst nur politisch zu agieren, so “klug”.
    229
    230 Für *Prof. Möllers* ging es primär nicht um eine
    231 Vermittlung Europas, sondern vielmehr um reale, objektive
    232 Probleme. Er plädierte dafür, Probleme nicht zu
    233 medialisieren und stellte dabei auch das Internet als Raum
    234 für eine politische Debatte in Frage: “Worüber redet man im
    235 Internet am liebsten? - über das Internet! [...] Medien
    236 sind selbstreferenziell.” Dem wurde aus dem Publikum
    237 entgegengesetzt, dass dies eine Unterschätzung des
    238 Potenzials des Internets sei, politische Debatte zu
    239 verändern und auch den Wertediskurs in Europa
    240 voranzubringen.
    241
    242 Zur Grenze zwischen Interessenvertretung und Populismus
    243 äußerte *Staatsminister Link*, dass Populismus in
    244 Nationalismus übergehe und Feindbilder brauche und benutze,
    245 Interessenvertretung hingegen Regeln brauche und benutze.
    246 *Prof. Möllers* sah Populismus als ein vielleicht auch
    247 notwendiges Element der Demokratie, das als
    248 Mobilisierungsfaktor fungieren könnte.
    249
    250 ![Mayte
    251 Peters](https://publixphere-cms.publixphere.de/de/salon-bild
    252 er/mayte-960x350.jpg/@@images/image.jpeg)*Dr. Mayte Peters,
    253 Publixphere e.V. Foto &Teaser: ©Joanna Scheffel
    254 Photography*
    255
    256 Aus der Online-Debatte, die vorab auf salon.publixphere.de
    257 geführt wurde, brachte *Mayte Peters* (Publixphere e.V.)
    258 drei Kernaussagen in die Diskussion ein: Zum ersten dürfe
    259 Populismus nicht einfach abgetan werden, sondern es müsse
    260 eine kritische Debatte - auch um populistische Themen -
    261 geführt werden dürfen. Zum zweiten entstehe eine
    262 europäische Öffentlichkeit gerade um die Debatten über
    263 Werte und Populismus. Zum dritten reiche der pauschale
    264 Rekurs auf europäische Werte nicht aus.
    265 Werte müssten jedoch auch vermittelt werden können. Aber
    266 was bedeuten die Werte tatsächlich im Alltag der Menschen?
    267 Das Internet sei nicht nur Facebook und Twitter, so
    268 *Peters* - und die Bereiche, in denen wir es bislang
    269 geschafft hätten, den europäischen Raum zu politisieren,
    270 beispielsweise in der ACTA-Debatte, waren Debatten, die
    271 über eine Verlinkung verschiedener Plattformen
    272 funktionierten. Dadurch wurde eine länderübergreifende
    273 Aufmerksamkeit geschaffen. Wie das Beispiel der ungarischen
    274 Bewegung “Milla” zeige, reiche der nationale Raum scheinbar
    275 nicht immer aus, um etwas zu bewegen, sondern es bedürfe
    276 eines internationalen Drucks.
    277 An *Staatsminister Link* gerichtet fragte *Mayte Peters*:
    278 “Sie haben gesagt, wir müssen Verantwortungsräume schaffen
    279 und zwar einen lokalen, einen regionalen und einen
    280 mitgliedstaatlichen. Wo bleibt der europäische?” Das
    281 Problem bestehe darin, dass der Raum der europäischen
    282 Demokratie nicht politisiert werde. Außerdem würde die
    283 Debatte auf einem hohen Niveau geführt, mit dem man den
    284 Großteil der Bürger sowie diejenigen nicht erreichen
    285 könnte, die sich für bestimmte Themen interessieren und
    286 nicht mehr nur für die Institutionen Europas. Gerade in
    287 diesen Bürgern liege aber die Chance Europas.
    288
    289 Abschließend ging *Daniel Fazekas* auf die
    290 Internetverlinkung ein. Er betonte, dass für Bewegungen wie
    291 “Milla” entscheidend sei, dass überhaupt Debatten geführt
    292 werden und wenn schon nicht in Budapest, dann egal wo.
    293 “Milla” versuche über verschiedensprachige Facebookseiten,
    294 Nachrichten über Ungarn ins Netz zu stellen. Das Problem
    295 dabei sei jedoch, dass es zwei Sphären von Öffentlichkeit
    296 gebe. Es habe oft keinen Sinn, nationale Probleme im
    297 Ausland zu erklären, wohingegen in Ungarn sie jeder
    298 versteht. Weiterhin warf er die Frage auf, wen es außerhalb
    299 von Ungarn überhaupt interessieren würde. Bürger anderer
    300 Mitgliedstaaten seien empfänglicher für die populistische
    301 Sichtweise, dass Ungarn nicht pluralistisch oder
    302 demokratisch sei.
    303
    304 In seinen Schlussworten kam *Prof. Calliess* auf das dem
    305 Europäischen Salon zugrundeliegende Konzept zurück:
    306 “Inwieweit kann das Internet hier tatsächlich dazu
    307 beitragen, dass wir eben den demokratischen Raum weiten,
    308 die Diskussionssphäre weiten, zu einer europäischen
    309 Öffentlichkeit kommen über das Internet? Das ist sicherlich
    310 eine Frage, die uns weiter beschäftigen wird, auch im
    311 Europäischen Salon.”
    312
    313 [[Zurück zur
    314 Archivübersicht](https://publixphere.de/i/salon/page/Archiv_
    315 Europ%C3%A4ischer_Salon__1)]
  • Bericht über die Auftaktveranstaltung

    von Community Management , angelegt
    1 ![Bericht
    2 Auftaktveranstaltung](https://publixphere-cms.publixphere.de
    3 /de/salon-bilder/c-joanna-scheffel-960-x-350.jpg/@@images/im
    4 age.jpeg)
    5 *Foto&Teaser: ©Joanna Scheffel Photography*
    6
    7
    8 Am 26. November 2013 fand der Auftakt der
    9 Veranstaltungsreihe “Europäischer Salon” in der Berliner
    10 Repräsentanz der Robert Bosch Stiftung statt. *Prof. Dr.
    11 Christian Calliess, LL.M.* diskutierte mit den
    12 Podiumsgästen über Europäische Werte, nationalen Populismus
    13 und die Notwendigkeit einer europäischen Öffentlichkeit.
    14 Vorbereitet wurde die Veranstaltung auf der neu etablierten
    15 Internetplattform
    16 [salon.publixphere.de](https://publixphere.de/i/salon/instan
    17 ce/salon). Hier wurden vorab die von den Podiumsgästen
    18 eingereichten Statements kritisch hinterfragt und auch
    19 weiterführende Aspekte kontrovers diskutiert. Im
    20 Mittelpunkt des Europäischen Salons steht die Debatte
    21 junger Europäer mit Entscheidungsträgern aus Politik,
    22 Wissenschaft und Medien - online und offline.
    23
    24 Über 150 Veranstaltungsteilnehmer aus der
    25 Fachöffentlichkeit sowie Studenten und Schüler fanden sich
    26 zum Auftakt im Atrium der Stiftungsrepräsentanz zur
    27 Diskussion mit dem Staatsminister im Auswärtigen Amt,
    28 *Michael Georg Link*, dem Vorsitzenden des EU-Ausschusses,
    29 *Gunther Krichbaum*, dem Verfassungsrechtler und Mitglied
    30 des Wissenschaftskollegs Berlin, *Prof. Dr. Christoph
    31 Möllers, LL.M.* sowie *Daniel Fazekas*, Mitglied der
    32 ungarischen Bewegung “Milla - eine Million für die
    33 Pressefreiheit”, ein. Die ebenfalls eingeladene
    34 Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, *Viviane
    35 Reding*, konnte zwar nicht kommen, sendete zur Eröffnung
    36 aber eine Videobotschaft, in der sie die Bedeutung der
    37 direkten Einbindung der Bürger in die Zukunftsdebatte in
    38 Europa betonte, bevor große Reformen und neue Strukturen
    39 angegangen werden können: “Gerade junge Menschen müssen
    40 [dabei] beginnen, diese Debatte als eine Diskussion über
    41 ihr Europa zu sehen.”
    42
    43 In der zweistündigen Diskussionsveranstaltung standen neben
    44 der Notwendigkeit einer starken europäischen Öffentlichkeit
    45 vor allem europaweit zunehmende populistische Tendenzen und
    46 ihre möglichen Grenzen im Fokus. *Prof. Calliess* stellte
    47 eingangs die europäischen Werte als eine solche Grenze zur
    48 Diskussion. Er fragte, ob die EU die in Art. 2 des EUV
    49 genannten Werte in Unionsaufsicht in den Mitgliedstaaten
    50 durchzusetzen habe und inwieweit das bestehende
    51 Instrumentarium hierfür ausreicht. In ihren jeweiligen
    52 Eingangsstatements setzten sich dann die Podiumsgäste mit
    53 der so aufgeworfenen Frage nach Existenz und Durchsetzung
    54 europäischer Werte eingehend auseinander.
    55
    56 !(Podiumsgäste 1.
    57 Salon)[https://publixphere-cms.publixphere.de/de/salon-bilde
    58 r/podium-960x350.jpg/@@images/image.jpeg] *Foto&Teaser:
    59 ©Joanna Scheffel Photography*
    60
    61 *Staatsminister Link* erläuterte zu Beginn den vom
    62 Auswärtigen Amt unterstützten Vorschlag, durch eine
    63 “Grundwerte-Initiative” - auch als “Rechtsstaatsinitiative”
    64 bekannt - einen politischen Monitoringmechanismus zu
    65 schaffen, der für die Einhaltung der europäischen Werte
    66 durch die Mitgliedstaaten der Europäischen Union Sorge
    67 tragen kann. Es handelt sich dabei um eine gemeinsame
    68 Initiative der Außenminister Deutschlands, Dänemarks,
    69 Finnlands und der Niederlande, der sich mittlerweile viele
    70 Mitgliedstaaten angeschlossen haben und die auch von der
    71 Europäischen Kommission aufgegriffen wurde. Letztere werde
    72 diesbezüglich in der ersten Jahreshälfte 2014 ihren
    73 Umsetzungsvorschlag unterbreiten. Für *Staatsminister Link*
    74 vernachlässigt die EU bisher noch die Arbeit an der
    75 gemeinsamen Wertebasis. Um Grundwerteverstößen
    76 entgegenzuwirken, reiche einerseits der öffentlich durch
    77 die Medienberichterstattung ausgeübte Druck nicht aus,
    78 andererseits seien Sanktionen im Ministerrat nicht
    79 durchsetzbar, dies sei bereits mehrfach von
    80 mitgliedstaatlicher Seite signalisiert worden. Ein
    81 politischer Frühwarnmechanismus wie die
    82 Rechtsstaatsinitiative sei aber auch nicht “zahnlos”. Der
    83 Ministerrat müsse ein effektives Instrument bekommen, um
    84 Grundwerteverstöße identifizieren und frühzeitig
    85 eingreifen zu können. Vielleicht wäre es im Falle Ungarns
    86 dann auch gar nicht erst zu den problematischen Maßnahmen
    87 gekommen, konstatierte *Staatsminister Link*. In diesem
    88 Zusammenhang wies er aber auch darauf hin, dass die
    89 Grundwerte-Initiative unterschiedslos alle Mitgliedstaaten
    90 einschließen solle. Ziel sei es, die Lücke zwischen dem
    91 noch nie angewandten Sanktionsverfahren nach Art. 7 EUV und
    92 dem Vertragsverletzungsverfahren mit einem politisch leicht
    93 handhabbaren Instrument zu schließen.
    94 *Prof. Calliess* fragte daraufhin, ob nicht durch ein
    95 “systematisches Vertragsverletzungsverfahren” das
    96 Vertragsverletzungsverfahren für einen effektiven
    97 Grundwerteschutz fruchtbar gemacht werden könne. Dies solle
    98 ermöglichen, dass viele kleine Verletzungen sich zu einem
    99 Eingriff in die Rechtsstaatlichkeit, einem der Werte aus
    100 Art. 2 EUV, addieren. Weiterhin könne über diese Sanktionen
    101 eine Drohkulisse aufgebaut werden. Staatsminister Link
    102 schloss Sanktionen nicht konsequent aus, sofern diese als
    103 Ergebnis eines politischen Prozesses unter Beteiligung
    104 aller Institutionen eingeführt würden. Die
    105 Grundwerte-Initiative sei ein Instrument, das zunächst
    106 politisch wachsen müsse.
    107
    108 Dem Gedanken des politischen Prozesses stimmte *Prof.
    109 Möllers* zu: Es müsse mit einer Politisierung begonnen
    110 werden. Die EU solle dabei in kleinen Schritten vorgehen.
    111 Ein innenpolitischer Prozess sei der Ausgangspunkt. Er
    112 kritisierte in diesem Zusammenhang die “Tendenz in der
    113 europäischen Integration, Politik zu verrechtlichen und
    114 Recht zu moralisieren”, und beleuchtete die Existenz einer
    115 europäischen Wertegemeinschaft kritisch - bei vielen Fragen
    116 herrsche in Europa eben gerade kein Konsens für ein
    117 gemeinsames Handeln, wie der Syrienkonflikt verdeutliche.
    118 *Prof. Möllers* hinterfragte, ob es tatsächlich eine Grenze
    119 zwischen Populismus und Demokratie, die ja auch einer der
    120 Grundwerte des Art. 2 EUV ist, geben könne. “Populismus ist
    121 klassischerweise Klientelwirtschaft, man bietet den Leuten
    122 was Nettes an, damit sie einen wählen. *Frau Reding* hat
    123 gerade gesagt, es gibt billigere Roaminggebühren, also das
    124 scheint mir eine klassische populistische Figur zu sein,
    125 mit der man sagt: ‘Wenn ihr für Europa seid, dürft ihr
    126 billiger telefonieren.’ Ist völlig in Ordnung aber das ist
    127 eigentlich nicht das, was wir unter einem normativen
    128 Demokratiekonzept verstehen.” Populismus könne für ihn ein
    129 Mobilisierungsfaktor, ein notwendiges Element von
    130 Demokratie sein.
    131
    132 Nach der Beitrittsvoraussetzung und Durchsetzbarkeit des
    133 Wertekanons des Art. 2 EUV gefragt, rief *Gunther
    134 Krichbaum* die Kopenhagener Kriterien in Erinnerung, die
    135 von jedem beitrittswilligen Staat gemäß Art. 49 EUV zu
    136 berücksichtigen sind. Aber was kommt nach dem Beitritt? Für
    137 *Krichbaum* zeigen die Beispiele Rumäniens, Kroatiens oder
    138 Bulgariens, dass dringend Handlungsbedarf bestehe. Leider
    139 sei man aber erst jetzt so richtig aufgewacht.
    140
    141 Es schloss sich notwendig die Frage danach an, ob die
    142 Einmischung in eigene nationale Angelegenheiten in den
    143 Mitgliedstaaten denn überhaupt begrüßt wird. Hinsichtlich
    144 Ungarn bezog *Daniel Fazekas*, Gründungsmitglied der
    145 ungarischen Bewegung “Milla - eine Million für die
    146 Pressefreiheit”, Stellung. Die Beantwortung der Frage hänge
    147 davon ab, wen man frage: In Regierungspropaganda und
    148 Massenmedien werde die EU dämonisiert. Zudem werde
    149 propagiert, dass es dem Westen äußerst schlecht gehe. Die
    150 andere Seite der Bevölkerung wolle jedoch, dass die EU ihre
    151 Rechte schützt. Insgesamt habe die EU aber schon sehr
    152 positiv auf die Entwicklungen in Ungarn eingewirkt, meint
    153 *Fazekas*, so zum Beispiel durch das “Zurückzupfen” des
    154 Mediengesetzes.
    155 *Fazekas* stellte die Bewegung “Milla” kurz vor, die sich
    156 zunächst lediglich als eine zivilgesellschaftliche
    157 Plattform betrachtete - “im Grunde auf der Verbraucherseite
    158 der Politik”. Ihr Ziel war es, über ihre Facebookseite,
    159 durch Protestorganisationen sowie Informationen das
    160 Bewusstsein einer neuen politischen Generation zu schaffen.
    161 In ihrem 12-Punkte-Plan “Minimum Plus” findet sich als ein
    162 Aspekt auch die Einhaltung der Grundrechte und der
    163 europäischen Werte. Mittlerweile ist ein Strang von Milla
    164 sogar politisch aktiv. Zusammen mit dem ehemaligen
    165 ungarischen Premierminister Gordon Bajnai und der
    166 Gewerkschaftsgruppe “Solidarität” haben sie die Koalition
    167 “Zusammen 2014” gegründet.
    168
    169 *Prof. Calliess* warf daraufhin die Frage auf, ob die EU
    170 nicht in einem Dilemma sei, weil sie entweder zu viel oder
    171 zu wenig eingreife. *Krichbaum* erwiderte, dass ein Handeln
    172 der EU zwar oft als Einmischung in innere Angelegenheiten
    173 artikuliert werde, es jedoch keine sei, da spätestens seit
    174 dem Vertrag von Lissabon alle Bürger der Mitgliedstaaten
    175 auch Unionsbürger seien und die Kommission deren
    176 europäische, in der Grundrechte-Charta garantierten
    177 Bürgerrechte zu schützen und zu verteidigen habe.
    178
    179 Als nächstes wurde darüber diskutiert, dass die USA in
    180 Bezug auf die Einhaltung der europäischen Werte in Ungarn
    181 im Vergleich zur EU größere Präsenz zeigten. *Prof.
    182 Möllers* äußerte dabei seinen Eindruck, dass bestimmte
    183 Formen von politischer Handlungsfähigkeit, die man aus dem
    184 Bereich des Völkerrechts kenne, scheinbar vom Tisch seien.
    185 Als Gründe dafür sah er den derzeitigen Punkt des
    186 europäischen Integrationsprozesses sowie den hohen Grad an
    187 Verrechtlichung und Verflechtung der EU an. Die
    188 Möglichkeiten der USA, z.B. Zahlungen einzustellen, habe
    189 man innereuropäisch scheinbar nicht mehr, was zwar kein
    190 Argument gegen die EU sei, aber eine der vielen Ironien des
    191 Prozesses aufzeige.
    192 *Krichbaum* erwiderte, dass die Bundesrepublik die
    193 Möglichkeiten der USA nicht habe. Es müsse eine Balance
    194 gefunden werden zwischen der Existenz von roten Linien und
    195 der Möglichkeit zur Erzeugung eines ausreichenden
    196 politischen Drucks, da alle Mitgliedstaaten in der EU auf
    197 Dauer miteinander verbundene Partner seien. *Staatsminister
    198 Link* plädierte im Zuge dessen für eine gemeinsame
    199 Verteidigung der Werte.
    200
    201 Im Rahmen der offenen Diskussionsrunde mit dem Publikum
    202 kamen gerade von den vielen jungen Gästen sehr
    203 “europäische” Fragen nach der europäischen Identität und
    204 damit der Vermittlung Europas, der Ungleichbehandlung von
    205 Mitgliedstaaten bei der Thematisierung von Werteverstößen
    206 und der Grenze zwischen Populismus und knallharter
    207 Interessensvertretung auf.
    208
    209 Einigkeit herrschte beim Thema europäische Identität
    210 darüber, dass diese erst im Werden sei. Identitätsbildung
    211 müsse von jedem Einzelnen selbst ausgehen, sie könne nicht
    212 von der EU vorgeschrieben werden, so *Prof. Möllers*. Die
    213 fehlende Identität lasse sich auch in den
    214 Fehlkonstruktionen der EU suchen, beispielsweise durch den
    215 indirekten Vollzug, der dazu führe, dass die EU nicht
    216 sichtbar sei.
    217
    218 *Krichbaum* und *Staatsminister Link* waren sich einig,
    219 dass im Falle des Werteschutzes nicht mit zweierlei Maß
    220 gemessen werden sollte. *Staatsminister Link* brachte zur
    221 Vermeidung doppelter Standards erneut die
    222 Grundwerteinitiative ins Gespräch, da gerade ein
    223 politisches Vorgehen der richtige Weg sei. *Prof. Möllers*
    224 hingegen sah einen Unterschied in der Behandlung von Ungarn
    225 und einem “Alt”-Mitgliedstaat wie z.B. Frankreich. Mit
    226 Ungarn könne man anders umgehen als mit Frankreich, aber
    227 gerade deswegen sei der Vorstoß des Auswärtigen Amtes,
    228 zunächst nur politisch zu agieren, so “klug”.
    229
    230 Für *Prof. Möllers* ging es primär nicht um eine
    231 Vermittlung Europas, sondern vielmehr um reale, objektive
    232 Probleme. Er plädierte dafür, Probleme nicht zu
    233 medialisieren und stellte dabei auch das Internet als Raum
    234 für eine politische Debatte in Frage: “Worüber redet man im
    235 Internet am liebsten? - über das Internet! [...] Medien
    236 sind selbstreferenziell.” Dem wurde aus dem Publikum
    237 entgegengesetzt, dass dies eine Unterschätzung des
    238 Potenzials des Internets sei, politische Debatte zu
    239 verändern und auch den Wertediskurs in Europa
    240 voranzubringen.
    241
    242 Zur Grenze zwischen Interessenvertretung und Populismus
    243 äußerte *Staatsminister Link*, dass Populismus in
    244 Nationalismus übergehe und Feindbilder brauche und benutze,
    245 Interessenvertretung hingegen Regeln brauche und benutze.
    246 *Prof. Möllers* sah Populismus als ein vielleicht auch
    247 notwendiges Element der Demokratie, das als
    248 Mobilisierungsfaktor fungieren könnte.
    249
    250 Aus der Online-Debatte, die vorab auf salon.publixphere.de
    251 geführt wurde, brachte *Mayte Peters* (Publixphere e.V.)
    252 drei Kernaussagen in die Diskussion ein: Zum ersten dürfe
    253 Populismus nicht einfach abgetan werden, sondern es müsse
    254 eine kritische Debatte - auch um populistische Themen -
    255 geführt werden dürfen. Zum zweiten entstehe eine
    256 europäische Öffentlichkeit gerade um die Debatten über
    257 Werte und Populismus. Zum dritten reiche der pauschale
    258 Rekurs auf europäische Werte nicht aus.
    259 Werte müssten jedoch auch vermittelt werden können. Aber
    260 was bedeuten die Werte tatsächlich im Alltag der Menschen?
    261 Das Internet sei nicht nur Facebook und Twitter, so
    262 *Peters* - und die Bereiche, in denen wir es bislang
    263 geschafft hätten, den europäischen Raum zu politisieren,
    264 beispielsweise in der ACTA-Debatte, waren Debatten, die
    265 über eine Verlinkung verschiedener Plattformen
    266 funktionierten. Dadurch wurde eine länderübergreifende
    267 Aufmerksamkeit geschaffen. Wie das Beispiel der ungarischen
    268 Bewegung “Milla” zeige, reiche der nationale Raum scheinbar
    269 nicht immer aus, um etwas zu bewegen, sondern es bedürfe
    270 eines internationalen Drucks.
    271 An *Staatsminister Link* gerichtet fragte *Mayte Peters*:
    272 “Sie haben gesagt, wir müssen Verantwortungsräume schaffen
    273 und zwar einen lokalen, einen regionalen und einen
    274 mitgliedstaatlichen. Wo bleibt der europäische?” Das
    275 Problem bestehe darin, dass der Raum der europäischen
    276 Demokratie nicht politisiert werde. Außerdem würde die
    277 Debatte auf einem hohen Niveau geführt, mit dem man den
    278 Großteil der Bürger sowie diejenigen nicht erreichen
    279 könnte, die sich für bestimmte Themen interessieren und
    280 nicht mehr nur für die Institutionen Europas. Gerade in
    281 diesen Bürgern liege aber die Chance Europas.
    282
    283 Abschließend ging *Daniel Fazekas* auf die
    284 Internetverlinkung ein. Er betonte, dass für Bewegungen wie
    285 “Milla” entscheidend sei, dass überhaupt Debatten geführt
    286 werden und wenn schon nicht in Budapest, dann egal wo.
    287 “Milla” versuche über verschiedensprachige Facebookseiten,
    288 Nachrichten über Ungarn ins Netz zu stellen. Das Problem
    289 dabei sei jedoch, dass es zwei Sphären von Öffentlichkeit
    290 gebe. Es habe oft keinen Sinn, nationale Probleme im
    291 Ausland zu erklären, wohingegen in Ungarn sie jeder
    292 versteht. Weiterhin warf er die Frage auf, wen es außerhalb
    293 von Ungarn überhaupt interessieren würde. Bürger anderer
    294 Mitgliedstaaten seien empfänglicher für die populistische
    295 Sichtweise, dass Ungarn nicht pluralistisch oder
    296 demokratisch sei.
    297
    298 In seinen Schlussworten kam *Prof. Calliess* auf das dem
    299 Europäischen Salon zugrundeliegende Konzept zurück:
    300 “Inwieweit kann das Internet hier tatsächlich dazu
    301 beitragen, dass wir eben den demokratischen Raum weiten,
    302 die Diskussionssphäre weiten, zu einer europäischen
    303 Öffentlichkeit kommen über das Internet? Das ist sicherlich
    304 eine Frage, die uns weiter beschäftigen wird, auch im
    305 Europäischen Salon.”
    306
    307 [[Zurück zur
    308 Archivübersicht](https://publixphere.de/i/salon/page/Archiv_
    309 Europ%C3%A4ischer_Salon__1)]
  • Bericht über die Auftaktveranstaltung

    von Community Management , angelegt
    1 ![Bericht
    2 Auftaktveranstaltung](https://publixphere-cms.publixphere.de
    3 /de/salon-bilder/c-joanna-scheffel-960-x-350.jpg/@@images/im
    4 age.jpeg)
    5 *Foto & Teaser: ©Joanna Scheffel Photography*
    6
    7
    8 Am 26. November 2013 fand der Auftakt der
    9 Veranstaltungsreihe “Europäischer Salon” in der Berliner
    10 Repräsentanz der Robert Bosch Stiftung statt. *Prof. Dr.
    11 Christian Calliess, LL.M.* diskutierte mit den
    12 Podiumsgästen über Europäische Werte, nationalen Populismus
    13 und die Notwendigkeit einer europäischen Öffentlichkeit.
    14 Vorbereitet wurde die Veranstaltung auf der neu etablierten
    15 Internetplattform
    16 [salon.publixphere.de](https://publixphere.de/i/salon/instan
    17 ce/salon). Hier wurden vorab die von den Podiumsgästen
    18 eingereichten Statements kritisch hinterfragt und auch
    19 weiterführende Aspekte kontrovers diskutiert. Im
    20 Mittelpunkt des Europäischen Salons steht die Debatte
    21 junger Europäer mit Entscheidungsträgern aus Politik,
    22 Wissenschaft und Medien - online und offline.
    23
    24 Über 150 Veranstaltungsteilnehmer aus der
    25 Fachöffentlichkeit sowie Studenten und Schüler fanden sich
    26 zum Auftakt im Atrium der Stiftungsrepräsentanz zur
    27 Diskussion mit dem Staatsminister im Auswärtigen Amt,
    28 *Michael Georg Link*, dem Vorsitzenden des EU-Ausschusses,
    29 *Gunther Krichbaum*, dem Verfassungsrechtler und Mitglied
    30 des Wissenschaftskollegs Berlin, *Prof. Dr. Christoph
    31 Möllers, LL.M.* sowie *Daniel Fazekas*, Mitglied der
    32 ungarischen Bewegung “Milla - eine Million für die
    33 Pressefreiheit”, ein. Die ebenfalls eingeladene
    34 Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, *Viviane
    35 Reding*, konnte zwar nicht kommen, sendete zur Eröffnung
    36 aber eine Videobotschaft, in der sie die Bedeutung der
    37 direkten Einbindung der Bürger in die Zukunftsdebatte in
    38 Europa betonte, bevor große Reformen und neue Strukturen
    39 angegangen werden können: “Gerade junge Menschen müssen
    40 [dabei] beginnen, diese Debatte als eine Diskussion über
    41 ihr Europa zu sehen.”
    42
    43 In der zweistündigen Diskussionsveranstaltung standen neben
    44 der Notwendigkeit einer starken europäischen Öffentlichkeit
    45 vor allem europaweit zunehmende populistische Tendenzen und
    46 ihre möglichen Grenzen im Fokus. *Prof. Calliess* stellte
    47 eingangs die europäischen Werte als eine solche Grenze zur
    48 Diskussion. Er fragte, ob die EU die in Art. 2 des EUV
    49 genannten Werte in Unionsaufsicht in den Mitgliedstaaten
    50 durchzusetzen habe und inwieweit das bestehende
    51 Instrumentarium hierfür ausreicht. In ihren jeweiligen
    52 Eingangsstatements setzten sich dann die Podiumsgäste mit
    53 der so aufgeworfenen Frage nach Existenz und Durchsetzung
    54 europäischer Werte eingehend auseinander.
    55
    56 ![(Podiumsgäste](https://publixphere-cms.publixphere.de/de/s
    57 alon-bilder/podium-960x350.jpg/@@images/image.jpeg) *Das
    58 Podium des 1. Europäischen Salons. Foto&Teaser: ©Joanna
    59 Scheffel Photography*
    60
    61 *Staatsminister Link* erläuterte zu Beginn den vom
    62 Auswärtigen Amt unterstützten Vorschlag, durch eine
    63 “Grundwerte-Initiative” - auch als “Rechtsstaatsinitiative”
    64 bekannt - einen politischen Monitoringmechanismus zu
    65 schaffen, der für die Einhaltung der europäischen Werte
    66 durch die Mitgliedstaaten der Europäischen Union Sorge
    67 tragen kann. Es handelt sich dabei um eine gemeinsame
    68 Initiative der Außenminister Deutschlands, Dänemarks,
    69 Finnlands und der Niederlande, der sich mittlerweile viele
    70 Mitgliedstaaten angeschlossen haben und die auch von der
    71 Europäischen Kommission aufgegriffen wurde. Letztere werde
    72 diesbezüglich in der ersten Jahreshälfte 2014 ihren
    73 Umsetzungsvorschlag unterbreiten. Für *Staatsminister Link*
    74 vernachlässigt die EU bisher noch die Arbeit an der
    75 gemeinsamen Wertebasis. Um Grundwerteverstößen
    76 entgegenzuwirken, reiche einerseits der öffentlich durch
    77 die Medienberichterstattung ausgeübte Druck nicht aus,
    78 andererseits seien Sanktionen im Ministerrat nicht
    79 durchsetzbar, dies sei bereits mehrfach von
    80 mitgliedstaatlicher Seite signalisiert worden. Ein
    81 politischer Frühwarnmechanismus wie die
    82 Rechtsstaatsinitiative sei aber auch nicht “zahnlos”. Der
    83 Ministerrat müsse ein effektives Instrument bekommen, um
    84 Grundwerteverstöße identifizieren und frühzeitig
    85 eingreifen zu können. Vielleicht wäre es im Falle Ungarns
    86 dann auch gar nicht erst zu den problematischen Maßnahmen
    87 gekommen, konstatierte *Staatsminister Link*. In diesem
    88 Zusammenhang wies er aber auch darauf hin, dass die
    89 Grundwerte-Initiative unterschiedslos alle Mitgliedstaaten
    90 einschließen solle. Ziel sei es, die Lücke zwischen dem
    91 noch nie angewandten Sanktionsverfahren nach Art. 7 EUV und
    92 dem Vertragsverletzungsverfahren mit einem politisch leicht
    93 handhabbaren Instrument zu schließen.
    94 *Prof. Calliess* fragte daraufhin, ob nicht durch ein
    95 “systematisches Vertragsverletzungsverfahren” das
    96 Vertragsverletzungsverfahren für einen effektiven
    97 Grundwerteschutz fruchtbar gemacht werden könne. Dies solle
    98 ermöglichen, dass viele kleine Verletzungen sich zu einem
    99 Eingriff in die Rechtsstaatlichkeit, einem der Werte aus
    100 Art. 2 EUV, addieren. Weiterhin könne über diese Sanktionen
    101 eine Drohkulisse aufgebaut werden. Staatsminister Link
    102 schloss Sanktionen nicht konsequent aus, sofern diese als
    103 Ergebnis eines politischen Prozesses unter Beteiligung
    104 aller Institutionen eingeführt würden. Die
    105 Grundwerte-Initiative sei ein Instrument, das zunächst
    106 politisch wachsen müsse.
    107
    108 Dem Gedanken des politischen Prozesses stimmte *Prof.
    109 Möllers* zu: Es müsse mit einer Politisierung begonnen
    110 werden. Die EU solle dabei in kleinen Schritten vorgehen.
    111 Ein innenpolitischer Prozess sei der Ausgangspunkt. Er
    112 kritisierte in diesem Zusammenhang die “Tendenz in der
    113 europäischen Integration, Politik zu verrechtlichen und
    114 Recht zu moralisieren”, und beleuchtete die Existenz einer
    115 europäischen Wertegemeinschaft kritisch - bei vielen Fragen
    116 herrsche in Europa eben gerade kein Konsens für ein
    117 gemeinsames Handeln, wie der Syrienkonflikt verdeutliche.
    118 *Prof. Möllers* hinterfragte, ob es tatsächlich eine Grenze
    119 zwischen Populismus und Demokratie, die ja auch einer der
    120 Grundwerte des Art. 2 EUV ist, geben könne. “Populismus ist
    121 klassischerweise Klientelwirtschaft, man bietet den Leuten
    122 was Nettes an, damit sie einen wählen. *Frau Reding* hat
    123 gerade gesagt, es gibt billigere Roaminggebühren, also das
    124 scheint mir eine klassische populistische Figur zu sein,
    125 mit der man sagt: ‘Wenn ihr für Europa seid, dürft ihr
    126 billiger telefonieren.’ Ist völlig in Ordnung aber das ist
    127 eigentlich nicht das, was wir unter einem normativen
    128 Demokratiekonzept verstehen.” Populismus könne für ihn ein
    129 Mobilisierungsfaktor, ein notwendiges Element von
    130 Demokratie sein.
    131
    132 Nach der Beitrittsvoraussetzung und Durchsetzbarkeit des
    133 Wertekanons des Art. 2 EUV gefragt, rief *Gunther
    134 Krichbaum* die Kopenhagener Kriterien in Erinnerung, die
    135 von jedem beitrittswilligen Staat gemäß Art. 49 EUV zu
    136 berücksichtigen sind. Aber was kommt nach dem Beitritt? Für
    137 *Krichbaum* zeigen die Beispiele Rumäniens, Kroatiens oder
    138 Bulgariens, dass dringend Handlungsbedarf bestehe. Leider
    139 sei man aber erst jetzt so richtig aufgewacht.
    140
    141 Es schloss sich notwendig die Frage danach an, ob die
    142 Einmischung in eigene nationale Angelegenheiten in den
    143 Mitgliedstaaten denn überhaupt begrüßt wird. Hinsichtlich
    144 Ungarn bezog *Daniel Fazekas*, Gründungsmitglied der
    145 ungarischen Bewegung “Milla - eine Million für die
    146 Pressefreiheit”, Stellung. Die Beantwortung der Frage hänge
    147 davon ab, wen man frage: In Regierungspropaganda und
    148 Massenmedien werde die EU dämonisiert. Zudem werde
    149 propagiert, dass es dem Westen äußerst schlecht gehe. Die
    150 andere Seite der Bevölkerung wolle jedoch, dass die EU ihre
    151 Rechte schützt. Insgesamt habe die EU aber schon sehr
    152 positiv auf die Entwicklungen in Ungarn eingewirkt, meint
    153 *Fazekas*, so zum Beispiel durch das “Zurückzupfen” des
    154 Mediengesetzes.
    155 *Fazekas* stellte die Bewegung “Milla” kurz vor, die sich
    156 zunächst lediglich als eine zivilgesellschaftliche
    157 Plattform betrachtete - “im Grunde auf der Verbraucherseite
    158 der Politik”. Ihr Ziel war es, über ihre Facebookseite,
    159 durch Protestorganisationen sowie Informationen das
    160 Bewusstsein einer neuen politischen Generation zu schaffen.
    161 In ihrem 12-Punkte-Plan “Minimum Plus” findet sich als ein
    162 Aspekt auch die Einhaltung der Grundrechte und der
    163 europäischen Werte. Mittlerweile ist ein Strang von Milla
    164 sogar politisch aktiv. Zusammen mit dem ehemaligen
    165 ungarischen Premierminister Gordon Bajnai und der
    166 Gewerkschaftsgruppe “Solidarität” haben sie die Koalition
    167 “Zusammen 2014” gegründet.
    168
    169
    170 ![Calliess](https://publixphere-cms.publixphere.de/de/salon-
    171 bilder/calliess-780x350.jpg/@@images/image.jpeg) *Prof.
    172 Calliess, Moderator der Podiumsdiskussion.
    173 Foto & Teaser: ©Joanna Scheffel Photography*
    174
    175
    176 *Prof. Calliess* warf daraufhin die Frage auf, ob die EU
    177 nicht in einem Dilemma sei, weil sie entweder zu viel oder
    178 zu wenig eingreife. *Krichbaum* erwiderte, dass ein Handeln
    179 der EU zwar oft als Einmischung in innere Angelegenheiten
    180 artikuliert werde, es jedoch keine sei, da spätestens seit
    181 dem Vertrag von Lissabon alle Bürger der Mitgliedstaaten
    182 auch Unionsbürger seien und die Kommission deren
    183 europäische, in der Grundrechte-Charta garantierten
    184 Bürgerrechte zu schützen und zu verteidigen habe.
    185
    186 Als nächstes wurde darüber diskutiert, dass die USA in
    187 Bezug auf die Einhaltung der europäischen Werte in Ungarn
    188 im Vergleich zur EU größere Präsenz zeigten. *Prof.
    189 Möllers* äußerte dabei seinen Eindruck, dass bestimmte
    190 Formen von politischer Handlungsfähigkeit, die man aus dem
    191 Bereich des Völkerrechts kenne, scheinbar vom Tisch seien.
    192 Als Gründe dafür sah er den derzeitigen Punkt des
    193 europäischen Integrationsprozesses sowie den hohen Grad an
    194 Verrechtlichung und Verflechtung der EU an. Die
    195 Möglichkeiten der USA, z.B. Zahlungen einzustellen, habe
    196 man innereuropäisch scheinbar nicht mehr, was zwar kein
    197 Argument gegen die EU sei, aber eine der vielen Ironien des
    198 Prozesses aufzeige.
    199 *Krichbaum* erwiderte, dass die Bundesrepublik die
    200 Möglichkeiten der USA nicht habe. Es müsse eine Balance
    201 gefunden werden zwischen der Existenz von roten Linien und
    202 der Möglichkeit zur Erzeugung eines ausreichenden
    203 politischen Drucks, da alle Mitgliedstaaten in der EU auf
    204 Dauer miteinander verbundene Partner seien. *Staatsminister
    205 Link* plädierte im Zuge dessen für eine gemeinsame
    206 Verteidigung der Werte.
    207
    208 Im Rahmen der offenen Diskussionsrunde mit dem Publikum
    209 kamen gerade von den vielen jungen Gästen sehr
    210 “europäische” Fragen nach der europäischen Identität und
    211 damit der Vermittlung Europas, der Ungleichbehandlung von
    212 Mitgliedstaaten bei der Thematisierung von Werteverstößen
    213 und der Grenze zwischen Populismus und knallharter
    214 Interessensvertretung auf.
    215
    216 ![Publikumsfrage](https://publixphere-cms.publixphere.de/de/
    217 salon-bilder/eu-salon1-publikum-960x350.jpg/@@images/image.j
    218 peg)*Frage aus dem Publikum. Foto &Teaser: ©Joanna
    219 Scheffel Photography*
    220
    221 Einigkeit herrschte beim Thema europäische Identität
    222 darüber, dass diese erst im Werden sei. Identitätsbildung
    223 müsse von jedem Einzelnen selbst ausgehen, sie könne nicht
    224 von der EU vorgeschrieben werden, so *Prof. Möllers*. Die
    225 fehlende Identität lasse sich auch in den
    226 Fehlkonstruktionen der EU suchen, beispielsweise durch den
    227 indirekten Vollzug, der dazu führe, dass die EU nicht
    228 sichtbar sei.
    229
    230 *Krichbaum* und *Staatsminister Link* waren sich einig,
    231 dass im Falle des Werteschutzes nicht mit zweierlei Maß
    232 gemessen werden sollte. *Staatsminister Link* brachte zur
    233 Vermeidung doppelter Standards erneut die
    234 Grundwerteinitiative ins Gespräch, da gerade ein
    235 politisches Vorgehen der richtige Weg sei. *Prof. Möllers*
    236 hingegen sah einen Unterschied in der Behandlung von Ungarn
    237 und einem “Alt”-Mitgliedstaat wie z.B. Frankreich. Mit
    238 Ungarn könne man anders umgehen als mit Frankreich, aber
    239 gerade deswegen sei der Vorstoß des Auswärtigen Amtes,
    240 zunächst nur politisch zu agieren, so “klug”.
    241
    242 Für *Prof. Möllers* ging es primär nicht um eine
    243 Vermittlung Europas, sondern vielmehr um reale, objektive
    244 Probleme. Er plädierte dafür, Probleme nicht zu
    245 medialisieren und stellte dabei auch das Internet als Raum
    246 für eine politische Debatte in Frage: “Worüber redet man im
    247 Internet am liebsten? - über das Internet! [...] Medien
    248 sind selbstreferenziell.” Dem wurde aus dem Publikum
    249 entgegengesetzt, dass dies eine Unterschätzung des
    250 Potenzials des Internets sei, politische Debatte zu
    251 verändern und auch den Wertediskurs in Europa
    252 voranzubringen.
    253
    254 Zur Grenze zwischen Interessenvertretung und Populismus
    255 äußerte *Staatsminister Link*, dass Populismus in
    256 Nationalismus übergehe und Feindbilder brauche und benutze,
    257 Interessenvertretung hingegen Regeln brauche und benutze.
    258 *Prof. Möllers* sah Populismus als ein vielleicht auch
    259 notwendiges Element der Demokratie, das als
    260 Mobilisierungsfaktor fungieren könnte.
    261
    262 ![Mayte
    263 Peters](https://publixphere-cms.publixphere.de/de/salon-bild
    264 er/mayte-960x350.jpg/@@images/image.jpeg)*Dr. Mayte Peters,
    265 Publixphere e.V. bringt Beiträge der Online-Community ein.
    266 Foto & Teaser: ©Joanna Scheffel Photography*
    267
    268 Aus der Online-Debatte, die vorab auf salon.publixphere.de
    269 geführt wurde, brachte *Mayte Peters* (Publixphere e.V.)
    270 drei Kernaussagen in die Diskussion ein: Zum ersten dürfe
    271 Populismus nicht einfach abgetan werden, sondern es müsse
    272 eine kritische Debatte - auch um populistische Themen -
    273 geführt werden dürfen. Zum zweiten entstehe eine
    274 europäische Öffentlichkeit gerade um die Debatten über
    275 Werte und Populismus. Zum dritten reiche der pauschale
    276 Rekurs auf europäische Werte nicht aus.
    277 Werte müssten jedoch auch vermittelt werden können. Aber
    278 was bedeuten die Werte tatsächlich im Alltag der Menschen?
    279 Das Internet sei nicht nur Facebook und Twitter, so
    280 *Peters* - und die Bereiche, in denen wir es bislang
    281 geschafft hätten, den europäischen Raum zu politisieren,
    282 beispielsweise in der ACTA-Debatte, waren Debatten, die
    283 über eine Verlinkung verschiedener Plattformen
    284 funktionierten. Dadurch wurde eine länderübergreifende
    285 Aufmerksamkeit geschaffen. Wie das Beispiel der ungarischen
    286 Bewegung “Milla” zeige, reiche der nationale Raum scheinbar
    287 nicht immer aus, um etwas zu bewegen, sondern es bedürfe
    288 eines internationalen Drucks.
    289 An *Staatsminister Link* gerichtet fragte *Mayte Peters*:
    290 “Sie haben gesagt, wir müssen Verantwortungsräume schaffen
    291 und zwar einen lokalen, einen regionalen und einen
    292 mitgliedstaatlichen. Wo bleibt der europäische?” Das
    293 Problem bestehe darin, dass der Raum der europäischen
    294 Demokratie nicht politisiert werde. Außerdem würde die
    295 Debatte auf einem hohen Niveau geführt, mit dem man den
    296 Großteil der Bürger sowie diejenigen nicht erreichen
    297 könnte, die sich für bestimmte Themen interessieren und
    298 nicht mehr nur für die Institutionen Europas. Gerade in
    299 diesen Bürgern liege aber die Chance Europas.
    300
    301 Abschließend ging *Daniel Fazekas* auf die
    302 Internetverlinkung ein. Er betonte, dass für Bewegungen wie
    303 “Milla” entscheidend sei, dass überhaupt Debatten geführt
    304 werden und wenn schon nicht in Budapest, dann egal wo.
    305 “Milla” versuche über verschiedensprachige Facebookseiten,
    306 Nachrichten über Ungarn ins Netz zu stellen. Das Problem
    307 dabei sei jedoch, dass es zwei Sphären von Öffentlichkeit
    308 gebe. Es habe oft keinen Sinn, nationale Probleme im
    309 Ausland zu erklären, wohingegen in Ungarn sie jeder
    310 versteht. Weiterhin warf er die Frage auf, wen es außerhalb
    311 von Ungarn überhaupt interessieren würde. Bürger anderer
    312 Mitgliedstaaten seien empfänglicher für die populistische
    313 Sichtweise, dass Ungarn nicht pluralistisch oder
    314 demokratisch sei.
    315
    316 In seinen Schlussworten kam *Prof. Calliess* auf das dem
    317 Europäischen Salon zugrundeliegende Konzept zurück:
    318 “Inwieweit kann das Internet hier tatsächlich dazu
    319 beitragen, dass wir eben den demokratischen Raum weiten,
    320 die Diskussionssphäre weiten, zu einer europäischen
    321 Öffentlichkeit kommen über das Internet? Das ist sicherlich
    322 eine Frage, die uns weiter beschäftigen wird, auch im
    323 Europäischen Salon.”
    324
    325 [[Zurück zur
    326 Archivübersicht](https://publixphere.de/i/salon/page/Archiv_
    327 Europ%C3%A4ischer_Salon__1)]
  • * Bericht über die Auftaktveranstaltung

    von admin, angelegt
    1 Am 26. November 2013 fand der Auftakt der
    2 Veranstaltungsreihe “Europäischer Salon” in der Berliner
    3 Repräsentanz der Robert Bosch Stiftung statt. *Prof. Dr.
    4 Christian Calliess, LL.M.* diskutierte mit den
    5 Podiumsgästen über Europäische Werte, nationalen Populismus
    6 und die Notwendigkeit einer europäischen Öffentlichkeit.
    7 Vorbereitet wurde die Veranstaltung auf der neu etablierten
    8 Internetplattform salon.publixphere.de. Hier wurden vorab
    9 die von den Podiumsgästen eingereichten Statements kritisch
    10 hinterfragt und auch weiterführende Aspekte kontrovers
    11 diskutiert. Im Mittelpunkt des Europäischen Salons steht
    12 die Debatte junger Europäer mit Entscheidungsträgern aus
    13 Politik, Wissenschaft und Medien - online und offline.
    14
    15 Über 150 Veranstaltungsteilnehmer aus der
    16 Fachöffentlichkeit sowie Studenten und Schüler fanden sich
    17 zum Auftakt im Atrium der Stiftungsrepräsentanz zur
    18 Diskussion mit dem Staatsminister im Auswärtigen Amt,
    19 *Michael Georg Link*, dem Vorsitzenden des EU-Ausschusses,
    20 *Gunther Krichbaum*, dem Verfassungsrechtler und Mitglied
    21 des Wissenschaftskollegs Berlin, *Prof. Dr. Christoph
    22 Möllers, LL.M.* sowie *Daniel Fazekas*, Mitglied der
    23 ungarischen Bewegung “Milla - eine Million für die
    24 Pressefreiheit”, ein. Die ebenfalls eingeladene
    25 Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, *Viviane
    26 Reding*, konnte zwar nicht kommen, sendete zur Eröffnung
    27 aber eine Videobotschaft, in der sie die Bedeutung der
    28 direkten Einbindung der Bürger in die Zukunftsdebatte in
    29 Europa betonte, bevor große Reformen und neue Strukturen
    30 angegangen werden können: “Gerade junge Menschen müssen
    31 [dabei] beginnen, diese Debatte als eine Diskussion über
    32 ihr Europa zu sehen.”
    33
    34 In der zweistündigen Diskussionsveranstaltung standen neben
    35 der Notwendigkeit einer starken europäischen Öffentlichkeit
    36 vor allem europaweit zunehmende populistische Tendenzen und
    37 ihre möglichen Grenzen im Fokus. *Prof. Calliess* stellte
    38 eingangs die europäischen Werte als eine solche Grenze zur
    39 Diskussioneiner. Er fragte, ob die EU die in Art. 2 des EUV
    40 genannten Werte in Aufsicht Unionsaufsicht in den
    41 Mitgliedstaaten durchzusetzen habe und inwieweit das
    42 bestehende Instrumentarium hierfür ausreicht. In ihren
    43 jeweiligen Eingangsstatements setzten sich dann die
    44 Podiumsgäste mit der so aufgeworfenen Frage nach Existenz
    45 und Durchsetzung europäischer Werte eingehend auseinander.
    46
    47 *Staatsminister Link* erläuterte zu Beginn den vom
    48 Auswärtigen Amt unterstützten Vorschlag, durch eine
    49 “Grundwerte-Initiative” - auch als “Rechtsstaatsinitiative”
    50 bekannt - einen politischen Monitoringmechanismus zu
    51 schaffen, der für die Einhaltung der europäischen Werte
    52 durch die Mitgliedstaaten der Europäischen Union Sorge
    53 tragen kann. Es handelt sich dabei um eine gemeinsame
    54 Initiative der Außenminister Deutschlands, Dänemarks,
    55 Finnlands und der Niederlande, der sich mittlerweile viele
    56 Mitgliedstaaten angeschlossen haben und die auch von der
    57 Europäischen Kommission aufgegriffen wurde. Letztere werde
    58 diesbezüglich in der ersten Jahreshälfte 2014 ihren
    59 Umsetzungsvorschlag unterbreiten. Für *Staatsminister Link*
    60 vernachlässigt die EU bisher noch die Arbeit an der
    61 gemeinsamen Wertebasis. Um Grundwerteverstößen
    62 entgegenzuwirken, reiche einerseits der öffentlich durch
    63 die Medienberichterstattung ausgeübte Druck nicht aus,
    64 andererseits seien Sanktionen im Ministerrat nicht
    65 durchsetzbar, dies sei bereits mehrfach von
    66 mitgliedstaatlicher Seite signalisiert worden. Ein
    67 politischer Frühwarnmechanismus wie die
    68 Rechtsstaatsinitiative sei aber auch nicht “zahnlos”. Der
    69 Ministerrat müsse ein effektives Instrument bekommen, um
    70 Grundwerteverstöße identifizieren und frühzeitig
    71 eingreifen zu können. Vielleicht wäre es im Falle Ungarns
    72 dann auch gar nicht erst zu den problematischen Maßnahmen
    73 gekommen, konstatierte *Staatsminister Link*. In diesem
    74 Zusammenhang wies er aber auch darauf hin, dass die
    75 Grundwerte-Initiative unterschiedslos alle Mitgliedstaaten
    76 einschließen solle. Ziel sei es, die Lücke zwischen dem
    77 noch nie angewandten Sanktionsverfahren nach Art. 7 EUV und
    78 dem Vertragsverletzungsverfahren mit einem politisch leicht
    79 handhabbaren Instrument zu schließen.
    80 *Prof. Calliess* fragte daraufhin, ob nicht durch ein
    81 “systematisches Vertragsverletzungsverfahren” das
    82 Vertragsverletzungsverfahren für einen effektiven
    83 Grundwerteschutz fruchtbar gemacht werden könne. Dies solle
    84 ermöglichen, dass viele kleine Verletzungen sich zu einem
    85 Eingriff in die Rechtsstaatlichkeit, einem der Werte aus
    86 Art. 2 EUV, addieren. Weiterhin könne über diese Sanktionen
    87 eine Drohkulisse aufgebaut werden. Staatsminister Link
    88 schloss Sanktionen nicht konsequent aus, sofern diese als
    89 Ergebnis eines politischen Prozesses unter Beteiligung
    90 aller Institutionen eingeführt würden. Die
    91 Grundwerte-Initiative sei ein Instrument, das zunächst
    92 politisch wachsen müsse.
    93
    94 Dem Gedanken des politischen Prozesses stimmte *Prof.
    95 Möllers* zu: Es müsse mit einer Politisierung begonnen
    96 werden. Die EU solle dabei in kleinen Schritten vorgehen.
    97 Ein innenpolitischer Prozess sei der Ausgangspunkt. Er
    98 kritisierte in diesem Zusammenhang die “Tendenz in der
    99 europäischen Integration, Politik zu verrechtlichen und
    100 Recht zu moralisieren”, und beleuchtete die Existenz einer
    101 europäischen Wertegemeinschaft kritisch - bei vielen Fragen
    102 herrsche in Europa eben gerade kein Konsens für ein
    103 gemeinsames Handeln, wie der Syrienkonflikt verdeutliche.
    104 *Prof. Möllers* hinterfragte, ob es tatsächlich eine Grenze
    105 zwischen Populismus und Demokratie, die ja auch einer der
    106 Grundwerte des Art. 2 EUV ist, geben könne. “Populismus ist
    107 klassischerweise Klientelwirtschaft, man bietet den Leuten
    108 was Nettes an, damit sie einen wählen. *Frau Reding* hat
    109 gerade gesagt, es gibt billigere Roaminggebühren, also das
    110 scheint mir eine klassische populistische Figur zu sein,
    111 mit der man sagt: ‘Wenn ihr für Europa seid, dürft ihr
    112 billiger telefonieren.’ Ist völlig in Ordnung aber das ist
    113 eigentlich nicht das, was wir unter einem normativen
    114 Demokratiekonzept verstehen.” Populismus könne für ihn ein
    115 Mobilisierungsfaktor, ein notwendiges Element von
    116 Demokratie sein.
    117
    118 Nach der Beitrittsvoraussetzung und Durchsetzbarkeit des
    119 Wertekanons des Art. 2 EUV gefragt, rief *Gunther
    120 Krichbaum* die Kopenhagener Kriterien in Erinnerung, die
    121 von jedem beitrittswilligen Staat gemäß Art. 49 EUV zu
    122 berücksichtigen sind. Aber was kommt nach dem Beitritt? Für
    123 *Krichbaum* zeigen die Beispiele Rumäniens, Kroatiens oder
    124 Bulgariens, dass dringend Handlungsbedarf bestehe. Leider
    125 sei man aber erst jetzt so richtig aufgewacht.
    126
    127 Es schloss sich notwendig die Frage danach an, ob die
    128 Einmischung in eigene nationale Angelegenheiten in den
    129 Mitgliedstaaten denn überhaupt begrüßt wird. Hinsichtlich
    130 Ungarn bezog *Daniel Fazekas*, Gründungsmitglied der
    131 ungarischen Bewegung “Milla - eine Million für die
    132 Pressefreiheit”, Stellung. Die Beantwortung der Frage hänge
    133 davon ab, wen man frage: In Regierungspropaganda und
    134 Massenmedien werde die EU dämonisiert. Zudem werde
    135 propagiert, dass es dem Westen äußerst schlecht gehe. Die
    136 andere Seite der Bevölkerung wolle jedoch, dass die EU ihre
    137 Rechte schützt. Insgesamt habe die EU aber schon sehr
    138 positiv auf die Entwicklungen in Ungarn eingewirkt, meint
    139 *Fazekas*, so zum Beispiel durch das “Zurückzupfen” des
    140 Mediengesetzes.
    141 *Fazekas* stellte die Bewegung “Milla” kurz vor, die sich
    142 zunächst lediglich als eine zivilgesellschaftliche
    143 Plattform betrachtete - “im Grunde auf der Verbraucherseite
    144 der Politik”. Ihr Ziel war es, über ihre Facebookseite,
    145 durch Protestorganisationen sowie Informationen das
    146 Bewusstsein einer neuen politischen Generation zu schaffen.
    147 In ihrem 12-Punkte-Plan “Minimum Plus” findet sich als ein
    148 Aspekt auch die Einhaltung der Grundrechte und der
    149 europäischen Werte. Mittlerweile ist ein Strang von Milla
    150 sogar politisch aktiv. Zusammen mit dem ehemaligen
    151 ungarischen Premierminister Gordon Bajnai und der
    152 Gewerkschaftsgruppe “Solidarität” haben sie die Koalition
    153 “Zusammen 2014” gegründet.
    154
    155 *Prof. Calliess* warf daraufhin die Frage auf, ob die EU
    156 nicht in einem Dilemma sei, weil sie entweder zu viel oder
    157 zu wenig eingreife. *Krichbaum* erwiderte, dass ein Handeln
    158 der EU zwar oft als Einmischung in innere Angelegenheiten
    159 artikuliert werde, es jedoch keine sei, da spätestens seit
    160 dem Vertrag von Lissabon alle Bürger der Mitgliedstaaten
    161 auch Unionsbürger seien und die Kommission deren
    162 europäische, in der Grundrechte-Charta garantierten
    163 Bürgerrechte zu schützen und zu verteidigen habe.
    164
    165 Als nächstes wurde darüber diskutiert, dass die USA in
    166 Bezug auf die Einhaltung der europäischen Werte in Ungarn
    167 im Vergleich zur EU größere Präsenz zeigten. *Prof.
    168 Möllers* äußerte dabei seinen Eindruck, dass bestimmte
    169 Formen von politischer Handlungsfähigkeit, die man aus dem
    170 Bereich des Völkerrechts kenne, scheinbar vom Tisch seien.
    171 Als Gründe dafür sah er den derzeitigen Punkt des
    172 europäischen Integrationsprozesses sowie den hohen Grad an
    173 Verrechtlichung und Verflechtung der EU an. Die
    174 Möglichkeiten der USA, z.B. Zahlungen einzustellen, habe
    175 man innereuropäisch scheinbar nicht mehr, was zwar kein
    176 Argument gegen die EU sei, aber eine der vielen Ironien des
    177 Prozesses aufzeige.
    178 *Krichbaum* erwiderte, dass die Bundesrepublik die
    179 Möglichkeiten der USA nicht habe. Es müsse eine Balance
    180 gefunden werden zwischen der Existenz von roten Linien und
    181 der Möglichkeit zur Erzeugung eines ausreichenden
    182 politischen Drucks, da alle Mitgliedstaaten in der EU auf
    183 Dauer miteinander verbundene Partner seien. *Staatsminister
    184 Link* plädierte im Zuge dessen für eine gemeinsame
    185 Verteidigung der Werte.
    186
    187 Im Rahmen der offenen Diskussionsrunde mit dem Publikum
    188 kamen gerade von den vielen jungen Gästen sehr
    189 “europäische” Fragen nach der europäischen Identität und
    190 damit der Vermittlung Europas, der Ungleichbehandlung von
    191 Mitgliedstaaten bei der Thematisierung von Werteverstößen
    192 und der Grenze zwischen Populismus und knallharter
    193 Interessensvertretung auf.
    194
    195 Einigkeit herrschte beim Thema europäische Identität
    196 darüber, dass diese erst im Werden sei. Identitätsbildung
    197 müsse von jedem Einzelnen selbst ausgehen, sie könne nicht
    198 von der EU vorgeschrieben werden, so *Prof. Möllers*. Die
    199 fehlende Identität lasse sich auch in den
    200 Fehlkonstruktionen der EU suchen, beispielsweise durch den
    201 indirekten Vollzug, der dazu führe, dass die EU nicht
    202 sichtbar sei.
    203
    204 *Krichbaum* und *Staatsminister Link* waren sich einig,
    205 dass im Falle des Werteschutzes nicht mit zweierlei Maß
    206 gemessen werden sollte. *Staatsminister Link* brachte zur
    207 Vermeidung doppelter Standards erneut die
    208 Grundwerteinitiative ins Gespräch, da gerade ein
    209 politisches Vorgehen der richtige Weg sei. *Prof. Möllers*
    210 hingegen sah einen Unterschied in der Behandlung von Ungarn
    211 und einem “Alt”-Mitgliedstaat wie z.B. Frankreich. Mit
    212 Ungarn könne man anders umgehen als mit Frankreich, aber
    213 gerade deswegen sei der Vorstoß des Auswärtigen Amtes,
    214 zunächst nur politisch zu agieren, so “klug”.
    215
    216 Für *Prof. Möllers* ging es primär nicht um eine
    217 Vermittlung Europas, sondern vielmehr um reale, objektive
    218 Probleme. Er plädierte dafür, Probleme nicht zu
    219 medialisieren und stellte dabei auch das Internet als Raum
    220 für eine politische Debatte in Frage: “Worüber redet man im
    221 Internet am liebsten? - über das Internet! [...] Medien
    222 sind selbstreferenziell.” Dem wurde aus dem Publikum
    223 entgegengesetzt, dass dies eine Unterschätzung des
    224 Potenzials des Internets sei, politische Debatte zu
    225 verändern und auch den Wertediskurs in Europa
    226 voranzubringen.
    227
    228 Zur Grenze zwischen Interessenvertretung und Populismus
    229 äußerte *Staatsminister Link*, dass Populismus in
    230 Nationalismus übergehe und Feindbilder brauche und benutze,
    231 Interessenvertretung hingegen Regeln brauche und benutze.
    232 *Prof. Möllers* sah Populismus als ein vielleicht auch
    233 notwendiges Element der Demokratie, das als
    234 Mobilisierungsfaktor fungieren könnte.
    235
    236 Aus der Online-Debatte, die vorab auf salon.publixphere.de
    237 geführt wurde, brachte laut *Mayte Peters* (Publixphere
    238 e.V.) drei Kernaussagen in die Diskussion ein: Zum ersten
    239 dürfe Populismus nicht einfach abgetan werden, sondern es
    240 müsse eine kritische Debatte - auch um populistische Themen
    241 - geführt werden dürfen. Zum zweiten entstehe eine
    242 europäische Öffentlichkeit gerade um die Debatten über
    243 Werte und Populismus. Zum dritten reiche der pauschale
    244 Rekurs auf europäische Werte nicht aus.
    245 Werte müssten jedoch auch vermittelt werden können. Aber
    246 was bedeuten die Werte tatsächlich im Alltag der Menschen?
    247 Das Internet sei nicht nur Facebook und Twitter, so
    248 *Peters* - und die Bereiche, in denen wir es bislang
    249 geschafft hätten, den europäischen Raum zu politisieren,
    250 beispielsweise in der ACTA-Debatte, waren Debatten, die
    251 über eine Verlinkung verschiedener Plattformen
    252 funktionierten. Dadurch wurde eine länderübergreifende
    253 Aufmerksamkeit geschaffen. Wie das Beispiel der ungarischen
    254 Bewegung “Milla” zeige, reiche der nationale Raum scheinbar
    255 nicht immer aus, um etwas zu bewegen, sondern es bedürfe
    256 eines internationalen Drucks.
    257 An *Staatsminister Link* gerichtet fragte *Mayte Peters*:
    258 “Sie haben gesagt, wir müssen Verantwortungsräume schaffen
    259 und zwar einen lokalen, einen regionalen und einen
    260 mitgliedstaatlichen. Wo bleibt der europäische?” Das
    261 Problem bestehe darin, dass der Raum der europäischen
    262 Demokratie nicht politisiert werde. Außerdem würde die
    263 Debatte auf einem hohen Niveau geführt, mit dem man den
    264 Großteil der Bürger sowie diejenigen nicht erreichen
    265 könnte, die sich für bestimmte Themen interessieren und
    266 nicht mehr nur für die Institutionen Europas. Gerade in
    267 diesen Bürgern liege aber die Chance Europas.
    268
    269 Abschließend ging *Daniel Fazekas* auf die
    270 Internetverlinkung ein. Er betonte, dass für Bewegungen wie
    271 “Milla” entscheidend sei, dass überhaupt Debatten geführt
    272 werden und wenn schon nicht in Budapest, dann egal wo.
    273 “Milla” versuche über verschiedensprachige Facebookseiten,
    274 Nachrichten über Ungarn ins Netz zu stellen. Das Problem
    275 dabei sei jedoch, dass es zwei Sphären von Öffentlichkeit
    276 gebe. Es habe oft keinen Sinn, nationale Probleme im
    277 Ausland zu erklären, wohingegen in Ungarn sie jeder
    278 versteht. Weiterhin warf er die Frage auf, wen es außerhalb
    279 von Ungarn überhaupt interessieren würde. Bürger anderer
    280 Mitgliedstaaten seien empfänglicher für die populistische
    281 Sichtweise, dass Ungarn nicht pluralistisch oder
    282 demokratisch sei.
    283
    284 In seinen Schlussworten kam *Prof. Calliess* auf das dem
    285 Europäischen Salon zugrundeliegende Konzept zurück:
    286 “Inwieweit kann das Internet hier tatsächlich dazu
    287 beitragen, dass wir eben den demokratischen Raum weiten,
    288 die Diskussionssphäre weiten, zu einer europäischen
    289 Öffentlichkeit kommen über das Internet? Das ist sicherlich
    290 eine Frage, die uns weiter beschäftigen wird, auch im
    291 Europäischen Salon.”
  • Bericht über die Auftaktveranstaltung

    von admin, angelegt
    1 Am 26. November 2013 fand der Auftakt der
    2 Veranstaltungsreihe “Europäischer Salon” in der Berliner
    3 Repräsentanz der Robert Bosch Stiftung statt. *Prof. Dr.
    4 Christian Calliess, LL.M.* diskutierte mit den
    5 Podiumsgästen über Europäische Werte, nationalen Populismus
    6 und die Notwendigkeit einer europäischen Öffentlichkeit.
    7 Vorbereitet wurde die Veranstaltung auf der neu etablierten
    8 Internetplattform salon.publixphere.de. Hier wurden vorab
    9 die von den Podiumsgästen eingereichten Statements kritisch
    10 hinterfragt und auch weiterführende Aspekte kontrovers
    11 diskutiert. Im Mittelpunkt des Europäischen Salons steht
    12 die Debatte junger Europäer mit Entscheidungsträgern aus
    13 Politik, Wissenschaft und Medien - online und offline.
    14
    15 Über 150 Veranstaltungsteilnehmer aus der
    16 Fachöffentlichkeit sowie Studenten und Schüler fanden sich
    17 zum Auftakt im Atrium der Stiftungsrepräsentanz zur
    18 Diskussion mit dem Staatsminister im Auswärtigen Amt,
    19 *Michael Georg Link*, dem Vorsitzenden des EU-Ausschusses,
    20 *Gunther Krichbaum*, dem Verfassungsrechtler und Mitglied
    21 des Wissenschaftskollegs Berlin, *Prof. Dr. Christoph
    22 Möllers, LL.M.* sowie *Daniel Fazekas*, Mitglied der
    23 ungarischen Bewegung “Milla - eine Million für die
    24 Pressefreiheit”, ein. Die ebenfalls eingeladene
    25 Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, *Viviane
    26 Reding*, konnte zwar nicht kommen, sendete zur Eröffnung
    27 aber eine Videobotschaft, in der sie die Bedeutung der
    28 direkten Einbindung der Bürger in die Zukunftsdebatte in
    29 Europa betonte, bevor große Reformen und neue Strukturen
    30 angegangen werden können: “Gerade junge Menschen müssen
    31 [dabei] beginnen, diese Debatte als eine Diskussion über
    32 ihr Europa zu sehen.”
    33
    34 In der zweistündigen Diskussionsveranstaltung standen neben
    35 der Notwendigkeit einer starken europäischen Öffentlichkeit
    36 vor allem europaweit zunehmende populistische Tendenzen und
    37 ihre möglichen Grenzen im Fokus. *Prof. Calliess* stellte
    38 eingangs die europäischen Werte als eine solche Grenze zur
    39 Diskussioneiner. Er fragte, ob die EU die in Art. 2 des EUV
    40 genannten Werte in Aufsicht Unionsaufsicht in den
    41 Mitgliedstaaten durchzusetzen habe und inwieweit das
    42 bestehende Instrumentarium hierfür ausreicht. In ihren
    43 jeweiligen Eingangsstatements setzten sich dann die
    44 Podiumsgäste mit der so aufgeworfenen Frage nach Existenz
    45 und Durchsetzung europäischer Werte eingehend auseinander.
    46
    47 *Staatsminister Link* erläuterte zu Beginn den vom
    48 Auswärtigen Amt unterstützten Vorschlag, durch eine
    49 “Grundwerte-Initiative” - auch als “Rechtsstaatsinitiative”
    50 bekannt - einen politischen Monitoringmechanismus zu
    51 schaffen, der für die Einhaltung der europäischen Werte
    52 durch die Mitgliedstaaten der Europäischen Union Sorge
    53 tragen kann. Es handelt sich dabei um eine gemeinsame
    54 Initiative der Außenminister Deutschlands, Dänemarks,
    55 Finnlands und der Niederlande, der sich mittlerweile viele
    56 Mitgliedstaaten angeschlossen haben und die auch von der
    57 Europäischen Kommission aufgegriffen wurde. Letztere werde
    58 diesbezüglich in der ersten Jahreshälfte 2014 ihren
    59 Umsetzungsvorschlag unterbreiten. Für *Staatsminister Link*
    60 vernachlässigt die EU bisher noch die Arbeit an der
    61 gemeinsamen Wertebasis. Um Grundwerteverstößen
    62 entgegenzuwirken, reiche einerseits der öffentlich durch
    63 die Medienberichterstattung ausgeübte Druck nicht aus,
    64 andererseits seien Sanktionen im Ministerrat nicht
    65 durchsetzbar, dies sei bereits mehrfach von
    66 mitgliedstaatlicher Seite signalisiert worden. Ein
    67 politischer Frühwarnmechanismus wie die
    68 Rechtsstaatsinitiative sei aber auch nicht “zahnlos”. Der
    69 Ministerrat müsse ein effektives Instrument bekommen, um
    70 Grundwerteverstöße identifizieren und frühzeitig
    71 eingreifen zu können. Vielleicht wäre es im Falle Ungarns
    72 dann auch gar nicht erst zu den problematischen Maßnahmen
    73 gekommen, konstatierte *Staatsminister Link*. In diesem
    74 Zusammenhang wies er aber auch darauf hin, dass die
    75 Grundwerte-Initiative unterschiedslos alle Mitgliedstaaten
    76 einschließen solle. Ziel sei es, die Lücke zwischen dem
    77 noch nie angewandten Sanktionsverfahren nach Art. 7 EUV und
    78 dem Vertragsverletzungsverfahren mit einem politisch leicht
    79 handhabbaren Instrument zu schließen.
    80 *Prof. Calliess* fragte daraufhin, ob nicht durch ein
    81 “systematisches Vertragsverletzungsverfahren” das
    82 Vertragsverletzungsverfahren für einen effektiven
    83 Grundwerteschutz fruchtbar gemacht werden könne. Dies solle
    84 ermöglichen, dass viele kleine Verletzungen sich zu einem
    85 Eingriff in die Rechtsstaatlichkeit, einem der Werte aus
    86 Art. 2 EUV, addieren. Weiterhin könne über diese Sanktionen
    87 eine Drohkulisse aufgebaut werden. Staatsminister Link
    88 schloss Sanktionen nicht konsequent aus, sofern diese als
    89 Ergebnis eines politischen Prozesses unter Beteiligung
    90 aller Institutionen eingeführt würden. Die
    91 Grundwerte-Initiative sei ein Instrument, das zunächst
    92 politisch wachsen müsse.
    93
    94 Dem Gedanken des politischen Prozesses stimmte *Prof.
    95 Möllers* zu: Es müsse mit einer Politisierung begonnen
    96 werden. Die EU solle dabei in kleinen Schritten vorgehen.
    97 Ein innenpolitischer Prozess sei der Ausgangspunkt. Er
    98 kritisierte in diesem Zusammenhang die “Tendenz in der
    99 europäischen Integration, Politik zu verrechtlichen und
    100 Recht zu moralisieren”, und beleuchtete die Existenz einer
    101 europäischen Wertegemeinschaft kritisch - bei vielen Fragen
    102 herrsche in Europa eben gerade kein Konsens für ein
    103 gemeinsames Handeln, wie der Syrienkonflikt verdeutliche.
    104 *Prof. Möllers* hinterfragte, ob es tatsächlich eine Grenze
    105 zwischen Populismus und Demokratie, die ja auch einer der
    106 Grundwerte des Art. 2 EUV ist, geben könne. “Populismus ist
    107 klassischerweise Klientelwirtschaft, man bietet den Leuten
    108 was Nettes an, damit sie einen wählen. *Frau Reding* hat
    109 gerade gesagt, es gibt billigere Roaminggebühren, also das
    110 scheint mir eine klassische populistische Figur zu sein,
    111 mit der man sagt: ‘Wenn ihr für Europa seid, dürft ihr
    112 billiger telefonieren.’ Ist völlig in Ordnung aber das ist
    113 eigentlich nicht das, was wir unter einem normativen
    114 Demokratiekonzept verstehen.” Populismus könne für ihn ein
    115 Mobilisierungsfaktor, ein notwendiges Element von
    116 Demokratie sein.
    117
    118 Nach der Beitrittsvoraussetzung und Durchsetzbarkeit des
    119 Wertekanons des Art. 2 EUV gefragt, rief *Gunther
    120 Krichbaum* die Kopenhagener Kriterien in Erinnerung, die
    121 von jedem beitrittswilligen Staat gemäß Art. 49 EUV zu
    122 berücksichtigen sind. Aber was kommt nach dem Beitritt? Für
    123 *Krichbaum* zeigen die Beispiele Rumäniens, Kroatiens oder
    124 Bulgariens, dass dringend Handlungsbedarf bestehe. Leider
    125 sei man aber erst jetzt so richtig aufgewacht.
    126
    127 Es schloss sich notwendig die Frage danach an, ob die
    128 Einmischung in eigene nationale Angelegenheiten in den
    129 Mitgliedstaaten denn überhaupt begrüßt wird. Hinsichtlich
    130 Ungarn bezog *Daniel Fazekas*, Gründungsmitglied der
    131 ungarischen Bewegung “Milla - eine Million für die
    132 Pressefreiheit”, Stellung. Die Beantwortung der Frage hänge
    133 davon ab, wen man frage: In Regierungspropaganda und
    134 Massenmedien werde die EU dämonisiert. Zudem werde
    135 propagiert, dass es dem Westen äußerst schlecht gehe. Die
    136 andere Seite der Bevölkerung wolle jedoch, dass die EU ihre
    137 Rechte schützt. Insgesamt habe die EU aber schon sehr
    138 positiv auf die Entwicklungen in Ungarn eingewirkt, meint
    139 *Fazekas*, so zum Beispiel durch das “Zurückzupfen” des
    140 Mediengesetzes.
    141 *Fazekas* stellte die Bewegung “Milla” kurz vor, die sich
    142 zunächst lediglich als eine zivilgesellschaftliche
    143 Plattform betrachtete - “im Grunde auf der Verbraucherseite
    144 der Politik”. Ihr Ziel war es, über ihre Facebookseite,
    145 durch Protestorganisationen sowie Informationen das
    146 Bewusstsein einer neuen politischen Generation zu schaffen.
    147 In ihrem 12-Punkte-Plan “Minimum Plus” findet sich als ein
    148 Aspekt auch die Einhaltung der Grundrechte und der
    149 europäischen Werte. Mittlerweile ist ein Strang von Milla
    150 sogar politisch aktiv. Zusammen mit dem ehemaligen
    151 ungarischen Premierminister Gordon Bajnai und der
    152 Gewerkschaftsgruppe “Solidarität” haben sie die Koalition
    153 “Zusammen 2014” gegründet.
    154
    155 *Prof. Calliess* warf daraufhin die Frage auf, ob die EU
    156 nicht in einem Dilemma sei, weil sie entweder zu viel oder
    157 zu wenig eingreife. *Krichbaum* erwiderte, dass ein Handeln
    158 der EU zwar oft als Einmischung in innere Angelegenheiten
    159 artikuliert werde, es jedoch keine sei, da spätestens seit
    160 dem Vertrag von Lissabon alle Bürger der Mitgliedstaaten
    161 auch Unionsbürger seien und die Kommission deren
    162 europäische, in der Grundrechte-Charta garantierten
    163 Bürgerrechte zu schützen und zu verteidigen habe.
    164
    165 Als nächstes wurde darüber diskutiert, dass die USA in
    166 Bezug auf die Einhaltung der europäischen Werte in Ungarn
    167 im Vergleich zur EU größere Präsenz zeigten. *Prof.
    168 Möllers* äußerte dabei seinen Eindruck, dass bestimmte
    169 Formen von politischer Handlungsfähigkeit, die man aus dem
    170 Bereich des Völkerrechts kenne, scheinbar vom Tisch seien.
    171 Als Gründe dafür sah er den derzeitigen Punkt des
    172 europäischen Integrationsprozesses sowie den hohen Grad an
    173 Verrechtlichung und Verflechtung der EU an. Die
    174 Möglichkeiten der USA, z.B. Zahlungen einzustellen, habe
    175 man innereuropäisch scheinbar nicht mehr, was zwar kein
    176 Argument gegen die EU sei, aber eine der vielen Ironien des
    177 Prozesses aufzeige.
    178 *Krichbaum* erwiderte, dass die Bundesrepublik die
    179 Möglichkeiten der USA nicht habe. Es müsse eine Balance
    180 gefunden werden zwischen der Existenz von roten Linien und
    181 der Möglichkeit zur Erzeugung eines ausreichenden
    182 politischen Drucks, da alle Mitgliedstaaten in der EU auf
    183 Dauer miteinander verbundene Partner seien. *Staatsminister
    184 Link* plädierte im Zuge dessen für eine gemeinsame
    185 Verteidigung der Werte.
    186
    187 Im Rahmen der offenen Diskussionsrunde mit dem Publikum
    188 kamen gerade von den vielen jungen Gästen sehr
    189 “europäische” Fragen nach der europäischen Identität und
    190 damit der Vermittlung Europas, der Ungleichbehandlung von
    191 Mitgliedstaaten bei der Thematisierung von Werteverstößen
    192 und der Grenze zwischen Populismus und knallharter
    193 Interessensvertretung auf.
    194
    195 Einigkeit herrschte beim Thema europäische Identität
    196 darüber, dass diese erst im Werden sei. Identitätsbildung
    197 müsse von jedem Einzelnen selbst ausgehen, sie könne nicht
    198 von der EU vorgeschrieben werden, so *Prof. Möllers*. Die
    199 fehlende Identität lasse sich auch in den
    200 Fehlkonstruktionen der EU suchen, beispielsweise durch den
    201 indirekten Vollzug, der dazu führe, dass die EU nicht
    202 sichtbar sei.
    203
    204 *Krichbaum* und *Staatsminister Link* waren sich einig,
    205 dass im Falle des Werteschutzes nicht mit zweierlei Maß
    206 gemessen werden sollte. *Staatsminister Link* brachte zur
    207 Vermeidung doppelter Standards erneut die
    208 Grundwerteinitiative ins Gespräch, da gerade ein
    209 politisches Vorgehen der richtige Weg sei. *Prof. Möllers*
    210 hingegen sah einen Unterschied in der Behandlung von Ungarn
    211 und einem “Alt”-Mitgliedstaat wie z.B. Frankreich. Mit
    212 Ungarn könne man anders umgehen als mit Frankreich, aber
    213 gerade deswegen sei der Vorstoß des Auswärtigen Amtes,
    214 zunächst nur politisch zu agieren, so “klug”.
    215
    216 Für *Prof. Möllers* ging es primär nicht um eine
    217 Vermittlung Europas, sondern vielmehr um reale, objektive
    218 Probleme. Er plädierte dafür, Probleme nicht zu
    219 medialisieren und stellte dabei auch das Internet als Raum
    220 für eine politische Debatte in Frage: “Worüber redet man im
    221 Internet am liebsten? - über das Internet! [...] Medien
    222 sind selbstreferenziell.” Dem wurde aus dem Publikum
    223 entgegengesetzt, dass dies eine Unterschätzung des
    224 Potenzials des Internets sei, politische Debatte zu
    225 verändern und auch den Wertediskurs in Europa
    226 voranzubringen.
    227
    228 Zur Grenze zwischen Interessenvertretung und Populismus
    229 äußerte *Staatsminister Link*, dass Populismus in
    230 Nationalismus übergehe und Feindbilder brauche und benutze,
    231 Interessenvertretung hingegen Regeln brauche und benutze.
    232 *Prof. Möllers* sah Populismus als ein vielleicht auch
    233 notwendiges Element der Demokratie, das als
    234 Mobilisierungsfaktor fungieren könnte.
    235
    236 Aus der Online-Debatte, die vorab auf salon.publixphere.de
    237 geführt wurde, brachte laut *Mayte Peters* (Publixphere
    238 e.V.) drei Kernaussagen in die Diskussion ein: Zum ersten
    239 dürfe Populismus nicht einfach abgetan werden, sondern es
    240 müsse eine kritische Debatte - auch um populistische Themen
    241 - geführt werden dürfen. Zum zweiten entstehe eine
    242 europäische Öffentlichkeit gerade um die Debatten über
    243 Werte und Populismus. Zum dritten reiche der pauschale
    244 Rekurs auf europäische Werte nicht aus.
    245 Werte müssten jedoch auch vermittelt werden können. Aber
    246 was bedeuten die Werte tatsächlich im Alltag der Menschen?
    247 Das Internet sei nicht nur Facebook und Twitter, so
    248 *Peters* - und die Bereiche, in denen wir es bislang
    249 geschafft hätten, den europäischen Raum zu politisieren,
    250 beispielsweise in der ACTA-Debatte, waren Debatten, die
    251 über eine Verlinkung verschiedener Plattformen
    252 funktionierten. Dadurch wurde eine länderübergreifende
    253 Aufmerksamkeit geschaffen. Wie das Beispiel der ungarischen
    254 Bewegung “Milla” zeige, reiche der nationale Raum scheinbar
    255 nicht immer aus, um etwas zu bewegen, sondern es bedürfe
    256 eines internationalen Drucks.
    257 An *Staatsminister Link* gerichtet fragte *Mayte Peters*:
    258 “Sie haben gesagt, wir müssen Verantwortungsräume schaffen
    259 und zwar einen lokalen, einen regionalen und einen
    260 mitgliedstaatlichen. Wo bleibt der europäische?” Das
    261 Problem bestehe darin, dass der Raum der europäischen
    262 Demokratie nicht politisiert werde. Außerdem würde die
    263 Debatte auf einem hohen Niveau geführt, mit dem man den
    264 Großteil der Bürger sowie diejenigen nicht erreichen
    265 könnte, die sich für bestimmte Themen interessieren und
    266 nicht mehr nur für die Institutionen Europas. Gerade in
    267 diesen Bürgern liege aber die Chance Europas.
    268
    269 Abschließend ging *Daniel Fazekas* auf die
    270 Internetverlinkung ein. Er betonte, dass für Bewegungen wie
    271 “Milla” entscheidend sei, dass überhaupt Debatten geführt
    272 werden und wenn schon nicht in Budapest, dann egal wo.
    273 “Milla” versuche über verschiedensprachige Facebookseiten,
    274 Nachrichten über Ungarn ins Netz zu stellen. Das Problem
    275 dabei sei jedoch, dass es zwei Sphären von Öffentlichkeit
    276 gebe. Es habe oft keinen Sinn, nationale Probleme im
    277 Ausland zu erklären, wohingegen in Ungarn sie jeder
    278 versteht. Weiterhin warf er die Frage auf, wen es außerhalb
    279 von Ungarn überhaupt interessieren würde. Bürger anderer
    280 Mitgliedstaaten seien empfänglicher für die populistische
    281 Sichtweise, dass Ungarn nicht pluralistisch oder
    282 demokratisch sei.
    283
    284 In seinen Schlussworten kam *Prof. Calliess* auf das dem
    285 Europäischen Salon zugrundeliegende Konzept zurück:
    286 “Inwieweit kann das Internet hier tatsächlich dazu
    287 beitragen, dass wir eben den demokratischen Raum weiten,
    288 die Diskussionssphäre weiten, zu einer europäischen
    289 Öffentlichkeit kommen über das Internet? Das ist sicherlich
    290 eine Frage, die uns weiter beschäftigen wird, auch im
    291 Europäischen Salon.”
  • Bericht über die Auftaktveranstaltung

    von Community Management , angelegt
    1 ![Bericht
    2 Auftaktveranstaltung](https://publixphere-cms.publixphere.de
    3 /de/salon-bilder/c-joanna-scheffel-960-x-350.jpg/@@images/im
    4 age.jpeg)
    5 *Foto & Teaser: ©Joanna Scheffel Photography*
    6
    7
    8 Am 26. November 2013 fand der Auftakt der
    9 Veranstaltungsreihe “Europäischer Salon” in der Berliner
    10 Repräsentanz der Robert Bosch Stiftung statt. *Prof. Dr.
    11 Christian Calliess, LL.M.* diskutierte mit den
    12 Podiumsgästen über Europäische Werte, nationalen Populismus
    13 und die Notwendigkeit einer europäischen Öffentlichkeit.
    14 Vorbereitet wurde die Veranstaltung auf der neu etablierten
    15 Internetplattform
    16 [salon.publixphere.de](https://publixphere.de/i/salon/instan
    17 ce/salon). Hier wurden vorab die von den Podiumsgästen
    18 eingereichten Statements kritisch hinterfragt und auch
    19 weiterführende Aspekte kontrovers diskutiert. Im
    20 Mittelpunkt des Europäischen Salons steht die Debatte
    21 junger Europäer mit Entscheidungsträgern aus Politik,
    22 Wissenschaft und Medien - online und offline.
    23
    24 Über 150 Veranstaltungsteilnehmer aus der
    25 Fachöffentlichkeit sowie Studenten und Schüler fanden sich
    26 zum Auftakt im Atrium der Stiftungsrepräsentanz zur
    27 Diskussion mit dem Staatsminister im Auswärtigen Amt,
    28 *Michael Georg Link*, dem Vorsitzenden des EU-Ausschusses,
    29 *Gunther Krichbaum*, dem Verfassungsrechtler und Mitglied
    30 des Wissenschaftskollegs Berlin, *Prof. Dr. Christoph
    31 Möllers, LL.M.* sowie *Daniel Fazekas*, Mitglied der
    32 ungarischen Bewegung “Milla - eine Million für die
    33 Pressefreiheit”, ein. Die ebenfalls eingeladene
    34 Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, *Viviane
    35 Reding*, konnte zwar nicht kommen, sendete zur Eröffnung
    36 aber eine Videobotschaft, in der sie die Bedeutung der
    37 direkten Einbindung der Bürger in die Zukunftsdebatte in
    38 Europa betonte, bevor große Reformen und neue Strukturen
    39 angegangen werden können: “Gerade junge Menschen müssen
    40 [dabei] beginnen, diese Debatte als eine Diskussion über
    41 ihr Europa zu sehen.”
    42
    43 In der zweistündigen Diskussionsveranstaltung standen neben
    44 der Notwendigkeit einer starken europäischen Öffentlichkeit
    45 vor allem europaweit zunehmende populistische Tendenzen und
    46 ihre möglichen Grenzen im Fokus. *Prof. Calliess* stellte
    47 eingangs die europäischen Werte als eine solche Grenze zur
    48 Diskussion. Er fragte, ob die EU die in Art. 2 des EUV
    49 genannten Werte in Unionsaufsicht in den Mitgliedstaaten
    50 durchzusetzen habe und inwieweit das bestehende
    51 Instrumentarium hierfür ausreicht. In ihren jeweiligen
    52 Eingangsstatements setzten sich dann die Podiumsgäste mit
    53 der so aufgeworfenen Frage nach Existenz und Durchsetzung
    54 europäischer Werte eingehend auseinander.
    55
    56 ![(Podiumsgäste](https://publixphere-cms.publixphere.de/de/s
    57 alon-bilder/podium-960x350.jpg/@@images/image.jpeg) *Das
    58 Podium des 1. Europäischen Salons. Foto&Teaser: ©Joanna
    59 Scheffel Photography*
    60
    61 *Staatsminister Link* erläuterte zu Beginn den vom
    62 Auswärtigen Amt unterstützten Vorschlag, durch eine
    63 “Grundwerte-Initiative” - auch als “Rechtsstaatsinitiative”
    64 bekannt - einen politischen Monitoringmechanismus zu
    65 schaffen, der für die Einhaltung der europäischen Werte
    66 durch die Mitgliedstaaten der Europäischen Union Sorge
    67 tragen kann. Es handelt sich dabei um eine gemeinsame
    68 Initiative der Außenminister Deutschlands, Dänemarks,
    69 Finnlands und der Niederlande, der sich mittlerweile viele
    70 Mitgliedstaaten angeschlossen haben und die auch von der
    71 Europäischen Kommission aufgegriffen wurde. Letztere werde
    72 diesbezüglich in der ersten Jahreshälfte 2014 ihren
    73 Umsetzungsvorschlag unterbreiten. Für *Staatsminister Link*
    74 vernachlässigt die EU bisher noch die Arbeit an der
    75 gemeinsamen Wertebasis. Um Grundwerteverstößen
    76 entgegenzuwirken, reiche einerseits der öffentlich durch
    77 die Medienberichterstattung ausgeübte Druck nicht aus,
    78 andererseits seien Sanktionen im Ministerrat nicht
    79 durchsetzbar, dies sei bereits mehrfach von
    80 mitgliedstaatlicher Seite signalisiert worden. Ein
    81 politischer Frühwarnmechanismus wie die
    82 Rechtsstaatsinitiative sei aber auch nicht “zahnlos”. Der
    83 Ministerrat müsse ein effektives Instrument bekommen, um
    84 Grundwerteverstöße identifizieren und frühzeitig
    85 eingreifen zu können. Vielleicht wäre es im Falle Ungarns
    86 dann auch gar nicht erst zu den problematischen Maßnahmen
    87 gekommen, konstatierte *Staatsminister Link*. In diesem
    88 Zusammenhang wies er aber auch darauf hin, dass die
    89 Grundwerte-Initiative unterschiedslos alle Mitgliedstaaten
    90 einschließen solle. Ziel sei es, die Lücke zwischen dem
    91 noch nie angewandten Sanktionsverfahren nach Art. 7 EUV und
    92 dem Vertragsverletzungsverfahren mit einem politisch leicht
    93 handhabbaren Instrument zu schließen.
    94 *Prof. Calliess* fragte daraufhin, ob nicht durch ein
    95 “systematisches Vertragsverletzungsverfahren” das
    96 Vertragsverletzungsverfahren für einen effektiven
    97 Grundwerteschutz fruchtbar gemacht werden könne. Dies solle
    98 ermöglichen, dass viele kleine Verletzungen sich zu einem
    99 Eingriff in die Rechtsstaatlichkeit, einem der Werte aus
    100 Art. 2 EUV, addieren. Weiterhin könne über diese Sanktionen
    101 eine Drohkulisse aufgebaut werden. Staatsminister Link
    102 schloss Sanktionen nicht konsequent aus, sofern diese als
    103 Ergebnis eines politischen Prozesses unter Beteiligung
    104 aller Institutionen eingeführt würden. Die
    105 Grundwerte-Initiative sei ein Instrument, das zunächst
    106 politisch wachsen müsse.
    107
    108 Dem Gedanken des politischen Prozesses stimmte *Prof.
    109 Möllers* zu: Es müsse mit einer Politisierung begonnen
    110 werden. Die EU solle dabei in kleinen Schritten vorgehen.
    111 Ein innenpolitischer Prozess sei der Ausgangspunkt. Er
    112 kritisierte in diesem Zusammenhang die “Tendenz in der
    113 europäischen Integration, Politik zu verrechtlichen und
    114 Recht zu moralisieren”, und beleuchtete die Existenz einer
    115 europäischen Wertegemeinschaft kritisch - bei vielen Fragen
    116 herrsche in Europa eben gerade kein Konsens für ein
    117 gemeinsames Handeln, wie der Syrienkonflikt verdeutliche.
    118 *Prof. Möllers* hinterfragte, ob es tatsächlich eine Grenze
    119 zwischen Populismus und Demokratie, die ja auch einer der
    120 Grundwerte des Art. 2 EUV ist, geben könne. “Populismus ist
    121 klassischerweise Klientelwirtschaft, man bietet den Leuten
    122 was Nettes an, damit sie einen wählen. *Frau Reding* hat
    123 gerade gesagt, es gibt billigere Roaminggebühren, also das
    124 scheint mir eine klassische populistische Figur zu sein,
    125 mit der man sagt: ‘Wenn ihr für Europa seid, dürft ihr
    126 billiger telefonieren.’ Ist völlig in Ordnung aber das ist
    127 eigentlich nicht das, was wir unter einem normativen
    128 Demokratiekonzept verstehen.” Populismus könne für ihn ein
    129 Mobilisierungsfaktor, ein notwendiges Element von
    130 Demokratie sein.
    131
    132 Nach der Beitrittsvoraussetzung und Durchsetzbarkeit des
    133 Wertekanons des Art. 2 EUV gefragt, rief *Gunther
    134 Krichbaum* die Kopenhagener Kriterien in Erinnerung, die
    135 von jedem beitrittswilligen Staat gemäß Art. 49 EUV zu
    136 berücksichtigen sind. Aber was kommt nach dem Beitritt? Für
    137 *Krichbaum* zeigen die Beispiele Rumäniens, Kroatiens oder
    138 Bulgariens, dass dringend Handlungsbedarf bestehe. Leider
    139 sei man aber erst jetzt so richtig aufgewacht.
    140
    141 Es schloss sich notwendig die Frage danach an, ob die
    142 Einmischung in eigene nationale Angelegenheiten in den
    143 Mitgliedstaaten denn überhaupt begrüßt wird. Hinsichtlich
    144 Ungarn bezog *Daniel Fazekas*, Gründungsmitglied der
    145 ungarischen Bewegung “Milla - eine Million für die
    146 Pressefreiheit”, Stellung. Die Beantwortung der Frage hänge
    147 davon ab, wen man frage: In Regierungspropaganda und
    148 Massenmedien werde die EU dämonisiert. Zudem werde
    149 propagiert, dass es dem Westen äußerst schlecht gehe. Die
    150 andere Seite der Bevölkerung wolle jedoch, dass die EU ihre
    151 Rechte schützt. Insgesamt habe die EU aber schon sehr
    152 positiv auf die Entwicklungen in Ungarn eingewirkt, meint
    153 *Fazekas*, so zum Beispiel durch das “Zurückzupfen” des
    154 Mediengesetzes.
    155 *Fazekas* stellte die Bewegung “Milla” kurz vor, die sich
    156 zunächst lediglich als eine zivilgesellschaftliche
    157 Plattform betrachtete - “im Grunde auf der Verbraucherseite
    158 der Politik”. Ihr Ziel war es, über ihre Facebookseite,
    159 durch Protestorganisationen sowie Informationen das
    160 Bewusstsein einer neuen politischen Generation zu schaffen.
    161 In ihrem 12-Punkte-Plan “Minimum Plus” findet sich als ein
    162 Aspekt auch die Einhaltung der Grundrechte und der
    163 europäischen Werte. Mittlerweile ist ein Strang von Milla
    164 sogar politisch aktiv. Zusammen mit dem ehemaligen
    165 ungarischen Premierminister Gordon Bajnai und der
    166 Gewerkschaftsgruppe “Solidarität” haben sie die Koalition
    167 “Zusammen 2014” gegründet.
    168
    169
    170 ![Calliess](https://publixphere-cms.publixphere.de/de/salon-
    171 bilder/calliess-780x350.jpg/@@images/image.jpeg) *Prof.
    172 Calliess, Moderator der Podiumsdiskussion.
    173 Foto & Teaser: ©Joanna Scheffel Photography*
    174
    175
    176 *Prof. Calliess* warf daraufhin die Frage auf, ob die EU
    177 nicht in einem Dilemma sei, weil sie entweder zu viel oder
    178 zu wenig eingreife. *Krichbaum* erwiderte, dass ein Handeln
    179 der EU zwar oft als Einmischung in innere Angelegenheiten
    180 artikuliert werde, es jedoch keine sei, da spätestens seit
    181 dem Vertrag von Lissabon alle Bürger der Mitgliedstaaten
    182 auch Unionsbürger seien und die Kommission deren
    183 europäische, in der Grundrechte-Charta garantierten
    184 Bürgerrechte zu schützen und zu verteidigen habe.
    185
    186 Als nächstes wurde darüber diskutiert, dass die USA in
    187 Bezug auf die Einhaltung der europäischen Werte in Ungarn
    188 im Vergleich zur EU größere Präsenz zeigten. *Prof.
    189 Möllers* äußerte dabei seinen Eindruck, dass bestimmte
    190 Formen von politischer Handlungsfähigkeit, die man aus dem
    191 Bereich des Völkerrechts kenne, scheinbar vom Tisch seien.
    192 Als Gründe dafür sah er den derzeitigen Punkt des
    193 europäischen Integrationsprozesses sowie den hohen Grad an
    194 Verrechtlichung und Verflechtung der EU an. Die
    195 Möglichkeiten der USA, z.B. Zahlungen einzustellen, habe
    196 man innereuropäisch scheinbar nicht mehr, was zwar kein
    197 Argument gegen die EU sei, aber eine der vielen Ironien des
    198 Prozesses aufzeige.
    199 *Krichbaum* erwiderte, dass die Bundesrepublik die
    200 Möglichkeiten der USA nicht habe. Es müsse eine Balance
    201 gefunden werden zwischen der Existenz von roten Linien und
    202 der Möglichkeit zur Erzeugung eines ausreichenden
    203 politischen Drucks, da alle Mitgliedstaaten in der EU auf
    204 Dauer miteinander verbundene Partner seien. *Staatsminister
    205 Link* plädierte im Zuge dessen für eine gemeinsame
    206 Verteidigung der Werte.
    207
    208 Im Rahmen der offenen Diskussionsrunde mit dem Publikum
    209 kamen gerade von den vielen jungen Gästen sehr
    210 “europäische” Fragen nach der europäischen Identität und
    211 damit der Vermittlung Europas, der Ungleichbehandlung von
    212 Mitgliedstaaten bei der Thematisierung von Werteverstößen
    213 und der Grenze zwischen Populismus und knallharter
    214 Interessensvertretung auf.
    215
    216 ![Publikumsfrage](https://publixphere-cms.publixphere.de/de/
    217 salon-bilder/eu-salon1-publikum-960x350.jpg/@@images/image.j
    218 peg)*Frage aus dem Publikum. Foto &Teaser: ©Joanna
    219 Scheffel Photography*
    220
    221 Einigkeit herrschte beim Thema europäische Identität
    222 darüber, dass diese erst im Werden sei. Identitätsbildung
    223 müsse von jedem Einzelnen selbst ausgehen, sie könne nicht
    224 von der EU vorgeschrieben werden, so *Prof. Möllers*. Die
    225 fehlende Identität lasse sich auch in den
    226 Fehlkonstruktionen der EU suchen, beispielsweise durch den
    227 indirekten Vollzug, der dazu führe, dass die EU nicht
    228 sichtbar sei.
    229
    230 *Krichbaum* und *Staatsminister Link* waren sich einig,
    231 dass im Falle des Werteschutzes nicht mit zweierlei Maß
    232 gemessen werden sollte. *Staatsminister Link* brachte zur
    233 Vermeidung doppelter Standards erneut die
    234 Grundwerteinitiative ins Gespräch, da gerade ein
    235 politisches Vorgehen der richtige Weg sei. *Prof. Möllers*
    236 hingegen sah einen Unterschied in der Behandlung von Ungarn
    237 und einem “Alt”-Mitgliedstaat wie z.B. Frankreich. Mit
    238 Ungarn könne man anders umgehen als mit Frankreich, aber
    239 gerade deswegen sei der Vorstoß des Auswärtigen Amtes,
    240 zunächst nur politisch zu agieren, so “klug”.
    241
    242 Für *Prof. Möllers* ging es primär nicht um eine
    243 Vermittlung Europas, sondern vielmehr um reale, objektive
    244 Probleme. Er plädierte dafür, Probleme nicht zu
    245 medialisieren und stellte dabei auch das Internet als Raum
    246 für eine politische Debatte in Frage: “Worüber redet man im
    247 Internet am liebsten? - über das Internet! [...] Medien
    248 sind selbstreferenziell.” Dem wurde aus dem Publikum
    249 entgegengesetzt, dass dies eine Unterschätzung des
    250 Potenzials des Internets sei, politische Debatte zu
    251 verändern und auch den Wertediskurs in Europa
    252 voranzubringen.
    253
    254 Zur Grenze zwischen Interessenvertretung und Populismus
    255 äußerte *Staatsminister Link*, dass Populismus in
    256 Nationalismus übergehe und Feindbilder brauche und benutze,
    257 Interessenvertretung hingegen Regeln brauche und benutze.
    258 *Prof. Möllers* sah Populismus als ein vielleicht auch
    259 notwendiges Element der Demokratie, das als
    260 Mobilisierungsfaktor fungieren könnte.
    261
    262 ![Mayte
    263 Peters](https://publixphere-cms.publixphere.de/de/salon-bild
    264 er/mayte-960x350.jpg/@@images/image.jpeg)*Dr. Mayte Peters,
    265 Publixphere e.V., bringt Beiträge der Online-Community ein.
    266 Foto & Teaser: ©Joanna Scheffel Photography*
    267
    268 Aus der Online-Debatte, die vorab auf salon.publixphere.de
    269 geführt wurde, brachte *Mayte Peters* (Publixphere e.V.)
    270 drei Kernaussagen in die Diskussion ein: Zum ersten dürfe
    271 Populismus nicht einfach abgetan werden, sondern es müsse
    272 eine kritische Debatte - auch um populistische Themen -
    273 geführt werden dürfen. Zum zweiten entstehe eine
    274 europäische Öffentlichkeit gerade um die Debatten über
    275 Werte und Populismus. Zum dritten reiche der pauschale
    276 Rekurs auf europäische Werte nicht aus.
    277 Werte müssten jedoch auch vermittelt werden können. Aber
    278 was bedeuten die Werte tatsächlich im Alltag der Menschen?
    279 Das Internet sei nicht nur Facebook und Twitter, so
    280 *Peters* - und die Bereiche, in denen wir es bislang
    281 geschafft hätten, den europäischen Raum zu politisieren,
    282 beispielsweise in der ACTA-Debatte, waren Debatten, die
    283 über eine Verlinkung verschiedener Plattformen
    284 funktionierten. Dadurch wurde eine länderübergreifende
    285 Aufmerksamkeit geschaffen. Wie das Beispiel der ungarischen
    286 Bewegung “Milla” zeige, reiche der nationale Raum scheinbar
    287 nicht immer aus, um etwas zu bewegen, sondern es bedürfe
    288 eines internationalen Drucks.
    289 An *Staatsminister Link* gerichtet fragte *Mayte Peters*:
    290 “Sie haben gesagt, wir müssen Verantwortungsräume schaffen
    291 und zwar einen lokalen, einen regionalen und einen
    292 mitgliedstaatlichen. Wo bleibt der europäische?” Das
    293 Problem bestehe darin, dass der Raum der europäischen
    294 Demokratie nicht politisiert werde. Außerdem würde die
    295 Debatte auf einem hohen Niveau geführt, mit dem man den
    296 Großteil der Bürger sowie diejenigen nicht erreichen
    297 könnte, die sich für bestimmte Themen interessieren und
    298 nicht mehr nur für die Institutionen Europas. Gerade in
    299 diesen Bürgern liege aber die Chance Europas.
    300
    301 Abschließend ging *Daniel Fazekas* auf die
    302 Internetverlinkung ein. Er betonte, dass für Bewegungen wie
    303 “Milla” entscheidend sei, dass überhaupt Debatten geführt
    304 werden und wenn schon nicht in Budapest, dann egal wo.
    305 “Milla” versuche über verschiedensprachige Facebookseiten,
    306 Nachrichten über Ungarn ins Netz zu stellen. Das Problem
    307 dabei sei jedoch, dass es zwei Sphären von Öffentlichkeit
    308 gebe. Es habe oft keinen Sinn, nationale Probleme im
    309 Ausland zu erklären, wohingegen in Ungarn sie jeder
    310 versteht. Weiterhin warf er die Frage auf, wen es außerhalb
    311 von Ungarn überhaupt interessieren würde. Bürger anderer
    312 Mitgliedstaaten seien empfänglicher für die populistische
    313 Sichtweise, dass Ungarn nicht pluralistisch oder
    314 demokratisch sei.
    315
    316 In seinen Schlussworten kam *Prof. Calliess* auf das dem
    317 Europäischen Salon zugrundeliegende Konzept zurück:
    318 “Inwieweit kann das Internet hier tatsächlich dazu
    319 beitragen, dass wir eben den demokratischen Raum weiten,
    320 die Diskussionssphäre weiten, zu einer europäischen
    321 Öffentlichkeit kommen über das Internet? Das ist sicherlich
    322 eine Frage, die uns weiter beschäftigen wird, auch im
    323 Europäischen Salon.”
    324
    325 [[Zurück zur
    326 Archivübersicht](https://publixphere.de/i/salon/page/Archiv_
    327 Europ%C3%A4ischer_Salon__1)]
  • Bericht über die Auftaktveranstaltung

    von Community Management , angelegt
    1 Am 26. November 2013 fand der Auftakt der
    2 Veranstaltungsreihe “Europäischer Salon” in der Berliner
    3 Repräsentanz der Robert Bosch Stiftung statt. *Prof. Dr.
    4 Christian Calliess, LL.M.* diskutierte mit den
    5 Podiumsgästen über Europäische Werte, nationalen Populismus
    6 und die Notwendigkeit einer europäischen Öffentlichkeit.
    7 Vorbereitet wurde die Veranstaltung auf der neu etablierten
    8 Internetplattform salon.publixphere.de. Hier wurden vorab
    9 die von den Podiumsgästen eingereichten Statements kritisch
    10 hinterfragt und auch weiterführende Aspekte kontrovers
    11 diskutiert. Im Mittelpunkt des Europäischen Salons steht
    12 die Debatte junger Europäer mit Entscheidungsträgern aus
    13 Politik, Wissenschaft und Medien - online und offline.
    14
    15 Über 150 Veranstaltungsteilnehmer aus der
    16 Fachöffentlichkeit sowie Studenten und Schüler fanden sich
    17 zum Auftakt im Atrium der Stiftungsrepräsentanz zur
    18 Diskussion mit dem Staatsminister im Auswärtigen Amt,
    19 *Michael Georg Link*, dem Vorsitzenden des EU-Ausschusses,
    20 *Gunther Krichbaum*, dem Verfassungsrechtler und Mitglied
    21 des Wissenschaftskollegs Berlin, *Prof. Dr. Christoph
    22 Möllers, LL.M.* sowie *Daniel Fazekas*, Mitglied der
    23 ungarischen Bewegung “Milla - eine Million für die
    24 Pressefreiheit”, ein. Die ebenfalls eingeladene
    25 Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, *Viviane
    26 Reding*, konnte zwar nicht kommen, sendete zur Eröffnung
    27 aber eine Videobotschaft, in der sie die Bedeutung der
    28 direkten Einbindung der Bürger in die Zukunftsdebatte in
    29 Europa betonte, bevor große Reformen und neue Strukturen
    30 angegangen werden können: “Gerade junge Menschen müssen
    31 [dabei] beginnen, diese Debatte als eine Diskussion über
    32 ihr Europa zu sehen.”
    33
    34 In der zweistündigen Diskussionsveranstaltung standen neben
    35 der Notwendigkeit einer starken europäischen Öffentlichkeit
    36 vor allem europaweit zunehmende populistische Tendenzen und
    37 ihre möglichen Grenzen im Fokus. *Prof. Calliess* stellte
    38 eingangs die europäischen Werte als eine solche Grenze zur
    39 Diskussioneiner. Er fragte, ob die EU die in Art. 2 des EUV
    40 genannten Werte in Aufsicht Unionsaufsicht in den
    41 Mitgliedstaaten durchzusetzen habe und inwieweit das
    42 bestehende Instrumentarium hierfür ausreicht. In ihren
    43 jeweiligen Eingangsstatements setzten sich dann die
    44 Podiumsgäste mit der so aufgeworfenen Frage nach Existenz
    45 und Durchsetzung europäischer Werte eingehend auseinander.
    46
    47 *Staatsminister Link* erläuterte zu Beginn den vom
    48 Auswärtigen Amt unterstützten Vorschlag, durch eine
    49 “Grundwerte-Initiative” - auch als “Rechtsstaatsinitiative”
    50 bekannt - einen politischen Monitoringmechanismus zu
    51 schaffen, der für die Einhaltung der europäischen Werte
    52 durch die Mitgliedstaaten der Europäischen Union Sorge
    53 tragen kann. Es handelt sich dabei um eine gemeinsame
    54 Initiative der Außenminister Deutschlands, Dänemarks,
    55 Finnlands und der Niederlande, der sich mittlerweile viele
    56 Mitgliedstaaten angeschlossen haben und die auch von der
    57 Europäischen Kommission aufgegriffen wurde. Letztere werde
    58 diesbezüglich in der ersten Jahreshälfte 2014 ihren
    59 Umsetzungsvorschlag unterbreiten. Für *Staatsminister Link*
    60 vernachlässigt die EU bisher noch die Arbeit an der
    61 gemeinsamen Wertebasis. Um Grundwerteverstößen
    62 entgegenzuwirken, reiche einerseits der öffentlich durch
    63 die Medienberichterstattung ausgeübte Druck nicht aus,
    64 andererseits seien Sanktionen im Ministerrat nicht
    65 durchsetzbar, dies sei bereits mehrfach von
    66 mitgliedstaatlicher Seite signalisiert worden. Ein
    67 politischer Frühwarnmechanismus wie die
    68 Rechtsstaatsinitiative sei aber auch nicht “zahnlos”. Der
    69 Ministerrat müsse ein effektives Instrument bekommen, um
    70 Grundwerteverstöße identifizieren und frühzeitig
    71 eingreifen zu können. Vielleicht wäre es im Falle Ungarns
    72 dann auch gar nicht erst zu den problematischen Maßnahmen
    73 gekommen, konstatierte *Staatsminister Link*. In diesem
    74 Zusammenhang wies er aber auch darauf hin, dass die
    75 Grundwerte-Initiative unterschiedslos alle Mitgliedstaaten
    76 einschließen solle. Ziel sei es, die Lücke zwischen dem
    77 noch nie angewandten Sanktionsverfahren nach Art. 7 EUV und
    78 dem Vertragsverletzungsverfahren mit einem politisch leicht
    79 handhabbaren Instrument zu schließen.
    80 *Prof. Calliess* fragte daraufhin, ob nicht durch ein
    81 “systematisches Vertragsverletzungsverfahren” das
    82 Vertragsverletzungsverfahren für einen effektiven
    83 Grundwerteschutz fruchtbar gemacht werden könne. Dies solle
    84 ermöglichen, dass viele kleine Verletzungen sich zu einem
    85 Eingriff in die Rechtsstaatlichkeit, einem der Werte aus
    86 Art. 2 EUV, addieren. Weiterhin könne über diese Sanktionen
    87 eine Drohkulisse aufgebaut werden. Staatsminister Link
    88 schloss Sanktionen nicht konsequent aus, sofern diese als
    89 Ergebnis eines politischen Prozesses unter Beteiligung
    90 aller Institutionen eingeführt würden. Die
    91 Grundwerte-Initiative sei ein Instrument, das zunächst
    92 politisch wachsen müsse.
    93
    94 Dem Gedanken des politischen Prozesses stimmte *Prof.
    95 Möllers* zu: Es müsse mit einer Politisierung begonnen
    96 werden. Die EU solle dabei in kleinen Schritten vorgehen.
    97 Ein innenpolitischer Prozess sei der Ausgangspunkt. Er
    98 kritisierte in diesem Zusammenhang die “Tendenz in der
    99 europäischen Integration, Politik zu verrechtlichen und
    100 Recht zu moralisieren”, und beleuchtete die Existenz einer
    101 europäischen Wertegemeinschaft kritisch - bei vielen Fragen
    102 herrsche in Europa eben gerade kein Konsens für ein
    103 gemeinsames Handeln, wie der Syrienkonflikt verdeutliche.
    104 *Prof. Möllers* hinterfragte, ob es tatsächlich eine Grenze
    105 zwischen Populismus und Demokratie, die ja auch einer der
    106 Grundwerte des Art. 2 EUV ist, geben könne. “Populismus ist
    107 klassischerweise Klientelwirtschaft, man bietet den Leuten
    108 was Nettes an, damit sie einen wählen. *Frau Reding* hat
    109 gerade gesagt, es gibt billigere Roaminggebühren, also das
    110 scheint mir eine klassische populistische Figur zu sein,
    111 mit der man sagt: ‘Wenn ihr für Europa seid, dürft ihr
    112 billiger telefonieren.’ Ist völlig in Ordnung aber das ist
    113 eigentlich nicht das, was wir unter einem normativen
    114 Demokratiekonzept verstehen.” Populismus könne für ihn ein
    115 Mobilisierungsfaktor, ein notwendiges Element von
    116 Demokratie sein.
    117
    118 Nach der Beitrittsvoraussetzung und Durchsetzbarkeit des
    119 Wertekanons des Art. 2 EUV gefragt, rief *Gunther
    120 Krichbaum* die Kopenhagener Kriterien in Erinnerung, die
    121 von jedem beitrittswilligen Staat gemäß Art. 49 EUV zu
    122 berücksichtigen sind. Aber was kommt nach dem Beitritt? Für
    123 *Krichbaum* zeigen die Beispiele Rumäniens, Kroatiens oder
    124 Bulgariens, dass dringend Handlungsbedarf bestehe. Leider
    125 sei man aber erst jetzt so richtig aufgewacht.
    126
    127 Es schloss sich notwendig die Frage danach an, ob die
    128 Einmischung in eigene nationale Angelegenheiten in den
    129 Mitgliedstaaten denn überhaupt begrüßt wird. Hinsichtlich
    130 Ungarn bezog *Daniel Fazekas*, Gründungsmitglied der
    131 ungarischen Bewegung “Milla - eine Million für die
    132 Pressefreiheit”, Stellung. Die Beantwortung der Frage hänge
    133 davon ab, wen man frage: In Regierungspropaganda und
    134 Massenmedien werde die EU dämonisiert. Zudem werde
    135 propagiert, dass es dem Westen äußerst schlecht gehe. Die
    136 andere Seite der Bevölkerung wolle jedoch, dass die EU ihre
    137 Rechte schützt. Insgesamt habe die EU aber schon sehr
    138 positiv auf die Entwicklungen in Ungarn eingewirkt, meint
    139 *Fazekas*, so zum Beispiel durch das “Zurückzupfen” des
    140 Mediengesetzes.
    141 *Fazekas* stellte die Bewegung “Milla” kurz vor, die sich
    142 zunächst lediglich als eine zivilgesellschaftliche
    143 Plattform betrachtete - “im Grunde auf der Verbraucherseite
    144 der Politik”. Ihr Ziel war es, über ihre Facebookseite,
    145 durch Protestorganisationen sowie Informationen das
    146 Bewusstsein einer neuen politischen Generation zu schaffen.
    147 In ihrem 12-Punkte-Plan “Minimum Plus” findet sich als ein
    148 Aspekt auch die Einhaltung der Grundrechte und der
    149 europäischen Werte. Mittlerweile ist ein Strang von Milla
    150 sogar politisch aktiv. Zusammen mit dem ehemaligen
    151 ungarischen Premierminister Gordon Bajnai und der
    152 Gewerkschaftsgruppe “Solidarität” haben sie die Koalition
    153 “Zusammen 2014” gegründet.
    154
    155 *Prof. Calliess* warf daraufhin die Frage auf, ob die EU
    156 nicht in einem Dilemma sei, weil sie entweder zu viel oder
    157 zu wenig eingreife. *Krichbaum* erwiderte, dass ein Handeln
    158 der EU zwar oft als Einmischung in innere Angelegenheiten
    159 artikuliert werde, es jedoch keine sei, da spätestens seit
    160 dem Vertrag von Lissabon alle Bürger der Mitgliedstaaten
    161 auch Unionsbürger seien und die Kommission deren
    162 europäische, in der Grundrechte-Charta garantierten
    163 Bürgerrechte zu schützen und zu verteidigen habe.
    164
    165 Als nächstes wurde darüber diskutiert, dass die USA in
    166 Bezug auf die Einhaltung der europäischen Werte in Ungarn
    167 im Vergleich zur EU größere Präsenz zeigten. *Prof.
    168 Möllers* äußerte dabei seinen Eindruck, dass bestimmte
    169 Formen von politischer Handlungsfähigkeit, die man aus dem
    170 Bereich des Völkerrechts kenne, scheinbar vom Tisch seien.
    171 Als Gründe dafür sah er den derzeitigen Punkt des
    172 europäischen Integrationsprozesses sowie den hohen Grad an
    173 Verrechtlichung und Verflechtung der EU an. Die
    174 Möglichkeiten der USA, z.B. Zahlungen einzustellen, habe
    175 man innereuropäisch scheinbar nicht mehr, was zwar kein
    176 Argument gegen die EU sei, aber eine der vielen Ironien des
    177 Prozesses aufzeige.
    178 *Krichbaum* erwiderte, dass die Bundesrepublik die
    179 Möglichkeiten der USA nicht habe. Es müsse eine Balance
    180 gefunden werden zwischen der Existenz von roten Linien und
    181 der Möglichkeit zur Erzeugung eines ausreichenden
    182 politischen Drucks, da alle Mitgliedstaaten in der EU auf
    183 Dauer miteinander verbundene Partner seien. *Staatsminister
    184 Link* plädierte im Zuge dessen für eine gemeinsame
    185 Verteidigung der Werte.
    186
    187 Im Rahmen der offenen Diskussionsrunde mit dem Publikum
    188 kamen gerade von den vielen jungen Gästen sehr
    189 “europäische” Fragen nach der europäischen Identität und
    190 damit der Vermittlung Europas, der Ungleichbehandlung von
    191 Mitgliedstaaten bei der Thematisierung von Werteverstößen
    192 und der Grenze zwischen Populismus und knallharter
    193 Interessensvertretung auf.
    194
    195 Einigkeit herrschte beim Thema europäische Identität
    196 darüber, dass diese erst im Werden sei. Identitätsbildung
    197 müsse von jedem Einzelnen selbst ausgehen, sie könne nicht
    198 von der EU vorgeschrieben werden, so *Prof. Möllers*. Die
    199 fehlende Identität lasse sich auch in den
    200 Fehlkonstruktionen der EU suchen, beispielsweise durch den
    201 indirekten Vollzug, der dazu führe, dass die EU nicht
    202 sichtbar sei.
    203
    204 *Krichbaum* und *Staatsminister Link* waren sich einig,
    205 dass im Falle des Werteschutzes nicht mit zweierlei Maß
    206 gemessen werden sollte. *Staatsminister Link* brachte zur
    207 Vermeidung doppelter Standards erneut die
    208 Grundwerteinitiative ins Gespräch, da gerade ein
    209 politisches Vorgehen der richtige Weg sei. *Prof. Möllers*
    210 hingegen sah einen Unterschied in der Behandlung von Ungarn
    211 und einem “Alt”-Mitgliedstaat wie z.B. Frankreich. Mit
    212 Ungarn könne man anders umgehen als mit Frankreich, aber
    213 gerade deswegen sei der Vorstoß des Auswärtigen Amtes,
    214 zunächst nur politisch zu agieren, so “klug”.
    215
    216 Für *Prof. Möllers* ging es primär nicht um eine
    217 Vermittlung Europas, sondern vielmehr um reale, objektive
    218 Probleme. Er plädierte dafür, Probleme nicht zu
    219 medialisieren und stellte dabei auch das Internet als Raum
    220 für eine politische Debatte in Frage: “Worüber redet man im
    221 Internet am liebsten? - über das Internet! [...] Medien
    222 sind selbstreferenziell.” Dem wurde aus dem Publikum
    223 entgegengesetzt, dass dies eine Unterschätzung des
    224 Potenzials des Internets sei, politische Debatte zu
    225 verändern und auch den Wertediskurs in Europa
    226 voranzubringen.
    227
    228 Zur Grenze zwischen Interessenvertretung und Populismus
    229 äußerte *Staatsminister Link*, dass Populismus in
    230 Nationalismus übergehe und Feindbilder brauche und benutze,
    231 Interessenvertretung hingegen Regeln brauche und benutze.
    232 *Prof. Möllers* sah Populismus als ein vielleicht auch
    233 notwendiges Element der Demokratie, das als
    234 Mobilisierungsfaktor fungieren könnte.
    235
    236 Aus der Online-Debatte, die vorab auf salon.publixphere.de
    237 geführt wurde, brachte laut *Mayte Peters* (Publixphere
    238 e.V.) drei Kernaussagen in die Diskussion ein: Zum ersten
    239 dürfe Populismus nicht einfach abgetan werden, sondern es
    240 müsse eine kritische Debatte - auch um populistische Themen
    241 - geführt werden dürfen. Zum zweiten entstehe eine
    242 europäische Öffentlichkeit gerade um die Debatten über
    243 Werte und Populismus. Zum dritten reiche der pauschale
    244 Rekurs auf europäische Werte nicht aus.
    245 Werte müssten jedoch auch vermittelt werden können. Aber
    246 was bedeuten die Werte tatsächlich im Alltag der Menschen?
    247 Das Internet sei nicht nur Facebook und Twitter, so
    248 *Peters* - und die Bereiche, in denen wir es bislang
    249 geschafft hätten, den europäischen Raum zu politisieren,
    250 beispielsweise in der ACTA-Debatte, waren Debatten, die
    251 über eine Verlinkung verschiedener Plattformen
    252 funktionierten. Dadurch wurde eine länderübergreifende
    253 Aufmerksamkeit geschaffen. Wie das Beispiel der ungarischen
    254 Bewegung “Milla” zeige, reiche der nationale Raum scheinbar
    255 nicht immer aus, um etwas zu bewegen, sondern es bedürfe
    256 eines internationalen Drucks.
    257 An *Staatsminister Link* gerichtet fragte *Mayte Peters*:
    258 “Sie haben gesagt, wir müssen Verantwortungsräume schaffen
    259 und zwar einen lokalen, einen regionalen und einen
    260 mitgliedstaatlichen. Wo bleibt der europäische?” Das
    261 Problem bestehe darin, dass der Raum der europäischen
    262 Demokratie nicht politisiert werde. Außerdem würde die
    263 Debatte auf einem hohen Niveau geführt, mit dem man den
    264 Großteil der Bürger sowie diejenigen nicht erreichen
    265 könnte, die sich für bestimmte Themen interessieren und
    266 nicht mehr nur für die Institutionen Europas. Gerade in
    267 diesen Bürgern liege aber die Chance Europas.
    268
    269 Abschließend ging *Daniel Fazekas* auf die
    270 Internetverlinkung ein. Er betonte, dass für Bewegungen wie
    271 “Milla” entscheidend sei, dass überhaupt Debatten geführt
    272 werden und wenn schon nicht in Budapest, dann egal wo.
    273 “Milla” versuche über verschiedensprachige Facebookseiten,
    274 Nachrichten über Ungarn ins Netz zu stellen. Das Problem
    275 dabei sei jedoch, dass es zwei Sphären von Öffentlichkeit
    276 gebe. Es habe oft keinen Sinn, nationale Probleme im
    277 Ausland zu erklären, wohingegen in Ungarn sie jeder
    278 versteht. Weiterhin warf er die Frage auf, wen es außerhalb
    279 von Ungarn überhaupt interessieren würde. Bürger anderer
    280 Mitgliedstaaten seien empfänglicher für die populistische
    281 Sichtweise, dass Ungarn nicht pluralistisch oder
    282 demokratisch sei.
    283
    284 In seinen Schlussworten kam *Prof. Calliess* auf das dem
    285 Europäischen Salon zugrundeliegende Konzept zurück:
    286 “Inwieweit kann das Internet hier tatsächlich dazu
    287 beitragen, dass wir eben den demokratischen Raum weiten,
    288 die Diskussionssphäre weiten, zu einer europäischen
    289 Öffentlichkeit kommen über das Internet? Das ist sicherlich
    290 eine Frage, die uns weiter beschäftigen wird, auch im
    291 Europäischen Salon.”
  • Bericht über die Auftaktveranstaltung

    von Community Management , angelegt
    1 ![Bericht
    2 Auftaktveranstaltung](https://publixphere-cms.publixphere.de
    3 /de/salon-bilder/c-joanna-scheffel-960-x-350.jpg/@@images/im
    4 age.jpeg)
    5 *Foto&Teaser: ©Joanna Scheffel Photography*
    6
    7
    8 Am 26. November 2013 fand der Auftakt der
    9 Veranstaltungsreihe “Europäischer Salon” in der Berliner
    10 Repräsentanz der Robert Bosch Stiftung statt. *Prof. Dr.
    11 Christian Calliess, LL.M.* diskutierte mit den
    12 Podiumsgästen über Europäische Werte, nationalen Populismus
    13 und die Notwendigkeit einer europäischen Öffentlichkeit.
    14 Vorbereitet wurde die Veranstaltung auf der neu etablierten
    15 Internetplattform salon.publixphere.de. Hier wurden vorab
    16 die von den Podiumsgästen eingereichten Statements kritisch
    17 hinterfragt und auch weiterführende Aspekte kontrovers
    18 diskutiert. Im Mittelpunkt des Europäischen Salons steht
    19 die Debatte junger Europäer mit Entscheidungsträgern aus
    20 Politik, Wissenschaft und Medien - online und offline.
    21
    22 Über 150 Veranstaltungsteilnehmer aus der
    23 Fachöffentlichkeit sowie Studenten und Schüler fanden sich
    24 zum Auftakt im Atrium der Stiftungsrepräsentanz zur
    25 Diskussion mit dem Staatsminister im Auswärtigen Amt,
    26 *Michael Georg Link*, dem Vorsitzenden des EU-Ausschusses,
    27 *Gunther Krichbaum*, dem Verfassungsrechtler und Mitglied
    28 des Wissenschaftskollegs Berlin, *Prof. Dr. Christoph
    29 Möllers, LL.M.* sowie *Daniel Fazekas*, Mitglied der
    30 ungarischen Bewegung “Milla - eine Million für die
    31 Pressefreiheit”, ein. Die ebenfalls eingeladene
    32 Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, *Viviane
    33 Reding*, konnte zwar nicht kommen, sendete zur Eröffnung
    34 aber eine Videobotschaft, in der sie die Bedeutung der
    35 direkten Einbindung der Bürger in die Zukunftsdebatte in
    36 Europa betonte, bevor große Reformen und neue Strukturen
    37 angegangen werden können: “Gerade junge Menschen müssen
    38 [dabei] beginnen, diese Debatte als eine Diskussion über
    39 ihr Europa zu sehen.”
    40
    41 In der zweistündigen Diskussionsveranstaltung standen neben
    42 der Notwendigkeit einer starken europäischen Öffentlichkeit
    43 vor allem europaweit zunehmende populistische Tendenzen und
    44 ihre möglichen Grenzen im Fokus. *Prof. Calliess* stellte
    45 eingangs die europäischen Werte als eine solche Grenze zur
    46 Diskussioneiner. Er fragte, ob die EU die in Art. 2 des EUV
    47 genannten Werte in Aufsicht Unionsaufsicht in den
    48 Mitgliedstaaten durchzusetzen habe und inwieweit das
    49 bestehende Instrumentarium hierfür ausreicht. In ihren
    50 jeweiligen Eingangsstatements setzten sich dann die
    51 Podiumsgäste mit der so aufgeworfenen Frage nach Existenz
    52 und Durchsetzung europäischer Werte eingehend auseinander.
    53
    54 *Staatsminister Link* erläuterte zu Beginn den vom
    55 Auswärtigen Amt unterstützten Vorschlag, durch eine
    56 “Grundwerte-Initiative” - auch als “Rechtsstaatsinitiative”
    57 bekannt - einen politischen Monitoringmechanismus zu
    58 schaffen, der für die Einhaltung der europäischen Werte
    59 durch die Mitgliedstaaten der Europäischen Union Sorge
    60 tragen kann. Es handelt sich dabei um eine gemeinsame
    61 Initiative der Außenminister Deutschlands, Dänemarks,
    62 Finnlands und der Niederlande, der sich mittlerweile viele
    63 Mitgliedstaaten angeschlossen haben und die auch von der
    64 Europäischen Kommission aufgegriffen wurde. Letztere werde
    65 diesbezüglich in der ersten Jahreshälfte 2014 ihren
    66 Umsetzungsvorschlag unterbreiten. Für *Staatsminister Link*
    67 vernachlässigt die EU bisher noch die Arbeit an der
    68 gemeinsamen Wertebasis. Um Grundwerteverstößen
    69 entgegenzuwirken, reiche einerseits der öffentlich durch
    70 die Medienberichterstattung ausgeübte Druck nicht aus,
    71 andererseits seien Sanktionen im Ministerrat nicht
    72 durchsetzbar, dies sei bereits mehrfach von
    73 mitgliedstaatlicher Seite signalisiert worden. Ein
    74 politischer Frühwarnmechanismus wie die
    75 Rechtsstaatsinitiative sei aber auch nicht “zahnlos”. Der
    76 Ministerrat müsse ein effektives Instrument bekommen, um
    77 Grundwerteverstöße identifizieren und frühzeitig
    78 eingreifen zu können. Vielleicht wäre es im Falle Ungarns
    79 dann auch gar nicht erst zu den problematischen Maßnahmen
    80 gekommen, konstatierte *Staatsminister Link*. In diesem
    81 Zusammenhang wies er aber auch darauf hin, dass die
    82 Grundwerte-Initiative unterschiedslos alle Mitgliedstaaten
    83 einschließen solle. Ziel sei es, die Lücke zwischen dem
    84 noch nie angewandten Sanktionsverfahren nach Art. 7 EUV und
    85 dem Vertragsverletzungsverfahren mit einem politisch leicht
    86 handhabbaren Instrument zu schließen.
    87 *Prof. Calliess* fragte daraufhin, ob nicht durch ein
    88 “systematisches Vertragsverletzungsverfahren” das
    89 Vertragsverletzungsverfahren für einen effektiven
    90 Grundwerteschutz fruchtbar gemacht werden könne. Dies solle
    91 ermöglichen, dass viele kleine Verletzungen sich zu einem
    92 Eingriff in die Rechtsstaatlichkeit, einem der Werte aus
    93 Art. 2 EUV, addieren. Weiterhin könne über diese Sanktionen
    94 eine Drohkulisse aufgebaut werden. Staatsminister Link
    95 schloss Sanktionen nicht konsequent aus, sofern diese als
    96 Ergebnis eines politischen Prozesses unter Beteiligung
    97 aller Institutionen eingeführt würden. Die
    98 Grundwerte-Initiative sei ein Instrument, das zunächst
    99 politisch wachsen müsse.
    100
    101 Dem Gedanken des politischen Prozesses stimmte *Prof.
    102 Möllers* zu: Es müsse mit einer Politisierung begonnen
    103 werden. Die EU solle dabei in kleinen Schritten vorgehen.
    104 Ein innenpolitischer Prozess sei der Ausgangspunkt. Er
    105 kritisierte in diesem Zusammenhang die “Tendenz in der
    106 europäischen Integration, Politik zu verrechtlichen und
    107 Recht zu moralisieren”, und beleuchtete die Existenz einer
    108 europäischen Wertegemeinschaft kritisch - bei vielen Fragen
    109 herrsche in Europa eben gerade kein Konsens für ein
    110 gemeinsames Handeln, wie der Syrienkonflikt verdeutliche.
    111 *Prof. Möllers* hinterfragte, ob es tatsächlich eine Grenze
    112 zwischen Populismus und Demokratie, die ja auch einer der
    113 Grundwerte des Art. 2 EUV ist, geben könne. “Populismus ist
    114 klassischerweise Klientelwirtschaft, man bietet den Leuten
    115 was Nettes an, damit sie einen wählen. *Frau Reding* hat
    116 gerade gesagt, es gibt billigere Roaminggebühren, also das
    117 scheint mir eine klassische populistische Figur zu sein,
    118 mit der man sagt: ‘Wenn ihr für Europa seid, dürft ihr
    119 billiger telefonieren.’ Ist völlig in Ordnung aber das ist
    120 eigentlich nicht das, was wir unter einem normativen
    121 Demokratiekonzept verstehen.” Populismus könne für ihn ein
    122 Mobilisierungsfaktor, ein notwendiges Element von
    123 Demokratie sein.
    124
    125 Nach der Beitrittsvoraussetzung und Durchsetzbarkeit des
    126 Wertekanons des Art. 2 EUV gefragt, rief *Gunther
    127 Krichbaum* die Kopenhagener Kriterien in Erinnerung, die
    128 von jedem beitrittswilligen Staat gemäß Art. 49 EUV zu
    129 berücksichtigen sind. Aber was kommt nach dem Beitritt? Für
    130 *Krichbaum* zeigen die Beispiele Rumäniens, Kroatiens oder
    131 Bulgariens, dass dringend Handlungsbedarf bestehe. Leider
    132 sei man aber erst jetzt so richtig aufgewacht.
    133
    134 Es schloss sich notwendig die Frage danach an, ob die
    135 Einmischung in eigene nationale Angelegenheiten in den
    136 Mitgliedstaaten denn überhaupt begrüßt wird. Hinsichtlich
    137 Ungarn bezog *Daniel Fazekas*, Gründungsmitglied der
    138 ungarischen Bewegung “Milla - eine Million für die
    139 Pressefreiheit”, Stellung. Die Beantwortung der Frage hänge
    140 davon ab, wen man frage: In Regierungspropaganda und
    141 Massenmedien werde die EU dämonisiert. Zudem werde
    142 propagiert, dass es dem Westen äußerst schlecht gehe. Die
    143 andere Seite der Bevölkerung wolle jedoch, dass die EU ihre
    144 Rechte schützt. Insgesamt habe die EU aber schon sehr
    145 positiv auf die Entwicklungen in Ungarn eingewirkt, meint
    146 *Fazekas*, so zum Beispiel durch das “Zurückzupfen” des
    147 Mediengesetzes.
    148 *Fazekas* stellte die Bewegung “Milla” kurz vor, die sich
    149 zunächst lediglich als eine zivilgesellschaftliche
    150 Plattform betrachtete - “im Grunde auf der Verbraucherseite
    151 der Politik”. Ihr Ziel war es, über ihre Facebookseite,
    152 durch Protestorganisationen sowie Informationen das
    153 Bewusstsein einer neuen politischen Generation zu schaffen.
    154 In ihrem 12-Punkte-Plan “Minimum Plus” findet sich als ein
    155 Aspekt auch die Einhaltung der Grundrechte und der
    156 europäischen Werte. Mittlerweile ist ein Strang von Milla
    157 sogar politisch aktiv. Zusammen mit dem ehemaligen
    158 ungarischen Premierminister Gordon Bajnai und der
    159 Gewerkschaftsgruppe “Solidarität” haben sie die Koalition
    160 “Zusammen 2014” gegründet.
    161
    162 *Prof. Calliess* warf daraufhin die Frage auf, ob die EU
    163 nicht in einem Dilemma sei, weil sie entweder zu viel oder
    164 zu wenig eingreife. *Krichbaum* erwiderte, dass ein Handeln
    165 der EU zwar oft als Einmischung in innere Angelegenheiten
    166 artikuliert werde, es jedoch keine sei, da spätestens seit
    167 dem Vertrag von Lissabon alle Bürger der Mitgliedstaaten
    168 auch Unionsbürger seien und die Kommission deren
    169 europäische, in der Grundrechte-Charta garantierten
    170 Bürgerrechte zu schützen und zu verteidigen habe.
    171
    172 Als nächstes wurde darüber diskutiert, dass die USA in
    173 Bezug auf die Einhaltung der europäischen Werte in Ungarn
    174 im Vergleich zur EU größere Präsenz zeigten. *Prof.
    175 Möllers* äußerte dabei seinen Eindruck, dass bestimmte
    176 Formen von politischer Handlungsfähigkeit, die man aus dem
    177 Bereich des Völkerrechts kenne, scheinbar vom Tisch seien.
    178 Als Gründe dafür sah er den derzeitigen Punkt des
    179 europäischen Integrationsprozesses sowie den hohen Grad an
    180 Verrechtlichung und Verflechtung der EU an. Die
    181 Möglichkeiten der USA, z.B. Zahlungen einzustellen, habe
    182 man innereuropäisch scheinbar nicht mehr, was zwar kein
    183 Argument gegen die EU sei, aber eine der vielen Ironien des
    184 Prozesses aufzeige.
    185 *Krichbaum* erwiderte, dass die Bundesrepublik die
    186 Möglichkeiten der USA nicht habe. Es müsse eine Balance
    187 gefunden werden zwischen der Existenz von roten Linien und
    188 der Möglichkeit zur Erzeugung eines ausreichenden
    189 politischen Drucks, da alle Mitgliedstaaten in der EU auf
    190 Dauer miteinander verbundene Partner seien. *Staatsminister
    191 Link* plädierte im Zuge dessen für eine gemeinsame
    192 Verteidigung der Werte.
    193
    194 Im Rahmen der offenen Diskussionsrunde mit dem Publikum
    195 kamen gerade von den vielen jungen Gästen sehr
    196 “europäische” Fragen nach der europäischen Identität und
    197 damit der Vermittlung Europas, der Ungleichbehandlung von
    198 Mitgliedstaaten bei der Thematisierung von Werteverstößen
    199 und der Grenze zwischen Populismus und knallharter
    200 Interessensvertretung auf.
    201
    202 Einigkeit herrschte beim Thema europäische Identität
    203 darüber, dass diese erst im Werden sei. Identitätsbildung
    204 müsse von jedem Einzelnen selbst ausgehen, sie könne nicht
    205 von der EU vorgeschrieben werden, so *Prof. Möllers*. Die
    206 fehlende Identität lasse sich auch in den
    207 Fehlkonstruktionen der EU suchen, beispielsweise durch den
    208 indirekten Vollzug, der dazu führe, dass die EU nicht
    209 sichtbar sei.
    210
    211 *Krichbaum* und *Staatsminister Link* waren sich einig,
    212 dass im Falle des Werteschutzes nicht mit zweierlei Maß
    213 gemessen werden sollte. *Staatsminister Link* brachte zur
    214 Vermeidung doppelter Standards erneut die
    215 Grundwerteinitiative ins Gespräch, da gerade ein
    216 politisches Vorgehen der richtige Weg sei. *Prof. Möllers*
    217 hingegen sah einen Unterschied in der Behandlung von Ungarn
    218 und einem “Alt”-Mitgliedstaat wie z.B. Frankreich. Mit
    219 Ungarn könne man anders umgehen als mit Frankreich, aber
    220 gerade deswegen sei der Vorstoß des Auswärtigen Amtes,
    221 zunächst nur politisch zu agieren, so “klug”.
    222
    223 Für *Prof. Möllers* ging es primär nicht um eine
    224 Vermittlung Europas, sondern vielmehr um reale, objektive
    225 Probleme. Er plädierte dafür, Probleme nicht zu
    226 medialisieren und stellte dabei auch das Internet als Raum
    227 für eine politische Debatte in Frage: “Worüber redet man im
    228 Internet am liebsten? - über das Internet! [...] Medien
    229 sind selbstreferenziell.” Dem wurde aus dem Publikum
    230 entgegengesetzt, dass dies eine Unterschätzung des
    231 Potenzials des Internets sei, politische Debatte zu
    232 verändern und auch den Wertediskurs in Europa
    233 voranzubringen.
    234
    235 Zur Grenze zwischen Interessenvertretung und Populismus
    236 äußerte *Staatsminister Link*, dass Populismus in
    237 Nationalismus übergehe und Feindbilder brauche und benutze,
    238 Interessenvertretung hingegen Regeln brauche und benutze.
    239 *Prof. Möllers* sah Populismus als ein vielleicht auch
    240 notwendiges Element der Demokratie, das als
    241 Mobilisierungsfaktor fungieren könnte.
    242
    243 Aus der Online-Debatte, die vorab auf salon.publixphere.de
    244 geführt wurde, brachte laut *Mayte Peters* (Publixphere
    245 e.V.) drei Kernaussagen in die Diskussion ein: Zum ersten
    246 dürfe Populismus nicht einfach abgetan werden, sondern es
    247 müsse eine kritische Debatte - auch um populistische Themen
    248 - geführt werden dürfen. Zum zweiten entstehe eine
    249 europäische Öffentlichkeit gerade um die Debatten über
    250 Werte und Populismus. Zum dritten reiche der pauschale
    251 Rekurs auf europäische Werte nicht aus.
    252 Werte müssten jedoch auch vermittelt werden können. Aber
    253 was bedeuten die Werte tatsächlich im Alltag der Menschen?
    254 Das Internet sei nicht nur Facebook und Twitter, so
    255 *Peters* - und die Bereiche, in denen wir es bislang
    256 geschafft hätten, den europäischen Raum zu politisieren,
    257 beispielsweise in der ACTA-Debatte, waren Debatten, die
    258 über eine Verlinkung verschiedener Plattformen
    259 funktionierten. Dadurch wurde eine länderübergreifende
    260 Aufmerksamkeit geschaffen. Wie das Beispiel der ungarischen
    261 Bewegung “Milla” zeige, reiche der nationale Raum scheinbar
    262 nicht immer aus, um etwas zu bewegen, sondern es bedürfe
    263 eines internationalen Drucks.
    264 An *Staatsminister Link* gerichtet fragte *Mayte Peters*:
    265 “Sie haben gesagt, wir müssen Verantwortungsräume schaffen
    266 und zwar einen lokalen, einen regionalen und einen
    267 mitgliedstaatlichen. Wo bleibt der europäische?” Das
    268 Problem bestehe darin, dass der Raum der europäischen
    269 Demokratie nicht politisiert werde. Außerdem würde die
    270 Debatte auf einem hohen Niveau geführt, mit dem man den
    271 Großteil der Bürger sowie diejenigen nicht erreichen
    272 könnte, die sich für bestimmte Themen interessieren und
    273 nicht mehr nur für die Institutionen Europas. Gerade in
    274 diesen Bürgern liege aber die Chance Europas.
    275
    276 Abschließend ging *Daniel Fazekas* auf die
    277 Internetverlinkung ein. Er betonte, dass für Bewegungen wie
    278 “Milla” entscheidend sei, dass überhaupt Debatten geführt
    279 werden und wenn schon nicht in Budapest, dann egal wo.
    280 “Milla” versuche über verschiedensprachige Facebookseiten,
    281 Nachrichten über Ungarn ins Netz zu stellen. Das Problem
    282 dabei sei jedoch, dass es zwei Sphären von Öffentlichkeit
    283 gebe. Es habe oft keinen Sinn, nationale Probleme im
    284 Ausland zu erklären, wohingegen in Ungarn sie jeder
    285 versteht. Weiterhin warf er die Frage auf, wen es außerhalb
    286 von Ungarn überhaupt interessieren würde. Bürger anderer
    287 Mitgliedstaaten seien empfänglicher für die populistische
    288 Sichtweise, dass Ungarn nicht pluralistisch oder
    289 demokratisch sei.
    290
    291 In seinen Schlussworten kam *Prof. Calliess* auf das dem
    292 Europäischen Salon zugrundeliegende Konzept zurück:
    293 “Inwieweit kann das Internet hier tatsächlich dazu
    294 beitragen, dass wir eben den demokratischen Raum weiten,
    295 die Diskussionssphäre weiten, zu einer europäischen
    296 Öffentlichkeit kommen über das Internet? Das ist sicherlich
    297 eine Frage, die uns weiter beschäftigen wird, auch im
    298 Europäischen Salon.”
    299
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