Position: Die Mitwirkungsrechte des Europäischen Parlaments in der Außenhandelspolitik der EU

Originalversion

DIE MITWIRKUNGSRECHTE DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS

IN DER AUßENHANDELSPOLITIK DER EU

EP (c) European Parliament

von Simon Wendelin Burger.

Spätestens seit dem Bekanntwerden von Inhalt und Umfang des vom Rat der Europäischen Union an die Europäische Kommission erlassenen Mandates zur Verhandlung eines Freihandelsabkommens mit den Vereinigten Staaten[1] und der dadurch enthüllten Tragweite der geplanten transatlantischen Handels- und Investi-tionspartnerschaft TTIP werden die Rufe nach mehr Transparenz, einer Demokratisierung des Verhandlungsprozesses und einer stärkeren Einbindung der europäischen Bürgerinnen und Bürger in die inhaltliche Ausgestaltung des Handelsvertrages immer lauter. Besonders häufig werden dabei die fehlenden Einflußnahmemöglichkeiten des einzigen unmittelbar demokratisch gewählten Vertretungskörpers der europäischen Bürgerinnen und Bürger – dem Europäischen Parlament – moniert. Während es zutrifft, dass eine Beteiligung des Europäischen Parlaments am Erlass des Verhandlungsmandats[2] nicht vorgesehen ist, und auch der Zugang zu Dokumenten während des Verhandlungsprozesses eingeschränkt[3] werden kann, kommen dem Europäischen Parlament jedoch durch den seit dem Vertrag von Lissabon neu gefassten Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union[4] (AEUV) weitgehende Mitwirkungsrechte bei der Erlassung des Rechtsaktes selbst, das heißt bei der Inkraftsetzung des Freihandelsabkommens, zu. Dass diese Kompetenz von elementarer Bedeutung für den rechtskräftigen Abschluss eines Handelsvertrages ist und die mangelnde Zustimmung des Europäischen Parlaments sogar das Scheitern eines fertig verhandelten Wirtschaftsabkommens zur Folge haben kann, wurde am Beispiel des multilateralen Anti-Produktpiraterie-Abkommens ACTA nachdrücklich bewiesen.[5] Somit kann angenommen werden, dass die Zustimmung des Europäischen Parlaments, und somit der Wille der europäischen Bürgerinnen und Bürger, auch in Fragen der Außenhandelspolitik letztlich ausschlaggebende Bedeutung hat. Im Folgenden sollen daher die Mitwirkungsrechte des Europäischen Parlaments in der Außenhandelspolitik der Europäischen Union kurz skizziert werden.

Allgemeines zu den Mitwirkungsrechten des Europäischen Parlaments

ARTIKEL 14 EUV, ARTIKEL 289 – 294 AEUV

Die Rechtsetzung der Europäischen Union erfolgt gemeinschaftlich durch zwei Institutio-nen: Dem Europäischen Parlament als direkt gewählte Bürgerkammer und dem Rat der Europäischen Union, der sich aus Vertretern der nationalen Regierungen zusammensetzt, als Staatenkammer. Dabei blieben die Befugnisse des Parlaments im Entscheidungsprozess lange hinter denen des Rats zurück: Bis zum Vertrag von Maastricht von 1992 beschränkte sich die Beteiligung des Parlaments größtenteils auf die Anhörung durch Rat und Kommission einerseits sowie autonome Fragerechte gegenüber diesen Institutionen andererseits, die jedoch jeweils keine Bindungswirkung entfalteten. Durch die darauffolgenden Vertragsänderungen von Amsterdam, Nizza und Lissabon wurde die Stellung des Parlaments weiter sukzessive aufgewertet, sodass mit dem durch den Vertrag von Lissabon geschaffenen AEUV im Gesetzgebungsverfahren zu den meisten Politikbereichen der Europäischen Union eine Gleichstellung der Rolle des Parlaments mit der des Rats angenommen werden kann. Zusätzlich zur Beteiligung an der Rechtsetzung kommen dem Parlament darüber hinaus noch weitreichende Kompetenzen hinsichtlich der Budgetbeschlüsse der Europäischen Union sowie umfassende Kontrollrechte gegenüber der Europäischen Kommission zu.
Im Rechtsetzungsverfahren[6] besteht das wichtigste Mitwirkungsrecht des Parlaments in seiner Beteiligung am sogenannten «ordentlichen Gesetzgebungsverfahren», bei welchem dem Parlament nicht nur ein Vetorecht gegenüber von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Rechtsakten zukommt, sondern auch die Kompetenz, formelle Abänderungsvorschläge zu beschließen.[7] Das ordentliche Gesetzgebungsverfahren ist das nunmehr wichtigste Verfahren in der Rechtsetzung der Europäischen Union und findet in einem Großteil der gemeinschaftlichen Politikbereiche, wie zum Beispiel der Umweltpolitik, Anwendung.[8] Neben dem weiten Anwendungsbereich des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens gibt es jedoch besondere Politikbereiche, für die das Rechtsetzungsverfahren in der jeweiligen Kompetenzgrundlage in den Verträgen explizit geregelt ist; in diesen findet ein «besonderes Gesetzgebungsverfahren» Anwendung.[9] Die jeweiligen vertraglichen Bestimmungen können dabei die Zustimmung des Parlaments zu einer Gesetzesvorlage (Zustimmungsverfahren), oder aber auch nur eine diesbezügliche Anhörung des Parlaments (Anhörungsverfahren) vorsehen, in dem die Stellungnahmen des Parlaments jedoch keine Bindungswirkung entfalten. Darüber hinaus kommt dem Parlament in keinem der beiden Fälle ein formelles Abänderungsrecht zu.[10] Während das Zustimmungsverfahren beispielsweise in Belangen der Unionsbürgerschaft (Artikel 18 AEUV), der Flexibilitätsklausel (Artikel 352 AEUV) oder den mehrjährigen Fi-nanzrahmen (Artikel 312 AEUV) erforderlich ist, kommt das Anhörungsverfahren nur mehr im Rahmen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik zur Anwendung, die mangels supranationalen Charakters weitgehend in den Händen der nationalen Regierungen verbleibt.[11] Obwohl die Außenhandelspolitik einen integralen Bestandteil des Politikbereichs des auswärtigen Handels der Europäischen Union darstellt, fällt diese nicht in den Anwendungsbereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, weswegen diesbezügliche Regelungen kein Anhörungsverfahren bedingen. Vielmehr findet die Außenhandelspolitik der Europäischen Union ihre Rechtsgrundlage in den Bestimmungen zur gemeinsamen Handelspolitik, die im folgenden Absatz kurz erläutert werden sollen.

Die Mitwirkungsrechte des Europäischen Parlaments in der gemeinsamen Handelspolitik

ARTIKEL 207 AEUV

Die Europäische Union ist der größte einheitliche Wirtschaftsraum der Welt. Dabei ist der Wohlstand in Europa stark vom Export europäischer Produkte in Drittstaaten, sowie ebenso von der Verfügbarkeit von Importprodukten für europäische Produzenten und Verbraucher abhängig. Als logische Ergänzung des europäischen Binnenmarktes wurden somit auch die Außenwirtschaftsbeziehungen der Mitgliedsstaaten in den europäischen Integrationsprozess miteinbezogen, wobei ein Gutteil der Maßnahmen zur Regelung und Steuerung des Handels mit Drittstaaten in den Zuständigkeitsbereich der europäischen Institutionen fällt. Dieser in Artikel 206 und 207 AEUV geregelte gemeinschaftliche Politikbereich wird als «gemeinsame Handelspolitik» bezeichnet und begründet Gesetzgebungszuständigkeiten in Hinblick auf autonome Handelsmaßnahmen, wie zum Beispiel durch Zölle, sowie auch in der vertraglichen Handelspolitik mit Drittstaaten.[12]
Seit den Änderungen durch den Reformvertrag von Lissabon fällt die gemeinsame Handelspolitik in den ausschließlichen Zuständigkeitsbereich der Europäischen Union.[13] Da die Mitgliedsstaaten in diesem Bereich daher grundsätzlich nicht mehr tätig werden und daher keine Kontrolle durch nationale Parlamente besteht, bedürfen die von der Europäischen Union gesetzten Maßnahmen einer besonders hohen demokratischen Legitimierung, weswegen Richtlinien und Verordnungen, das heißt Rechtsakte zur autonomen Handelssteuerung, im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlassen werden.[14] Im Sinne der oben gemachten Ausführungen bedeutet dies, dass das Europäische Parlament im diesbezüglichen Entscheidungsprozess das Recht hat, formelle Abänderungsvorschläge einzubringen oder den Rechtsakt gegebenenfalls gänzlich abzulehnen.

Die Mitwirkungsrechte des Europäischen Parlaments in der vertraglichen Handelspolitik

ARTIKEL 207, 218 AEUV

Obwohl die autonome Festlegung (bzw. Abschaffung) von Zöllen oder anderen Handelsmaßnahmen den Freihandel durchaus begünstigt, wird ein Großteil der Außen-wirtschaftspolitik der Europäischen Union durch bi- oder multilaterale völkerrechtlichen Abkommen mit einem oder mehreren Drittstaaten bestimmt. Dieser Bestandteil der gemeinsamen Handelspolitik wird, wie bereits erwähnt, als vertragliche Handelspolitik bezeichnet. Auch das Abkommen zur transatlantischen Handels- und Investitionspartner-schaft TTIP ist als Instrument der vertraglichen Handelspolitik zu klassifizieren. Als Völkerrechtssubjekt[15] kann die Europäische Union internationale Übereinkünfte im eigenen Namen abschließen, wobei ihr im Rahmen der gemeinsamen Handelspolitik auch in dieser Hinsicht eine gegenüber den Mitgliedsstaaten ausschließliche Zuständigkeit zukommt.[16] Aufgrund des speziellen Charakters von Rechtsakten auf Grundlage des Völkerrechts enthalten Artikel 207 und 218 AEUV gesonderte Bestimmungen für das diesbezügliche Rechtsetzungsverfahren, die von den allgemeinen Bestimmungen für die gemeinsame Handelspolitik abweichen. Im Hinblick auf die oben gemachten Ausführungen ist daher im Falle des Abschlusses des transatlantischen Freihandelsabkommens TTIP von der Anwendung des besonderen Gesetzgebungsverfahrens, bzw. Zustimmungsverfahren, auszugehen. Demgemäß muss das Europäische Parlament dem verhandelten Text des völkerrechtlichen Vertrages zustimmen, um diesen in Kraft zu setzen, was im Umkehrschluss bedeutet, dass das Parlament ein Vetorecht gegen den Abschluss des Abkommens hat.[17] Das Recht auf die Einbringung eines formellen Abänderungs-vorschlages ist jedoch im AEUV nicht vorgesehen, was bedeutet, dass das Parlament keinen Einfluss auf den von der Europäischen Kommission verhandelten Vertragstext nehmen kann. Diese fehlende Einflussmöglichkeit wird jedoch teilweise dadurch kompensiert, dass, in Bezug auf Abkommen der vertraglichen Handelspolitik, die Europäische Kommission dem Parlament regelmäßig über den Stand der Verhandlungen Bericht erstatten muss.[18] Das Parlament ist dabei auch berechtigt, eigene Fragen an die Kommission zu richten und Stellungnahmen abzugeben; diese binden die Kommission jedoch nicht.

Schlussfolgerungen in Hinblick auf die demokratische Legitimation von «TTIP»

Die Analyse der primärrechtlichen Bestimmungen zum Erlass von Rechtsakten der Europäischen Union ergibt zweifelsohne, dass dem Europäischen Parlament eine gewichtige Rolle im Rechtsetzungsverfahren zur Außenwirtschaftspolitik zukommt: Während das Parlament Gesetzesvorlagen zu autonome Handelsmaßnahmen blockieren oder in abgeänderter Form erneut einbringen kann, bleibt ihm im Bereich der vertraglichen Handelspolitik immer noch ein absolutes Vetorecht. Das Europäische Parlament hätte daher die Kraft, das Abkommen zur transatlantischen Investitions- und Handelspartnerschaft gänzlich zu blockieren, sollte es nicht seinem politischen Willen entsprechen. Der Präzedenzfall «ACTA» zeigt, dass das Parlament auch durchaus zu einem derartigen Schritt bereit sein könnte. Dennoch kann kritisch angemerkt werden, dass die Mitwirkungsrechte des Parlaments nicht vollständig entfaltet sind: Der AEUV sieht keine Mitwirkung des Parlaments im Hinsicht auf den Beschluss des Verhandlungsmandates vor und erlaubt diesem auch nicht, Änderungsvorschläge zum fertig verhandelten Text einzubringen. Auch wenn die regelmäßige Unterrichtungspflicht diese fehlende Kompetenz teilweise kompensieren kann, in dem beim Bekanntwerden von Missständen politischer Druck auf die Europäische Kommission ausgeübt wird, wäre es in Anbetracht der demokratischen Grundwerte[19], der sich die Europäische Union verpflichtet, vermutlich erstrebenswert, das Parlament aktiver an der inhaltlichen Gestaltung von derart einschneidenden Regelungswerken teilhaben zu lassen.


  • [1] Das Verhandlungsmandat wurde auf Grundlage von Artikel 207 Abs. 3 und Artikel 218 Abs. 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) erlassen. Basierend auf der Ausnahme vom allgemeinen Grundsatz der Offenheit zugunsten des Schutzes strategischer Wirtschaftsinteressen nach Verordnung 1049/EG vom 30.Mai 2001 wurden Inhalt und Umfang des Mandats nicht offiziell bekannt gemacht. Durch ein „Leak“ gelangte das Dokument jedoch im Frühjahr 2014 an die Öffentlichkeit und ist nunmehr auf http://www.ttip-leak.eu einsehbar.
  • [2] Das Europäische Parlament hatte die Aufnahme von Verhandlung und den Erlass eines Verhandlungsmandats jedoch zuvor in einer Entschließung gebilligt. Siehe Entschließung des Europäischen Parlaments zu den Verhandlungen der EU mit den Verei-nigten Staaten von Amerika über ein Handels- und Investitionsabkommen, 15. Mai 2013, 2013/2558 (RSP).
  • [3] Siehe Verordnung 1049/EG vom 30. Mai 2001, Amtsblatt L 145, 31. Mai 2001.
  • [4] Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, Amtsblatt C 326, 26. Oktober 2012. (Im Weiteren: AEUV)
  • [5] Der zwischen der Europäischen Kommission und zwölf anderen Staaten verhandelte Text des Anti-Counterfeiting Trade Agreement wurde am 4. Juli 2012 mit 478 Gegenstimmen im Plenum des Europäischen Parlaments abgelehnt.
  • [6] Siehe: Schoo in Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar3, Nomos, 2012, Art 289 AEUV.
  • [7] Siehe: Vertrag über die Europäische Union, Amtsblatt C326, 26. Oktober 2012, Art 36; (Im Folgenden: EUV).
  • [8] Zur Vertiefung siehe hierzu: Hatje in Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar3, Nomos, 2012, Art 14 EUV.
  • [9] Artikel 289 Abs.1 und Artikel 294 AEUV.
  • [10] Siehe dazu: Kotzur in Geiger/Khan/Kotzur (Hrsg.), EUV/AEUV5, Beck, 2010, Art. 294 AEUV; Weitere Anwendungsbereiche sind unter anderem: Verkehrspolitik, Entwicklungspolitik, ArbeitnehmerInnenschutz, Freizügigkeit und Datenschutz.
  • [11] Siehe Artikel 289 Abs. 2 AEUV.
  • [12] Zur Vertiefung siehe hierzu: Osteneck in Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar3, Nomos, 2012, Art 206 AEUV.
  • [13] Artikel 3 Abs. 1 lit. e AEUV.
  • [14] Artikel 207 Abs. 2 AEUV.
  • [15] Vergleiche: Art 47 EUV.
  • [16] Artikel 216 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit Artikel 3 Abs. 1 lit. e AEUV; Jedoch muss man beachten, dass Handelsabkommen unter Umständen auch Bestimmungen enthalten können, die den Regelungsgegenstand der Handelspolitik überschreiten. Derartige Abkommen werden als «gemischte Abkommen» bezeichnet und müssen auch von den Gesetzgebungsorganen der Mitgliedsstaaten ratifiziert werden. Aus Gründen der Einfachheit wird auf weitere Ausführungen verzichtet.
  • [17] Artikel 218 Abs. 6 AEUV.
  • [18] Artikel 207 Abs. 3 und Abs. 4 AEUV.
  • [19] Siehe Artikel 2 EUV.

Der Text verglichen mit der Originalversion

1 **DIE MITWIRKUNGSRECHTE DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS**
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4 **IN DER AUßENHANDELSPOLITIK DER EU**
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8 ![EP](https://salon-cms.liqd.net/de/salon-bilder/europaeisch
9 er-salon-3/parlament-gross-c-european-1.jpg/@@images/image.j
10 peg)
11 (c) European Parliament
12
13 *von Simon Wendelin Burger.*
14
15 Spätestens seit dem Bekanntwerden von Inhalt und Umfang des
16 vom Rat der Europäischen Union an die Europäische Kommission
17 erlassenen Mandates zur Verhandlung eines
18 Freihandelsabkommens mit den Vereinigten Staaten[1] und der
19 dadurch enthüllten Tragweite der geplanten transatlantischen
20 Handels- und Investi-tionspartnerschaft TTIP werden die Rufe
21 nach mehr Transparenz, einer Demokratisierung des
22 Verhandlungsprozesses und einer stärkeren Einbindung der
23 europäischen Bürgerinnen und Bürger in die inhaltliche
24 Ausgestaltung des Handelsvertrages immer lauter. Besonders
25 häufig werden dabei die fehlenden Einflußnahmemöglichkeiten
26 des einzigen unmittelbar demokratisch gewählten
27 Vertretungskörpers der europäischen Bürgerinnen und Bürger –
28 dem Europäischen Parlament – moniert.
29 Während es zutrifft, dass eine Beteiligung des Europäischen
30 Parlaments am Erlass des Verhandlungsmandats[2] nicht
31 vorgesehen ist, und auch der Zugang zu Dokumenten während
32 des Verhandlungsprozesses eingeschränkt[3] werden kann,
33 kommen dem Europäischen Parlament jedoch durch den seit dem
34 Vertrag von Lissabon neu gefassten Vertrag über die
35 Arbeitsweise der Europäischen Union[4] (AEUV) weitgehende
36 Mitwirkungsrechte bei der Erlassung des Rechtsaktes selbst,
37 das heißt bei der Inkraftsetzung des Freihandelsabkommens,
38 zu. Dass diese Kompetenz von elementarer Bedeutung für den
39 rechtskräftigen Abschluss eines Handelsvertrages ist und die
40 mangelnde Zustimmung des Europäischen Parlaments sogar das
41 Scheitern eines fertig verhandelten Wirtschaftsabkommens zur
42 Folge haben kann, wurde am Beispiel des multilateralen
43 Anti-Produktpiraterie-Abkommens ACTA nachdrücklich
44 bewiesen.[5]
45 Somit kann angenommen werden, dass die Zustimmung des
46 Europäischen Parlaments, und somit der Wille der
47 europäischen Bürgerinnen und Bürger, auch in Fragen der
48 Außenhandelspolitik letztlich ausschlaggebende Bedeutung
49 hat. Im Folgenden sollen daher die Mitwirkungsrechte des
50 Europäischen Parlaments in der Außenhandelspolitik der
51 Europäischen Union kurz skizziert werden.
52
53
54 Allgemeines zu den Mitwirkungsrechten des Europäischen
55 Parlaments
56 ------------------------------------------------------------
57 --------------------------------------
58
59 **ARTIKEL 14 EUV, ARTIKEL 289 – 294 AEUV**
60
61 Die Rechtsetzung der Europäischen Union erfolgt
62 gemeinschaftlich durch zwei Institutio-nen: Dem Europäischen
63 Parlament als direkt gewählte Bürgerkammer und dem Rat der
64 Europäischen Union, der sich aus Vertretern der nationalen
65 Regierungen zusammensetzt, als Staatenkammer. Dabei blieben
66 die Befugnisse des Parlaments im Entscheidungsprozess lange
67 hinter denen des Rats zurück: Bis zum Vertrag von Maastricht
68 von 1992 beschränkte sich die Beteiligung des Parlaments
69 größtenteils auf die Anhörung durch Rat und Kommission
70 einerseits sowie autonome Fragerechte gegenüber diesen
71 Institutionen andererseits, die jedoch jeweils keine
72 Bindungswirkung entfalteten. Durch die darauffolgenden
73 Vertragsänderungen von Amsterdam, Nizza und Lissabon wurde
74 die Stellung des Parlaments weiter sukzessive aufgewertet,
75 sodass mit dem durch den Vertrag von Lissabon geschaffenen
76 AEUV im Gesetzgebungsverfahren zu den meisten
77 Politikbereichen der Europäischen Union eine Gleichstellung
78 der Rolle des Parlaments mit der des Rats angenommen werden
79 kann. Zusätzlich zur Beteiligung an der Rechtsetzung kommen
80 dem Parlament darüber hinaus noch weitreichende Kompetenzen
81 hinsichtlich der Budgetbeschlüsse der Europäischen Union
82 sowie umfassende Kontrollrechte gegenüber der Europäischen
83 Kommission zu.
84 Im Rechtsetzungsverfahren[6] besteht das wichtigste
85 Mitwirkungsrecht des Parlaments in seiner Beteiligung am
86 sogenannten «ordentlichen Gesetzgebungsverfahren», bei
87 welchem dem Parlament nicht nur ein Vetorecht gegenüber von
88 der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Rechtsakten
89 zukommt, sondern auch die Kompetenz, formelle
90 Abänderungsvorschläge zu beschließen.[7]
91 Das ordentliche Gesetzgebungsverfahren ist das nunmehr
92 wichtigste Verfahren in der Rechtsetzung der Europäischen
93 Union und findet in einem Großteil der gemeinschaftlichen
94 Politikbereiche, wie zum Beispiel der Umweltpolitik,
95 Anwendung.[8]
96 Neben dem weiten Anwendungsbereich des ordentlichen
97 Gesetzgebungsverfahrens gibt es jedoch besondere
98 Politikbereiche, für die das Rechtsetzungsverfahren in der
99 jeweiligen Kompetenzgrundlage in den Verträgen explizit
100 geregelt ist; in diesen findet ein «besonderes
101 Gesetzgebungsverfahren» Anwendung.[9] Die jeweiligen
102 vertraglichen Bestimmungen können dabei die Zustimmung des
103 Parlaments zu einer Gesetzesvorlage (Zustimmungsverfahren),
104 oder aber auch nur eine diesbezügliche Anhörung des
105 Parlaments (Anhörungsverfahren) vorsehen, in dem die
106 Stellungnahmen des Parlaments jedoch keine Bindungswirkung
107 entfalten. Darüber hinaus kommt dem Parlament in keinem der
108 beiden Fälle ein formelles Abänderungsrecht zu.[10]
109 Während das Zustimmungsverfahren beispielsweise in Belangen
110 der Unionsbürgerschaft (Artikel 18 AEUV), der
111 Flexibilitätsklausel (Artikel 352 AEUV) oder den
112 mehrjährigen Fi-nanzrahmen (Artikel 312 AEUV) erforderlich
113 ist, kommt das Anhörungsverfahren nur mehr im Rahmen der
114 gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik zur Anwendung, die
115 mangels supranationalen Charakters weitgehend in den Händen
116 der nationalen Regierungen verbleibt.[11]
117 Obwohl die Außenhandelspolitik einen integralen Bestandteil
118 des Politikbereichs des auswärtigen Handels der Europäischen
119 Union darstellt, fällt diese nicht in den Anwendungsbereich
120 der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, weswegen
121 diesbezügliche Regelungen kein Anhörungsverfahren bedingen.
122 Vielmehr findet die Außenhandelspolitik der Europäischen
123 Union ihre Rechtsgrundlage in den Bestimmungen zur
124 gemeinsamen Handelspolitik, die im folgenden Absatz kurz
125 erläutert werden sollen.
126
127
128 Die Mitwirkungsrechte des Europäischen Parlaments in der
129 gemeinsamen Handelspolitik
130 ------------------------------------------------------------
131 ---------------------------------------------------------
132
133 **ARTIKEL 207 AEUV**
134
135 Die Europäische Union ist der größte einheitliche
136 Wirtschaftsraum der Welt. Dabei ist der Wohlstand in Europa
137 stark vom Export europäischer Produkte in Drittstaaten,
138 sowie ebenso von der Verfügbarkeit von Importprodukten für
139 europäische Produzenten und Verbraucher abhängig. Als
140 logische Ergänzung des europäischen Binnenmarktes wurden
141 somit auch die Außenwirtschaftsbeziehungen der
142 Mitgliedsstaaten in den europäischen Integrationsprozess
143 miteinbezogen, wobei ein Gutteil der Maßnahmen zur Regelung
144 und Steuerung des Handels mit Drittstaaten in den
145 Zuständigkeitsbereich der europäischen Institutionen fällt.
146 Dieser in Artikel 206 und 207 AEUV geregelte
147 gemeinschaftliche Politikbereich wird als «gemeinsame
148 Handelspolitik» bezeichnet und begründet
149 Gesetzgebungszuständigkeiten in Hinblick auf autonome
150 Handelsmaßnahmen, wie zum Beispiel durch Zölle, sowie auch
151 in der vertraglichen Handelspolitik mit Drittstaaten.[12]
152 Seit den Änderungen durch den Reformvertrag von Lissabon
153 fällt die gemeinsame Handelspolitik in den ausschließlichen
154 Zuständigkeitsbereich der Europäischen Union.[13] Da die
155 Mitgliedsstaaten in diesem Bereich daher grundsätzlich nicht
156 mehr tätig werden und daher keine Kontrolle durch nationale
157 Parlamente besteht, bedürfen die von der Europäischen Union
158 gesetzten Maßnahmen einer besonders hohen demokratischen
159 Legitimierung, weswegen Richtlinien und Verordnungen, das
160 heißt Rechtsakte zur autonomen Handelssteuerung, im
161 ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlassen werden.[14] Im
162 Sinne der oben gemachten Ausführungen bedeutet dies, dass
163 das Europäische Parlament im diesbezüglichen
164 Entscheidungsprozess das Recht hat, formelle
165 Abänderungsvorschläge einzubringen oder den Rechtsakt
166 gegebenenfalls gänzlich abzulehnen.
167
168 Die Mitwirkungsrechte des Europäischen Parlaments in der
169 vertraglichen Handelspolitik
170 ------------------------------------------------------------
171 ---------------------------------------------------------
172
173 **ARTIKEL 207, 218 AEUV**
174
175 Obwohl die autonome Festlegung (bzw. Abschaffung) von Zöllen
176 oder anderen Handelsmaßnahmen den Freihandel durchaus
177 begünstigt, wird ein Großteil der Außen-wirtschaftspolitik
178 der Europäischen Union durch bi- oder multilaterale
179 völkerrechtlichen Abkommen mit einem oder mehreren
180 Drittstaaten bestimmt. Dieser Bestandteil der gemeinsamen
181 Handelspolitik wird, wie bereits erwähnt, als vertragliche
182 Handelspolitik bezeichnet. Auch das Abkommen zur
183 transatlantischen Handels- und Investitionspartner-schaft
184 TTIP ist als Instrument der vertraglichen Handelspolitik zu
185 klassifizieren.
186 Als Völkerrechtssubjekt[15] kann die Europäische Union
187 internationale Übereinkünfte im eigenen Namen abschließen,
188 wobei ihr im Rahmen der gemeinsamen Handelspolitik auch in
189 dieser Hinsicht eine gegenüber den Mitgliedsstaaten
190 ausschließliche Zuständigkeit zukommt.[16] Aufgrund des
191 speziellen Charakters von Rechtsakten auf Grundlage des
192 Völkerrechts enthalten Artikel 207 und 218 AEUV gesonderte
193 Bestimmungen für das diesbezügliche Rechtsetzungsverfahren,
194 die von den allgemeinen Bestimmungen für die gemeinsame
195 Handelspolitik abweichen. Im Hinblick auf die oben gemachten
196 Ausführungen ist daher im Falle des Abschlusses des
197 transatlantischen Freihandelsabkommens TTIP von der
198 Anwendung des besonderen Gesetzgebungsverfahrens, bzw.
199 Zustimmungsverfahren, auszugehen.
200 Demgemäß muss das Europäische Parlament dem verhandelten
201 Text des völkerrechtlichen Vertrages zustimmen, um diesen in
202 Kraft zu setzen, was im Umkehrschluss bedeutet, dass das
203 Parlament ein Vetorecht gegen den Abschluss des Abkommens
204 hat.[17] Das Recht auf die Einbringung eines formellen
205 Abänderungs-vorschlages ist jedoch im AEUV nicht vorgesehen,
206 was bedeutet, dass das Parlament keinen Einfluss auf den von
207 der Europäischen Kommission verhandelten Vertragstext nehmen
208 kann.
209 Diese fehlende Einflussmöglichkeit wird jedoch teilweise
210 dadurch kompensiert, dass, in Bezug auf Abkommen der
211 vertraglichen Handelspolitik, die Europäische Kommission dem
212 Parlament regelmäßig über den Stand der Verhandlungen
213 Bericht erstatten muss.[18] Das Parlament ist dabei auch
214 berechtigt, eigene Fragen an die Kommission zu richten und
215 Stellungnahmen abzugeben; diese binden die Kommission jedoch
216 nicht.
217
218
219 Schlussfolgerungen in Hinblick auf die demokratische
220 Legitimation von «TTIP»
221 ------------------------------------------------------------
222 ----------------------------------------------
223
224 Die Analyse der primärrechtlichen Bestimmungen zum Erlass
225 von Rechtsakten der Europäischen Union ergibt zweifelsohne,
226 dass dem Europäischen Parlament eine gewichtige Rolle im
227 Rechtsetzungsverfahren zur Außenwirtschaftspolitik zukommt:
228 Während das Parlament Gesetzesvorlagen zu autonome
229 Handelsmaßnahmen blockieren oder in abgeänderter Form erneut
230 einbringen kann, bleibt ihm im Bereich der vertraglichen
231 Handelspolitik immer noch ein absolutes Vetorecht. Das
232 Europäische Parlament hätte daher die Kraft, das Abkommen
233 zur transatlantischen Investitions- und Handelspartnerschaft
234 gänzlich zu blockieren, sollte es nicht seinem politischen
235 Willen entsprechen. Der Präzedenzfall «ACTA» zeigt, dass das
236 Parlament auch durchaus zu einem derartigen Schritt bereit
237 sein könnte.
238 Dennoch kann kritisch angemerkt werden, dass die
239 Mitwirkungsrechte des Parlaments nicht vollständig entfaltet
240 sind: Der AEUV sieht keine Mitwirkung des Parlaments im
241 Hinsicht auf den Beschluss des Verhandlungsmandates vor und
242 erlaubt diesem auch nicht, Änderungsvorschläge zum fertig
243 verhandelten Text einzubringen. Auch wenn die regelmäßige
244 Unterrichtungspflicht diese fehlende Kompetenz teilweise
245 kompensieren kann, in dem beim Bekanntwerden von Missständen
246 politischer Druck auf die Europäische Kommission ausgeübt
247 wird, wäre es in Anbetracht der demokratischen
248 Grundwerte[19], der sich die Europäische Union verpflichtet,
249 vermutlich erstrebenswert, das Parlament aktiver an der
250 inhaltlichen Gestaltung von derart einschneidenden
251 Regelungswerken teilhaben zu lassen.
252
253 -------------------------------------------------------
254 * [1] Das Verhandlungsmandat wurde auf Grundlage von Artikel
255 207 Abs. 3 und Artikel 218 Abs. 2 des Vertrages über die
256 Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) erlassen.
257 Basierend auf der Ausnahme vom allgemeinen Grundsatz der
258 Offenheit zugunsten des Schutzes strategischer
259 Wirtschaftsinteressen nach Verordnung 1049/EG vom 30.Mai
260 2001 wurden Inhalt und Umfang des Mandats nicht offiziell
261 bekannt gemacht. Durch ein „Leak“ gelangte das Dokument
262 jedoch im Frühjahr 2014 an die Öffentlichkeit und ist
263 nunmehr auf http://www.ttip-leak.eu einsehbar.
264 * [2] Das Europäische Parlament hatte die Aufnahme von
265 Verhandlung und den Erlass eines Verhandlungsmandats jedoch
266 zuvor in einer Entschließung gebilligt. Siehe Entschließung
267 des Europäischen Parlaments zu den Verhandlungen der EU mit
268 den Verei-nigten Staaten von Amerika über ein Handels- und
269 Investitionsabkommen, 15. Mai 2013, 2013/2558 (RSP).
270 * [3] Siehe Verordnung 1049/EG vom 30. Mai 2001, Amtsblatt L
271 145, 31. Mai 2001.
272 * [4] Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union,
273 Amtsblatt C 326, 26. Oktober 2012. (Im Weiteren: AEUV)
274 * [5] Der zwischen der Europäischen Kommission und zwölf
275 anderen Staaten verhandelte Text des Anti-Counterfeiting
276 Trade Agreement wurde am 4. Juli 2012 mit 478 Gegenstimmen
277 im Plenum des Europäischen Parlaments abgelehnt.
278 * [6] Siehe: Schoo in Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar3,
279 Nomos, 2012, Art 289 AEUV.
280 * [7] Siehe: Vertrag über die Europäische Union, Amtsblatt
281 C326, 26. Oktober 2012, Art 36; (Im Folgenden: EUV).
282 * [8] Zur Vertiefung siehe hierzu: Hatje in Schwarze
283 (Hrsg.), EU-Kommentar3, Nomos, 2012, Art 14 EUV.
284 * [9] Artikel 289 Abs.1 und Artikel 294 AEUV.
285 * [10] Siehe dazu: Kotzur in Geiger/Khan/Kotzur (Hrsg.),
286 EUV/AEUV5, Beck, 2010, Art. 294 AEUV; Weitere
287 Anwendungsbereiche sind unter anderem: Verkehrspolitik,
288 Entwicklungspolitik, ArbeitnehmerInnenschutz, Freizügigkeit
289 und Datenschutz.
290 * [11] Siehe Artikel 289 Abs. 2 AEUV.
291 * [12] Zur Vertiefung siehe hierzu: Osteneck in Schwarze
292 (Hrsg.), EU-Kommentar3, Nomos, 2012, Art 206 AEUV.
293 * [13] Artikel 3 Abs. 1 lit. e AEUV.
294 * [14] Artikel 207 Abs. 2 AEUV.
295 * [15] Vergleiche: Art 47 EUV.
296 * [16] Artikel 216 Abs. 1 AEUV in Verbindung mit Artikel 3
297 Abs. 1 lit. e AEUV; Jedoch muss man beachten, dass
298 Handelsabkommen unter Umständen auch Bestimmungen enthalten
299 können, die den Regelungsgegenstand der Handelspolitik
300 überschreiten. Derartige Abkommen werden als «gemischte
301 Abkommen» bezeichnet und müssen auch von den
302 Gesetzgebungsorganen der Mitgliedsstaaten ratifiziert
303 werden. Aus Gründen der Einfachheit wird auf weitere
304 Ausführungen verzichtet.
305 * [17] Artikel 218 Abs. 6 AEUV.
306 * [18] Artikel 207 Abs. 3 und Abs. 4 AEUV.
307 * [19] Siehe Artikel 2 EUV.

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