1 | Am 26. November 2013 fand der Auftakt der |
2 | Veranstaltungsreihe “Europäischer Salon” in der Berliner |
3 | Repräsentanz der Robert Bosch Stiftung statt. *Prof. Dr. |
4 | Christian Calliess, LL.M.* diskutierte mit den Podiumsgästen |
5 | über Europäische Werte, nationalen Populismus und die |
6 | Notwendigkeit einer europäischen Öffentlichkeit. Vorbereitet |
7 | wurde die Veranstaltung auf der neu etablierten |
8 | Internetplattform salon.publixphere.de. Hier wurden vorab |
9 | die von den Podiumsgästen eingereichten Statements kritisch |
10 | hinterfragt und auch weiterführende Aspekte kontrovers |
11 | diskutiert. Im Mittelpunkt des Europäischen Salons steht die |
12 | Debatte junger Europäer mit Entscheidungsträgern aus |
13 | Politik, Wissenschaft und Medien - online und offline. |
14 | |
15 | Über 150 Veranstaltungsteilnehmer aus der Fachöffentlichkeit |
16 | sowie Studenten und Schüler fanden sich zum Auftakt im |
17 | Atrium der Stiftungsrepräsentanz zur Diskussion mit dem |
18 | Staatsminister im Auswärtigen Amt, *Michael Georg Link*, dem |
19 | Vorsitzenden des EU-Ausschusses, *Gunther Krichbaum*, dem |
20 | Verfassungsrechtler und Mitglied des Wissenschaftskollegs |
21 | Berlin, *Prof. Dr. Christoph Möllers, LL.M.* sowie *Daniel |
22 | Fazekas*, Mitglied der ungarischen Bewegung “Milla - eine |
23 | Million für die Pressefreiheit”, ein. Die ebenfalls |
24 | eingeladene Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, |
25 | *Viviane Reding*, konnte zwar nicht kommen, sendete zur |
26 | Eröffnung aber eine Videobotschaft, in der sie die Bedeutung |
27 | der direkten Einbindung der Bürger in die Zukunftsdebatte in |
28 | Europa betonte, bevor große Reformen und neue Strukturen |
29 | angegangen werden können: “Gerade junge Menschen müssen |
30 | [dabei] beginnen, diese Debatte als eine Diskussion über ihr |
31 | Europa zu sehen.” |
32 | |
33 | In der zweistündigen Diskussionsveranstaltung standen neben |
34 | der Notwendigkeit einer starken europäischen Öffentlichkeit |
35 | vor allem europaweit zunehmende populistische Tendenzen und |
36 | ihre möglichen Grenzen im Fokus. *Prof. Calliess* stellte |
37 | eingangs die europäischen Werte als eine solche Grenze zur |
38 | Diskussioneiner. Er fragte, ob die EU die in Art. 2 des EUV |
39 | genannten Werte in Aufsicht Unionsaufsicht in den |
40 | Mitgliedstaaten durchzusetzen habe und inwieweit das |
41 | bestehende Instrumentarium hierfür ausreicht. In ihren |
42 | jeweiligen Eingangsstatements setzten sich dann die |
43 | Podiumsgäste mit der so aufgeworfenen Frage nach Existenz |
44 | und Durchsetzung europäischer Werte eingehend auseinander. |
45 | |
46 | *Staatsminister Link* erläuterte zu Beginn den vom |
47 | Auswärtigen Amt unterstützten Vorschlag, durch eine |
48 | “Grundwerte-Initiative” - auch als “Rechtsstaatsinitiative” |
49 | bekannt - einen politischen Monitoringmechanismus zu |
50 | schaffen, der für die Einhaltung der europäischen Werte |
51 | durch die Mitgliedstaaten der Europäischen Union Sorge |
52 | tragen kann. Es handelt sich dabei um eine gemeinsame |
53 | Initiative der Außenminister Deutschlands, Dänemarks, |
54 | Finnlands und der Niederlande, der sich mittlerweile viele |
55 | Mitgliedstaaten angeschlossen haben und die auch von der |
56 | Europäischen Kommission aufgegriffen wurde. Letztere werde |
57 | diesbezüglich in der ersten Jahreshälfte 2014 ihren |
58 | Umsetzungsvorschlag unterbreiten. Für *Staatsminister Link* |
59 | vernachlässigt die EU bisher noch die Arbeit an der |
60 | gemeinsamen Wertebasis. Um Grundwerteverstößen |
61 | entgegenzuwirken, reiche einerseits der öffentlich durch die |
62 | Medienberichterstattung ausgeübte Druck nicht aus, |
63 | andererseits seien Sanktionen im Ministerrat nicht |
64 | durchsetzbar, dies sei bereits mehrfach von |
65 | mitgliedstaatlicher Seite signalisiert worden. Ein |
66 | politischer Frühwarnmechanismus wie die |
67 | Rechtsstaatsinitiative sei aber auch nicht “zahnlos”. Der |
68 | Ministerrat müsse ein effektives Instrument bekommen, um |
69 | Grundwerteverstöße identifizieren und frühzeitig eingreifen |
70 | zu können. Vielleicht wäre es im Falle Ungarns dann auch gar |
71 | nicht erst zu den problematischen Maßnahmen gekommen, |
72 | konstatierte *Staatsminister Link*. In diesem Zusammenhang |
73 | wies er aber auch darauf hin, dass die Grundwerte-Initiative |
74 | unterschiedslos alle Mitgliedstaaten einschließen solle. |
75 | Ziel sei es, die Lücke zwischen dem noch nie angewandten |
76 | Sanktionsverfahren nach Art. 7 EUV und dem |
77 | Vertragsverletzungsverfahren mit einem politisch leicht |
78 | handhabbaren Instrument zu schließen. |
79 | *Prof. Calliess* fragte daraufhin, ob nicht durch ein |
80 | “systematisches Vertragsverletzungsverfahren” das |
81 | Vertragsverletzungsverfahren für einen effektiven |
82 | Grundwerteschutz fruchtbar gemacht werden könne. Dies solle |
83 | ermöglichen, dass viele kleine Verletzungen sich zu einem |
84 | Eingriff in die Rechtsstaatlichkeit, einem der Werte aus |
85 | Art. 2 EUV, addieren. Weiterhin könne über diese Sanktionen |
86 | eine Drohkulisse aufgebaut werden. Staatsminister Link |
87 | schloss Sanktionen nicht konsequent aus, sofern diese als |
88 | Ergebnis eines politischen Prozesses unter Beteiligung aller |
89 | Institutionen eingeführt würden. Die Grundwerte-Initiative |
90 | sei ein Instrument, das zunächst politisch wachsen müsse. |
91 | |
92 | Dem Gedanken des politischen Prozesses stimmte *Prof. |
93 | Möllers* zu: Es müsse mit einer Politisierung begonnen |
94 | werden. Die EU solle dabei in kleinen Schritten vorgehen. |
95 | Ein innenpolitischer Prozess sei der Ausgangspunkt. Er |
96 | kritisierte in diesem Zusammenhang die “Tendenz in der |
97 | europäischen Integration, Politik zu verrechtlichen und |
98 | Recht zu moralisieren”, und beleuchtete die Existenz einer |
99 | europäischen Wertegemeinschaft kritisch - bei vielen Fragen |
100 | herrsche in Europa eben gerade kein Konsens für ein |
101 | gemeinsames Handeln, wie der Syrienkonflikt verdeutliche. |
102 | *Prof. Möllers* hinterfragte, ob es tatsächlich eine Grenze |
103 | zwischen Populismus und Demokratie, die ja auch einer der |
104 | Grundwerte des Art. 2 EUV ist, geben könne. “Populismus ist |
105 | klassischerweise Klientelwirtschaft, man bietet den Leuten |
106 | was Nettes an, damit sie einen wählen. *Frau Reding* hat |
107 | gerade gesagt, es gibt billigere Roaminggebühren, also das |
108 | scheint mir eine klassische populistische Figur zu sein, mit |
109 | der man sagt: ‘Wenn ihr für Europa seid, dürft ihr billiger |
110 | telefonieren.’ Ist völlig in Ordnung aber das ist eigentlich |
111 | nicht das, was wir unter einem normativen Demokratiekonzept |
112 | verstehen.” Populismus könne für ihn ein |
113 | Mobilisierungsfaktor, ein notwendiges Element von Demokratie |
114 | sein. |
115 | |
116 | Nach der Beitrittsvoraussetzung und Durchsetzbarkeit des |
117 | Wertekanons des Art. 2 EUV gefragt, rief *Gunther Krichbaum* |
118 | die Kopenhagener Kriterien in Erinnerung, die von jedem |
119 | beitrittswilligen Staat gemäß Art. 49 EUV zu berücksichtigen |
120 | sind. Aber was kommt nach dem Beitritt? Für *Krichbaum* |
121 | zeigen die Beispiele Rumäniens, Kroatiens oder Bulgariens, |
122 | dass dringend Handlungsbedarf bestehe. Leider sei man aber |
123 | erst jetzt so richtig aufgewacht. |
124 | |
125 | Es schloss sich notwendig die Frage danach an, ob die |
126 | Einmischung in eigene nationale Angelegenheiten in den |
127 | Mitgliedstaaten denn überhaupt begrüßt wird. Hinsichtlich |
128 | Ungarn bezog *Daniel Fazekas*, Gründungsmitglied der |
129 | ungarischen Bewegung “Milla - eine Million für die |
130 | Pressefreiheit”, Stellung. Die Beantwortung der Frage hänge |
131 | davon ab, wen man frage: In Regierungspropaganda und |
132 | Massenmedien werde die EU dämonisiert. Zudem werde |
133 | propagiert, dass es dem Westen äußerst schlecht gehe. Die |
134 | andere Seite der Bevölkerung wolle jedoch, dass die EU ihre |
135 | Rechte schützt. Insgesamt habe die EU aber schon sehr |
136 | positiv auf die Entwicklungen in Ungarn eingewirkt, meint |
137 | *Fazekas*, so zum Beispiel durch das “Zurückzupfen” des |
138 | Mediengesetzes. |
139 | *Fazekas* stellte die Bewegung “Milla” kurz vor, die sich |
140 | zunächst lediglich als eine zivilgesellschaftliche Plattform |
141 | betrachtete - “im Grunde auf der Verbraucherseite der |
142 | Politik”. Ihr Ziel war es, über ihre Facebookseite, durch |
143 | Protestorganisationen sowie Informationen das Bewusstsein |
144 | einer neuen politischen Generation zu schaffen. In ihrem |
145 | 12-Punkte-Plan “Minimum Plus” findet sich als ein Aspekt |
146 | auch die Einhaltung der Grundrechte und der europäischen |
147 | Werte. Mittlerweile ist ein Strang von Milla sogar politisch |
148 | aktiv. Zusammen mit dem ehemaligen ungarischen |
149 | Premierminister Gordon Bajnai und der Gewerkschaftsgruppe |
150 | “Solidarität” haben sie die Koalition “Zusammen 2014” |
151 | gegründet. |
152 | |
153 | *Prof. Calliess* warf daraufhin die Frage auf, ob die EU |
154 | nicht in einem Dilemma sei, weil sie entweder zu viel oder |
155 | zu wenig eingreife. *Krichbaum* erwiderte, dass ein Handeln |
156 | der EU zwar oft als Einmischung in innere Angelegenheiten |
157 | artikuliert werde, es jedoch keine sei, da spätestens seit |
158 | dem Vertrag von Lissabon alle Bürger der Mitgliedstaaten |
159 | auch Unionsbürger seien und die Kommission deren |
160 | europäische, in der Grundrechte-Charta garantierten |
161 | Bürgerrechte zu schützen und zu verteidigen habe. |
162 | |
163 | Als nächstes wurde darüber diskutiert, dass die USA in Bezug |
164 | auf die Einhaltung der europäischen Werte in Ungarn im |
165 | Vergleich zur EU größere Präsenz zeigten. *Prof. Möllers* |
166 | äußerte dabei seinen Eindruck, dass bestimmte Formen von |
167 | politischer Handlungsfähigkeit, die man aus dem Bereich des |
168 | Völkerrechts kenne, scheinbar vom Tisch seien. Als Gründe |
169 | dafür sah er den derzeitigen Punkt des europäischen |
170 | Integrationsprozesses sowie den hohen Grad an |
171 | Verrechtlichung und Verflechtung der EU an. Die |
172 | Möglichkeiten der USA, z.B. Zahlungen einzustellen, habe man |
173 | innereuropäisch scheinbar nicht mehr, was zwar kein Argument |
174 | gegen die EU sei, aber eine der vielen Ironien des Prozesses |
175 | aufzeige. |
176 | *Krichbaum* erwiderte, dass die Bundesrepublik die |
177 | Möglichkeiten der USA nicht habe. Es müsse eine Balance |
178 | gefunden werden zwischen der Existenz von roten Linien und |
179 | der Möglichkeit zur Erzeugung eines ausreichenden |
180 | politischen Drucks, da alle Mitgliedstaaten in der EU auf |
181 | Dauer miteinander verbundene Partner seien. *Staatsminister |
182 | Link* plädierte im Zuge dessen für eine gemeinsame |
183 | Verteidigung der Werte. |
184 | |
185 | Im Rahmen der offenen Diskussionsrunde mit dem Publikum |
186 | kamen gerade von den vielen jungen Gästen sehr “europäische” |
187 | Fragen nach der europäischen Identität und damit der |
188 | Vermittlung Europas, der Ungleichbehandlung von |
189 | Mitgliedstaaten bei der Thematisierung von Werteverstößen |
190 | und der Grenze zwischen Populismus und knallharter |
191 | Interessensvertretung auf. |
192 | |
193 | Einigkeit herrschte beim Thema europäische Identität |
194 | darüber, dass diese erst im Werden sei. Identitätsbildung |
195 | müsse von jedem Einzelnen selbst ausgehen, sie könne nicht |
196 | von der EU vorgeschrieben werden, so *Prof. Möllers*. Die |
197 | fehlende Identität lasse sich auch in den Fehlkonstruktionen |
198 | der EU suchen, beispielsweise durch den indirekten Vollzug, |
199 | der dazu führe, dass die EU nicht sichtbar sei. |
200 | |
201 | *Krichbaum* und *Staatsminister Link* waren sich einig, dass |
202 | im Falle des Werteschutzes nicht mit zweierlei Maß gemessen |
203 | werden sollte. *Staatsminister Link* brachte zur Vermeidung |
204 | doppelter Standards erneut die Grundwerteinitiative ins |
205 | Gespräch, da gerade ein politisches Vorgehen der richtige |
206 | Weg sei. *Prof. Möllers* hingegen sah einen Unterschied in |
207 | der Behandlung von Ungarn und einem “Alt”-Mitgliedstaat wie |
208 | z.B. Frankreich. Mit Ungarn könne man anders umgehen als mit |
209 | Frankreich, aber gerade deswegen sei der Vorstoß des |
210 | Auswärtigen Amtes, zunächst nur politisch zu agieren, so |
211 | “klug”. |
212 | |
213 | Für *Prof. Möllers* ging es primär nicht um eine Vermittlung |
214 | Europas, sondern vielmehr um reale, objektive Probleme. Er |
215 | plädierte dafür, Probleme nicht zu medialisieren und stellte |
216 | dabei auch das Internet als Raum für eine politische Debatte |
217 | in Frage: “Worüber redet man im Internet am liebsten? - über |
218 | das Internet! [...] Medien sind selbstreferenziell.” Dem |
219 | wurde aus dem Publikum entgegengesetzt, dass dies eine |
220 | Unterschätzung des Potenzials des Internets sei, politische |
221 | Debatte zu verändern und auch den Wertediskurs in Europa |
222 | voranzubringen. |
223 | |
224 | Zur Grenze zwischen Interessenvertretung und Populismus |
225 | äußerte *Staatsminister Link*, dass Populismus in |
226 | Nationalismus übergehe und Feindbilder brauche und benutze, |
227 | Interessenvertretung hingegen Regeln brauche und benutze. |
228 | *Prof. Möllers* sah Populismus als ein vielleicht auch |
229 | notwendiges Element der Demokratie, das als |
230 | Mobilisierungsfaktor fungieren könnte. |
231 | |
232 | Aus der Online-Debatte, die vorab auf salon.publixphere.de |
233 | geführt wurde, brachte laut *Mayte Peters* (Publixphere |
234 | e.V.) drei Kernaussagen in die Diskussion ein: Zum ersten |
235 | dürfe Populismus nicht einfach abgetan werden, sondern es |
236 | müsse eine kritische Debatte - auch um populistische Themen |
237 | - geführt werden dürfen. Zum zweiten entstehe eine |
238 | europäische Öffentlichkeit gerade um die Debatten über Werte |
239 | und Populismus. Zum dritten reiche der pauschale Rekurs auf |
240 | europäische Werte nicht aus. |
241 | Werte müssten jedoch auch vermittelt werden können. Aber was |
242 | bedeuten die Werte tatsächlich im Alltag der Menschen? Das |
243 | Internet sei nicht nur Facebook und Twitter, so *Peters* - |
244 | und die Bereiche, in denen wir es bislang geschafft hätten, |
245 | den europäischen Raum zu politisieren, beispielsweise in der |
246 | ACTA-Debatte, waren Debatten, die über eine Verlinkung |
247 | verschiedener Plattformen funktionierten. Dadurch wurde eine |
248 | länderübergreifende Aufmerksamkeit geschaffen. Wie das |
249 | Beispiel der ungarischen Bewegung “Milla” zeige, reiche der |
250 | nationale Raum scheinbar nicht immer aus, um etwas zu |
251 | bewegen, sondern es bedürfe eines internationalen Drucks. |
252 | An *Staatsminister Link* gerichtet fragte *Mayte Peters*: |
253 | “Sie haben gesagt, wir müssen Verantwortungsräume schaffen |
254 | und zwar einen lokalen, einen regionalen und einen |
255 | mitgliedstaatlichen. Wo bleibt der europäische?” Das Problem |
256 | bestehe darin, dass der Raum der europäischen Demokratie |
257 | nicht politisiert werde. Außerdem würde die Debatte auf |
258 | einem hohen Niveau geführt, mit dem man den Großteil der |
259 | Bürger sowie diejenigen nicht erreichen könnte, die sich für |
260 | bestimmte Themen interessieren und nicht mehr nur für die |
261 | Institutionen Europas. Gerade in diesen Bürgern liege aber |
262 | die Chance Europas. |
263 | |
264 | Abschließend ging *Daniel Fazekas* auf die |
265 | Internetverlinkung ein. Er betonte, dass für Bewegungen wie |
266 | “Milla” entscheidend sei, dass überhaupt Debatten geführt |
267 | werden und wenn schon nicht in Budapest, dann egal wo. |
268 | “Milla” versuche über verschiedensprachige Facebookseiten, |
269 | Nachrichten über Ungarn ins Netz zu stellen. Das Problem |
270 | dabei sei jedoch, dass es zwei Sphären von Öffentlichkeit |
271 | gebe. Es habe oft keinen Sinn, nationale Probleme im Ausland |
272 | zu erklären, wohingegen in Ungarn sie jeder versteht. |
273 | Weiterhin warf er die Frage auf, wen es außerhalb von Ungarn |
274 | überhaupt interessieren würde. Bürger anderer |
275 | Mitgliedstaaten seien empfänglicher für die populistische |
276 | Sichtweise, dass Ungarn nicht pluralistisch oder |
277 | demokratisch sei. |
278 | |
279 | In seinen Schlussworten kam *Prof. Calliess* auf das dem |
280 | Europäischen Salon zugrundeliegende Konzept zurück: |
281 | “Inwieweit kann das Internet hier tatsächlich dazu |
282 | beitragen, dass wir eben den demokratischen Raum weiten, die |
283 | Diskussionssphäre weiten, zu einer europäischen |
284 | Öffentlichkeit kommen über das Internet? Das ist sicherlich |
285 | eine Frage, die uns weiter beschäftigen wird, auch im |
286 | Europäischen Salon.” |
1-10 von 19
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Bericht über die Auftaktveranstaltung
von admin, angelegt -
* Bericht über die Auftaktveranstaltung
von admin, angelegt1 Am 26. November 2013 fand der Auftakt der 2 Veranstaltungsreihe “Europäischer Salon” in der Berliner 3 Repräsentanz der Robert Bosch Stiftung statt. *Prof. Dr. 4 Christian Calliess, LL.M.* diskutierte mit den 5 Podiumsgästen über Europäische Werte, nationalen Populismus 6 und die Notwendigkeit einer europäischen Öffentlichkeit. 7 Vorbereitet wurde die Veranstaltung auf der neu etablierten 8 Internetplattform salon.publixphere.de. Hier wurden vorab 9 die von den Podiumsgästen eingereichten Statements kritisch 10 hinterfragt und auch weiterführende Aspekte kontrovers 11 diskutiert. Im Mittelpunkt des Europäischen Salons steht 12 die Debatte junger Europäer mit Entscheidungsträgern aus 13 Politik, Wissenschaft und Medien - online und offline. 14 15 Über 150 Veranstaltungsteilnehmer aus der 16 Fachöffentlichkeit sowie Studenten und Schüler fanden sich 17 zum Auftakt im Atrium der Stiftungsrepräsentanz zur 18 Diskussion mit dem Staatsminister im Auswärtigen Amt, 19 *Michael Georg Link*, dem Vorsitzenden des EU-Ausschusses, 20 *Gunther Krichbaum*, dem Verfassungsrechtler und Mitglied 21 des Wissenschaftskollegs Berlin, *Prof. Dr. Christoph 22 Möllers, LL.M.* sowie *Daniel Fazekas*, Mitglied der 23 ungarischen Bewegung “Milla - eine Million für die 24 Pressefreiheit”, ein. Die ebenfalls eingeladene 25 Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, *Viviane 26 Reding*, konnte zwar nicht kommen, sendete zur Eröffnung 27 aber eine Videobotschaft, in der sie die Bedeutung der 28 direkten Einbindung der Bürger in die Zukunftsdebatte in 29 Europa betonte, bevor große Reformen und neue Strukturen 30 angegangen werden können: “Gerade junge Menschen müssen 31 [dabei] beginnen, diese Debatte als eine Diskussion über 32 ihr Europa zu sehen.” 33 34 In der zweistündigen Diskussionsveranstaltung standen neben 35 der Notwendigkeit einer starken europäischen Öffentlichkeit 36 vor allem europaweit zunehmende populistische Tendenzen und 37 ihre möglichen Grenzen im Fokus. *Prof. Calliess* stellte 38 eingangs die europäischen Werte als eine solche Grenze zur 39 Diskussioneiner. Er fragte, ob die EU die in Art. 2 des EUV 40 genannten Werte in Aufsicht Unionsaufsicht in den 41 Mitgliedstaaten durchzusetzen habe und inwieweit das 42 bestehende Instrumentarium hierfür ausreicht. In ihren 43 jeweiligen Eingangsstatements setzten sich dann die 44 Podiumsgäste mit der so aufgeworfenen Frage nach Existenz 45 und Durchsetzung europäischer Werte eingehend auseinander. 46 47 *Staatsminister Link* erläuterte zu Beginn den vom 48 Auswärtigen Amt unterstützten Vorschlag, durch eine 49 “Grundwerte-Initiative” - auch als “Rechtsstaatsinitiative” 50 bekannt - einen politischen Monitoringmechanismus zu 51 schaffen, der für die Einhaltung der europäischen Werte 52 durch die Mitgliedstaaten der Europäischen Union Sorge 53 tragen kann. Es handelt sich dabei um eine gemeinsame 54 Initiative der Außenminister Deutschlands, Dänemarks, 55 Finnlands und der Niederlande, der sich mittlerweile viele 56 Mitgliedstaaten angeschlossen haben und die auch von der 57 Europäischen Kommission aufgegriffen wurde. Letztere werde 58 diesbezüglich in der ersten Jahreshälfte 2014 ihren 59 Umsetzungsvorschlag unterbreiten. Für *Staatsminister Link* 60 vernachlässigt die EU bisher noch die Arbeit an der 61 gemeinsamen Wertebasis. Um Grundwerteverstößen 62 entgegenzuwirken, reiche einerseits der öffentlich durch 63 die Medienberichterstattung ausgeübte Druck nicht aus, 64 andererseits seien Sanktionen im Ministerrat nicht 65 durchsetzbar, dies sei bereits mehrfach von 66 mitgliedstaatlicher Seite signalisiert worden. Ein 67 politischer Frühwarnmechanismus wie die 68 Rechtsstaatsinitiative sei aber auch nicht “zahnlos”. Der 69 Ministerrat müsse ein effektives Instrument bekommen, um 70 Grundwerteverstöße identifizieren und frühzeitig 71 eingreifen zu können. Vielleicht wäre es im Falle Ungarns 72 dann auch gar nicht erst zu den problematischen Maßnahmen 73 gekommen, konstatierte *Staatsminister Link*. In diesem 74 Zusammenhang wies er aber auch darauf hin, dass die 75 Grundwerte-Initiative unterschiedslos alle Mitgliedstaaten 76 einschließen solle. Ziel sei es, die Lücke zwischen dem 77 noch nie angewandten Sanktionsverfahren nach Art. 7 EUV und 78 dem Vertragsverletzungsverfahren mit einem politisch leicht 79 handhabbaren Instrument zu schließen. 80 *Prof. Calliess* fragte daraufhin, ob nicht durch ein 81 “systematisches Vertragsverletzungsverfahren” das 82 Vertragsverletzungsverfahren für einen effektiven 83 Grundwerteschutz fruchtbar gemacht werden könne. Dies solle 84 ermöglichen, dass viele kleine Verletzungen sich zu einem 85 Eingriff in die Rechtsstaatlichkeit, einem der Werte aus 86 Art. 2 EUV, addieren. Weiterhin könne über diese Sanktionen 87 eine Drohkulisse aufgebaut werden. Staatsminister Link 88 schloss Sanktionen nicht konsequent aus, sofern diese als 89 Ergebnis eines politischen Prozesses unter Beteiligung 90 aller Institutionen eingeführt würden. Die 91 Grundwerte-Initiative sei ein Instrument, das zunächst 92 politisch wachsen müsse. 93 94 Dem Gedanken des politischen Prozesses stimmte *Prof. 95 Möllers* zu: Es müsse mit einer Politisierung begonnen 96 werden. Die EU solle dabei in kleinen Schritten vorgehen. 97 Ein innenpolitischer Prozess sei der Ausgangspunkt. Er 98 kritisierte in diesem Zusammenhang die “Tendenz in der 99 europäischen Integration, Politik zu verrechtlichen und 100 Recht zu moralisieren”, und beleuchtete die Existenz einer 101 europäischen Wertegemeinschaft kritisch - bei vielen Fragen 102 herrsche in Europa eben gerade kein Konsens für ein 103 gemeinsames Handeln, wie der Syrienkonflikt verdeutliche. 104 *Prof. Möllers* hinterfragte, ob es tatsächlich eine Grenze 105 zwischen Populismus und Demokratie, die ja auch einer der 106 Grundwerte des Art. 2 EUV ist, geben könne. “Populismus ist 107 klassischerweise Klientelwirtschaft, man bietet den Leuten 108 was Nettes an, damit sie einen wählen. *Frau Reding* hat 109 gerade gesagt, es gibt billigere Roaminggebühren, also das 110 scheint mir eine klassische populistische Figur zu sein, 111 mit der man sagt: ‘Wenn ihr für Europa seid, dürft ihr 112 billiger telefonieren.’ Ist völlig in Ordnung aber das ist 113 eigentlich nicht das, was wir unter einem normativen 114 Demokratiekonzept verstehen.” Populismus könne für ihn ein 115 Mobilisierungsfaktor, ein notwendiges Element von 116 Demokratie sein. 117 118 Nach der Beitrittsvoraussetzung und Durchsetzbarkeit des 119 Wertekanons des Art. 2 EUV gefragt, rief *Gunther 120 Krichbaum* die Kopenhagener Kriterien in Erinnerung, die 121 von jedem beitrittswilligen Staat gemäß Art. 49 EUV zu 122 berücksichtigen sind. Aber was kommt nach dem Beitritt? Für 123 *Krichbaum* zeigen die Beispiele Rumäniens, Kroatiens oder 124 Bulgariens, dass dringend Handlungsbedarf bestehe. Leider 125 sei man aber erst jetzt so richtig aufgewacht. 126 127 Es schloss sich notwendig die Frage danach an, ob die 128 Einmischung in eigene nationale Angelegenheiten in den 129 Mitgliedstaaten denn überhaupt begrüßt wird. Hinsichtlich 130 Ungarn bezog *Daniel Fazekas*, Gründungsmitglied der 131 ungarischen Bewegung “Milla - eine Million für die 132 Pressefreiheit”, Stellung. Die Beantwortung der Frage hänge 133 davon ab, wen man frage: In Regierungspropaganda und 134 Massenmedien werde die EU dämonisiert. Zudem werde 135 propagiert, dass es dem Westen äußerst schlecht gehe. Die 136 andere Seite der Bevölkerung wolle jedoch, dass die EU ihre 137 Rechte schützt. Insgesamt habe die EU aber schon sehr 138 positiv auf die Entwicklungen in Ungarn eingewirkt, meint 139 *Fazekas*, so zum Beispiel durch das “Zurückzupfen” des 140 Mediengesetzes. 141 *Fazekas* stellte die Bewegung “Milla” kurz vor, die sich 142 zunächst lediglich als eine zivilgesellschaftliche 143 Plattform betrachtete - “im Grunde auf der Verbraucherseite 144 der Politik”. Ihr Ziel war es, über ihre Facebookseite, 145 durch Protestorganisationen sowie Informationen das 146 Bewusstsein einer neuen politischen Generation zu schaffen. 147 In ihrem 12-Punkte-Plan “Minimum Plus” findet sich als ein 148 Aspekt auch die Einhaltung der Grundrechte und der 149 europäischen Werte. Mittlerweile ist ein Strang von Milla 150 sogar politisch aktiv. Zusammen mit dem ehemaligen 151 ungarischen Premierminister Gordon Bajnai und der 152 Gewerkschaftsgruppe “Solidarität” haben sie die Koalition 153 “Zusammen 2014” gegründet. 154 155 *Prof. Calliess* warf daraufhin die Frage auf, ob die EU 156 nicht in einem Dilemma sei, weil sie entweder zu viel oder 157 zu wenig eingreife. *Krichbaum* erwiderte, dass ein Handeln 158 der EU zwar oft als Einmischung in innere Angelegenheiten 159 artikuliert werde, es jedoch keine sei, da spätestens seit 160 dem Vertrag von Lissabon alle Bürger der Mitgliedstaaten 161 auch Unionsbürger seien und die Kommission deren 162 europäische, in der Grundrechte-Charta garantierten 163 Bürgerrechte zu schützen und zu verteidigen habe. 164 165 Als nächstes wurde darüber diskutiert, dass die USA in 166 Bezug auf die Einhaltung der europäischen Werte in Ungarn 167 im Vergleich zur EU größere Präsenz zeigten. *Prof. 168 Möllers* äußerte dabei seinen Eindruck, dass bestimmte 169 Formen von politischer Handlungsfähigkeit, die man aus dem 170 Bereich des Völkerrechts kenne, scheinbar vom Tisch seien. 171 Als Gründe dafür sah er den derzeitigen Punkt des 172 europäischen Integrationsprozesses sowie den hohen Grad an 173 Verrechtlichung und Verflechtung der EU an. Die 174 Möglichkeiten der USA, z.B. Zahlungen einzustellen, habe 175 man innereuropäisch scheinbar nicht mehr, was zwar kein 176 Argument gegen die EU sei, aber eine der vielen Ironien des 177 Prozesses aufzeige. 178 *Krichbaum* erwiderte, dass die Bundesrepublik die 179 Möglichkeiten der USA nicht habe. Es müsse eine Balance 180 gefunden werden zwischen der Existenz von roten Linien und 181 der Möglichkeit zur Erzeugung eines ausreichenden 182 politischen Drucks, da alle Mitgliedstaaten in der EU auf 183 Dauer miteinander verbundene Partner seien. *Staatsminister 184 Link* plädierte im Zuge dessen für eine gemeinsame 185 Verteidigung der Werte. 186 187 Im Rahmen der offenen Diskussionsrunde mit dem Publikum 188 kamen gerade von den vielen jungen Gästen sehr 189 “europäische” Fragen nach der europäischen Identität und 190 damit der Vermittlung Europas, der Ungleichbehandlung von 191 Mitgliedstaaten bei der Thematisierung von Werteverstößen 192 und der Grenze zwischen Populismus und knallharter 193 Interessensvertretung auf. 194 195 Einigkeit herrschte beim Thema europäische Identität 196 darüber, dass diese erst im Werden sei. Identitätsbildung 197 müsse von jedem Einzelnen selbst ausgehen, sie könne nicht 198 von der EU vorgeschrieben werden, so *Prof. Möllers*. Die 199 fehlende Identität lasse sich auch in den 200 Fehlkonstruktionen der EU suchen, beispielsweise durch den 201 indirekten Vollzug, der dazu führe, dass die EU nicht 202 sichtbar sei. 203 204 *Krichbaum* und *Staatsminister Link* waren sich einig, 205 dass im Falle des Werteschutzes nicht mit zweierlei Maß 206 gemessen werden sollte. *Staatsminister Link* brachte zur 207 Vermeidung doppelter Standards erneut die 208 Grundwerteinitiative ins Gespräch, da gerade ein 209 politisches Vorgehen der richtige Weg sei. *Prof. Möllers* 210 hingegen sah einen Unterschied in der Behandlung von Ungarn 211 und einem “Alt”-Mitgliedstaat wie z.B. Frankreich. Mit 212 Ungarn könne man anders umgehen als mit Frankreich, aber 213 gerade deswegen sei der Vorstoß des Auswärtigen Amtes, 214 zunächst nur politisch zu agieren, so “klug”. 215 216 Für *Prof. Möllers* ging es primär nicht um eine 217 Vermittlung Europas, sondern vielmehr um reale, objektive 218 Probleme. Er plädierte dafür, Probleme nicht zu 219 medialisieren und stellte dabei auch das Internet als Raum 220 für eine politische Debatte in Frage: “Worüber redet man im 221 Internet am liebsten? - über das Internet! [...] Medien 222 sind selbstreferenziell.” Dem wurde aus dem Publikum 223 entgegengesetzt, dass dies eine Unterschätzung des 224 Potenzials des Internets sei, politische Debatte zu 225 verändern und auch den Wertediskurs in Europa 226 voranzubringen. 227 228 Zur Grenze zwischen Interessenvertretung und Populismus 229 äußerte *Staatsminister Link*, dass Populismus in 230 Nationalismus übergehe und Feindbilder brauche und benutze, 231 Interessenvertretung hingegen Regeln brauche und benutze. 232 *Prof. Möllers* sah Populismus als ein vielleicht auch 233 notwendiges Element der Demokratie, das als 234 Mobilisierungsfaktor fungieren könnte. 235 236 Aus der Online-Debatte, die vorab auf salon.publixphere.de 237 geführt wurde, brachte laut *Mayte Peters* (Publixphere 238 e.V.) drei Kernaussagen in die Diskussion ein: Zum ersten 239 dürfe Populismus nicht einfach abgetan werden, sondern es 240 müsse eine kritische Debatte - auch um populistische Themen 241 - geführt werden dürfen. Zum zweiten entstehe eine 242 europäische Öffentlichkeit gerade um die Debatten über 243 Werte und Populismus. Zum dritten reiche der pauschale 244 Rekurs auf europäische Werte nicht aus. 245 Werte müssten jedoch auch vermittelt werden können. Aber 246 was bedeuten die Werte tatsächlich im Alltag der Menschen? 247 Das Internet sei nicht nur Facebook und Twitter, so 248 *Peters* - und die Bereiche, in denen wir es bislang 249 geschafft hätten, den europäischen Raum zu politisieren, 250 beispielsweise in der ACTA-Debatte, waren Debatten, die 251 über eine Verlinkung verschiedener Plattformen 252 funktionierten. Dadurch wurde eine länderübergreifende 253 Aufmerksamkeit geschaffen. Wie das Beispiel der ungarischen 254 Bewegung “Milla” zeige, reiche der nationale Raum scheinbar 255 nicht immer aus, um etwas zu bewegen, sondern es bedürfe 256 eines internationalen Drucks. 257 An *Staatsminister Link* gerichtet fragte *Mayte Peters*: 258 “Sie haben gesagt, wir müssen Verantwortungsräume schaffen 259 und zwar einen lokalen, einen regionalen und einen 260 mitgliedstaatlichen. Wo bleibt der europäische?” Das 261 Problem bestehe darin, dass der Raum der europäischen 262 Demokratie nicht politisiert werde. Außerdem würde die 263 Debatte auf einem hohen Niveau geführt, mit dem man den 264 Großteil der Bürger sowie diejenigen nicht erreichen 265 könnte, die sich für bestimmte Themen interessieren und 266 nicht mehr nur für die Institutionen Europas. Gerade in 267 diesen Bürgern liege aber die Chance Europas. 268 269 Abschließend ging *Daniel Fazekas* auf die 270 Internetverlinkung ein. Er betonte, dass für Bewegungen wie 271 “Milla” entscheidend sei, dass überhaupt Debatten geführt 272 werden und wenn schon nicht in Budapest, dann egal wo. 273 “Milla” versuche über verschiedensprachige Facebookseiten, 274 Nachrichten über Ungarn ins Netz zu stellen. Das Problem 275 dabei sei jedoch, dass es zwei Sphären von Öffentlichkeit 276 gebe. Es habe oft keinen Sinn, nationale Probleme im 277 Ausland zu erklären, wohingegen in Ungarn sie jeder 278 versteht. Weiterhin warf er die Frage auf, wen es außerhalb 279 von Ungarn überhaupt interessieren würde. Bürger anderer 280 Mitgliedstaaten seien empfänglicher für die populistische 281 Sichtweise, dass Ungarn nicht pluralistisch oder 282 demokratisch sei. 283 284 In seinen Schlussworten kam *Prof. Calliess* auf das dem 285 Europäischen Salon zugrundeliegende Konzept zurück: 286 “Inwieweit kann das Internet hier tatsächlich dazu 287 beitragen, dass wir eben den demokratischen Raum weiten, 288 die Diskussionssphäre weiten, zu einer europäischen 289 Öffentlichkeit kommen über das Internet? Das ist sicherlich 290 eine Frage, die uns weiter beschäftigen wird, auch im 291 Europäischen Salon.” -
Bericht über die Auftaktveranstaltung
von Community Management , angelegt1 ![Bericht 2 Auftaktveranstaltung](https://publixphere-cms.publixphere.de 3 /de/salon-bilder/c-joanna-scheffel-960-x-350.jpg/@@images/im 4 age.jpeg) 5 *Foto&Teaser: ©Joanna Scheffel Photography* 6 7 8 Am 26. November 2013 fand der Auftakt der 9 Veranstaltungsreihe “Europäischer Salon” in der Berliner 10 Repräsentanz der Robert Bosch Stiftung statt. *Prof. Dr. 11 Christian Calliess, LL.M.* diskutierte mit den 12 Podiumsgästen über Europäische Werte, nationalen Populismus 13 und die Notwendigkeit einer europäischen Öffentlichkeit. 14 Vorbereitet wurde die Veranstaltung auf der neu etablierten 15 Internetplattform 16 [salon.publixphere.de](https://publixphere.de/i/salon/instan 17 ce/salon). Hier wurden vorab die von den Podiumsgästen 18 eingereichten Statements kritisch hinterfragt und auch 19 weiterführende Aspekte kontrovers diskutiert. Im 20 Mittelpunkt des Europäischen Salons steht die Debatte 21 junger Europäer mit Entscheidungsträgern aus Politik, 22 Wissenschaft und Medien - online und offline. 23 24 Über 150 Veranstaltungsteilnehmer aus der 25 Fachöffentlichkeit sowie Studenten und Schüler fanden sich 26 zum Auftakt im Atrium der Stiftungsrepräsentanz zur 27 Diskussion mit dem Staatsminister im Auswärtigen Amt, 28 *Michael Georg Link*, dem Vorsitzenden des EU-Ausschusses, 29 *Gunther Krichbaum*, dem Verfassungsrechtler und Mitglied 30 des Wissenschaftskollegs Berlin, *Prof. Dr. Christoph 31 Möllers, LL.M.* sowie *Daniel Fazekas*, Mitglied der 32 ungarischen Bewegung “Milla - eine Million für die 33 Pressefreiheit”, ein. Die ebenfalls eingeladene 34 Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, *Viviane 35 Reding*, konnte zwar nicht kommen, sendete zur Eröffnung 36 aber eine Videobotschaft, in der sie die Bedeutung der 37 direkten Einbindung der Bürger in die Zukunftsdebatte in 38 Europa betonte, bevor große Reformen und neue Strukturen 39 angegangen werden können: “Gerade junge Menschen müssen 40 [dabei] beginnen, diese Debatte als eine Diskussion über 41 ihr Europa zu sehen.” 42 43 In der zweistündigen Diskussionsveranstaltung standen neben 44 der Notwendigkeit einer starken europäischen Öffentlichkeit 45 vor allem europaweit zunehmende populistische Tendenzen und 46 ihre möglichen Grenzen im Fokus. *Prof. Calliess* stellte 47 eingangs die europäischen Werte als eine solche Grenze zur 48 Diskussion. Er fragte, ob die EU die in Art. 2 des EUV 49 genannten Werte in Unionsaufsicht in den Mitgliedstaaten 50 durchzusetzen habe und inwieweit das bestehende 51 Instrumentarium hierfür ausreicht. In ihren jeweiligen 52 Eingangsstatements setzten sich dann die Podiumsgäste mit 53 der so aufgeworfenen Frage nach Existenz und Durchsetzung 54 europäischer Werte eingehend auseinander. 55 56 ![(Podiumsgäste](https://publixphere-cms.publixphere.de/de/s 57 alon-bilder/podium-960x350.jpg/@@images/image.jpeg) *Das 58 Podium des 1. Europäische Salons. Foto&Teaser: ©Joanna 59 Scheffel Photography* 60 61 *Staatsminister Link* erläuterte zu Beginn den vom 62 Auswärtigen Amt unterstützten Vorschlag, durch eine 63 “Grundwerte-Initiative” - auch als “Rechtsstaatsinitiative” 64 bekannt - einen politischen Monitoringmechanismus zu 65 schaffen, der für die Einhaltung der europäischen Werte 66 durch die Mitgliedstaaten der Europäischen Union Sorge 67 tragen kann. Es handelt sich dabei um eine gemeinsame 68 Initiative der Außenminister Deutschlands, Dänemarks, 69 Finnlands und der Niederlande, der sich mittlerweile viele 70 Mitgliedstaaten angeschlossen haben und die auch von der 71 Europäischen Kommission aufgegriffen wurde. Letztere werde 72 diesbezüglich in der ersten Jahreshälfte 2014 ihren 73 Umsetzungsvorschlag unterbreiten. Für *Staatsminister Link* 74 vernachlässigt die EU bisher noch die Arbeit an der 75 gemeinsamen Wertebasis. Um Grundwerteverstößen 76 entgegenzuwirken, reiche einerseits der öffentlich durch 77 die Medienberichterstattung ausgeübte Druck nicht aus, 78 andererseits seien Sanktionen im Ministerrat nicht 79 durchsetzbar, dies sei bereits mehrfach von 80 mitgliedstaatlicher Seite signalisiert worden. Ein 81 politischer Frühwarnmechanismus wie die 82 Rechtsstaatsinitiative sei aber auch nicht “zahnlos”. Der 83 Ministerrat müsse ein effektives Instrument bekommen, um 84 Grundwerteverstöße identifizieren und frühzeitig 85 eingreifen zu können. Vielleicht wäre es im Falle Ungarns 86 dann auch gar nicht erst zu den problematischen Maßnahmen 87 gekommen, konstatierte *Staatsminister Link*. In diesem 88 Zusammenhang wies er aber auch darauf hin, dass die 89 Grundwerte-Initiative unterschiedslos alle Mitgliedstaaten 90 einschließen solle. Ziel sei es, die Lücke zwischen dem 91 noch nie angewandten Sanktionsverfahren nach Art. 7 EUV und 92 dem Vertragsverletzungsverfahren mit einem politisch leicht 93 handhabbaren Instrument zu schließen. 94 *Prof. Calliess* fragte daraufhin, ob nicht durch ein 95 “systematisches Vertragsverletzungsverfahren” das 96 Vertragsverletzungsverfahren für einen effektiven 97 Grundwerteschutz fruchtbar gemacht werden könne. Dies solle 98 ermöglichen, dass viele kleine Verletzungen sich zu einem 99 Eingriff in die Rechtsstaatlichkeit, einem der Werte aus 100 Art. 2 EUV, addieren. Weiterhin könne über diese Sanktionen 101 eine Drohkulisse aufgebaut werden. Staatsminister Link 102 schloss Sanktionen nicht konsequent aus, sofern diese als 103 Ergebnis eines politischen Prozesses unter Beteiligung 104 aller Institutionen eingeführt würden. Die 105 Grundwerte-Initiative sei ein Instrument, das zunächst 106 politisch wachsen müsse. 107 108 Dem Gedanken des politischen Prozesses stimmte *Prof. 109 Möllers* zu: Es müsse mit einer Politisierung begonnen 110 werden. Die EU solle dabei in kleinen Schritten vorgehen. 111 Ein innenpolitischer Prozess sei der Ausgangspunkt. Er 112 kritisierte in diesem Zusammenhang die “Tendenz in der 113 europäischen Integration, Politik zu verrechtlichen und 114 Recht zu moralisieren”, und beleuchtete die Existenz einer 115 europäischen Wertegemeinschaft kritisch - bei vielen Fragen 116 herrsche in Europa eben gerade kein Konsens für ein 117 gemeinsames Handeln, wie der Syrienkonflikt verdeutliche. 118 *Prof. Möllers* hinterfragte, ob es tatsächlich eine Grenze 119 zwischen Populismus und Demokratie, die ja auch einer der 120 Grundwerte des Art. 2 EUV ist, geben könne. “Populismus ist 121 klassischerweise Klientelwirtschaft, man bietet den Leuten 122 was Nettes an, damit sie einen wählen. *Frau Reding* hat 123 gerade gesagt, es gibt billigere Roaminggebühren, also das 124 scheint mir eine klassische populistische Figur zu sein, 125 mit der man sagt: ‘Wenn ihr für Europa seid, dürft ihr 126 billiger telefonieren.’ Ist völlig in Ordnung aber das ist 127 eigentlich nicht das, was wir unter einem normativen 128 Demokratiekonzept verstehen.” Populismus könne für ihn ein 129 Mobilisierungsfaktor, ein notwendiges Element von 130 Demokratie sein. 131 132 Nach der Beitrittsvoraussetzung und Durchsetzbarkeit des 133 Wertekanons des Art. 2 EUV gefragt, rief *Gunther 134 Krichbaum* die Kopenhagener Kriterien in Erinnerung, die 135 von jedem beitrittswilligen Staat gemäß Art. 49 EUV zu 136 berücksichtigen sind. Aber was kommt nach dem Beitritt? Für 137 *Krichbaum* zeigen die Beispiele Rumäniens, Kroatiens oder 138 Bulgariens, dass dringend Handlungsbedarf bestehe. Leider 139 sei man aber erst jetzt so richtig aufgewacht. 140 141 Es schloss sich notwendig die Frage danach an, ob die 142 Einmischung in eigene nationale Angelegenheiten in den 143 Mitgliedstaaten denn überhaupt begrüßt wird. Hinsichtlich 144 Ungarn bezog *Daniel Fazekas*, Gründungsmitglied der 145 ungarischen Bewegung “Milla - eine Million für die 146 Pressefreiheit”, Stellung. Die Beantwortung der Frage hänge 147 davon ab, wen man frage: In Regierungspropaganda und 148 Massenmedien werde die EU dämonisiert. Zudem werde 149 propagiert, dass es dem Westen äußerst schlecht gehe. Die 150 andere Seite der Bevölkerung wolle jedoch, dass die EU ihre 151 Rechte schützt. Insgesamt habe die EU aber schon sehr 152 positiv auf die Entwicklungen in Ungarn eingewirkt, meint 153 *Fazekas*, so zum Beispiel durch das “Zurückzupfen” des 154 Mediengesetzes. 155 *Fazekas* stellte die Bewegung “Milla” kurz vor, die sich 156 zunächst lediglich als eine zivilgesellschaftliche 157 Plattform betrachtete - “im Grunde auf der Verbraucherseite 158 der Politik”. Ihr Ziel war es, über ihre Facebookseite, 159 durch Protestorganisationen sowie Informationen das 160 Bewusstsein einer neuen politischen Generation zu schaffen. 161 In ihrem 12-Punkte-Plan “Minimum Plus” findet sich als ein 162 Aspekt auch die Einhaltung der Grundrechte und der 163 europäischen Werte. Mittlerweile ist ein Strang von Milla 164 sogar politisch aktiv. Zusammen mit dem ehemaligen 165 ungarischen Premierminister Gordon Bajnai und der 166 Gewerkschaftsgruppe “Solidarität” haben sie die Koalition 167 “Zusammen 2014” gegründet. 168 169 *Prof. Calliess* warf daraufhin die Frage auf, ob die EU 170 nicht in einem Dilemma sei, weil sie entweder zu viel oder 171 zu wenig eingreife. *Krichbaum* erwiderte, dass ein Handeln 172 der EU zwar oft als Einmischung in innere Angelegenheiten 173 artikuliert werde, es jedoch keine sei, da spätestens seit 174 dem Vertrag von Lissabon alle Bürger der Mitgliedstaaten 175 auch Unionsbürger seien und die Kommission deren 176 europäische, in der Grundrechte-Charta garantierten 177 Bürgerrechte zu schützen und zu verteidigen habe. 178 179 Als nächstes wurde darüber diskutiert, dass die USA in 180 Bezug auf die Einhaltung der europäischen Werte in Ungarn 181 im Vergleich zur EU größere Präsenz zeigten. *Prof. 182 Möllers* äußerte dabei seinen Eindruck, dass bestimmte 183 Formen von politischer Handlungsfähigkeit, die man aus dem 184 Bereich des Völkerrechts kenne, scheinbar vom Tisch seien. 185 Als Gründe dafür sah er den derzeitigen Punkt des 186 europäischen Integrationsprozesses sowie den hohen Grad an 187 Verrechtlichung und Verflechtung der EU an. Die 188 Möglichkeiten der USA, z.B. Zahlungen einzustellen, habe 189 man innereuropäisch scheinbar nicht mehr, was zwar kein 190 Argument gegen die EU sei, aber eine der vielen Ironien des 191 Prozesses aufzeige. 192 *Krichbaum* erwiderte, dass die Bundesrepublik die 193 Möglichkeiten der USA nicht habe. Es müsse eine Balance 194 gefunden werden zwischen der Existenz von roten Linien und 195 der Möglichkeit zur Erzeugung eines ausreichenden 196 politischen Drucks, da alle Mitgliedstaaten in der EU auf 197 Dauer miteinander verbundene Partner seien. *Staatsminister 198 Link* plädierte im Zuge dessen für eine gemeinsame 199 Verteidigung der Werte. 200 201 Im Rahmen der offenen Diskussionsrunde mit dem Publikum 202 kamen gerade von den vielen jungen Gästen sehr 203 “europäische” Fragen nach der europäischen Identität und 204 damit der Vermittlung Europas, der Ungleichbehandlung von 205 Mitgliedstaaten bei der Thematisierung von Werteverstößen 206 und der Grenze zwischen Populismus und knallharter 207 Interessensvertretung auf. 208 209 Einigkeit herrschte beim Thema europäische Identität 210 darüber, dass diese erst im Werden sei. Identitätsbildung 211 müsse von jedem Einzelnen selbst ausgehen, sie könne nicht 212 von der EU vorgeschrieben werden, so *Prof. Möllers*. Die 213 fehlende Identität lasse sich auch in den 214 Fehlkonstruktionen der EU suchen, beispielsweise durch den 215 indirekten Vollzug, der dazu führe, dass die EU nicht 216 sichtbar sei. 217 218 *Krichbaum* und *Staatsminister Link* waren sich einig, 219 dass im Falle des Werteschutzes nicht mit zweierlei Maß 220 gemessen werden sollte. *Staatsminister Link* brachte zur 221 Vermeidung doppelter Standards erneut die 222 Grundwerteinitiative ins Gespräch, da gerade ein 223 politisches Vorgehen der richtige Weg sei. *Prof. Möllers* 224 hingegen sah einen Unterschied in der Behandlung von Ungarn 225 und einem “Alt”-Mitgliedstaat wie z.B. Frankreich. Mit 226 Ungarn könne man anders umgehen als mit Frankreich, aber 227 gerade deswegen sei der Vorstoß des Auswärtigen Amtes, 228 zunächst nur politisch zu agieren, so “klug”. 229 230 Für *Prof. Möllers* ging es primär nicht um eine 231 Vermittlung Europas, sondern vielmehr um reale, objektive 232 Probleme. Er plädierte dafür, Probleme nicht zu 233 medialisieren und stellte dabei auch das Internet als Raum 234 für eine politische Debatte in Frage: “Worüber redet man im 235 Internet am liebsten? - über das Internet! [...] Medien 236 sind selbstreferenziell.” Dem wurde aus dem Publikum 237 entgegengesetzt, dass dies eine Unterschätzung des 238 Potenzials des Internets sei, politische Debatte zu 239 verändern und auch den Wertediskurs in Europa 240 voranzubringen. 241 242 Zur Grenze zwischen Interessenvertretung und Populismus 243 äußerte *Staatsminister Link*, dass Populismus in 244 Nationalismus übergehe und Feindbilder brauche und benutze, 245 Interessenvertretung hingegen Regeln brauche und benutze. 246 *Prof. Möllers* sah Populismus als ein vielleicht auch 247 notwendiges Element der Demokratie, das als 248 Mobilisierungsfaktor fungieren könnte. 249 250 ![Mayte 251 Peters](https://publixphere-cms.publixphere.de/de/salon-bild 252 er/mayte-960x350.jpg/@@images/image.jpeg)*Dr. Mayte Peters, 253 Publixphere e.V. Foto &Teaser: ©Joanna Scheffel 254 Photography* 255 256 Aus der Online-Debatte, die vorab auf salon.publixphere.de 257 geführt wurde, brachte *Mayte Peters* (Publixphere e.V.) 258 drei Kernaussagen in die Diskussion ein: Zum ersten dürfe 259 Populismus nicht einfach abgetan werden, sondern es müsse 260 eine kritische Debatte - auch um populistische Themen - 261 geführt werden dürfen. Zum zweiten entstehe eine 262 europäische Öffentlichkeit gerade um die Debatten über 263 Werte und Populismus. Zum dritten reiche der pauschale 264 Rekurs auf europäische Werte nicht aus. 265 Werte müssten jedoch auch vermittelt werden können. Aber 266 was bedeuten die Werte tatsächlich im Alltag der Menschen? 267 Das Internet sei nicht nur Facebook und Twitter, so 268 *Peters* - und die Bereiche, in denen wir es bislang 269 geschafft hätten, den europäischen Raum zu politisieren, 270 beispielsweise in der ACTA-Debatte, waren Debatten, die 271 über eine Verlinkung verschiedener Plattformen 272 funktionierten. Dadurch wurde eine länderübergreifende 273 Aufmerksamkeit geschaffen. Wie das Beispiel der ungarischen 274 Bewegung “Milla” zeige, reiche der nationale Raum scheinbar 275 nicht immer aus, um etwas zu bewegen, sondern es bedürfe 276 eines internationalen Drucks. 277 An *Staatsminister Link* gerichtet fragte *Mayte Peters*: 278 “Sie haben gesagt, wir müssen Verantwortungsräume schaffen 279 und zwar einen lokalen, einen regionalen und einen 280 mitgliedstaatlichen. Wo bleibt der europäische?” Das 281 Problem bestehe darin, dass der Raum der europäischen 282 Demokratie nicht politisiert werde. Außerdem würde die 283 Debatte auf einem hohen Niveau geführt, mit dem man den 284 Großteil der Bürger sowie diejenigen nicht erreichen 285 könnte, die sich für bestimmte Themen interessieren und 286 nicht mehr nur für die Institutionen Europas. Gerade in 287 diesen Bürgern liege aber die Chance Europas. 288 289 Abschließend ging *Daniel Fazekas* auf die 290 Internetverlinkung ein. Er betonte, dass für Bewegungen wie 291 “Milla” entscheidend sei, dass überhaupt Debatten geführt 292 werden und wenn schon nicht in Budapest, dann egal wo. 293 “Milla” versuche über verschiedensprachige Facebookseiten, 294 Nachrichten über Ungarn ins Netz zu stellen. Das Problem 295 dabei sei jedoch, dass es zwei Sphären von Öffentlichkeit 296 gebe. Es habe oft keinen Sinn, nationale Probleme im 297 Ausland zu erklären, wohingegen in Ungarn sie jeder 298 versteht. Weiterhin warf er die Frage auf, wen es außerhalb 299 von Ungarn überhaupt interessieren würde. Bürger anderer 300 Mitgliedstaaten seien empfänglicher für die populistische 301 Sichtweise, dass Ungarn nicht pluralistisch oder 302 demokratisch sei. 303 304 In seinen Schlussworten kam *Prof. Calliess* auf das dem 305 Europäischen Salon zugrundeliegende Konzept zurück: 306 “Inwieweit kann das Internet hier tatsächlich dazu 307 beitragen, dass wir eben den demokratischen Raum weiten, 308 die Diskussionssphäre weiten, zu einer europäischen 309 Öffentlichkeit kommen über das Internet? Das ist sicherlich 310 eine Frage, die uns weiter beschäftigen wird, auch im 311 Europäischen Salon.” 312 313 [[Zurück zur 314 Archivübersicht](https://publixphere.de/i/salon/page/Archiv_ 315 Europ%C3%A4ischer_Salon__1)] -
Bericht über die Auftaktveranstaltung
von Community Management , angelegt1 ![Bericht 2 Auftaktveranstaltung](https://publixphere-cms.publixphere.de 3 /de/salon-bilder/c-joanna-scheffel-960-x-350.jpg/@@images/im 4 age.jpeg) 5 *Foto&Teaser: ©Joanna Scheffel Photography* 6 7 8 Am 26. November 2013 fand der Auftakt der 9 Veranstaltungsreihe “Europäischer Salon” in der Berliner 10 Repräsentanz der Robert Bosch Stiftung statt. *Prof. Dr. 11 Christian Calliess, LL.M.* diskutierte mit den 12 Podiumsgästen über Europäische Werte, nationalen Populismus 13 und die Notwendigkeit einer europäischen Öffentlichkeit. 14 Vorbereitet wurde die Veranstaltung auf der neu etablierten 15 Internetplattform 16 [salon.publixphere.de](https://publixphere.de/i/salon/instan 17 ce/salon). Hier wurden vorab die von den Podiumsgästen 18 eingereichten Statements kritisch hinterfragt und auch 19 weiterführende Aspekte kontrovers diskutiert. Im 20 Mittelpunkt des Europäischen Salons steht die Debatte 21 junger Europäer mit Entscheidungsträgern aus Politik, 22 Wissenschaft und Medien - online und offline. 23 24 Über 150 Veranstaltungsteilnehmer aus der 25 Fachöffentlichkeit sowie Studenten und Schüler fanden sich 26 zum Auftakt im Atrium der Stiftungsrepräsentanz zur 27 Diskussion mit dem Staatsminister im Auswärtigen Amt, 28 *Michael Georg Link*, dem Vorsitzenden des EU-Ausschusses, 29 *Gunther Krichbaum*, dem Verfassungsrechtler und Mitglied 30 des Wissenschaftskollegs Berlin, *Prof. Dr. Christoph 31 Möllers, LL.M.* sowie *Daniel Fazekas*, Mitglied der 32 ungarischen Bewegung “Milla - eine Million für die 33 Pressefreiheit”, ein. Die ebenfalls eingeladene 34 Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, *Viviane 35 Reding*, konnte zwar nicht kommen, sendete zur Eröffnung 36 aber eine Videobotschaft, in der sie die Bedeutung der 37 direkten Einbindung der Bürger in die Zukunftsdebatte in 38 Europa betonte, bevor große Reformen und neue Strukturen 39 angegangen werden können: “Gerade junge Menschen müssen 40 [dabei] beginnen, diese Debatte als eine Diskussion über 41 ihr Europa zu sehen.” 42 43 In der zweistündigen Diskussionsveranstaltung standen neben 44 der Notwendigkeit einer starken europäischen Öffentlichkeit 45 vor allem europaweit zunehmende populistische Tendenzen und 46 ihre möglichen Grenzen im Fokus. *Prof. Calliess* stellte 47 eingangs die europäischen Werte als eine solche Grenze zur 48 Diskussion. Er fragte, ob die EU die in Art. 2 des EUV 49 genannten Werte in Unionsaufsicht in den Mitgliedstaaten 50 durchzusetzen habe und inwieweit das bestehende 51 Instrumentarium hierfür ausreicht. In ihren jeweiligen 52 Eingangsstatements setzten sich dann die Podiumsgäste mit 53 der so aufgeworfenen Frage nach Existenz und Durchsetzung 54 europäischer Werte eingehend auseinander. 55 56 !(Podiumsgäste 1. 57 Salon)[https://publixphere-cms.publixphere.de/de/salon-bilde 58 r/podium-960x350.jpg/@@images/image.jpeg] *Foto&Teaser: 59 ©Joanna Scheffel Photography* 60 61 *Staatsminister Link* erläuterte zu Beginn den vom 62 Auswärtigen Amt unterstützten Vorschlag, durch eine 63 “Grundwerte-Initiative” - auch als “Rechtsstaatsinitiative” 64 bekannt - einen politischen Monitoringmechanismus zu 65 schaffen, der für die Einhaltung der europäischen Werte 66 durch die Mitgliedstaaten der Europäischen Union Sorge 67 tragen kann. Es handelt sich dabei um eine gemeinsame 68 Initiative der Außenminister Deutschlands, Dänemarks, 69 Finnlands und der Niederlande, der sich mittlerweile viele 70 Mitgliedstaaten angeschlossen haben und die auch von der 71 Europäischen Kommission aufgegriffen wurde. Letztere werde 72 diesbezüglich in der ersten Jahreshälfte 2014 ihren 73 Umsetzungsvorschlag unterbreiten. Für *Staatsminister Link* 74 vernachlässigt die EU bisher noch die Arbeit an der 75 gemeinsamen Wertebasis. Um Grundwerteverstößen 76 entgegenzuwirken, reiche einerseits der öffentlich durch 77 die Medienberichterstattung ausgeübte Druck nicht aus, 78 andererseits seien Sanktionen im Ministerrat nicht 79 durchsetzbar, dies sei bereits mehrfach von 80 mitgliedstaatlicher Seite signalisiert worden. Ein 81 politischer Frühwarnmechanismus wie die 82 Rechtsstaatsinitiative sei aber auch nicht “zahnlos”. Der 83 Ministerrat müsse ein effektives Instrument bekommen, um 84 Grundwerteverstöße identifizieren und frühzeitig 85 eingreifen zu können. Vielleicht wäre es im Falle Ungarns 86 dann auch gar nicht erst zu den problematischen Maßnahmen 87 gekommen, konstatierte *Staatsminister Link*. In diesem 88 Zusammenhang wies er aber auch darauf hin, dass die 89 Grundwerte-Initiative unterschiedslos alle Mitgliedstaaten 90 einschließen solle. Ziel sei es, die Lücke zwischen dem 91 noch nie angewandten Sanktionsverfahren nach Art. 7 EUV und 92 dem Vertragsverletzungsverfahren mit einem politisch leicht 93 handhabbaren Instrument zu schließen. 94 *Prof. Calliess* fragte daraufhin, ob nicht durch ein 95 “systematisches Vertragsverletzungsverfahren” das 96 Vertragsverletzungsverfahren für einen effektiven 97 Grundwerteschutz fruchtbar gemacht werden könne. Dies solle 98 ermöglichen, dass viele kleine Verletzungen sich zu einem 99 Eingriff in die Rechtsstaatlichkeit, einem der Werte aus 100 Art. 2 EUV, addieren. Weiterhin könne über diese Sanktionen 101 eine Drohkulisse aufgebaut werden. Staatsminister Link 102 schloss Sanktionen nicht konsequent aus, sofern diese als 103 Ergebnis eines politischen Prozesses unter Beteiligung 104 aller Institutionen eingeführt würden. Die 105 Grundwerte-Initiative sei ein Instrument, das zunächst 106 politisch wachsen müsse. 107 108 Dem Gedanken des politischen Prozesses stimmte *Prof. 109 Möllers* zu: Es müsse mit einer Politisierung begonnen 110 werden. Die EU solle dabei in kleinen Schritten vorgehen. 111 Ein innenpolitischer Prozess sei der Ausgangspunkt. Er 112 kritisierte in diesem Zusammenhang die “Tendenz in der 113 europäischen Integration, Politik zu verrechtlichen und 114 Recht zu moralisieren”, und beleuchtete die Existenz einer 115 europäischen Wertegemeinschaft kritisch - bei vielen Fragen 116 herrsche in Europa eben gerade kein Konsens für ein 117 gemeinsames Handeln, wie der Syrienkonflikt verdeutliche. 118 *Prof. Möllers* hinterfragte, ob es tatsächlich eine Grenze 119 zwischen Populismus und Demokratie, die ja auch einer der 120 Grundwerte des Art. 2 EUV ist, geben könne. “Populismus ist 121 klassischerweise Klientelwirtschaft, man bietet den Leuten 122 was Nettes an, damit sie einen wählen. *Frau Reding* hat 123 gerade gesagt, es gibt billigere Roaminggebühren, also das 124 scheint mir eine klassische populistische Figur zu sein, 125 mit der man sagt: ‘Wenn ihr für Europa seid, dürft ihr 126 billiger telefonieren.’ Ist völlig in Ordnung aber das ist 127 eigentlich nicht das, was wir unter einem normativen 128 Demokratiekonzept verstehen.” Populismus könne für ihn ein 129 Mobilisierungsfaktor, ein notwendiges Element von 130 Demokratie sein. 131 132 Nach der Beitrittsvoraussetzung und Durchsetzbarkeit des 133 Wertekanons des Art. 2 EUV gefragt, rief *Gunther 134 Krichbaum* die Kopenhagener Kriterien in Erinnerung, die 135 von jedem beitrittswilligen Staat gemäß Art. 49 EUV zu 136 berücksichtigen sind. Aber was kommt nach dem Beitritt? Für 137 *Krichbaum* zeigen die Beispiele Rumäniens, Kroatiens oder 138 Bulgariens, dass dringend Handlungsbedarf bestehe. Leider 139 sei man aber erst jetzt so richtig aufgewacht. 140 141 Es schloss sich notwendig die Frage danach an, ob die 142 Einmischung in eigene nationale Angelegenheiten in den 143 Mitgliedstaaten denn überhaupt begrüßt wird. Hinsichtlich 144 Ungarn bezog *Daniel Fazekas*, Gründungsmitglied der 145 ungarischen Bewegung “Milla - eine Million für die 146 Pressefreiheit”, Stellung. Die Beantwortung der Frage hänge 147 davon ab, wen man frage: In Regierungspropaganda und 148 Massenmedien werde die EU dämonisiert. Zudem werde 149 propagiert, dass es dem Westen äußerst schlecht gehe. Die 150 andere Seite der Bevölkerung wolle jedoch, dass die EU ihre 151 Rechte schützt. Insgesamt habe die EU aber schon sehr 152 positiv auf die Entwicklungen in Ungarn eingewirkt, meint 153 *Fazekas*, so zum Beispiel durch das “Zurückzupfen” des 154 Mediengesetzes. 155 *Fazekas* stellte die Bewegung “Milla” kurz vor, die sich 156 zunächst lediglich als eine zivilgesellschaftliche 157 Plattform betrachtete - “im Grunde auf der Verbraucherseite 158 der Politik”. Ihr Ziel war es, über ihre Facebookseite, 159 durch Protestorganisationen sowie Informationen das 160 Bewusstsein einer neuen politischen Generation zu schaffen. 161 In ihrem 12-Punkte-Plan “Minimum Plus” findet sich als ein 162 Aspekt auch die Einhaltung der Grundrechte und der 163 europäischen Werte. Mittlerweile ist ein Strang von Milla 164 sogar politisch aktiv. Zusammen mit dem ehemaligen 165 ungarischen Premierminister Gordon Bajnai und der 166 Gewerkschaftsgruppe “Solidarität” haben sie die Koalition 167 “Zusammen 2014” gegründet. 168 169 *Prof. Calliess* warf daraufhin die Frage auf, ob die EU 170 nicht in einem Dilemma sei, weil sie entweder zu viel oder 171 zu wenig eingreife. *Krichbaum* erwiderte, dass ein Handeln 172 der EU zwar oft als Einmischung in innere Angelegenheiten 173 artikuliert werde, es jedoch keine sei, da spätestens seit 174 dem Vertrag von Lissabon alle Bürger der Mitgliedstaaten 175 auch Unionsbürger seien und die Kommission deren 176 europäische, in der Grundrechte-Charta garantierten 177 Bürgerrechte zu schützen und zu verteidigen habe. 178 179 Als nächstes wurde darüber diskutiert, dass die USA in 180 Bezug auf die Einhaltung der europäischen Werte in Ungarn 181 im Vergleich zur EU größere Präsenz zeigten. *Prof. 182 Möllers* äußerte dabei seinen Eindruck, dass bestimmte 183 Formen von politischer Handlungsfähigkeit, die man aus dem 184 Bereich des Völkerrechts kenne, scheinbar vom Tisch seien. 185 Als Gründe dafür sah er den derzeitigen Punkt des 186 europäischen Integrationsprozesses sowie den hohen Grad an 187 Verrechtlichung und Verflechtung der EU an. Die 188 Möglichkeiten der USA, z.B. Zahlungen einzustellen, habe 189 man innereuropäisch scheinbar nicht mehr, was zwar kein 190 Argument gegen die EU sei, aber eine der vielen Ironien des 191 Prozesses aufzeige. 192 *Krichbaum* erwiderte, dass die Bundesrepublik die 193 Möglichkeiten der USA nicht habe. Es müsse eine Balance 194 gefunden werden zwischen der Existenz von roten Linien und 195 der Möglichkeit zur Erzeugung eines ausreichenden 196 politischen Drucks, da alle Mitgliedstaaten in der EU auf 197 Dauer miteinander verbundene Partner seien. *Staatsminister 198 Link* plädierte im Zuge dessen für eine gemeinsame 199 Verteidigung der Werte. 200 201 Im Rahmen der offenen Diskussionsrunde mit dem Publikum 202 kamen gerade von den vielen jungen Gästen sehr 203 “europäische” Fragen nach der europäischen Identität und 204 damit der Vermittlung Europas, der Ungleichbehandlung von 205 Mitgliedstaaten bei der Thematisierung von Werteverstößen 206 und der Grenze zwischen Populismus und knallharter 207 Interessensvertretung auf. 208 209 Einigkeit herrschte beim Thema europäische Identität 210 darüber, dass diese erst im Werden sei. Identitätsbildung 211 müsse von jedem Einzelnen selbst ausgehen, sie könne nicht 212 von der EU vorgeschrieben werden, so *Prof. Möllers*. Die 213 fehlende Identität lasse sich auch in den 214 Fehlkonstruktionen der EU suchen, beispielsweise durch den 215 indirekten Vollzug, der dazu führe, dass die EU nicht 216 sichtbar sei. 217 218 *Krichbaum* und *Staatsminister Link* waren sich einig, 219 dass im Falle des Werteschutzes nicht mit zweierlei Maß 220 gemessen werden sollte. *Staatsminister Link* brachte zur 221 Vermeidung doppelter Standards erneut die 222 Grundwerteinitiative ins Gespräch, da gerade ein 223 politisches Vorgehen der richtige Weg sei. *Prof. Möllers* 224 hingegen sah einen Unterschied in der Behandlung von Ungarn 225 und einem “Alt”-Mitgliedstaat wie z.B. Frankreich. Mit 226 Ungarn könne man anders umgehen als mit Frankreich, aber 227 gerade deswegen sei der Vorstoß des Auswärtigen Amtes, 228 zunächst nur politisch zu agieren, so “klug”. 229 230 Für *Prof. Möllers* ging es primär nicht um eine 231 Vermittlung Europas, sondern vielmehr um reale, objektive 232 Probleme. Er plädierte dafür, Probleme nicht zu 233 medialisieren und stellte dabei auch das Internet als Raum 234 für eine politische Debatte in Frage: “Worüber redet man im 235 Internet am liebsten? - über das Internet! [...] Medien 236 sind selbstreferenziell.” Dem wurde aus dem Publikum 237 entgegengesetzt, dass dies eine Unterschätzung des 238 Potenzials des Internets sei, politische Debatte zu 239 verändern und auch den Wertediskurs in Europa 240 voranzubringen. 241 242 Zur Grenze zwischen Interessenvertretung und Populismus 243 äußerte *Staatsminister Link*, dass Populismus in 244 Nationalismus übergehe und Feindbilder brauche und benutze, 245 Interessenvertretung hingegen Regeln brauche und benutze. 246 *Prof. Möllers* sah Populismus als ein vielleicht auch 247 notwendiges Element der Demokratie, das als 248 Mobilisierungsfaktor fungieren könnte. 249 250 Aus der Online-Debatte, die vorab auf salon.publixphere.de 251 geführt wurde, brachte *Mayte Peters* (Publixphere e.V.) 252 drei Kernaussagen in die Diskussion ein: Zum ersten dürfe 253 Populismus nicht einfach abgetan werden, sondern es müsse 254 eine kritische Debatte - auch um populistische Themen - 255 geführt werden dürfen. Zum zweiten entstehe eine 256 europäische Öffentlichkeit gerade um die Debatten über 257 Werte und Populismus. Zum dritten reiche der pauschale 258 Rekurs auf europäische Werte nicht aus. 259 Werte müssten jedoch auch vermittelt werden können. Aber 260 was bedeuten die Werte tatsächlich im Alltag der Menschen? 261 Das Internet sei nicht nur Facebook und Twitter, so 262 *Peters* - und die Bereiche, in denen wir es bislang 263 geschafft hätten, den europäischen Raum zu politisieren, 264 beispielsweise in der ACTA-Debatte, waren Debatten, die 265 über eine Verlinkung verschiedener Plattformen 266 funktionierten. Dadurch wurde eine länderübergreifende 267 Aufmerksamkeit geschaffen. Wie das Beispiel der ungarischen 268 Bewegung “Milla” zeige, reiche der nationale Raum scheinbar 269 nicht immer aus, um etwas zu bewegen, sondern es bedürfe 270 eines internationalen Drucks. 271 An *Staatsminister Link* gerichtet fragte *Mayte Peters*: 272 “Sie haben gesagt, wir müssen Verantwortungsräume schaffen 273 und zwar einen lokalen, einen regionalen und einen 274 mitgliedstaatlichen. Wo bleibt der europäische?” Das 275 Problem bestehe darin, dass der Raum der europäischen 276 Demokratie nicht politisiert werde. Außerdem würde die 277 Debatte auf einem hohen Niveau geführt, mit dem man den 278 Großteil der Bürger sowie diejenigen nicht erreichen 279 könnte, die sich für bestimmte Themen interessieren und 280 nicht mehr nur für die Institutionen Europas. Gerade in 281 diesen Bürgern liege aber die Chance Europas. 282 283 Abschließend ging *Daniel Fazekas* auf die 284 Internetverlinkung ein. Er betonte, dass für Bewegungen wie 285 “Milla” entscheidend sei, dass überhaupt Debatten geführt 286 werden und wenn schon nicht in Budapest, dann egal wo. 287 “Milla” versuche über verschiedensprachige Facebookseiten, 288 Nachrichten über Ungarn ins Netz zu stellen. Das Problem 289 dabei sei jedoch, dass es zwei Sphären von Öffentlichkeit 290 gebe. Es habe oft keinen Sinn, nationale Probleme im 291 Ausland zu erklären, wohingegen in Ungarn sie jeder 292 versteht. Weiterhin warf er die Frage auf, wen es außerhalb 293 von Ungarn überhaupt interessieren würde. Bürger anderer 294 Mitgliedstaaten seien empfänglicher für die populistische 295 Sichtweise, dass Ungarn nicht pluralistisch oder 296 demokratisch sei. 297 298 In seinen Schlussworten kam *Prof. Calliess* auf das dem 299 Europäischen Salon zugrundeliegende Konzept zurück: 300 “Inwieweit kann das Internet hier tatsächlich dazu 301 beitragen, dass wir eben den demokratischen Raum weiten, 302 die Diskussionssphäre weiten, zu einer europäischen 303 Öffentlichkeit kommen über das Internet? Das ist sicherlich 304 eine Frage, die uns weiter beschäftigen wird, auch im 305 Europäischen Salon.” 306 307 [[Zurück zur 308 Archivübersicht](https://publixphere.de/i/salon/page/Archiv_ 309 Europ%C3%A4ischer_Salon__1)] -
Bericht über die Auftaktveranstaltung
von Community Management , angelegt1 ![Bericht 2 Auftaktveranstaltung](https://publixphere-cms.publixphere.de 3 /de/salon-bilder/c-joanna-scheffel-960-x-350.jpg/@@images/im 4 age.jpeg) 5 *Foto & Teaser: ©Joanna Scheffel Photography* 6 7 8 Am 26. November 2013 fand der Auftakt der 9 Veranstaltungsreihe “Europäischer Salon” in der Berliner 10 Repräsentanz der Robert Bosch Stiftung statt. *Prof. Dr. 11 Christian Calliess, LL.M.* diskutierte mit den 12 Podiumsgästen über Europäische Werte, nationalen Populismus 13 und die Notwendigkeit einer europäischen Öffentlichkeit. 14 Vorbereitet wurde die Veranstaltung auf der neu etablierten 15 Internetplattform 16 [salon.publixphere.de](https://publixphere.de/i/salon/instan 17 ce/salon). Hier wurden vorab die von den Podiumsgästen 18 eingereichten Statements kritisch hinterfragt und auch 19 weiterführende Aspekte kontrovers diskutiert. Im 20 Mittelpunkt des Europäischen Salons steht die Debatte 21 junger Europäer mit Entscheidungsträgern aus Politik, 22 Wissenschaft und Medien - online und offline. 23 24 Über 150 Veranstaltungsteilnehmer aus der 25 Fachöffentlichkeit sowie Studenten und Schüler fanden sich 26 zum Auftakt im Atrium der Stiftungsrepräsentanz zur 27 Diskussion mit dem Staatsminister im Auswärtigen Amt, 28 *Michael Georg Link*, dem Vorsitzenden des EU-Ausschusses, 29 *Gunther Krichbaum*, dem Verfassungsrechtler und Mitglied 30 des Wissenschaftskollegs Berlin, *Prof. Dr. Christoph 31 Möllers, LL.M.* sowie *Daniel Fazekas*, Mitglied der 32 ungarischen Bewegung “Milla - eine Million für die 33 Pressefreiheit”, ein. Die ebenfalls eingeladene 34 Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, *Viviane 35 Reding*, konnte zwar nicht kommen, sendete zur Eröffnung 36 aber eine Videobotschaft, in der sie die Bedeutung der 37 direkten Einbindung der Bürger in die Zukunftsdebatte in 38 Europa betonte, bevor große Reformen und neue Strukturen 39 angegangen werden können: “Gerade junge Menschen müssen 40 [dabei] beginnen, diese Debatte als eine Diskussion über 41 ihr Europa zu sehen.” 42 43 In der zweistündigen Diskussionsveranstaltung standen neben 44 der Notwendigkeit einer starken europäischen Öffentlichkeit 45 vor allem europaweit zunehmende populistische Tendenzen und 46 ihre möglichen Grenzen im Fokus. *Prof. Calliess* stellte 47 eingangs die europäischen Werte als eine solche Grenze zur 48 Diskussion. Er fragte, ob die EU die in Art. 2 des EUV 49 genannten Werte in Unionsaufsicht in den Mitgliedstaaten 50 durchzusetzen habe und inwieweit das bestehende 51 Instrumentarium hierfür ausreicht. In ihren jeweiligen 52 Eingangsstatements setzten sich dann die Podiumsgäste mit 53 der so aufgeworfenen Frage nach Existenz und Durchsetzung 54 europäischer Werte eingehend auseinander. 55 56 ![(Podiumsgäste](https://publixphere-cms.publixphere.de/de/s 57 alon-bilder/podium-960x350.jpg/@@images/image.jpeg) *Das 58 Podium des 1. Europäischen Salons. Foto&Teaser: ©Joanna 59 Scheffel Photography* 60 61 *Staatsminister Link* erläuterte zu Beginn den vom 62 Auswärtigen Amt unterstützten Vorschlag, durch eine 63 “Grundwerte-Initiative” - auch als “Rechtsstaatsinitiative” 64 bekannt - einen politischen Monitoringmechanismus zu 65 schaffen, der für die Einhaltung der europäischen Werte 66 durch die Mitgliedstaaten der Europäischen Union Sorge 67 tragen kann. Es handelt sich dabei um eine gemeinsame 68 Initiative der Außenminister Deutschlands, Dänemarks, 69 Finnlands und der Niederlande, der sich mittlerweile viele 70 Mitgliedstaaten angeschlossen haben und die auch von der 71 Europäischen Kommission aufgegriffen wurde. Letztere werde 72 diesbezüglich in der ersten Jahreshälfte 2014 ihren 73 Umsetzungsvorschlag unterbreiten. Für *Staatsminister Link* 74 vernachlässigt die EU bisher noch die Arbeit an der 75 gemeinsamen Wertebasis. Um Grundwerteverstößen 76 entgegenzuwirken, reiche einerseits der öffentlich durch 77 die Medienberichterstattung ausgeübte Druck nicht aus, 78 andererseits seien Sanktionen im Ministerrat nicht 79 durchsetzbar, dies sei bereits mehrfach von 80 mitgliedstaatlicher Seite signalisiert worden. Ein 81 politischer Frühwarnmechanismus wie die 82 Rechtsstaatsinitiative sei aber auch nicht “zahnlos”. Der 83 Ministerrat müsse ein effektives Instrument bekommen, um 84 Grundwerteverstöße identifizieren und frühzeitig 85 eingreifen zu können. Vielleicht wäre es im Falle Ungarns 86 dann auch gar nicht erst zu den problematischen Maßnahmen 87 gekommen, konstatierte *Staatsminister Link*. In diesem 88 Zusammenhang wies er aber auch darauf hin, dass die 89 Grundwerte-Initiative unterschiedslos alle Mitgliedstaaten 90 einschließen solle. Ziel sei es, die Lücke zwischen dem 91 noch nie angewandten Sanktionsverfahren nach Art. 7 EUV und 92 dem Vertragsverletzungsverfahren mit einem politisch leicht 93 handhabbaren Instrument zu schließen. 94 *Prof. Calliess* fragte daraufhin, ob nicht durch ein 95 “systematisches Vertragsverletzungsverfahren” das 96 Vertragsverletzungsverfahren für einen effektiven 97 Grundwerteschutz fruchtbar gemacht werden könne. Dies solle 98 ermöglichen, dass viele kleine Verletzungen sich zu einem 99 Eingriff in die Rechtsstaatlichkeit, einem der Werte aus 100 Art. 2 EUV, addieren. Weiterhin könne über diese Sanktionen 101 eine Drohkulisse aufgebaut werden. Staatsminister Link 102 schloss Sanktionen nicht konsequent aus, sofern diese als 103 Ergebnis eines politischen Prozesses unter Beteiligung 104 aller Institutionen eingeführt würden. Die 105 Grundwerte-Initiative sei ein Instrument, das zunächst 106 politisch wachsen müsse. 107 108 Dem Gedanken des politischen Prozesses stimmte *Prof. 109 Möllers* zu: Es müsse mit einer Politisierung begonnen 110 werden. Die EU solle dabei in kleinen Schritten vorgehen. 111 Ein innenpolitischer Prozess sei der Ausgangspunkt. Er 112 kritisierte in diesem Zusammenhang die “Tendenz in der 113 europäischen Integration, Politik zu verrechtlichen und 114 Recht zu moralisieren”, und beleuchtete die Existenz einer 115 europäischen Wertegemeinschaft kritisch - bei vielen Fragen 116 herrsche in Europa eben gerade kein Konsens für ein 117 gemeinsames Handeln, wie der Syrienkonflikt verdeutliche. 118 *Prof. Möllers* hinterfragte, ob es tatsächlich eine Grenze 119 zwischen Populismus und Demokratie, die ja auch einer der 120 Grundwerte des Art. 2 EUV ist, geben könne. “Populismus ist 121 klassischerweise Klientelwirtschaft, man bietet den Leuten 122 was Nettes an, damit sie einen wählen. *Frau Reding* hat 123 gerade gesagt, es gibt billigere Roaminggebühren, also das 124 scheint mir eine klassische populistische Figur zu sein, 125 mit der man sagt: ‘Wenn ihr für Europa seid, dürft ihr 126 billiger telefonieren.’ Ist völlig in Ordnung aber das ist 127 eigentlich nicht das, was wir unter einem normativen 128 Demokratiekonzept verstehen.” Populismus könne für ihn ein 129 Mobilisierungsfaktor, ein notwendiges Element von 130 Demokratie sein. 131 132 Nach der Beitrittsvoraussetzung und Durchsetzbarkeit des 133 Wertekanons des Art. 2 EUV gefragt, rief *Gunther 134 Krichbaum* die Kopenhagener Kriterien in Erinnerung, die 135 von jedem beitrittswilligen Staat gemäß Art. 49 EUV zu 136 berücksichtigen sind. Aber was kommt nach dem Beitritt? Für 137 *Krichbaum* zeigen die Beispiele Rumäniens, Kroatiens oder 138 Bulgariens, dass dringend Handlungsbedarf bestehe. Leider 139 sei man aber erst jetzt so richtig aufgewacht. 140 141 Es schloss sich notwendig die Frage danach an, ob die 142 Einmischung in eigene nationale Angelegenheiten in den 143 Mitgliedstaaten denn überhaupt begrüßt wird. Hinsichtlich 144 Ungarn bezog *Daniel Fazekas*, Gründungsmitglied der 145 ungarischen Bewegung “Milla - eine Million für die 146 Pressefreiheit”, Stellung. Die Beantwortung der Frage hänge 147 davon ab, wen man frage: In Regierungspropaganda und 148 Massenmedien werde die EU dämonisiert. Zudem werde 149 propagiert, dass es dem Westen äußerst schlecht gehe. Die 150 andere Seite der Bevölkerung wolle jedoch, dass die EU ihre 151 Rechte schützt. Insgesamt habe die EU aber schon sehr 152 positiv auf die Entwicklungen in Ungarn eingewirkt, meint 153 *Fazekas*, so zum Beispiel durch das “Zurückzupfen” des 154 Mediengesetzes. 155 *Fazekas* stellte die Bewegung “Milla” kurz vor, die sich 156 zunächst lediglich als eine zivilgesellschaftliche 157 Plattform betrachtete - “im Grunde auf der Verbraucherseite 158 der Politik”. Ihr Ziel war es, über ihre Facebookseite, 159 durch Protestorganisationen sowie Informationen das 160 Bewusstsein einer neuen politischen Generation zu schaffen. 161 In ihrem 12-Punkte-Plan “Minimum Plus” findet sich als ein 162 Aspekt auch die Einhaltung der Grundrechte und der 163 europäischen Werte. Mittlerweile ist ein Strang von Milla 164 sogar politisch aktiv. Zusammen mit dem ehemaligen 165 ungarischen Premierminister Gordon Bajnai und der 166 Gewerkschaftsgruppe “Solidarität” haben sie die Koalition 167 “Zusammen 2014” gegründet. 168 169 170 ![Calliess](https://publixphere-cms.publixphere.de/de/salon- 171 bilder/calliess-780x350.jpg/@@images/image.jpeg) *Prof. 172 Calliess, Moderator der Podiumsdiskussion. 173 Foto & Teaser: ©Joanna Scheffel Photography* 174 175 176 *Prof. Calliess* warf daraufhin die Frage auf, ob die EU 177 nicht in einem Dilemma sei, weil sie entweder zu viel oder 178 zu wenig eingreife. *Krichbaum* erwiderte, dass ein Handeln 179 der EU zwar oft als Einmischung in innere Angelegenheiten 180 artikuliert werde, es jedoch keine sei, da spätestens seit 181 dem Vertrag von Lissabon alle Bürger der Mitgliedstaaten 182 auch Unionsbürger seien und die Kommission deren 183 europäische, in der Grundrechte-Charta garantierten 184 Bürgerrechte zu schützen und zu verteidigen habe. 185 186 Als nächstes wurde darüber diskutiert, dass die USA in 187 Bezug auf die Einhaltung der europäischen Werte in Ungarn 188 im Vergleich zur EU größere Präsenz zeigten. *Prof. 189 Möllers* äußerte dabei seinen Eindruck, dass bestimmte 190 Formen von politischer Handlungsfähigkeit, die man aus dem 191 Bereich des Völkerrechts kenne, scheinbar vom Tisch seien. 192 Als Gründe dafür sah er den derzeitigen Punkt des 193 europäischen Integrationsprozesses sowie den hohen Grad an 194 Verrechtlichung und Verflechtung der EU an. Die 195 Möglichkeiten der USA, z.B. Zahlungen einzustellen, habe 196 man innereuropäisch scheinbar nicht mehr, was zwar kein 197 Argument gegen die EU sei, aber eine der vielen Ironien des 198 Prozesses aufzeige. 199 *Krichbaum* erwiderte, dass die Bundesrepublik die 200 Möglichkeiten der USA nicht habe. Es müsse eine Balance 201 gefunden werden zwischen der Existenz von roten Linien und 202 der Möglichkeit zur Erzeugung eines ausreichenden 203 politischen Drucks, da alle Mitgliedstaaten in der EU auf 204 Dauer miteinander verbundene Partner seien. *Staatsminister 205 Link* plädierte im Zuge dessen für eine gemeinsame 206 Verteidigung der Werte. 207 208 Im Rahmen der offenen Diskussionsrunde mit dem Publikum 209 kamen gerade von den vielen jungen Gästen sehr 210 “europäische” Fragen nach der europäischen Identität und 211 damit der Vermittlung Europas, der Ungleichbehandlung von 212 Mitgliedstaaten bei der Thematisierung von Werteverstößen 213 und der Grenze zwischen Populismus und knallharter 214 Interessensvertretung auf. 215 216 ![Publikumsfrage](https://publixphere-cms.publixphere.de/de/ 217 salon-bilder/eu-salon1-publikum-960x350.jpg/@@images/image.j 218 peg)*Frage aus dem Publikum. Foto &Teaser: ©Joanna 219 Scheffel Photography* 220 221 Einigkeit herrschte beim Thema europäische Identität 222 darüber, dass diese erst im Werden sei. Identitätsbildung 223 müsse von jedem Einzelnen selbst ausgehen, sie könne nicht 224 von der EU vorgeschrieben werden, so *Prof. Möllers*. Die 225 fehlende Identität lasse sich auch in den 226 Fehlkonstruktionen der EU suchen, beispielsweise durch den 227 indirekten Vollzug, der dazu führe, dass die EU nicht 228 sichtbar sei. 229 230 *Krichbaum* und *Staatsminister Link* waren sich einig, 231 dass im Falle des Werteschutzes nicht mit zweierlei Maß 232 gemessen werden sollte. *Staatsminister Link* brachte zur 233 Vermeidung doppelter Standards erneut die 234 Grundwerteinitiative ins Gespräch, da gerade ein 235 politisches Vorgehen der richtige Weg sei. *Prof. Möllers* 236 hingegen sah einen Unterschied in der Behandlung von Ungarn 237 und einem “Alt”-Mitgliedstaat wie z.B. Frankreich. Mit 238 Ungarn könne man anders umgehen als mit Frankreich, aber 239 gerade deswegen sei der Vorstoß des Auswärtigen Amtes, 240 zunächst nur politisch zu agieren, so “klug”. 241 242 Für *Prof. Möllers* ging es primär nicht um eine 243 Vermittlung Europas, sondern vielmehr um reale, objektive 244 Probleme. Er plädierte dafür, Probleme nicht zu 245 medialisieren und stellte dabei auch das Internet als Raum 246 für eine politische Debatte in Frage: “Worüber redet man im 247 Internet am liebsten? - über das Internet! [...] Medien 248 sind selbstreferenziell.” Dem wurde aus dem Publikum 249 entgegengesetzt, dass dies eine Unterschätzung des 250 Potenzials des Internets sei, politische Debatte zu 251 verändern und auch den Wertediskurs in Europa 252 voranzubringen. 253 254 Zur Grenze zwischen Interessenvertretung und Populismus 255 äußerte *Staatsminister Link*, dass Populismus in 256 Nationalismus übergehe und Feindbilder brauche und benutze, 257 Interessenvertretung hingegen Regeln brauche und benutze. 258 *Prof. Möllers* sah Populismus als ein vielleicht auch 259 notwendiges Element der Demokratie, das als 260 Mobilisierungsfaktor fungieren könnte. 261 262 ![Mayte 263 Peters](https://publixphere-cms.publixphere.de/de/salon-bild 264 er/mayte-960x350.jpg/@@images/image.jpeg)*Dr. Mayte Peters, 265 Publixphere e.V. bringt Beiträge der Online-Community ein. 266 Foto & Teaser: ©Joanna Scheffel Photography* 267 268 Aus der Online-Debatte, die vorab auf salon.publixphere.de 269 geführt wurde, brachte *Mayte Peters* (Publixphere e.V.) 270 drei Kernaussagen in die Diskussion ein: Zum ersten dürfe 271 Populismus nicht einfach abgetan werden, sondern es müsse 272 eine kritische Debatte - auch um populistische Themen - 273 geführt werden dürfen. Zum zweiten entstehe eine 274 europäische Öffentlichkeit gerade um die Debatten über 275 Werte und Populismus. Zum dritten reiche der pauschale 276 Rekurs auf europäische Werte nicht aus. 277 Werte müssten jedoch auch vermittelt werden können. Aber 278 was bedeuten die Werte tatsächlich im Alltag der Menschen? 279 Das Internet sei nicht nur Facebook und Twitter, so 280 *Peters* - und die Bereiche, in denen wir es bislang 281 geschafft hätten, den europäischen Raum zu politisieren, 282 beispielsweise in der ACTA-Debatte, waren Debatten, die 283 über eine Verlinkung verschiedener Plattformen 284 funktionierten. Dadurch wurde eine länderübergreifende 285 Aufmerksamkeit geschaffen. Wie das Beispiel der ungarischen 286 Bewegung “Milla” zeige, reiche der nationale Raum scheinbar 287 nicht immer aus, um etwas zu bewegen, sondern es bedürfe 288 eines internationalen Drucks. 289 An *Staatsminister Link* gerichtet fragte *Mayte Peters*: 290 “Sie haben gesagt, wir müssen Verantwortungsräume schaffen 291 und zwar einen lokalen, einen regionalen und einen 292 mitgliedstaatlichen. Wo bleibt der europäische?” Das 293 Problem bestehe darin, dass der Raum der europäischen 294 Demokratie nicht politisiert werde. Außerdem würde die 295 Debatte auf einem hohen Niveau geführt, mit dem man den 296 Großteil der Bürger sowie diejenigen nicht erreichen 297 könnte, die sich für bestimmte Themen interessieren und 298 nicht mehr nur für die Institutionen Europas. Gerade in 299 diesen Bürgern liege aber die Chance Europas. 300 301 Abschließend ging *Daniel Fazekas* auf die 302 Internetverlinkung ein. Er betonte, dass für Bewegungen wie 303 “Milla” entscheidend sei, dass überhaupt Debatten geführt 304 werden und wenn schon nicht in Budapest, dann egal wo. 305 “Milla” versuche über verschiedensprachige Facebookseiten, 306 Nachrichten über Ungarn ins Netz zu stellen. Das Problem 307 dabei sei jedoch, dass es zwei Sphären von Öffentlichkeit 308 gebe. Es habe oft keinen Sinn, nationale Probleme im 309 Ausland zu erklären, wohingegen in Ungarn sie jeder 310 versteht. Weiterhin warf er die Frage auf, wen es außerhalb 311 von Ungarn überhaupt interessieren würde. Bürger anderer 312 Mitgliedstaaten seien empfänglicher für die populistische 313 Sichtweise, dass Ungarn nicht pluralistisch oder 314 demokratisch sei. 315 316 In seinen Schlussworten kam *Prof. Calliess* auf das dem 317 Europäischen Salon zugrundeliegende Konzept zurück: 318 “Inwieweit kann das Internet hier tatsächlich dazu 319 beitragen, dass wir eben den demokratischen Raum weiten, 320 die Diskussionssphäre weiten, zu einer europäischen 321 Öffentlichkeit kommen über das Internet? Das ist sicherlich 322 eine Frage, die uns weiter beschäftigen wird, auch im 323 Europäischen Salon.” 324 325 [[Zurück zur 326 Archivübersicht](https://publixphere.de/i/salon/page/Archiv_ 327 Europ%C3%A4ischer_Salon__1)] -
*Bericht über die Auftaktveranstaltungvon admin, angelegt1 Am 26. November 2013 fand der Auftakt der 2 Veranstaltungsreihe “Europäischer Salon” in der Berliner 3 Repräsentanz der Robert Bosch Stiftung statt. *Prof. Dr. 4 Christian Calliess, LL.M.* diskutierte mit den 5 Podiumsgästen über Europäische Werte, nationalen Populismus 6 und die Notwendigkeit einer europäischen Öffentlichkeit. 7 Vorbereitet wurde die Veranstaltung auf der neu etablierten 8 Internetplattform salon.publixphere.de. Hier wurden vorab 9 die von den Podiumsgästen eingereichten Statements kritisch 10 hinterfragt und auch weiterführende Aspekte kontrovers 11 diskutiert. Im Mittelpunkt des Europäischen Salons steht 12 die Debatte junger Europäer mit Entscheidungsträgern aus 13 Politik, Wissenschaft und Medien - online und offline. 14 15 Über 150 Veranstaltungsteilnehmer aus der 16 Fachöffentlichkeit sowie Studenten und Schüler fanden sich 17 zum Auftakt im Atrium der Stiftungsrepräsentanz zur 18 Diskussion mit dem Staatsminister im Auswärtigen Amt, 19 *Michael Georg Link*, dem Vorsitzenden des EU-Ausschusses, 20 *Gunther Krichbaum*, dem Verfassungsrechtler und Mitglied 21 des Wissenschaftskollegs Berlin, *Prof. Dr. Christoph 22 Möllers, LL.M.* sowie *Daniel Fazekas*, Mitglied der 23 ungarischen Bewegung “Milla - eine Million für die 24 Pressefreiheit”, ein. Die ebenfalls eingeladene 25 Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, *Viviane 26 Reding*, konnte zwar nicht kommen, sendete zur Eröffnung 27 aber eine Videobotschaft, in der sie die Bedeutung der 28 direkten Einbindung der Bürger in die Zukunftsdebatte in 29 Europa betonte, bevor große Reformen und neue Strukturen 30 angegangen werden können: “Gerade junge Menschen müssen 31 [dabei] beginnen, diese Debatte als eine Diskussion über 32 ihr Europa zu sehen.” 33 34 In der zweistündigen Diskussionsveranstaltung standen neben 35 der Notwendigkeit einer starken europäischen Öffentlichkeit 36 vor allem europaweit zunehmende populistische Tendenzen und 37 ihre möglichen Grenzen im Fokus. *Prof. Calliess* stellte 38 eingangs die europäischen Werte als eine solche Grenze zur 39 Diskussioneiner. Er fragte, ob die EU die in Art. 2 des EUV 40 genannten Werte in Aufsicht Unionsaufsicht in den 41 Mitgliedstaaten durchzusetzen habe und inwieweit das 42 bestehende Instrumentarium hierfür ausreicht. In ihren 43 jeweiligen Eingangsstatements setzten sich dann die 44 Podiumsgäste mit der so aufgeworfenen Frage nach Existenz 45 und Durchsetzung europäischer Werte eingehend auseinander. 46 47 *Staatsminister Link* erläuterte zu Beginn den vom 48 Auswärtigen Amt unterstützten Vorschlag, durch eine 49 “Grundwerte-Initiative” - auch als “Rechtsstaatsinitiative” 50 bekannt - einen politischen Monitoringmechanismus zu 51 schaffen, der für die Einhaltung der europäischen Werte 52 durch die Mitgliedstaaten der Europäischen Union Sorge 53 tragen kann. Es handelt sich dabei um eine gemeinsame 54 Initiative der Außenminister Deutschlands, Dänemarks, 55 Finnlands und der Niederlande, der sich mittlerweile viele 56 Mitgliedstaaten angeschlossen haben und die auch von der 57 Europäischen Kommission aufgegriffen wurde. Letztere werde 58 diesbezüglich in der ersten Jahreshälfte 2014 ihren 59 Umsetzungsvorschlag unterbreiten. Für *Staatsminister Link* 60 vernachlässigt die EU bisher noch die Arbeit an der 61 gemeinsamen Wertebasis. Um Grundwerteverstößen 62 entgegenzuwirken, reiche einerseits der öffentlich durch 63 die Medienberichterstattung ausgeübte Druck nicht aus, 64 andererseits seien Sanktionen im Ministerrat nicht 65 durchsetzbar, dies sei bereits mehrfach von 66 mitgliedstaatlicher Seite signalisiert worden. Ein 67 politischer Frühwarnmechanismus wie die 68 Rechtsstaatsinitiative sei aber auch nicht “zahnlos”. Der 69 Ministerrat müsse ein effektives Instrument bekommen, um 70 Grundwerteverstöße identifizieren und frühzeitig 71 eingreifen zu können. Vielleicht wäre es im Falle Ungarns 72 dann auch gar nicht erst zu den problematischen Maßnahmen 73 gekommen, konstatierte *Staatsminister Link*. In diesem 74 Zusammenhang wies er aber auch darauf hin, dass die 75 Grundwerte-Initiative unterschiedslos alle Mitgliedstaaten 76 einschließen solle. Ziel sei es, die Lücke zwischen dem 77 noch nie angewandten Sanktionsverfahren nach Art. 7 EUV und 78 dem Vertragsverletzungsverfahren mit einem politisch leicht 79 handhabbaren Instrument zu schließen. 80 *Prof. Calliess* fragte daraufhin, ob nicht durch ein 81 “systematisches Vertragsverletzungsverfahren” das 82 Vertragsverletzungsverfahren für einen effektiven 83 Grundwerteschutz fruchtbar gemacht werden könne. Dies solle 84 ermöglichen, dass viele kleine Verletzungen sich zu einem 85 Eingriff in die Rechtsstaatlichkeit, einem der Werte aus 86 Art. 2 EUV, addieren. Weiterhin könne über diese Sanktionen 87 eine Drohkulisse aufgebaut werden. Staatsminister Link 88 schloss Sanktionen nicht konsequent aus, sofern diese als 89 Ergebnis eines politischen Prozesses unter Beteiligung 90 aller Institutionen eingeführt würden. Die 91 Grundwerte-Initiative sei ein Instrument, das zunächst 92 politisch wachsen müsse. 93 94 Dem Gedanken des politischen Prozesses stimmte *Prof. 95 Möllers* zu: Es müsse mit einer Politisierung begonnen 96 werden. Die EU solle dabei in kleinen Schritten vorgehen. 97 Ein innenpolitischer Prozess sei der Ausgangspunkt. Er 98 kritisierte in diesem Zusammenhang die “Tendenz in der 99 europäischen Integration, Politik zu verrechtlichen und 100 Recht zu moralisieren”, und beleuchtete die Existenz einer 101 europäischen Wertegemeinschaft kritisch - bei vielen Fragen 102 herrsche in Europa eben gerade kein Konsens für ein 103 gemeinsames Handeln, wie der Syrienkonflikt verdeutliche. 104 *Prof. Möllers* hinterfragte, ob es tatsächlich eine Grenze 105 zwischen Populismus und Demokratie, die ja auch einer der 106 Grundwerte des Art. 2 EUV ist, geben könne. “Populismus ist 107 klassischerweise Klientelwirtschaft, man bietet den Leuten 108 was Nettes an, damit sie einen wählen. *Frau Reding* hat 109 gerade gesagt, es gibt billigere Roaminggebühren, also das 110 scheint mir eine klassische populistische Figur zu sein, 111 mit der man sagt: ‘Wenn ihr für Europa seid, dürft ihr 112 billiger telefonieren.’ Ist völlig in Ordnung aber das ist 113 eigentlich nicht das, was wir unter einem normativen 114 Demokratiekonzept verstehen.” Populismus könne für ihn ein 115 Mobilisierungsfaktor, ein notwendiges Element von 116 Demokratie sein. 117 118 Nach der Beitrittsvoraussetzung und Durchsetzbarkeit des 119 Wertekanons des Art. 2 EUV gefragt, rief *Gunther 120 Krichbaum* die Kopenhagener Kriterien in Erinnerung, die 121 von jedem beitrittswilligen Staat gemäß Art. 49 EUV zu 122 berücksichtigen sind. Aber was kommt nach dem Beitritt? Für 123 *Krichbaum* zeigen die Beispiele Rumäniens, Kroatiens oder 124 Bulgariens, dass dringend Handlungsbedarf bestehe. Leider 125 sei man aber erst jetzt so richtig aufgewacht. 126 127 Es schloss sich notwendig die Frage danach an, ob die 128 Einmischung in eigene nationale Angelegenheiten in den 129 Mitgliedstaaten denn überhaupt begrüßt wird. Hinsichtlich 130 Ungarn bezog *Daniel Fazekas*, Gründungsmitglied der 131 ungarischen Bewegung “Milla - eine Million für die 132 Pressefreiheit”, Stellung. Die Beantwortung der Frage hänge 133 davon ab, wen man frage: In Regierungspropaganda und 134 Massenmedien werde die EU dämonisiert. Zudem werde 135 propagiert, dass es dem Westen äußerst schlecht gehe. Die 136 andere Seite der Bevölkerung wolle jedoch, dass die EU ihre 137 Rechte schützt. Insgesamt habe die EU aber schon sehr 138 positiv auf die Entwicklungen in Ungarn eingewirkt, meint 139 *Fazekas*, so zum Beispiel durch das “Zurückzupfen” des 140 Mediengesetzes. 141 *Fazekas* stellte die Bewegung “Milla” kurz vor, die sich 142 zunächst lediglich als eine zivilgesellschaftliche 143 Plattform betrachtete - “im Grunde auf der Verbraucherseite 144 der Politik”. Ihr Ziel war es, über ihre Facebookseite, 145 durch Protestorganisationen sowie Informationen das 146 Bewusstsein einer neuen politischen Generation zu schaffen. 147 In ihrem 12-Punkte-Plan “Minimum Plus” findet sich als ein 148 Aspekt auch die Einhaltung der Grundrechte und der 149 europäischen Werte. Mittlerweile ist ein Strang von Milla 150 sogar politisch aktiv. Zusammen mit dem ehemaligen 151 ungarischen Premierminister Gordon Bajnai und der 152 Gewerkschaftsgruppe “Solidarität” haben sie die Koalition 153 “Zusammen 2014” gegründet. 154 155 *Prof. Calliess* warf daraufhin die Frage auf, ob die EU 156 nicht in einem Dilemma sei, weil sie entweder zu viel oder 157 zu wenig eingreife. *Krichbaum* erwiderte, dass ein Handeln 158 der EU zwar oft als Einmischung in innere Angelegenheiten 159 artikuliert werde, es jedoch keine sei, da spätestens seit 160 dem Vertrag von Lissabon alle Bürger der Mitgliedstaaten 161 auch Unionsbürger seien und die Kommission deren 162 europäische, in der Grundrechte-Charta garantierten 163 Bürgerrechte zu schützen und zu verteidigen habe. 164 165 Als nächstes wurde darüber diskutiert, dass die USA in 166 Bezug auf die Einhaltung der europäischen Werte in Ungarn 167 im Vergleich zur EU größere Präsenz zeigten. *Prof. 168 Möllers* äußerte dabei seinen Eindruck, dass bestimmte 169 Formen von politischer Handlungsfähigkeit, die man aus dem 170 Bereich des Völkerrechts kenne, scheinbar vom Tisch seien. 171 Als Gründe dafür sah er den derzeitigen Punkt des 172 europäischen Integrationsprozesses sowie den hohen Grad an 173 Verrechtlichung und Verflechtung der EU an. Die 174 Möglichkeiten der USA, z.B. Zahlungen einzustellen, habe 175 man innereuropäisch scheinbar nicht mehr, was zwar kein 176 Argument gegen die EU sei, aber eine der vielen Ironien des 177 Prozesses aufzeige. 178 *Krichbaum* erwiderte, dass die Bundesrepublik die 179 Möglichkeiten der USA nicht habe. Es müsse eine Balance 180 gefunden werden zwischen der Existenz von roten Linien und 181 der Möglichkeit zur Erzeugung eines ausreichenden 182 politischen Drucks, da alle Mitgliedstaaten in der EU auf 183 Dauer miteinander verbundene Partner seien. *Staatsminister 184 Link* plädierte im Zuge dessen für eine gemeinsame 185 Verteidigung der Werte. 186 187 Im Rahmen der offenen Diskussionsrunde mit dem Publikum 188 kamen gerade von den vielen jungen Gästen sehr 189 “europäische” Fragen nach der europäischen Identität und 190 damit der Vermittlung Europas, der Ungleichbehandlung von 191 Mitgliedstaaten bei der Thematisierung von Werteverstößen 192 und der Grenze zwischen Populismus und knallharter 193 Interessensvertretung auf. 194 195 Einigkeit herrschte beim Thema europäische Identität 196 darüber, dass diese erst im Werden sei. Identitätsbildung 197 müsse von jedem Einzelnen selbst ausgehen, sie könne nicht 198 von der EU vorgeschrieben werden, so *Prof. Möllers*. Die 199 fehlende Identität lasse sich auch in den 200 Fehlkonstruktionen der EU suchen, beispielsweise durch den 201 indirekten Vollzug, der dazu führe, dass die EU nicht 202 sichtbar sei. 203 204 *Krichbaum* und *Staatsminister Link* waren sich einig, 205 dass im Falle des Werteschutzes nicht mit zweierlei Maß 206 gemessen werden sollte. *Staatsminister Link* brachte zur 207 Vermeidung doppelter Standards erneut die 208 Grundwerteinitiative ins Gespräch, da gerade ein 209 politisches Vorgehen der richtige Weg sei. *Prof. Möllers* 210 hingegen sah einen Unterschied in der Behandlung von Ungarn 211 und einem “Alt”-Mitgliedstaat wie z.B. Frankreich. Mit 212 Ungarn könne man anders umgehen als mit Frankreich, aber 213 gerade deswegen sei der Vorstoß des Auswärtigen Amtes, 214 zunächst nur politisch zu agieren, so “klug”. 215 216 Für *Prof. Möllers* ging es primär nicht um eine 217 Vermittlung Europas, sondern vielmehr um reale, objektive 218 Probleme. Er plädierte dafür, Probleme nicht zu 219 medialisieren und stellte dabei auch das Internet als Raum 220 für eine politische Debatte in Frage: “Worüber redet man im 221 Internet am liebsten? - über das Internet! [...] Medien 222 sind selbstreferenziell.” Dem wurde aus dem Publikum 223 entgegengesetzt, dass dies eine Unterschätzung des 224 Potenzials des Internets sei, politische Debatte zu 225 verändern und auch den Wertediskurs in Europa 226 voranzubringen. 227 228 Zur Grenze zwischen Interessenvertretung und Populismus 229 äußerte *Staatsminister Link*, dass Populismus in 230 Nationalismus übergehe und Feindbilder brauche und benutze, 231 Interessenvertretung hingegen Regeln brauche und benutze. 232 *Prof. Möllers* sah Populismus als ein vielleicht auch 233 notwendiges Element der Demokratie, das als 234 Mobilisierungsfaktor fungieren könnte. 235 236 Aus der Online-Debatte, die vorab auf salon.publixphere.de 237 geführt wurde, brachte laut *Mayte Peters* (Publixphere 238 e.V.) drei Kernaussagen in die Diskussion ein: Zum ersten 239 dürfe Populismus nicht einfach abgetan werden, sondern es 240 müsse eine kritische Debatte - auch um populistische Themen 241 - geführt werden dürfen. Zum zweiten entstehe eine 242 europäische Öffentlichkeit gerade um die Debatten über 243 Werte und Populismus. Zum dritten reiche der pauschale 244 Rekurs auf europäische Werte nicht aus. 245 Werte müssten jedoch auch vermittelt werden können. Aber 246 was bedeuten die Werte tatsächlich im Alltag der Menschen? 247 Das Internet sei nicht nur Facebook und Twitter, so 248 *Peters* - und die Bereiche, in denen wir es bislang 249 geschafft hätten, den europäischen Raum zu politisieren, 250 beispielsweise in der ACTA-Debatte, waren Debatten, die 251 über eine Verlinkung verschiedener Plattformen 252 funktionierten. Dadurch wurde eine länderübergreifende 253 Aufmerksamkeit geschaffen. Wie das Beispiel der ungarischen 254 Bewegung “Milla” zeige, reiche der nationale Raum scheinbar 255 nicht immer aus, um etwas zu bewegen, sondern es bedürfe 256 eines internationalen Drucks. 257 An *Staatsminister Link* gerichtet fragte *Mayte Peters*: 258 “Sie haben gesagt, wir müssen Verantwortungsräume schaffen 259 und zwar einen lokalen, einen regionalen und einen 260 mitgliedstaatlichen. Wo bleibt der europäische?” Das 261 Problem bestehe darin, dass der Raum der europäischen 262 Demokratie nicht politisiert werde. Außerdem würde die 263 Debatte auf einem hohen Niveau geführt, mit dem man den 264 Großteil der Bürger sowie diejenigen nicht erreichen 265 könnte, die sich für bestimmte Themen interessieren und 266 nicht mehr nur für die Institutionen Europas. Gerade in 267 diesen Bürgern liege aber die Chance Europas. 268 269 Abschließend ging *Daniel Fazekas* auf die 270 Internetverlinkung ein. Er betonte, dass für Bewegungen wie 271 “Milla” entscheidend sei, dass überhaupt Debatten geführt 272 werden und wenn schon nicht in Budapest, dann egal wo. 273 “Milla” versuche über verschiedensprachige Facebookseiten, 274 Nachrichten über Ungarn ins Netz zu stellen. Das Problem 275 dabei sei jedoch, dass es zwei Sphären von Öffentlichkeit 276 gebe. Es habe oft keinen Sinn, nationale Probleme im 277 Ausland zu erklären, wohingegen in Ungarn sie jeder 278 versteht. Weiterhin warf er die Frage auf, wen es außerhalb 279 von Ungarn überhaupt interessieren würde. Bürger anderer 280 Mitgliedstaaten seien empfänglicher für die populistische 281 Sichtweise, dass Ungarn nicht pluralistisch oder 282 demokratisch sei. 283 284 In seinen Schlussworten kam *Prof. Calliess* auf das dem 285 Europäischen Salon zugrundeliegende Konzept zurück: 286 “Inwieweit kann das Internet hier tatsächlich dazu 287 beitragen, dass wir eben den demokratischen Raum weiten, 288 die Diskussionssphäre weiten, zu einer europäischen 289 Öffentlichkeit kommen über das Internet? Das ist sicherlich 290 eine Frage, die uns weiter beschäftigen wird, auch im 291 Europäischen Salon.” -
Bericht über die Auftaktveranstaltung
von admin, angelegt1 Am 26. November 2013 fand der Auftakt der 2 Veranstaltungsreihe “Europäischer Salon” in der Berliner 3 Repräsentanz der Robert Bosch Stiftung statt. *Prof. Dr. 4 Christian Calliess, LL.M.* diskutierte mit den 5 Podiumsgästen über Europäische Werte, nationalen Populismus 6 und die Notwendigkeit einer europäischen Öffentlichkeit. 7 Vorbereitet wurde die Veranstaltung auf der neu etablierten 8 Internetplattform salon.publixphere.de. Hier wurden vorab 9 die von den Podiumsgästen eingereichten Statements kritisch 10 hinterfragt und auch weiterführende Aspekte kontrovers 11 diskutiert. Im Mittelpunkt des Europäischen Salons steht 12 die Debatte junger Europäer mit Entscheidungsträgern aus 13 Politik, Wissenschaft und Medien - online und offline. 14 15 Über 150 Veranstaltungsteilnehmer aus der 16 Fachöffentlichkeit sowie Studenten und Schüler fanden sich 17 zum Auftakt im Atrium der Stiftungsrepräsentanz zur 18 Diskussion mit dem Staatsminister im Auswärtigen Amt, 19 *Michael Georg Link*, dem Vorsitzenden des EU-Ausschusses, 20 *Gunther Krichbaum*, dem Verfassungsrechtler und Mitglied 21 des Wissenschaftskollegs Berlin, *Prof. Dr. Christoph 22 Möllers, LL.M.* sowie *Daniel Fazekas*, Mitglied der 23 ungarischen Bewegung “Milla - eine Million für die 24 Pressefreiheit”, ein. Die ebenfalls eingeladene 25 Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, *Viviane 26 Reding*, konnte zwar nicht kommen, sendete zur Eröffnung 27 aber eine Videobotschaft, in der sie die Bedeutung der 28 direkten Einbindung der Bürger in die Zukunftsdebatte in 29 Europa betonte, bevor große Reformen und neue Strukturen 30 angegangen werden können: “Gerade junge Menschen müssen 31 [dabei] beginnen, diese Debatte als eine Diskussion über 32 ihr Europa zu sehen.” 33 34 In der zweistündigen Diskussionsveranstaltung standen neben 35 der Notwendigkeit einer starken europäischen Öffentlichkeit 36 vor allem europaweit zunehmende populistische Tendenzen und 37 ihre möglichen Grenzen im Fokus. *Prof. Calliess* stellte 38 eingangs die europäischen Werte als eine solche Grenze zur 39 Diskussioneiner. Er fragte, ob die EU die in Art. 2 des EUV 40 genannten Werte in Aufsicht Unionsaufsicht in den 41 Mitgliedstaaten durchzusetzen habe und inwieweit das 42 bestehende Instrumentarium hierfür ausreicht. In ihren 43 jeweiligen Eingangsstatements setzten sich dann die 44 Podiumsgäste mit der so aufgeworfenen Frage nach Existenz 45 und Durchsetzung europäischer Werte eingehend auseinander. 46 47 *Staatsminister Link* erläuterte zu Beginn den vom 48 Auswärtigen Amt unterstützten Vorschlag, durch eine 49 “Grundwerte-Initiative” - auch als “Rechtsstaatsinitiative” 50 bekannt - einen politischen Monitoringmechanismus zu 51 schaffen, der für die Einhaltung der europäischen Werte 52 durch die Mitgliedstaaten der Europäischen Union Sorge 53 tragen kann. Es handelt sich dabei um eine gemeinsame 54 Initiative der Außenminister Deutschlands, Dänemarks, 55 Finnlands und der Niederlande, der sich mittlerweile viele 56 Mitgliedstaaten angeschlossen haben und die auch von der 57 Europäischen Kommission aufgegriffen wurde. Letztere werde 58 diesbezüglich in der ersten Jahreshälfte 2014 ihren 59 Umsetzungsvorschlag unterbreiten. Für *Staatsminister Link* 60 vernachlässigt die EU bisher noch die Arbeit an der 61 gemeinsamen Wertebasis. Um Grundwerteverstößen 62 entgegenzuwirken, reiche einerseits der öffentlich durch 63 die Medienberichterstattung ausgeübte Druck nicht aus, 64 andererseits seien Sanktionen im Ministerrat nicht 65 durchsetzbar, dies sei bereits mehrfach von 66 mitgliedstaatlicher Seite signalisiert worden. Ein 67 politischer Frühwarnmechanismus wie die 68 Rechtsstaatsinitiative sei aber auch nicht “zahnlos”. Der 69 Ministerrat müsse ein effektives Instrument bekommen, um 70 Grundwerteverstöße identifizieren und frühzeitig 71 eingreifen zu können. Vielleicht wäre es im Falle Ungarns 72 dann auch gar nicht erst zu den problematischen Maßnahmen 73 gekommen, konstatierte *Staatsminister Link*. In diesem 74 Zusammenhang wies er aber auch darauf hin, dass die 75 Grundwerte-Initiative unterschiedslos alle Mitgliedstaaten 76 einschließen solle. Ziel sei es, die Lücke zwischen dem 77 noch nie angewandten Sanktionsverfahren nach Art. 7 EUV und 78 dem Vertragsverletzungsverfahren mit einem politisch leicht 79 handhabbaren Instrument zu schließen. 80 *Prof. Calliess* fragte daraufhin, ob nicht durch ein 81 “systematisches Vertragsverletzungsverfahren” das 82 Vertragsverletzungsverfahren für einen effektiven 83 Grundwerteschutz fruchtbar gemacht werden könne. Dies solle 84 ermöglichen, dass viele kleine Verletzungen sich zu einem 85 Eingriff in die Rechtsstaatlichkeit, einem der Werte aus 86 Art. 2 EUV, addieren. Weiterhin könne über diese Sanktionen 87 eine Drohkulisse aufgebaut werden. Staatsminister Link 88 schloss Sanktionen nicht konsequent aus, sofern diese als 89 Ergebnis eines politischen Prozesses unter Beteiligung 90 aller Institutionen eingeführt würden. Die 91 Grundwerte-Initiative sei ein Instrument, das zunächst 92 politisch wachsen müsse. 93 94 Dem Gedanken des politischen Prozesses stimmte *Prof. 95 Möllers* zu: Es müsse mit einer Politisierung begonnen 96 werden. Die EU solle dabei in kleinen Schritten vorgehen. 97 Ein innenpolitischer Prozess sei der Ausgangspunkt. Er 98 kritisierte in diesem Zusammenhang die “Tendenz in der 99 europäischen Integration, Politik zu verrechtlichen und 100 Recht zu moralisieren”, und beleuchtete die Existenz einer 101 europäischen Wertegemeinschaft kritisch - bei vielen Fragen 102 herrsche in Europa eben gerade kein Konsens für ein 103 gemeinsames Handeln, wie der Syrienkonflikt verdeutliche. 104 *Prof. Möllers* hinterfragte, ob es tatsächlich eine Grenze 105 zwischen Populismus und Demokratie, die ja auch einer der 106 Grundwerte des Art. 2 EUV ist, geben könne. “Populismus ist 107 klassischerweise Klientelwirtschaft, man bietet den Leuten 108 was Nettes an, damit sie einen wählen. *Frau Reding* hat 109 gerade gesagt, es gibt billigere Roaminggebühren, also das 110 scheint mir eine klassische populistische Figur zu sein, 111 mit der man sagt: ‘Wenn ihr für Europa seid, dürft ihr 112 billiger telefonieren.’ Ist völlig in Ordnung aber das ist 113 eigentlich nicht das, was wir unter einem normativen 114 Demokratiekonzept verstehen.” Populismus könne für ihn ein 115 Mobilisierungsfaktor, ein notwendiges Element von 116 Demokratie sein. 117 118 Nach der Beitrittsvoraussetzung und Durchsetzbarkeit des 119 Wertekanons des Art. 2 EUV gefragt, rief *Gunther 120 Krichbaum* die Kopenhagener Kriterien in Erinnerung, die 121 von jedem beitrittswilligen Staat gemäß Art. 49 EUV zu 122 berücksichtigen sind. Aber was kommt nach dem Beitritt? Für 123 *Krichbaum* zeigen die Beispiele Rumäniens, Kroatiens oder 124 Bulgariens, dass dringend Handlungsbedarf bestehe. Leider 125 sei man aber erst jetzt so richtig aufgewacht. 126 127 Es schloss sich notwendig die Frage danach an, ob die 128 Einmischung in eigene nationale Angelegenheiten in den 129 Mitgliedstaaten denn überhaupt begrüßt wird. Hinsichtlich 130 Ungarn bezog *Daniel Fazekas*, Gründungsmitglied der 131 ungarischen Bewegung “Milla - eine Million für die 132 Pressefreiheit”, Stellung. Die Beantwortung der Frage hänge 133 davon ab, wen man frage: In Regierungspropaganda und 134 Massenmedien werde die EU dämonisiert. Zudem werde 135 propagiert, dass es dem Westen äußerst schlecht gehe. Die 136 andere Seite der Bevölkerung wolle jedoch, dass die EU ihre 137 Rechte schützt. Insgesamt habe die EU aber schon sehr 138 positiv auf die Entwicklungen in Ungarn eingewirkt, meint 139 *Fazekas*, so zum Beispiel durch das “Zurückzupfen” des 140 Mediengesetzes. 141 *Fazekas* stellte die Bewegung “Milla” kurz vor, die sich 142 zunächst lediglich als eine zivilgesellschaftliche 143 Plattform betrachtete - “im Grunde auf der Verbraucherseite 144 der Politik”. Ihr Ziel war es, über ihre Facebookseite, 145 durch Protestorganisationen sowie Informationen das 146 Bewusstsein einer neuen politischen Generation zu schaffen. 147 In ihrem 12-Punkte-Plan “Minimum Plus” findet sich als ein 148 Aspekt auch die Einhaltung der Grundrechte und der 149 europäischen Werte. Mittlerweile ist ein Strang von Milla 150 sogar politisch aktiv. Zusammen mit dem ehemaligen 151 ungarischen Premierminister Gordon Bajnai und der 152 Gewerkschaftsgruppe “Solidarität” haben sie die Koalition 153 “Zusammen 2014” gegründet. 154 155 *Prof. Calliess* warf daraufhin die Frage auf, ob die EU 156 nicht in einem Dilemma sei, weil sie entweder zu viel oder 157 zu wenig eingreife. *Krichbaum* erwiderte, dass ein Handeln 158 der EU zwar oft als Einmischung in innere Angelegenheiten 159 artikuliert werde, es jedoch keine sei, da spätestens seit 160 dem Vertrag von Lissabon alle Bürger der Mitgliedstaaten 161 auch Unionsbürger seien und die Kommission deren 162 europäische, in der Grundrechte-Charta garantierten 163 Bürgerrechte zu schützen und zu verteidigen habe. 164 165 Als nächstes wurde darüber diskutiert, dass die USA in 166 Bezug auf die Einhaltung der europäischen Werte in Ungarn 167 im Vergleich zur EU größere Präsenz zeigten. *Prof. 168 Möllers* äußerte dabei seinen Eindruck, dass bestimmte 169 Formen von politischer Handlungsfähigkeit, die man aus dem 170 Bereich des Völkerrechts kenne, scheinbar vom Tisch seien. 171 Als Gründe dafür sah er den derzeitigen Punkt des 172 europäischen Integrationsprozesses sowie den hohen Grad an 173 Verrechtlichung und Verflechtung der EU an. Die 174 Möglichkeiten der USA, z.B. Zahlungen einzustellen, habe 175 man innereuropäisch scheinbar nicht mehr, was zwar kein 176 Argument gegen die EU sei, aber eine der vielen Ironien des 177 Prozesses aufzeige. 178 *Krichbaum* erwiderte, dass die Bundesrepublik die 179 Möglichkeiten der USA nicht habe. Es müsse eine Balance 180 gefunden werden zwischen der Existenz von roten Linien und 181 der Möglichkeit zur Erzeugung eines ausreichenden 182 politischen Drucks, da alle Mitgliedstaaten in der EU auf 183 Dauer miteinander verbundene Partner seien. *Staatsminister 184 Link* plädierte im Zuge dessen für eine gemeinsame 185 Verteidigung der Werte. 186 187 Im Rahmen der offenen Diskussionsrunde mit dem Publikum 188 kamen gerade von den vielen jungen Gästen sehr 189 “europäische” Fragen nach der europäischen Identität und 190 damit der Vermittlung Europas, der Ungleichbehandlung von 191 Mitgliedstaaten bei der Thematisierung von Werteverstößen 192 und der Grenze zwischen Populismus und knallharter 193 Interessensvertretung auf. 194 195 Einigkeit herrschte beim Thema europäische Identität 196 darüber, dass diese erst im Werden sei. Identitätsbildung 197 müsse von jedem Einzelnen selbst ausgehen, sie könne nicht 198 von der EU vorgeschrieben werden, so *Prof. Möllers*. Die 199 fehlende Identität lasse sich auch in den 200 Fehlkonstruktionen der EU suchen, beispielsweise durch den 201 indirekten Vollzug, der dazu führe, dass die EU nicht 202 sichtbar sei. 203 204 *Krichbaum* und *Staatsminister Link* waren sich einig, 205 dass im Falle des Werteschutzes nicht mit zweierlei Maß 206 gemessen werden sollte. *Staatsminister Link* brachte zur 207 Vermeidung doppelter Standards erneut die 208 Grundwerteinitiative ins Gespräch, da gerade ein 209 politisches Vorgehen der richtige Weg sei. *Prof. Möllers* 210 hingegen sah einen Unterschied in der Behandlung von Ungarn 211 und einem “Alt”-Mitgliedstaat wie z.B. Frankreich. Mit 212 Ungarn könne man anders umgehen als mit Frankreich, aber 213 gerade deswegen sei der Vorstoß des Auswärtigen Amtes, 214 zunächst nur politisch zu agieren, so “klug”. 215 216 Für *Prof. Möllers* ging es primär nicht um eine 217 Vermittlung Europas, sondern vielmehr um reale, objektive 218 Probleme. Er plädierte dafür, Probleme nicht zu 219 medialisieren und stellte dabei auch das Internet als Raum 220 für eine politische Debatte in Frage: “Worüber redet man im 221 Internet am liebsten? - über das Internet! [...] Medien 222 sind selbstreferenziell.” Dem wurde aus dem Publikum 223 entgegengesetzt, dass dies eine Unterschätzung des 224 Potenzials des Internets sei, politische Debatte zu 225 verändern und auch den Wertediskurs in Europa 226 voranzubringen. 227 228 Zur Grenze zwischen Interessenvertretung und Populismus 229 äußerte *Staatsminister Link*, dass Populismus in 230 Nationalismus übergehe und Feindbilder brauche und benutze, 231 Interessenvertretung hingegen Regeln brauche und benutze. 232 *Prof. Möllers* sah Populismus als ein vielleicht auch 233 notwendiges Element der Demokratie, das als 234 Mobilisierungsfaktor fungieren könnte. 235 236 Aus der Online-Debatte, die vorab auf salon.publixphere.de 237 geführt wurde, brachte laut *Mayte Peters* (Publixphere 238 e.V.) drei Kernaussagen in die Diskussion ein: Zum ersten 239 dürfe Populismus nicht einfach abgetan werden, sondern es 240 müsse eine kritische Debatte - auch um populistische Themen 241 - geführt werden dürfen. Zum zweiten entstehe eine 242 europäische Öffentlichkeit gerade um die Debatten über 243 Werte und Populismus. Zum dritten reiche der pauschale 244 Rekurs auf europäische Werte nicht aus. 245 Werte müssten jedoch auch vermittelt werden können. Aber 246 was bedeuten die Werte tatsächlich im Alltag der Menschen? 247 Das Internet sei nicht nur Facebook und Twitter, so 248 *Peters* - und die Bereiche, in denen wir es bislang 249 geschafft hätten, den europäischen Raum zu politisieren, 250 beispielsweise in der ACTA-Debatte, waren Debatten, die 251 über eine Verlinkung verschiedener Plattformen 252 funktionierten. Dadurch wurde eine länderübergreifende 253 Aufmerksamkeit geschaffen. Wie das Beispiel der ungarischen 254 Bewegung “Milla” zeige, reiche der nationale Raum scheinbar 255 nicht immer aus, um etwas zu bewegen, sondern es bedürfe 256 eines internationalen Drucks. 257 An *Staatsminister Link* gerichtet fragte *Mayte Peters*: 258 “Sie haben gesagt, wir müssen Verantwortungsräume schaffen 259 und zwar einen lokalen, einen regionalen und einen 260 mitgliedstaatlichen. Wo bleibt der europäische?” Das 261 Problem bestehe darin, dass der Raum der europäischen 262 Demokratie nicht politisiert werde. Außerdem würde die 263 Debatte auf einem hohen Niveau geführt, mit dem man den 264 Großteil der Bürger sowie diejenigen nicht erreichen 265 könnte, die sich für bestimmte Themen interessieren und 266 nicht mehr nur für die Institutionen Europas. Gerade in 267 diesen Bürgern liege aber die Chance Europas. 268 269 Abschließend ging *Daniel Fazekas* auf die 270 Internetverlinkung ein. Er betonte, dass für Bewegungen wie 271 “Milla” entscheidend sei, dass überhaupt Debatten geführt 272 werden und wenn schon nicht in Budapest, dann egal wo. 273 “Milla” versuche über verschiedensprachige Facebookseiten, 274 Nachrichten über Ungarn ins Netz zu stellen. Das Problem 275 dabei sei jedoch, dass es zwei Sphären von Öffentlichkeit 276 gebe. Es habe oft keinen Sinn, nationale Probleme im 277 Ausland zu erklären, wohingegen in Ungarn sie jeder 278 versteht. Weiterhin warf er die Frage auf, wen es außerhalb 279 von Ungarn überhaupt interessieren würde. Bürger anderer 280 Mitgliedstaaten seien empfänglicher für die populistische 281 Sichtweise, dass Ungarn nicht pluralistisch oder 282 demokratisch sei. 283 284 In seinen Schlussworten kam *Prof. Calliess* auf das dem 285 Europäischen Salon zugrundeliegende Konzept zurück: 286 “Inwieweit kann das Internet hier tatsächlich dazu 287 beitragen, dass wir eben den demokratischen Raum weiten, 288 die Diskussionssphäre weiten, zu einer europäischen 289 Öffentlichkeit kommen über das Internet? Das ist sicherlich 290 eine Frage, die uns weiter beschäftigen wird, auch im 291 Europäischen Salon.” -
Bericht über die Auftaktveranstaltung
von Community Management , angelegt1 ![Bericht 2 Auftaktveranstaltung](https://publixphere-cms.publixphere.de 3 /de/salon-bilder/c-joanna-scheffel-960-x-350.jpg/@@images/im 4 age.jpeg) 5 *Foto & Teaser: ©Joanna Scheffel Photography* 6 7 8 Am 26. November 2013 fand der Auftakt der 9 Veranstaltungsreihe “Europäischer Salon” in der Berliner 10 Repräsentanz der Robert Bosch Stiftung statt. *Prof. Dr. 11 Christian Calliess, LL.M.* diskutierte mit den 12 Podiumsgästen über Europäische Werte, nationalen Populismus 13 und die Notwendigkeit einer europäischen Öffentlichkeit. 14 Vorbereitet wurde die Veranstaltung auf der neu etablierten 15 Internetplattform 16 [salon.publixphere.de](https://publixphere.de/i/salon/instan 17 ce/salon). Hier wurden vorab die von den Podiumsgästen 18 eingereichten Statements kritisch hinterfragt und auch 19 weiterführende Aspekte kontrovers diskutiert. Im 20 Mittelpunkt des Europäischen Salons steht die Debatte 21 junger Europäer mit Entscheidungsträgern aus Politik, 22 Wissenschaft und Medien - online und offline. 23 24 Über 150 Veranstaltungsteilnehmer aus der 25 Fachöffentlichkeit sowie Studenten und Schüler fanden sich 26 zum Auftakt im Atrium der Stiftungsrepräsentanz zur 27 Diskussion mit dem Staatsminister im Auswärtigen Amt, 28 *Michael Georg Link*, dem Vorsitzenden des EU-Ausschusses, 29 *Gunther Krichbaum*, dem Verfassungsrechtler und Mitglied 30 des Wissenschaftskollegs Berlin, *Prof. Dr. Christoph 31 Möllers, LL.M.* sowie *Daniel Fazekas*, Mitglied der 32 ungarischen Bewegung “Milla - eine Million für die 33 Pressefreiheit”, ein. Die ebenfalls eingeladene 34 Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, *Viviane 35 Reding*, konnte zwar nicht kommen, sendete zur Eröffnung 36 aber eine Videobotschaft, in der sie die Bedeutung der 37 direkten Einbindung der Bürger in die Zukunftsdebatte in 38 Europa betonte, bevor große Reformen und neue Strukturen 39 angegangen werden können: “Gerade junge Menschen müssen 40 [dabei] beginnen, diese Debatte als eine Diskussion über 41 ihr Europa zu sehen.” 42 43 In der zweistündigen Diskussionsveranstaltung standen neben 44 der Notwendigkeit einer starken europäischen Öffentlichkeit 45 vor allem europaweit zunehmende populistische Tendenzen und 46 ihre möglichen Grenzen im Fokus. *Prof. Calliess* stellte 47 eingangs die europäischen Werte als eine solche Grenze zur 48 Diskussion. Er fragte, ob die EU die in Art. 2 des EUV 49 genannten Werte in Unionsaufsicht in den Mitgliedstaaten 50 durchzusetzen habe und inwieweit das bestehende 51 Instrumentarium hierfür ausreicht. In ihren jeweiligen 52 Eingangsstatements setzten sich dann die Podiumsgäste mit 53 der so aufgeworfenen Frage nach Existenz und Durchsetzung 54 europäischer Werte eingehend auseinander. 55 56 ![(Podiumsgäste](https://publixphere-cms.publixphere.de/de/s 57 alon-bilder/podium-960x350.jpg/@@images/image.jpeg) *Das 58 Podium des 1. Europäischen Salons. Foto&Teaser: ©Joanna 59 Scheffel Photography* 60 61 *Staatsminister Link* erläuterte zu Beginn den vom 62 Auswärtigen Amt unterstützten Vorschlag, durch eine 63 “Grundwerte-Initiative” - auch als “Rechtsstaatsinitiative” 64 bekannt - einen politischen Monitoringmechanismus zu 65 schaffen, der für die Einhaltung der europäischen Werte 66 durch die Mitgliedstaaten der Europäischen Union Sorge 67 tragen kann. Es handelt sich dabei um eine gemeinsame 68 Initiative der Außenminister Deutschlands, Dänemarks, 69 Finnlands und der Niederlande, der sich mittlerweile viele 70 Mitgliedstaaten angeschlossen haben und die auch von der 71 Europäischen Kommission aufgegriffen wurde. Letztere werde 72 diesbezüglich in der ersten Jahreshälfte 2014 ihren 73 Umsetzungsvorschlag unterbreiten. Für *Staatsminister Link* 74 vernachlässigt die EU bisher noch die Arbeit an der 75 gemeinsamen Wertebasis. Um Grundwerteverstößen 76 entgegenzuwirken, reiche einerseits der öffentlich durch 77 die Medienberichterstattung ausgeübte Druck nicht aus, 78 andererseits seien Sanktionen im Ministerrat nicht 79 durchsetzbar, dies sei bereits mehrfach von 80 mitgliedstaatlicher Seite signalisiert worden. Ein 81 politischer Frühwarnmechanismus wie die 82 Rechtsstaatsinitiative sei aber auch nicht “zahnlos”. Der 83 Ministerrat müsse ein effektives Instrument bekommen, um 84 Grundwerteverstöße identifizieren und frühzeitig 85 eingreifen zu können. Vielleicht wäre es im Falle Ungarns 86 dann auch gar nicht erst zu den problematischen Maßnahmen 87 gekommen, konstatierte *Staatsminister Link*. In diesem 88 Zusammenhang wies er aber auch darauf hin, dass die 89 Grundwerte-Initiative unterschiedslos alle Mitgliedstaaten 90 einschließen solle. Ziel sei es, die Lücke zwischen dem 91 noch nie angewandten Sanktionsverfahren nach Art. 7 EUV und 92 dem Vertragsverletzungsverfahren mit einem politisch leicht 93 handhabbaren Instrument zu schließen. 94 *Prof. Calliess* fragte daraufhin, ob nicht durch ein 95 “systematisches Vertragsverletzungsverfahren” das 96 Vertragsverletzungsverfahren für einen effektiven 97 Grundwerteschutz fruchtbar gemacht werden könne. Dies solle 98 ermöglichen, dass viele kleine Verletzungen sich zu einem 99 Eingriff in die Rechtsstaatlichkeit, einem der Werte aus 100 Art. 2 EUV, addieren. Weiterhin könne über diese Sanktionen 101 eine Drohkulisse aufgebaut werden. Staatsminister Link 102 schloss Sanktionen nicht konsequent aus, sofern diese als 103 Ergebnis eines politischen Prozesses unter Beteiligung 104 aller Institutionen eingeführt würden. Die 105 Grundwerte-Initiative sei ein Instrument, das zunächst 106 politisch wachsen müsse. 107 108 Dem Gedanken des politischen Prozesses stimmte *Prof. 109 Möllers* zu: Es müsse mit einer Politisierung begonnen 110 werden. Die EU solle dabei in kleinen Schritten vorgehen. 111 Ein innenpolitischer Prozess sei der Ausgangspunkt. Er 112 kritisierte in diesem Zusammenhang die “Tendenz in der 113 europäischen Integration, Politik zu verrechtlichen und 114 Recht zu moralisieren”, und beleuchtete die Existenz einer 115 europäischen Wertegemeinschaft kritisch - bei vielen Fragen 116 herrsche in Europa eben gerade kein Konsens für ein 117 gemeinsames Handeln, wie der Syrienkonflikt verdeutliche. 118 *Prof. Möllers* hinterfragte, ob es tatsächlich eine Grenze 119 zwischen Populismus und Demokratie, die ja auch einer der 120 Grundwerte des Art. 2 EUV ist, geben könne. “Populismus ist 121 klassischerweise Klientelwirtschaft, man bietet den Leuten 122 was Nettes an, damit sie einen wählen. *Frau Reding* hat 123 gerade gesagt, es gibt billigere Roaminggebühren, also das 124 scheint mir eine klassische populistische Figur zu sein, 125 mit der man sagt: ‘Wenn ihr für Europa seid, dürft ihr 126 billiger telefonieren.’ Ist völlig in Ordnung aber das ist 127 eigentlich nicht das, was wir unter einem normativen 128 Demokratiekonzept verstehen.” Populismus könne für ihn ein 129 Mobilisierungsfaktor, ein notwendiges Element von 130 Demokratie sein. 131 132 Nach der Beitrittsvoraussetzung und Durchsetzbarkeit des 133 Wertekanons des Art. 2 EUV gefragt, rief *Gunther 134 Krichbaum* die Kopenhagener Kriterien in Erinnerung, die 135 von jedem beitrittswilligen Staat gemäß Art. 49 EUV zu 136 berücksichtigen sind. Aber was kommt nach dem Beitritt? Für 137 *Krichbaum* zeigen die Beispiele Rumäniens, Kroatiens oder 138 Bulgariens, dass dringend Handlungsbedarf bestehe. Leider 139 sei man aber erst jetzt so richtig aufgewacht. 140 141 Es schloss sich notwendig die Frage danach an, ob die 142 Einmischung in eigene nationale Angelegenheiten in den 143 Mitgliedstaaten denn überhaupt begrüßt wird. Hinsichtlich 144 Ungarn bezog *Daniel Fazekas*, Gründungsmitglied der 145 ungarischen Bewegung “Milla - eine Million für die 146 Pressefreiheit”, Stellung. Die Beantwortung der Frage hänge 147 davon ab, wen man frage: In Regierungspropaganda und 148 Massenmedien werde die EU dämonisiert. Zudem werde 149 propagiert, dass es dem Westen äußerst schlecht gehe. Die 150 andere Seite der Bevölkerung wolle jedoch, dass die EU ihre 151 Rechte schützt. Insgesamt habe die EU aber schon sehr 152 positiv auf die Entwicklungen in Ungarn eingewirkt, meint 153 *Fazekas*, so zum Beispiel durch das “Zurückzupfen” des 154 Mediengesetzes. 155 *Fazekas* stellte die Bewegung “Milla” kurz vor, die sich 156 zunächst lediglich als eine zivilgesellschaftliche 157 Plattform betrachtete - “im Grunde auf der Verbraucherseite 158 der Politik”. Ihr Ziel war es, über ihre Facebookseite, 159 durch Protestorganisationen sowie Informationen das 160 Bewusstsein einer neuen politischen Generation zu schaffen. 161 In ihrem 12-Punkte-Plan “Minimum Plus” findet sich als ein 162 Aspekt auch die Einhaltung der Grundrechte und der 163 europäischen Werte. Mittlerweile ist ein Strang von Milla 164 sogar politisch aktiv. Zusammen mit dem ehemaligen 165 ungarischen Premierminister Gordon Bajnai und der 166 Gewerkschaftsgruppe “Solidarität” haben sie die Koalition 167 “Zusammen 2014” gegründet. 168 169 170 ![Calliess](https://publixphere-cms.publixphere.de/de/salon- 171 bilder/calliess-780x350.jpg/@@images/image.jpeg) *Prof. 172 Calliess, Moderator der Podiumsdiskussion. 173 Foto & Teaser: ©Joanna Scheffel Photography* 174 175 176 *Prof. Calliess* warf daraufhin die Frage auf, ob die EU 177 nicht in einem Dilemma sei, weil sie entweder zu viel oder 178 zu wenig eingreife. *Krichbaum* erwiderte, dass ein Handeln 179 der EU zwar oft als Einmischung in innere Angelegenheiten 180 artikuliert werde, es jedoch keine sei, da spätestens seit 181 dem Vertrag von Lissabon alle Bürger der Mitgliedstaaten 182 auch Unionsbürger seien und die Kommission deren 183 europäische, in der Grundrechte-Charta garantierten 184 Bürgerrechte zu schützen und zu verteidigen habe. 185 186 Als nächstes wurde darüber diskutiert, dass die USA in 187 Bezug auf die Einhaltung der europäischen Werte in Ungarn 188 im Vergleich zur EU größere Präsenz zeigten. *Prof. 189 Möllers* äußerte dabei seinen Eindruck, dass bestimmte 190 Formen von politischer Handlungsfähigkeit, die man aus dem 191 Bereich des Völkerrechts kenne, scheinbar vom Tisch seien. 192 Als Gründe dafür sah er den derzeitigen Punkt des 193 europäischen Integrationsprozesses sowie den hohen Grad an 194 Verrechtlichung und Verflechtung der EU an. Die 195 Möglichkeiten der USA, z.B. Zahlungen einzustellen, habe 196 man innereuropäisch scheinbar nicht mehr, was zwar kein 197 Argument gegen die EU sei, aber eine der vielen Ironien des 198 Prozesses aufzeige. 199 *Krichbaum* erwiderte, dass die Bundesrepublik die 200 Möglichkeiten der USA nicht habe. Es müsse eine Balance 201 gefunden werden zwischen der Existenz von roten Linien und 202 der Möglichkeit zur Erzeugung eines ausreichenden 203 politischen Drucks, da alle Mitgliedstaaten in der EU auf 204 Dauer miteinander verbundene Partner seien. *Staatsminister 205 Link* plädierte im Zuge dessen für eine gemeinsame 206 Verteidigung der Werte. 207 208 Im Rahmen der offenen Diskussionsrunde mit dem Publikum 209 kamen gerade von den vielen jungen Gästen sehr 210 “europäische” Fragen nach der europäischen Identität und 211 damit der Vermittlung Europas, der Ungleichbehandlung von 212 Mitgliedstaaten bei der Thematisierung von Werteverstößen 213 und der Grenze zwischen Populismus und knallharter 214 Interessensvertretung auf. 215 216 ![Publikumsfrage](https://publixphere-cms.publixphere.de/de/ 217 salon-bilder/eu-salon1-publikum-960x350.jpg/@@images/image.j 218 peg)*Frage aus dem Publikum. Foto &Teaser: ©Joanna 219 Scheffel Photography* 220 221 Einigkeit herrschte beim Thema europäische Identität 222 darüber, dass diese erst im Werden sei. Identitätsbildung 223 müsse von jedem Einzelnen selbst ausgehen, sie könne nicht 224 von der EU vorgeschrieben werden, so *Prof. Möllers*. Die 225 fehlende Identität lasse sich auch in den 226 Fehlkonstruktionen der EU suchen, beispielsweise durch den 227 indirekten Vollzug, der dazu führe, dass die EU nicht 228 sichtbar sei. 229 230 *Krichbaum* und *Staatsminister Link* waren sich einig, 231 dass im Falle des Werteschutzes nicht mit zweierlei Maß 232 gemessen werden sollte. *Staatsminister Link* brachte zur 233 Vermeidung doppelter Standards erneut die 234 Grundwerteinitiative ins Gespräch, da gerade ein 235 politisches Vorgehen der richtige Weg sei. *Prof. Möllers* 236 hingegen sah einen Unterschied in der Behandlung von Ungarn 237 und einem “Alt”-Mitgliedstaat wie z.B. Frankreich. Mit 238 Ungarn könne man anders umgehen als mit Frankreich, aber 239 gerade deswegen sei der Vorstoß des Auswärtigen Amtes, 240 zunächst nur politisch zu agieren, so “klug”. 241 242 Für *Prof. Möllers* ging es primär nicht um eine 243 Vermittlung Europas, sondern vielmehr um reale, objektive 244 Probleme. Er plädierte dafür, Probleme nicht zu 245 medialisieren und stellte dabei auch das Internet als Raum 246 für eine politische Debatte in Frage: “Worüber redet man im 247 Internet am liebsten? - über das Internet! [...] Medien 248 sind selbstreferenziell.” Dem wurde aus dem Publikum 249 entgegengesetzt, dass dies eine Unterschätzung des 250 Potenzials des Internets sei, politische Debatte zu 251 verändern und auch den Wertediskurs in Europa 252 voranzubringen. 253 254 Zur Grenze zwischen Interessenvertretung und Populismus 255 äußerte *Staatsminister Link*, dass Populismus in 256 Nationalismus übergehe und Feindbilder brauche und benutze, 257 Interessenvertretung hingegen Regeln brauche und benutze. 258 *Prof. Möllers* sah Populismus als ein vielleicht auch 259 notwendiges Element der Demokratie, das als 260 Mobilisierungsfaktor fungieren könnte. 261 262 ![Mayte 263 Peters](https://publixphere-cms.publixphere.de/de/salon-bild 264 er/mayte-960x350.jpg/@@images/image.jpeg)*Dr. Mayte Peters, 265 Publixphere e.V., bringt Beiträge der Online-Community ein. 266 Foto & Teaser: ©Joanna Scheffel Photography* 267 268 Aus der Online-Debatte, die vorab auf salon.publixphere.de 269 geführt wurde, brachte *Mayte Peters* (Publixphere e.V.) 270 drei Kernaussagen in die Diskussion ein: Zum ersten dürfe 271 Populismus nicht einfach abgetan werden, sondern es müsse 272 eine kritische Debatte - auch um populistische Themen - 273 geführt werden dürfen. Zum zweiten entstehe eine 274 europäische Öffentlichkeit gerade um die Debatten über 275 Werte und Populismus. Zum dritten reiche der pauschale 276 Rekurs auf europäische Werte nicht aus. 277 Werte müssten jedoch auch vermittelt werden können. Aber 278 was bedeuten die Werte tatsächlich im Alltag der Menschen? 279 Das Internet sei nicht nur Facebook und Twitter, so 280 *Peters* - und die Bereiche, in denen wir es bislang 281 geschafft hätten, den europäischen Raum zu politisieren, 282 beispielsweise in der ACTA-Debatte, waren Debatten, die 283 über eine Verlinkung verschiedener Plattformen 284 funktionierten. Dadurch wurde eine länderübergreifende 285 Aufmerksamkeit geschaffen. Wie das Beispiel der ungarischen 286 Bewegung “Milla” zeige, reiche der nationale Raum scheinbar 287 nicht immer aus, um etwas zu bewegen, sondern es bedürfe 288 eines internationalen Drucks. 289 An *Staatsminister Link* gerichtet fragte *Mayte Peters*: 290 “Sie haben gesagt, wir müssen Verantwortungsräume schaffen 291 und zwar einen lokalen, einen regionalen und einen 292 mitgliedstaatlichen. Wo bleibt der europäische?” Das 293 Problem bestehe darin, dass der Raum der europäischen 294 Demokratie nicht politisiert werde. Außerdem würde die 295 Debatte auf einem hohen Niveau geführt, mit dem man den 296 Großteil der Bürger sowie diejenigen nicht erreichen 297 könnte, die sich für bestimmte Themen interessieren und 298 nicht mehr nur für die Institutionen Europas. Gerade in 299 diesen Bürgern liege aber die Chance Europas. 300 301 Abschließend ging *Daniel Fazekas* auf die 302 Internetverlinkung ein. Er betonte, dass für Bewegungen wie 303 “Milla” entscheidend sei, dass überhaupt Debatten geführt 304 werden und wenn schon nicht in Budapest, dann egal wo. 305 “Milla” versuche über verschiedensprachige Facebookseiten, 306 Nachrichten über Ungarn ins Netz zu stellen. Das Problem 307 dabei sei jedoch, dass es zwei Sphären von Öffentlichkeit 308 gebe. Es habe oft keinen Sinn, nationale Probleme im 309 Ausland zu erklären, wohingegen in Ungarn sie jeder 310 versteht. Weiterhin warf er die Frage auf, wen es außerhalb 311 von Ungarn überhaupt interessieren würde. Bürger anderer 312 Mitgliedstaaten seien empfänglicher für die populistische 313 Sichtweise, dass Ungarn nicht pluralistisch oder 314 demokratisch sei. 315 316 In seinen Schlussworten kam *Prof. Calliess* auf das dem 317 Europäischen Salon zugrundeliegende Konzept zurück: 318 “Inwieweit kann das Internet hier tatsächlich dazu 319 beitragen, dass wir eben den demokratischen Raum weiten, 320 die Diskussionssphäre weiten, zu einer europäischen 321 Öffentlichkeit kommen über das Internet? Das ist sicherlich 322 eine Frage, die uns weiter beschäftigen wird, auch im 323 Europäischen Salon.” 324 325 [[Zurück zur 326 Archivübersicht](https://publixphere.de/i/salon/page/Archiv_ 327 Europ%C3%A4ischer_Salon__1)] -
Bericht über die Auftaktveranstaltung
von Community Management , angelegt1 Am 26. November 2013 fand der Auftakt der 2 Veranstaltungsreihe “Europäischer Salon” in der Berliner 3 Repräsentanz der Robert Bosch Stiftung statt. *Prof. Dr. 4 Christian Calliess, LL.M.* diskutierte mit den 5 Podiumsgästen über Europäische Werte, nationalen Populismus 6 und die Notwendigkeit einer europäischen Öffentlichkeit. 7 Vorbereitet wurde die Veranstaltung auf der neu etablierten 8 Internetplattform salon.publixphere.de. Hier wurden vorab 9 die von den Podiumsgästen eingereichten Statements kritisch 10 hinterfragt und auch weiterführende Aspekte kontrovers 11 diskutiert. Im Mittelpunkt des Europäischen Salons steht 12 die Debatte junger Europäer mit Entscheidungsträgern aus 13 Politik, Wissenschaft und Medien - online und offline. 14 15 Über 150 Veranstaltungsteilnehmer aus der 16 Fachöffentlichkeit sowie Studenten und Schüler fanden sich 17 zum Auftakt im Atrium der Stiftungsrepräsentanz zur 18 Diskussion mit dem Staatsminister im Auswärtigen Amt, 19 *Michael Georg Link*, dem Vorsitzenden des EU-Ausschusses, 20 *Gunther Krichbaum*, dem Verfassungsrechtler und Mitglied 21 des Wissenschaftskollegs Berlin, *Prof. Dr. Christoph 22 Möllers, LL.M.* sowie *Daniel Fazekas*, Mitglied der 23 ungarischen Bewegung “Milla - eine Million für die 24 Pressefreiheit”, ein. Die ebenfalls eingeladene 25 Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, *Viviane 26 Reding*, konnte zwar nicht kommen, sendete zur Eröffnung 27 aber eine Videobotschaft, in der sie die Bedeutung der 28 direkten Einbindung der Bürger in die Zukunftsdebatte in 29 Europa betonte, bevor große Reformen und neue Strukturen 30 angegangen werden können: “Gerade junge Menschen müssen 31 [dabei] beginnen, diese Debatte als eine Diskussion über 32 ihr Europa zu sehen.” 33 34 In der zweistündigen Diskussionsveranstaltung standen neben 35 der Notwendigkeit einer starken europäischen Öffentlichkeit 36 vor allem europaweit zunehmende populistische Tendenzen und 37 ihre möglichen Grenzen im Fokus. *Prof. Calliess* stellte 38 eingangs die europäischen Werte als eine solche Grenze zur 39 Diskussioneiner. Er fragte, ob die EU die in Art. 2 des EUV 40 genannten Werte in Aufsicht Unionsaufsicht in den 41 Mitgliedstaaten durchzusetzen habe und inwieweit das 42 bestehende Instrumentarium hierfür ausreicht. In ihren 43 jeweiligen Eingangsstatements setzten sich dann die 44 Podiumsgäste mit der so aufgeworfenen Frage nach Existenz 45 und Durchsetzung europäischer Werte eingehend auseinander. 46 47 *Staatsminister Link* erläuterte zu Beginn den vom 48 Auswärtigen Amt unterstützten Vorschlag, durch eine 49 “Grundwerte-Initiative” - auch als “Rechtsstaatsinitiative” 50 bekannt - einen politischen Monitoringmechanismus zu 51 schaffen, der für die Einhaltung der europäischen Werte 52 durch die Mitgliedstaaten der Europäischen Union Sorge 53 tragen kann. Es handelt sich dabei um eine gemeinsame 54 Initiative der Außenminister Deutschlands, Dänemarks, 55 Finnlands und der Niederlande, der sich mittlerweile viele 56 Mitgliedstaaten angeschlossen haben und die auch von der 57 Europäischen Kommission aufgegriffen wurde. Letztere werde 58 diesbezüglich in der ersten Jahreshälfte 2014 ihren 59 Umsetzungsvorschlag unterbreiten. Für *Staatsminister Link* 60 vernachlässigt die EU bisher noch die Arbeit an der 61 gemeinsamen Wertebasis. Um Grundwerteverstößen 62 entgegenzuwirken, reiche einerseits der öffentlich durch 63 die Medienberichterstattung ausgeübte Druck nicht aus, 64 andererseits seien Sanktionen im Ministerrat nicht 65 durchsetzbar, dies sei bereits mehrfach von 66 mitgliedstaatlicher Seite signalisiert worden. Ein 67 politischer Frühwarnmechanismus wie die 68 Rechtsstaatsinitiative sei aber auch nicht “zahnlos”. Der 69 Ministerrat müsse ein effektives Instrument bekommen, um 70 Grundwerteverstöße identifizieren und frühzeitig 71 eingreifen zu können. Vielleicht wäre es im Falle Ungarns 72 dann auch gar nicht erst zu den problematischen Maßnahmen 73 gekommen, konstatierte *Staatsminister Link*. In diesem 74 Zusammenhang wies er aber auch darauf hin, dass die 75 Grundwerte-Initiative unterschiedslos alle Mitgliedstaaten 76 einschließen solle. Ziel sei es, die Lücke zwischen dem 77 noch nie angewandten Sanktionsverfahren nach Art. 7 EUV und 78 dem Vertragsverletzungsverfahren mit einem politisch leicht 79 handhabbaren Instrument zu schließen. 80 *Prof. Calliess* fragte daraufhin, ob nicht durch ein 81 “systematisches Vertragsverletzungsverfahren” das 82 Vertragsverletzungsverfahren für einen effektiven 83 Grundwerteschutz fruchtbar gemacht werden könne. Dies solle 84 ermöglichen, dass viele kleine Verletzungen sich zu einem 85 Eingriff in die Rechtsstaatlichkeit, einem der Werte aus 86 Art. 2 EUV, addieren. Weiterhin könne über diese Sanktionen 87 eine Drohkulisse aufgebaut werden. Staatsminister Link 88 schloss Sanktionen nicht konsequent aus, sofern diese als 89 Ergebnis eines politischen Prozesses unter Beteiligung 90 aller Institutionen eingeführt würden. Die 91 Grundwerte-Initiative sei ein Instrument, das zunächst 92 politisch wachsen müsse. 93 94 Dem Gedanken des politischen Prozesses stimmte *Prof. 95 Möllers* zu: Es müsse mit einer Politisierung begonnen 96 werden. Die EU solle dabei in kleinen Schritten vorgehen. 97 Ein innenpolitischer Prozess sei der Ausgangspunkt. Er 98 kritisierte in diesem Zusammenhang die “Tendenz in der 99 europäischen Integration, Politik zu verrechtlichen und 100 Recht zu moralisieren”, und beleuchtete die Existenz einer 101 europäischen Wertegemeinschaft kritisch - bei vielen Fragen 102 herrsche in Europa eben gerade kein Konsens für ein 103 gemeinsames Handeln, wie der Syrienkonflikt verdeutliche. 104 *Prof. Möllers* hinterfragte, ob es tatsächlich eine Grenze 105 zwischen Populismus und Demokratie, die ja auch einer der 106 Grundwerte des Art. 2 EUV ist, geben könne. “Populismus ist 107 klassischerweise Klientelwirtschaft, man bietet den Leuten 108 was Nettes an, damit sie einen wählen. *Frau Reding* hat 109 gerade gesagt, es gibt billigere Roaminggebühren, also das 110 scheint mir eine klassische populistische Figur zu sein, 111 mit der man sagt: ‘Wenn ihr für Europa seid, dürft ihr 112 billiger telefonieren.’ Ist völlig in Ordnung aber das ist 113 eigentlich nicht das, was wir unter einem normativen 114 Demokratiekonzept verstehen.” Populismus könne für ihn ein 115 Mobilisierungsfaktor, ein notwendiges Element von 116 Demokratie sein. 117 118 Nach der Beitrittsvoraussetzung und Durchsetzbarkeit des 119 Wertekanons des Art. 2 EUV gefragt, rief *Gunther 120 Krichbaum* die Kopenhagener Kriterien in Erinnerung, die 121 von jedem beitrittswilligen Staat gemäß Art. 49 EUV zu 122 berücksichtigen sind. Aber was kommt nach dem Beitritt? Für 123 *Krichbaum* zeigen die Beispiele Rumäniens, Kroatiens oder 124 Bulgariens, dass dringend Handlungsbedarf bestehe. Leider 125 sei man aber erst jetzt so richtig aufgewacht. 126 127 Es schloss sich notwendig die Frage danach an, ob die 128 Einmischung in eigene nationale Angelegenheiten in den 129 Mitgliedstaaten denn überhaupt begrüßt wird. Hinsichtlich 130 Ungarn bezog *Daniel Fazekas*, Gründungsmitglied der 131 ungarischen Bewegung “Milla - eine Million für die 132 Pressefreiheit”, Stellung. Die Beantwortung der Frage hänge 133 davon ab, wen man frage: In Regierungspropaganda und 134 Massenmedien werde die EU dämonisiert. Zudem werde 135 propagiert, dass es dem Westen äußerst schlecht gehe. Die 136 andere Seite der Bevölkerung wolle jedoch, dass die EU ihre 137 Rechte schützt. Insgesamt habe die EU aber schon sehr 138 positiv auf die Entwicklungen in Ungarn eingewirkt, meint 139 *Fazekas*, so zum Beispiel durch das “Zurückzupfen” des 140 Mediengesetzes. 141 *Fazekas* stellte die Bewegung “Milla” kurz vor, die sich 142 zunächst lediglich als eine zivilgesellschaftliche 143 Plattform betrachtete - “im Grunde auf der Verbraucherseite 144 der Politik”. Ihr Ziel war es, über ihre Facebookseite, 145 durch Protestorganisationen sowie Informationen das 146 Bewusstsein einer neuen politischen Generation zu schaffen. 147 In ihrem 12-Punkte-Plan “Minimum Plus” findet sich als ein 148 Aspekt auch die Einhaltung der Grundrechte und der 149 europäischen Werte. Mittlerweile ist ein Strang von Milla 150 sogar politisch aktiv. Zusammen mit dem ehemaligen 151 ungarischen Premierminister Gordon Bajnai und der 152 Gewerkschaftsgruppe “Solidarität” haben sie die Koalition 153 “Zusammen 2014” gegründet. 154 155 *Prof. Calliess* warf daraufhin die Frage auf, ob die EU 156 nicht in einem Dilemma sei, weil sie entweder zu viel oder 157 zu wenig eingreife. *Krichbaum* erwiderte, dass ein Handeln 158 der EU zwar oft als Einmischung in innere Angelegenheiten 159 artikuliert werde, es jedoch keine sei, da spätestens seit 160 dem Vertrag von Lissabon alle Bürger der Mitgliedstaaten 161 auch Unionsbürger seien und die Kommission deren 162 europäische, in der Grundrechte-Charta garantierten 163 Bürgerrechte zu schützen und zu verteidigen habe. 164 165 Als nächstes wurde darüber diskutiert, dass die USA in 166 Bezug auf die Einhaltung der europäischen Werte in Ungarn 167 im Vergleich zur EU größere Präsenz zeigten. *Prof. 168 Möllers* äußerte dabei seinen Eindruck, dass bestimmte 169 Formen von politischer Handlungsfähigkeit, die man aus dem 170 Bereich des Völkerrechts kenne, scheinbar vom Tisch seien. 171 Als Gründe dafür sah er den derzeitigen Punkt des 172 europäischen Integrationsprozesses sowie den hohen Grad an 173 Verrechtlichung und Verflechtung der EU an. Die 174 Möglichkeiten der USA, z.B. Zahlungen einzustellen, habe 175 man innereuropäisch scheinbar nicht mehr, was zwar kein 176 Argument gegen die EU sei, aber eine der vielen Ironien des 177 Prozesses aufzeige. 178 *Krichbaum* erwiderte, dass die Bundesrepublik die 179 Möglichkeiten der USA nicht habe. Es müsse eine Balance 180 gefunden werden zwischen der Existenz von roten Linien und 181 der Möglichkeit zur Erzeugung eines ausreichenden 182 politischen Drucks, da alle Mitgliedstaaten in der EU auf 183 Dauer miteinander verbundene Partner seien. *Staatsminister 184 Link* plädierte im Zuge dessen für eine gemeinsame 185 Verteidigung der Werte. 186 187 Im Rahmen der offenen Diskussionsrunde mit dem Publikum 188 kamen gerade von den vielen jungen Gästen sehr 189 “europäische” Fragen nach der europäischen Identität und 190 damit der Vermittlung Europas, der Ungleichbehandlung von 191 Mitgliedstaaten bei der Thematisierung von Werteverstößen 192 und der Grenze zwischen Populismus und knallharter 193 Interessensvertretung auf. 194 195 Einigkeit herrschte beim Thema europäische Identität 196 darüber, dass diese erst im Werden sei. Identitätsbildung 197 müsse von jedem Einzelnen selbst ausgehen, sie könne nicht 198 von der EU vorgeschrieben werden, so *Prof. Möllers*. Die 199 fehlende Identität lasse sich auch in den 200 Fehlkonstruktionen der EU suchen, beispielsweise durch den 201 indirekten Vollzug, der dazu führe, dass die EU nicht 202 sichtbar sei. 203 204 *Krichbaum* und *Staatsminister Link* waren sich einig, 205 dass im Falle des Werteschutzes nicht mit zweierlei Maß 206 gemessen werden sollte. *Staatsminister Link* brachte zur 207 Vermeidung doppelter Standards erneut die 208 Grundwerteinitiative ins Gespräch, da gerade ein 209 politisches Vorgehen der richtige Weg sei. *Prof. Möllers* 210 hingegen sah einen Unterschied in der Behandlung von Ungarn 211 und einem “Alt”-Mitgliedstaat wie z.B. Frankreich. Mit 212 Ungarn könne man anders umgehen als mit Frankreich, aber 213 gerade deswegen sei der Vorstoß des Auswärtigen Amtes, 214 zunächst nur politisch zu agieren, so “klug”. 215 216 Für *Prof. Möllers* ging es primär nicht um eine 217 Vermittlung Europas, sondern vielmehr um reale, objektive 218 Probleme. Er plädierte dafür, Probleme nicht zu 219 medialisieren und stellte dabei auch das Internet als Raum 220 für eine politische Debatte in Frage: “Worüber redet man im 221 Internet am liebsten? - über das Internet! [...] Medien 222 sind selbstreferenziell.” Dem wurde aus dem Publikum 223 entgegengesetzt, dass dies eine Unterschätzung des 224 Potenzials des Internets sei, politische Debatte zu 225 verändern und auch den Wertediskurs in Europa 226 voranzubringen. 227 228 Zur Grenze zwischen Interessenvertretung und Populismus 229 äußerte *Staatsminister Link*, dass Populismus in 230 Nationalismus übergehe und Feindbilder brauche und benutze, 231 Interessenvertretung hingegen Regeln brauche und benutze. 232 *Prof. Möllers* sah Populismus als ein vielleicht auch 233 notwendiges Element der Demokratie, das als 234 Mobilisierungsfaktor fungieren könnte. 235 236 Aus der Online-Debatte, die vorab auf salon.publixphere.de 237 geführt wurde, brachte laut *Mayte Peters* (Publixphere 238 e.V.) drei Kernaussagen in die Diskussion ein: Zum ersten 239 dürfe Populismus nicht einfach abgetan werden, sondern es 240 müsse eine kritische Debatte - auch um populistische Themen 241 - geführt werden dürfen. Zum zweiten entstehe eine 242 europäische Öffentlichkeit gerade um die Debatten über 243 Werte und Populismus. Zum dritten reiche der pauschale 244 Rekurs auf europäische Werte nicht aus. 245 Werte müssten jedoch auch vermittelt werden können. Aber 246 was bedeuten die Werte tatsächlich im Alltag der Menschen? 247 Das Internet sei nicht nur Facebook und Twitter, so 248 *Peters* - und die Bereiche, in denen wir es bislang 249 geschafft hätten, den europäischen Raum zu politisieren, 250 beispielsweise in der ACTA-Debatte, waren Debatten, die 251 über eine Verlinkung verschiedener Plattformen 252 funktionierten. Dadurch wurde eine länderübergreifende 253 Aufmerksamkeit geschaffen. Wie das Beispiel der ungarischen 254 Bewegung “Milla” zeige, reiche der nationale Raum scheinbar 255 nicht immer aus, um etwas zu bewegen, sondern es bedürfe 256 eines internationalen Drucks. 257 An *Staatsminister Link* gerichtet fragte *Mayte Peters*: 258 “Sie haben gesagt, wir müssen Verantwortungsräume schaffen 259 und zwar einen lokalen, einen regionalen und einen 260 mitgliedstaatlichen. Wo bleibt der europäische?” Das 261 Problem bestehe darin, dass der Raum der europäischen 262 Demokratie nicht politisiert werde. Außerdem würde die 263 Debatte auf einem hohen Niveau geführt, mit dem man den 264 Großteil der Bürger sowie diejenigen nicht erreichen 265 könnte, die sich für bestimmte Themen interessieren und 266 nicht mehr nur für die Institutionen Europas. Gerade in 267 diesen Bürgern liege aber die Chance Europas. 268 269 Abschließend ging *Daniel Fazekas* auf die 270 Internetverlinkung ein. Er betonte, dass für Bewegungen wie 271 “Milla” entscheidend sei, dass überhaupt Debatten geführt 272 werden und wenn schon nicht in Budapest, dann egal wo. 273 “Milla” versuche über verschiedensprachige Facebookseiten, 274 Nachrichten über Ungarn ins Netz zu stellen. Das Problem 275 dabei sei jedoch, dass es zwei Sphären von Öffentlichkeit 276 gebe. Es habe oft keinen Sinn, nationale Probleme im 277 Ausland zu erklären, wohingegen in Ungarn sie jeder 278 versteht. Weiterhin warf er die Frage auf, wen es außerhalb 279 von Ungarn überhaupt interessieren würde. Bürger anderer 280 Mitgliedstaaten seien empfänglicher für die populistische 281 Sichtweise, dass Ungarn nicht pluralistisch oder 282 demokratisch sei. 283 284 In seinen Schlussworten kam *Prof. Calliess* auf das dem 285 Europäischen Salon zugrundeliegende Konzept zurück: 286 “Inwieweit kann das Internet hier tatsächlich dazu 287 beitragen, dass wir eben den demokratischen Raum weiten, 288 die Diskussionssphäre weiten, zu einer europäischen 289 Öffentlichkeit kommen über das Internet? Das ist sicherlich 290 eine Frage, die uns weiter beschäftigen wird, auch im 291 Europäischen Salon.” -
Bericht über die Auftaktveranstaltung
von Community Management , angelegt1 ![Bericht 2 Auftaktveranstaltung](https://publixphere-cms.publixphere.de 3 /de/salon-bilder/c-joanna-scheffel-960-x-350.jpg/@@images/im 4 age.jpeg) 5 *Foto&Teaser: ©Joanna Scheffel Photography* 6 7 8 Am 26. November 2013 fand der Auftakt der 9 Veranstaltungsreihe “Europäischer Salon” in der Berliner 10 Repräsentanz der Robert Bosch Stiftung statt. *Prof. Dr. 11 Christian Calliess, LL.M.* diskutierte mit den 12 Podiumsgästen über Europäische Werte, nationalen Populismus 13 und die Notwendigkeit einer europäischen Öffentlichkeit. 14 Vorbereitet wurde die Veranstaltung auf der neu etablierten 15 Internetplattform salon.publixphere.de. Hier wurden vorab 16 die von den Podiumsgästen eingereichten Statements kritisch 17 hinterfragt und auch weiterführende Aspekte kontrovers 18 diskutiert. Im Mittelpunkt des Europäischen Salons steht 19 die Debatte junger Europäer mit Entscheidungsträgern aus 20 Politik, Wissenschaft und Medien - online und offline. 21 22 Über 150 Veranstaltungsteilnehmer aus der 23 Fachöffentlichkeit sowie Studenten und Schüler fanden sich 24 zum Auftakt im Atrium der Stiftungsrepräsentanz zur 25 Diskussion mit dem Staatsminister im Auswärtigen Amt, 26 *Michael Georg Link*, dem Vorsitzenden des EU-Ausschusses, 27 *Gunther Krichbaum*, dem Verfassungsrechtler und Mitglied 28 des Wissenschaftskollegs Berlin, *Prof. Dr. Christoph 29 Möllers, LL.M.* sowie *Daniel Fazekas*, Mitglied der 30 ungarischen Bewegung “Milla - eine Million für die 31 Pressefreiheit”, ein. Die ebenfalls eingeladene 32 Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, *Viviane 33 Reding*, konnte zwar nicht kommen, sendete zur Eröffnung 34 aber eine Videobotschaft, in der sie die Bedeutung der 35 direkten Einbindung der Bürger in die Zukunftsdebatte in 36 Europa betonte, bevor große Reformen und neue Strukturen 37 angegangen werden können: “Gerade junge Menschen müssen 38 [dabei] beginnen, diese Debatte als eine Diskussion über 39 ihr Europa zu sehen.” 40 41 In der zweistündigen Diskussionsveranstaltung standen neben 42 der Notwendigkeit einer starken europäischen Öffentlichkeit 43 vor allem europaweit zunehmende populistische Tendenzen und 44 ihre möglichen Grenzen im Fokus. *Prof. Calliess* stellte 45 eingangs die europäischen Werte als eine solche Grenze zur 46 Diskussioneiner. Er fragte, ob die EU die in Art. 2 des EUV 47 genannten Werte in Aufsicht Unionsaufsicht in den 48 Mitgliedstaaten durchzusetzen habe und inwieweit das 49 bestehende Instrumentarium hierfür ausreicht. In ihren 50 jeweiligen Eingangsstatements setzten sich dann die 51 Podiumsgäste mit der so aufgeworfenen Frage nach Existenz 52 und Durchsetzung europäischer Werte eingehend auseinander. 53 54 *Staatsminister Link* erläuterte zu Beginn den vom 55 Auswärtigen Amt unterstützten Vorschlag, durch eine 56 “Grundwerte-Initiative” - auch als “Rechtsstaatsinitiative” 57 bekannt - einen politischen Monitoringmechanismus zu 58 schaffen, der für die Einhaltung der europäischen Werte 59 durch die Mitgliedstaaten der Europäischen Union Sorge 60 tragen kann. Es handelt sich dabei um eine gemeinsame 61 Initiative der Außenminister Deutschlands, Dänemarks, 62 Finnlands und der Niederlande, der sich mittlerweile viele 63 Mitgliedstaaten angeschlossen haben und die auch von der 64 Europäischen Kommission aufgegriffen wurde. Letztere werde 65 diesbezüglich in der ersten Jahreshälfte 2014 ihren 66 Umsetzungsvorschlag unterbreiten. Für *Staatsminister Link* 67 vernachlässigt die EU bisher noch die Arbeit an der 68 gemeinsamen Wertebasis. Um Grundwerteverstößen 69 entgegenzuwirken, reiche einerseits der öffentlich durch 70 die Medienberichterstattung ausgeübte Druck nicht aus, 71 andererseits seien Sanktionen im Ministerrat nicht 72 durchsetzbar, dies sei bereits mehrfach von 73 mitgliedstaatlicher Seite signalisiert worden. Ein 74 politischer Frühwarnmechanismus wie die 75 Rechtsstaatsinitiative sei aber auch nicht “zahnlos”. Der 76 Ministerrat müsse ein effektives Instrument bekommen, um 77 Grundwerteverstöße identifizieren und frühzeitig 78 eingreifen zu können. Vielleicht wäre es im Falle Ungarns 79 dann auch gar nicht erst zu den problematischen Maßnahmen 80 gekommen, konstatierte *Staatsminister Link*. In diesem 81 Zusammenhang wies er aber auch darauf hin, dass die 82 Grundwerte-Initiative unterschiedslos alle Mitgliedstaaten 83 einschließen solle. Ziel sei es, die Lücke zwischen dem 84 noch nie angewandten Sanktionsverfahren nach Art. 7 EUV und 85 dem Vertragsverletzungsverfahren mit einem politisch leicht 86 handhabbaren Instrument zu schließen. 87 *Prof. Calliess* fragte daraufhin, ob nicht durch ein 88 “systematisches Vertragsverletzungsverfahren” das 89 Vertragsverletzungsverfahren für einen effektiven 90 Grundwerteschutz fruchtbar gemacht werden könne. Dies solle 91 ermöglichen, dass viele kleine Verletzungen sich zu einem 92 Eingriff in die Rechtsstaatlichkeit, einem der Werte aus 93 Art. 2 EUV, addieren. Weiterhin könne über diese Sanktionen 94 eine Drohkulisse aufgebaut werden. Staatsminister Link 95 schloss Sanktionen nicht konsequent aus, sofern diese als 96 Ergebnis eines politischen Prozesses unter Beteiligung 97 aller Institutionen eingeführt würden. Die 98 Grundwerte-Initiative sei ein Instrument, das zunächst 99 politisch wachsen müsse. 100 101 Dem Gedanken des politischen Prozesses stimmte *Prof. 102 Möllers* zu: Es müsse mit einer Politisierung begonnen 103 werden. Die EU solle dabei in kleinen Schritten vorgehen. 104 Ein innenpolitischer Prozess sei der Ausgangspunkt. Er 105 kritisierte in diesem Zusammenhang die “Tendenz in der 106 europäischen Integration, Politik zu verrechtlichen und 107 Recht zu moralisieren”, und beleuchtete die Existenz einer 108 europäischen Wertegemeinschaft kritisch - bei vielen Fragen 109 herrsche in Europa eben gerade kein Konsens für ein 110 gemeinsames Handeln, wie der Syrienkonflikt verdeutliche. 111 *Prof. Möllers* hinterfragte, ob es tatsächlich eine Grenze 112 zwischen Populismus und Demokratie, die ja auch einer der 113 Grundwerte des Art. 2 EUV ist, geben könne. “Populismus ist 114 klassischerweise Klientelwirtschaft, man bietet den Leuten 115 was Nettes an, damit sie einen wählen. *Frau Reding* hat 116 gerade gesagt, es gibt billigere Roaminggebühren, also das 117 scheint mir eine klassische populistische Figur zu sein, 118 mit der man sagt: ‘Wenn ihr für Europa seid, dürft ihr 119 billiger telefonieren.’ Ist völlig in Ordnung aber das ist 120 eigentlich nicht das, was wir unter einem normativen 121 Demokratiekonzept verstehen.” Populismus könne für ihn ein 122 Mobilisierungsfaktor, ein notwendiges Element von 123 Demokratie sein. 124 125 Nach der Beitrittsvoraussetzung und Durchsetzbarkeit des 126 Wertekanons des Art. 2 EUV gefragt, rief *Gunther 127 Krichbaum* die Kopenhagener Kriterien in Erinnerung, die 128 von jedem beitrittswilligen Staat gemäß Art. 49 EUV zu 129 berücksichtigen sind. Aber was kommt nach dem Beitritt? Für 130 *Krichbaum* zeigen die Beispiele Rumäniens, Kroatiens oder 131 Bulgariens, dass dringend Handlungsbedarf bestehe. Leider 132 sei man aber erst jetzt so richtig aufgewacht. 133 134 Es schloss sich notwendig die Frage danach an, ob die 135 Einmischung in eigene nationale Angelegenheiten in den 136 Mitgliedstaaten denn überhaupt begrüßt wird. Hinsichtlich 137 Ungarn bezog *Daniel Fazekas*, Gründungsmitglied der 138 ungarischen Bewegung “Milla - eine Million für die 139 Pressefreiheit”, Stellung. Die Beantwortung der Frage hänge 140 davon ab, wen man frage: In Regierungspropaganda und 141 Massenmedien werde die EU dämonisiert. Zudem werde 142 propagiert, dass es dem Westen äußerst schlecht gehe. Die 143 andere Seite der Bevölkerung wolle jedoch, dass die EU ihre 144 Rechte schützt. Insgesamt habe die EU aber schon sehr 145 positiv auf die Entwicklungen in Ungarn eingewirkt, meint 146 *Fazekas*, so zum Beispiel durch das “Zurückzupfen” des 147 Mediengesetzes. 148 *Fazekas* stellte die Bewegung “Milla” kurz vor, die sich 149 zunächst lediglich als eine zivilgesellschaftliche 150 Plattform betrachtete - “im Grunde auf der Verbraucherseite 151 der Politik”. Ihr Ziel war es, über ihre Facebookseite, 152 durch Protestorganisationen sowie Informationen das 153 Bewusstsein einer neuen politischen Generation zu schaffen. 154 In ihrem 12-Punkte-Plan “Minimum Plus” findet sich als ein 155 Aspekt auch die Einhaltung der Grundrechte und der 156 europäischen Werte. Mittlerweile ist ein Strang von Milla 157 sogar politisch aktiv. Zusammen mit dem ehemaligen 158 ungarischen Premierminister Gordon Bajnai und der 159 Gewerkschaftsgruppe “Solidarität” haben sie die Koalition 160 “Zusammen 2014” gegründet. 161 162 *Prof. Calliess* warf daraufhin die Frage auf, ob die EU 163 nicht in einem Dilemma sei, weil sie entweder zu viel oder 164 zu wenig eingreife. *Krichbaum* erwiderte, dass ein Handeln 165 der EU zwar oft als Einmischung in innere Angelegenheiten 166 artikuliert werde, es jedoch keine sei, da spätestens seit 167 dem Vertrag von Lissabon alle Bürger der Mitgliedstaaten 168 auch Unionsbürger seien und die Kommission deren 169 europäische, in der Grundrechte-Charta garantierten 170 Bürgerrechte zu schützen und zu verteidigen habe. 171 172 Als nächstes wurde darüber diskutiert, dass die USA in 173 Bezug auf die Einhaltung der europäischen Werte in Ungarn 174 im Vergleich zur EU größere Präsenz zeigten. *Prof. 175 Möllers* äußerte dabei seinen Eindruck, dass bestimmte 176 Formen von politischer Handlungsfähigkeit, die man aus dem 177 Bereich des Völkerrechts kenne, scheinbar vom Tisch seien. 178 Als Gründe dafür sah er den derzeitigen Punkt des 179 europäischen Integrationsprozesses sowie den hohen Grad an 180 Verrechtlichung und Verflechtung der EU an. Die 181 Möglichkeiten der USA, z.B. Zahlungen einzustellen, habe 182 man innereuropäisch scheinbar nicht mehr, was zwar kein 183 Argument gegen die EU sei, aber eine der vielen Ironien des 184 Prozesses aufzeige. 185 *Krichbaum* erwiderte, dass die Bundesrepublik die 186 Möglichkeiten der USA nicht habe. Es müsse eine Balance 187 gefunden werden zwischen der Existenz von roten Linien und 188 der Möglichkeit zur Erzeugung eines ausreichenden 189 politischen Drucks, da alle Mitgliedstaaten in der EU auf 190 Dauer miteinander verbundene Partner seien. *Staatsminister 191 Link* plädierte im Zuge dessen für eine gemeinsame 192 Verteidigung der Werte. 193 194 Im Rahmen der offenen Diskussionsrunde mit dem Publikum 195 kamen gerade von den vielen jungen Gästen sehr 196 “europäische” Fragen nach der europäischen Identität und 197 damit der Vermittlung Europas, der Ungleichbehandlung von 198 Mitgliedstaaten bei der Thematisierung von Werteverstößen 199 und der Grenze zwischen Populismus und knallharter 200 Interessensvertretung auf. 201 202 Einigkeit herrschte beim Thema europäische Identität 203 darüber, dass diese erst im Werden sei. Identitätsbildung 204 müsse von jedem Einzelnen selbst ausgehen, sie könne nicht 205 von der EU vorgeschrieben werden, so *Prof. Möllers*. Die 206 fehlende Identität lasse sich auch in den 207 Fehlkonstruktionen der EU suchen, beispielsweise durch den 208 indirekten Vollzug, der dazu führe, dass die EU nicht 209 sichtbar sei. 210 211 *Krichbaum* und *Staatsminister Link* waren sich einig, 212 dass im Falle des Werteschutzes nicht mit zweierlei Maß 213 gemessen werden sollte. *Staatsminister Link* brachte zur 214 Vermeidung doppelter Standards erneut die 215 Grundwerteinitiative ins Gespräch, da gerade ein 216 politisches Vorgehen der richtige Weg sei. *Prof. Möllers* 217 hingegen sah einen Unterschied in der Behandlung von Ungarn 218 und einem “Alt”-Mitgliedstaat wie z.B. Frankreich. Mit 219 Ungarn könne man anders umgehen als mit Frankreich, aber 220 gerade deswegen sei der Vorstoß des Auswärtigen Amtes, 221 zunächst nur politisch zu agieren, so “klug”. 222 223 Für *Prof. Möllers* ging es primär nicht um eine 224 Vermittlung Europas, sondern vielmehr um reale, objektive 225 Probleme. Er plädierte dafür, Probleme nicht zu 226 medialisieren und stellte dabei auch das Internet als Raum 227 für eine politische Debatte in Frage: “Worüber redet man im 228 Internet am liebsten? - über das Internet! [...] Medien 229 sind selbstreferenziell.” Dem wurde aus dem Publikum 230 entgegengesetzt, dass dies eine Unterschätzung des 231 Potenzials des Internets sei, politische Debatte zu 232 verändern und auch den Wertediskurs in Europa 233 voranzubringen. 234 235 Zur Grenze zwischen Interessenvertretung und Populismus 236 äußerte *Staatsminister Link*, dass Populismus in 237 Nationalismus übergehe und Feindbilder brauche und benutze, 238 Interessenvertretung hingegen Regeln brauche und benutze. 239 *Prof. Möllers* sah Populismus als ein vielleicht auch 240 notwendiges Element der Demokratie, das als 241 Mobilisierungsfaktor fungieren könnte. 242 243 Aus der Online-Debatte, die vorab auf salon.publixphere.de 244 geführt wurde, brachte laut *Mayte Peters* (Publixphere 245 e.V.) drei Kernaussagen in die Diskussion ein: Zum ersten 246 dürfe Populismus nicht einfach abgetan werden, sondern es 247 müsse eine kritische Debatte - auch um populistische Themen 248 - geführt werden dürfen. Zum zweiten entstehe eine 249 europäische Öffentlichkeit gerade um die Debatten über 250 Werte und Populismus. Zum dritten reiche der pauschale 251 Rekurs auf europäische Werte nicht aus. 252 Werte müssten jedoch auch vermittelt werden können. Aber 253 was bedeuten die Werte tatsächlich im Alltag der Menschen? 254 Das Internet sei nicht nur Facebook und Twitter, so 255 *Peters* - und die Bereiche, in denen wir es bislang 256 geschafft hätten, den europäischen Raum zu politisieren, 257 beispielsweise in der ACTA-Debatte, waren Debatten, die 258 über eine Verlinkung verschiedener Plattformen 259 funktionierten. Dadurch wurde eine länderübergreifende 260 Aufmerksamkeit geschaffen. Wie das Beispiel der ungarischen 261 Bewegung “Milla” zeige, reiche der nationale Raum scheinbar 262 nicht immer aus, um etwas zu bewegen, sondern es bedürfe 263 eines internationalen Drucks. 264 An *Staatsminister Link* gerichtet fragte *Mayte Peters*: 265 “Sie haben gesagt, wir müssen Verantwortungsräume schaffen 266 und zwar einen lokalen, einen regionalen und einen 267 mitgliedstaatlichen. Wo bleibt der europäische?” Das 268 Problem bestehe darin, dass der Raum der europäischen 269 Demokratie nicht politisiert werde. Außerdem würde die 270 Debatte auf einem hohen Niveau geführt, mit dem man den 271 Großteil der Bürger sowie diejenigen nicht erreichen 272 könnte, die sich für bestimmte Themen interessieren und 273 nicht mehr nur für die Institutionen Europas. Gerade in 274 diesen Bürgern liege aber die Chance Europas. 275 276 Abschließend ging *Daniel Fazekas* auf die 277 Internetverlinkung ein. Er betonte, dass für Bewegungen wie 278 “Milla” entscheidend sei, dass überhaupt Debatten geführt 279 werden und wenn schon nicht in Budapest, dann egal wo. 280 “Milla” versuche über verschiedensprachige Facebookseiten, 281 Nachrichten über Ungarn ins Netz zu stellen. Das Problem 282 dabei sei jedoch, dass es zwei Sphären von Öffentlichkeit 283 gebe. Es habe oft keinen Sinn, nationale Probleme im 284 Ausland zu erklären, wohingegen in Ungarn sie jeder 285 versteht. Weiterhin warf er die Frage auf, wen es außerhalb 286 von Ungarn überhaupt interessieren würde. Bürger anderer 287 Mitgliedstaaten seien empfänglicher für die populistische 288 Sichtweise, dass Ungarn nicht pluralistisch oder 289 demokratisch sei. 290 291 In seinen Schlussworten kam *Prof. Calliess* auf das dem 292 Europäischen Salon zugrundeliegende Konzept zurück: 293 “Inwieweit kann das Internet hier tatsächlich dazu 294 beitragen, dass wir eben den demokratischen Raum weiten, 295 die Diskussionssphäre weiten, zu einer europäischen 296 Öffentlichkeit kommen über das Internet? Das ist sicherlich 297 eine Frage, die uns weiter beschäftigen wird, auch im 298 Europäischen Salon.” 299 300 [[Zurück zur 301 Archivübersicht](https://publixphere.de/i/salon/page/Archiv_ 302 Europ%C3%A4ischer_Salon__1)] 303 304
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