Armutswanderung in der EU

Ein Zuwanderer aus Rumänien vor seiner notdürftig eingerichteten Unterkunft in Frankfurt am Main.Ein Zuwanderer aus Rumänien vor seiner notdürftig eingerichteten Unterkunft in Frankfurt am Main. ©picture alliance/dpa

Seit dem Jahreswechsel dürfen auch Bulgaren und Rumänen ungehindert in Deutschland arbeiten. Wie alle anderen EU-Bürger erhalten sie das Recht auf volle Arbeitnehmerfreizügigkeit. Vor diesem Hintergrund fordert die CSU ein stärkeres Vorgehen gegen Armutszuwanderung und Sozialbetrug. Zur Debatte stehen neben der Wortwahl die Rechtslage und die Zuständigkeiten. Auch die Schweiz hadert mit der Zuwanderung. Von Alexander Wragge

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Was will die CSU?

Die CSU wendet sich gegen die „Zuwanderung in unsere sozialen Sicherungssysteme“. Der fortgesetzte Missbrauch der europäischen Freizügigkeit durch Armutszuwanderung bringe Kommunen an die Grenzen ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit, heißt es in einer Beschlussvorlage, die die CSU-Bundestagsabgeordneten auf ihrer Klausurtagung (8. Januar 2014) einstimmig angenommen haben. Für Zuwanderer, die Sozialleistungen „erschleichen“, müsse gelten: „Wer betrügt, der fliegt.“

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Konkret schlägt die CSU vor, Zuwanderern aus EU-Ländern in den ersten drei Monaten ihres Aufenthaltes generell keine Sozialleistungen zu gewähren. Außerdem will man die Kommunen dabei unterstützen, Scheinselbständigkeit und Schwarzarbeit zu bekämpfen. Gesetzesverstöße sollen schärfer geahndet werden: „Wenn beispielsweise Dokumente gefälscht wurden oder Sozialleistungsbetrug nachgewiesen wurde, muss es eine Möglichkeit geben, die betroffenen Personen nicht nur auszuweisen, sondern auch an der Wiedereinreise zu hindern.“


CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer erläutert, man sei nicht gegen die Zuwanderung gut Ausgebildeter und Qualifizierter. „Aber wir wollen und können die sozialen Probleme anderer EU-Staaten über das deutsche Sozialsystem nicht lösen.“ Deshalb müssten national und europarechtlich klare Regeln geschaffen werden, die Schutz vor Missbrauch und Ungerechtigkeit garantieren. „Es ist ein fatales Verhalten, dass Brüssel vor diesem Problem die Augen verschließt und die Möglichkeiten nationaler Maßnahmen gegen Armutsmigration einschränkt.“ Konkrete Einschränkungen seitens der EU nennt Scheuer allerdings nicht.

Ein Beispiel, welche Art von Missbrauch gemeint ist, gibt CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt: „Wenn EU-Bürger hier eine Selbstständigkeit anmelden, daraus aber ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten können, haben sie Anspruch auf Aufstockung über Harz IV, auf Kindergeld und Krankenversicherung für ihre Familienangehörigen. Das gilt bereits nach wenigen Tagen. Selbst wenn es nur ein Scheinarbeitsverhältnis war, das später aufgelöst wird, können sie Ansprüche geltend machen.“ Zwar räumt Hasselfeld ein, dass deutsche Behörden Zuwanderer aus der EU schon jetzt ausweisen können, wenn sie Dokumente fälschen. Allerdings könnten die betreffenden Personen auch wieder einreisen. Deshalb wolle man die Möglichkeit eröffnen, sie an der Wiedereinreise zu hindern, so Hasselfeld im Interview mit dem Deutschlandfunk. [weniger anzeigen]


Wie reagieren die anderen Parteien auf den CSU-Vorstoß?

Populismus, Panikmache, dumme Parolen: die Beschlussvorlage der CSU trifft auf harte Kritik - auch beim Koalitionspartner SPD. Speziell der Tonfall steht zur Debatte.

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Die Grünen werfen der CSU in der aktuellen Zuwanderungsdebatte Populismus vor. „Die allermeisten Bulgaren und Rumänen, die schon in Deutschland leben und arbeiten, stärken unsere Sozialsysteme und unsere Wirtschaft“, so die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt. Die CSU schüre unnötig Ängste und sei auf Stimmenfang am rechten Rand.


Auch die Linkspartei attackiert die CSU scharf. Linksparteichef Bernd Riexinger twitterte: „Der Slogan 'Wer betrügt, der fliegt' könnte auch aus der NPD kommen. Das ist üble Hetze, mit der die CSU braune Banden zu Gewalt ermutigt.“

Auch die SPD reagierte zunächst empört auf das CSU-Papier. Wer die Arbeitnehmer-Freizügigkeit infrage stelle, „schadet Europa und schadet Deutschland“, sagte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Sie sei ein unverzichtbarer Teil der europäischen Integration. Staatsminister Michael Roth (SPD) wählte noch schärfere Worte. „Wer mit solchen dummen Parolen meint Stimmung machen zu müssen, herrscht weder über dem bayerischen Stammtisch, noch regiert er professionell in Berlin.“

SPD-Vorstandsmitglied Ralf Stegner vermutet einen Zusammenhang mit den anstehenden Wahlen. „Es ist eine Sache, Probleme zu lösen und beispielsweise die besonders von Zuzug betroffenen Kommunen zu unterstützen. Es ist etwas völlig anderes, mit Hetzparolen Ängste zu schüren, um bei bayerischen Kommunalwahlen oder den Europawahlen vermeintlich Wähler davon abzuhalten, AfD oder NPD die Stimme zu geben.“

Auch aus der CDU kommen kritische Stimmen. Der nordrhein-westfälische CDU-Chef Armin Laschet sieht eine übertriebene Angst vor Armutszuwanderung, die nichts mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit zu tun habe. „Ich würde diese Wortwahl nicht wählen“, sagte er dem Deutschlandfunk. Ähnlich aufgeregte Debatten habe es 2004 gegeben, als es um Zuwanderung aus Polen, Ungarn und Tschechien ging. Damals sei nur ein Bruchteil der Menschen gekommen, die man erwartet habe. Unterstützung für die CSU-Forderungen signalisierte dagegen Hessen Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU). Zuwanderer müssten sich bemühen, ihren Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln zu bestreiten.

CSU-Chef Horst Seehofer wies die Kritik zurück. „Ich finde es unglaublich, uns zu unterstellen, wir würden ein rechtes Süppchen kochen.“ Gerda Hasselfeldt sagte, oftmals bekomme ein Problem erst dann die notwendige Aufmerksamkeit, wenn es auch klar formuliert sei - und „das haben wir getan“. [weniger anzeigen]


Was ist der aktuelle Stand?

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Sigmar Gabriel wollen den Streit um die Zuwanderungspolitik entschärfen. Ein Ausschuss aus Staatssekretären soll sich mit Missbrauch von Sozialleistungen durch Zuwanderer aus Osteuropa befassen.

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Beteiligt sind das SPD-geführte Außenministerium, das SPD-geführte Arbeitsministerium und das CDU-geführte Innenministerium. Ein Abschlussbericht soll bis Juni 2014 vorliegen. Die CSU begrüßt diesen Schritt. „Dass jetzt in der Bundesregierung ein Staatssekretärsausschuss eingesetzt werden soll, zeigt doch, dass das Thema nicht aus der Luft gegriffen ist", sagte CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeld.


Kritik am Vorgehen kommt dagegen von der Linkspartei. Sevim Dagdelen, migrationspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, erklärte, der geplante Staatssekretärsausschuss bahne den Weg “für eine Institutionalisierung rassistischer Hetze in Deutschland“.

Die EU-Kommission hat mit einem Leitfaden auf die deutsche Zuwanderungsdebatte reagiert. Er soll den nationalen Sozialbehörden helfen, den Missbrauch von Sozialleistungen durch Zuwanderer zu verhindern. [weniger anzeigen]


Was steht im Koalitionsvertrag?

CSU-Chef Horst Seehofer wehrt sich speziell gegen Vorwürfe der SPD. Die Forderungen der CSU entsprächen den Vereinbarungen der Großen Koalition, die Position der SPD sei „Heuchelei“. „Ich finde es erschreckend, wie groß die Unkenntnis von SPD-Mitgliedern der Bundesregierung über die von ihnen gefassten Beschlüsse ist“, so Seehofer. Tatsächlich ähnelt die entsprechende Passage im Koalitionsvertrag dem CSU-Papier.

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Auf Seite 108 des Koalitionsvertrages heißt es: „Wir wollen im nationalen Recht (...) durch Änderungen erreichen, dass Anreize für Migration in die sozialen Sicherungssysteme verringert werden.“ Notwendig seien hierfür: ein konsequenter Verwaltungsvollzug, die Bekämpfung von Scheinselbständigkeit und Schwarzarbeit, eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen Zoll und Behörden vor Ort, ein besserer behördlicher Datenaustausch, sowie die Ermöglichung von befristeten Wiedereinreisesperren.“


Nicht im Koalitionsvertrag steht die CSU-Idee, Neuzuwanderern aus der EU in den ersten drei Monaten generell Sozialleistungen vorzuenthalten. Auch wird keine Änderung des EU-Rechts angeregt. Die Maßnahmen sollen sich im Rahmen der europarechtlichen Vorgaben bewegen. [weniger anzeigen]


Um welche Armutszuwanderung geht es?

Die Zahlen zur Beschäftigung und zum Leistungsbezug rechtfertigen es gegenwärtig nicht, die Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien pauschal als „Armutszuwanderung“ zu qualifizieren, meint das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB ), das Ende 2013 im Auftrag der Arbeitsagenturen einen Bericht zum Thema erstellt hat. Allerdings hält das IAB einen deutlichen Anstieg der Sozialleistungen für Rumänen und Bulgaren für möglich.

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Derzeit leben in Deutschland rund 262.000 Rumänen und etwa 144.000 Bulgaren. Bei Menschen aus beiden Ländern liegt die Arbeitslosenquote mit etwa 7,4 Prozent leicht unter dem Durchschnitt der Gesamtbevölkerung (7,7 Prozent). Der Anteil der SGB-II-Leistungsempfänger ('Hartz IV') ist mit 10 Prozent etwas größer als im Bevölkerungsdurchschnitt (7,5 Prozent). Allerdings liegt er deutlich niedriger als im Durchschnitt der ausländischen Bevölkerung (16,2 Prozent).


Bei Zuwanderern aus Bulgaren und Rumänen war der Anteil der Kindergeldempfänger Mitte 2013 mit 8,8 Prozent geringer als im Bevölkerungsdurchschnitt (10,8 Prozent). Rund 2.000 Selbständige aus Bulgarien und Rumänien beziehen als Aufstocker Leistungen nach dem SGB II ('Hartz IV'). Das IAB kommt zu dem Schluss: „Zwar ist der Anteil an den SGB-II-Beziehern höher als im Bevölkerungsdurchschnitt, die Gesamtzahl ist jedoch zu niedrig, als dass ein umfassender Leistungsmissbrauch wahrscheinlich ist.“

Schwer abzuschätzen ist der künftige Zuzug. Das IAB rechnet 2014 mit einer verstärkten Nettozuwanderung aus Bulgarien und Rumänien von 100.000 bis 180.000 Menschen. Zum Vergleich: 2013 waren es gut 70.000 Personen. Der Migrationsforscher Klaus F. Zimmermann vom Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) schätzt, dass ab 2014 als Folge der neuen Arbeitnehmerfreizügigkeit insgesamt maximal bis zu 200.000 Bürger aus Rumänien und Bulgarien zusätzlich nach Deutschland kommen.

Durch die Zunahme der Bevölkerung werde die absolute Zahl der SGB-II-Leistungsbezieher auf jeden Fall steigen, so das IAB. Je nach Zuzug und Integration in den Arbeitsmarkt rechnet das Institut mit 50.000 bis 93.000 neuen Leistungsbeziehern. Das IAB sieht zumindest die Gefahr, dass mit zunehmender Aufenthaltsdauer der Anteil der Leistungsbezieher auf ein Niveau ähnlich wie im Durchschnitt der ausländischen Bevölkerung steigt, also auf rund 16 Prozent. IZA-Direktor Zimmermann warnt allerdings vor übertriebenen Ängsten: "Von einer massenhaften Zuwanderung aus Armut in die deutschen Sozialsysteme kann nicht die Rede sein, dies ist eine unverantwortliche Stimmungsmache.“ Die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit für Rumänen und Bulgaren biete gute Chancen für den deutschen Arbeitsmarkt.

Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln zeigen: knapp 25 Prozent der erwachsenen Zuwanderer aus diesen Bulgarien und Rumänien haben akademischen Abschluss. In der hiesigen Gesamtbevölkerung sind es nur 19 Prozent. [weniger anzeigen]


Welche Rolle spielen „Brennpunkte“ in Städten und Kommunen?

In der Debatte um Armutszuwanderung werden oft soziale „Brennpunkte“ genannt - etwa Berlin, Mannheim, Duisburg, und Dortmund. Tatsächlich fühlen sich manche Städte und Kommunen mit der Zuwanderung überfordert.

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Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) sieht vor allem in bestimmten Großstädten und Bezirken Probleme, wenn es um die Integration von Zuwanderern aus Rumänien und Bulgarien geht. Das zeigt sich etwa bei der Arbeitslosigkeit. So lag die Arbeitslosenquote der Bulgaren und Rumänen in Duisburg Mitte 2013 bei 33,4 Prozent. - als weit höher als im Bundesdurchschnitt (7,4 Prozent). Eine überdurchschnittliche hohe Arbeitslosigkeit der Rumänen und Bulgaren weisen auch Berlin (25,3) und Dortmund (21,2 Prozent) aus. Allerdings muss das nicht unbedingt bedeuten, dass Rumänen in den Städten mehr Sozialleistungen beziehen. Nur in Berlin und Köln liegt der Anteil der rumänischen und bulgarischen Hartz-IV-Empänger erheblich über dem Bundesdurchschnitt von rund 10 Prozent. In Berlin waren es Ende 2012 rund 20, in Köln etwa 15 Prozent.


Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, hält im Zuge der Arbeitnehmerfreizügigkeit für Rumänen und Bulgaren mit einem stäkeren Zuzug ärmerer Menschen für möglich: „Es ist nicht auszuschließen, dass mit diesen Personen auch eine Vielzahl von Personen kommen, die wir unter die sogenannte Armutseinwanderung fassen.“ Die Folgen dürften nicht allein Sache der Kommunen sein, sagte Landsberg im WDR5. Er glaube nicht, „dass die Kommunen in der Lage sind, die Armutszuwanderung in Europa zu lösen“.

Die CSU beruft sich bei ihrem Vorstoß auch auf ein Positionspapier (Januar 2013) des Deutschen Städtetages. Darin wird vor den Folgen der Armutszuwanderung aus Bulgarien und Rumänien gewarnt. Zuwanderer aus diesen Ländern lebten oft in überfüllten Wohnungen oder in heruntergekommenen Immobilien, teilweise in provisorischen Unterkünften. Als weitere Probleme nennt der Städtetag Scheinselbstständigkeit, Prostitution und die Aktivitäten von Schlepperbanden.

Sorgen bereiten dem Städtetag allerdings nicht unbedingt die klassischen Sozialleistungen, sondern anderweitige Kosten. „Den Kommunen entstehen durch (..) Armutsmigration erhebliche Kosten z.B. für die Schaffung von Notunterkünften, medizinische Grundversorgung oder sozial flankierende Leistungen und der Bereitstellung von Beratungsangeboten“, heißt es in dem Papier. Der Städtetag fordert Bund, Länder und die europäische Ebene auf, die Städte in Deutschland nicht mit den Problemen alleine zu lassen. „Die Stadtgesellschaft ist mit Umfang und vielfältigen Folgen dieser Armutswanderung überfordert“, so das Fazit des Positionspapiers. Das Gefährdungspotential für den sozialen Frieden in den Quartieren sei enorm.

Im Koalitionsvertrag heißt es hierzu: „Wir erkennen die Belastung der Kommunen bei der Bewältigung ihrer Aufgaben an. Besonders von Armutsmigration betroffene Kommunen sollen zeitnah die Möglichkeit erhalten, bestehende bzw. weiterzuentwickelnde Förderprogramme des Bundes (z. B. Soziale Stadt) stärker als bisher zu nutzen.“

Trotz der Probleme kritisiert der Präsident des Deutschen Städtetags, Ulrich Maly (SPD), wie die aktuelle Debatte geführt wird. So werde „der fatale Eindruck erweckt, dass alle Bulgaren und Rumänen, die jetzt zu uns kommen, Armutszuwanderer sind und viele von ihnen auch Sozialbetrüger“, sagte Maly der "Passauer Neuen Presse". „Wir haben es nicht mit einer flächendeckenden Herausforderung zu tun. Die Schwierigkeiten konzentrieren sich auf etwa ein Dutzend große Städte." [weniger anzeigen]


Inwiefern geht es um die Zuwanderung von Roma?

In der Debatte um Armutszuwanderung wird oft allgemein von Bulgaren und Rumänen gesprochen. Fotos und Beispiele in der Presse verweisen allerdings oft auf die spezielle Situation von Roma, die aus beiden Ländern nach Deutschland kommen. Eine differenzierte Betrachtung fällt angesichts fehlender Daten schwer.

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Von den rund 6 Millionen Roma in der EU leben schätzungsweise 120.000 in Deutschland. Davon haben 70.000 die deutsche Staatsangehörigkeit. Über ihre aktuelle Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien gibt es allerdings keine gesonderten Statistiken. Bei der Datenerhebung wird nicht nach der ethnischen Herkunft gefragt. Die Debatte zur Armutszuwanderung von Roma wird daher oftmals anhand von Einzelfällen geführt – etwa über die sogenannten „Problemhäuser“ in Dusiburg. Einen Überblick über die Situation der Roma liefern unter anderem das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung, die Bundeszentrale für politische Bildung und die EU-Kommission.


Auch der Deutsche Städtetag nennt in seinem Positionspapier zur Armutszuwanderung zunächst die ethnische Gruppe der Roma. Sie seien in Rumänien und Bulgarien besonders von beträchtlichen Defiziten in den Bereichen Bildung und Arbeit, Gesundheit und Wohnen, Menschenrechte und Minderheitenschutz betroffen. Allerdings macht der Städtetag nicht deutlich, ob er ausschließlich Roma meint, wenn er anschließend Probleme mit der Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien skizziert.

Die EU-Staaten haben sich bereits 2011 auf Strategie zur Integration der Roma verständigt, und hierfür Finanzmittel bewilligt. Die Länder haben sich verpflichtet, nationale Strategien vorzulegen, etwa zur verbesserten Integration auf dem Arbeitsmarkt. Allerdings zeigt sich die EU-Kommission im jüngsten Fortschrittsbericht (Juni 2013) unzufrieden mit den bisherigen Maßnahmen. [weniger anzeigen]


Was bedeutet Arbeitnehmerfreizügigkeit?

Hintergrund der aktuellen Zuwanderungsdebatte ist die sogenannte Arbeitnehmerfreizügigkeit, die seit dem Jahreswechsel auch für Bulgaren und Rumänen gilt. Seit den 1960er Jahren haben EU-Bürger das Recht, in einem anderen Mitgliedstaat zu leben und zu arbeiten.

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Die sogenannte Arbeitnehmerfreizügigkeit gehört zur europäischen Grundfreiheit der Personenfreizügigkeit und ist für alle EU-Staaten verbindlich. Erstmals wurde sie 1957 in den europäischen Verträgen verankert, später auch im Lissabon-Vertrag und der europäischen Grundrechte-Charta. Die Details regelt die sogenannte Freizügigkeitsrichtlinie von 2004.


Seit dem 1. Januar 2014 dürfen auch Bulgaren und Rumänen wie alle anderen EU-Bürger frei wählen, wo in der EU sie leben und arbeiten wollen. 2011 sind bereits die letzten Hürden für Esten, Letten, Litauer, Polen, Slowaken, Slowenen, Tschechen und Ungarn gefallen.

Konkret bedeutet die volle Freizügigkeit: Bulgaren und Rumänen benötigen vorab keine Genehmigung deutscher Behörden mehr, wenn sie hierzulande eine Arbeit suchen und aufnehmen – egal ob selbstständig oder angestellt. Ihre Qualifikation, sowie die Art und Dauer der Beschäftigung spielen keine Rolle. Es gelten die deutschen Arbeitsbestimmungen – etwa zu Lohn und Gehalt, Urlaub, Arbeitszeit und Arbeitsschutz. Die Mobilität der Arbeitnehmer liegt im Sinne des europäischen Gesetzgebers. Auf dem europäischen Arbeitsmarkt sollen Angebot und Nachfrage möglichst ungehindert zusammenfinden.

Auch wer nicht sofort eine Arbeit findet, darf mindestens 3 Monate bleiben. Die Frist verlängert sich für diejenigen auf 6 Monate oder länger, die sich arbeitssuchend melden und eine „begründete Aussicht" auf Arbeit haben. Auch wer in den ersten drei Monaten und darüber hinaus keine Arbeit findet, darf bleiben, solange er krankenversichert ist und für sich und Familie finanziell aufkommen kann. Wer fünf Jahre ununterbrochen in einem anderen EU-Land lebt, erwirbt dort schließlich das Recht auf Daueraufenthalt – für sich und seine Familie. [weniger anzeigen]


Sozialleistungen für Zuwanderer: Was sagt das EU-Recht?

Das europäische als auch das deutsche Recht regeln die Frage, welche Ansprüche Menschen aus anderen EU-Ländern auf deutsche Sozialleistungen haben. Die Freizügigkeitsrichtlinie sieht zahlreiche Schutzmechanismen für die nationalen Sozialsysteme vor.

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So sind die Aufnahmeländer in den ersten drei Monate des Aufenthalts ausdrücklich nicht verpflichtet, Zuwanderern aus der EU Sozialleistungen zu gewähren. Danach haben laut Freizügigkeitsrichtlinie prinzipiell nur die Zuwanderer Ansprüche auf Sozialleistungen, die im Aufnahmeland arbeiten. Die nationalen Behörden behalten allerdings in den ersten fünf Jahren das Recht, auch denjenigen das Aufenthaltsrecht wieder zu entziehen, die schon gearbeitet haben, wenn sie aufgrund des Sozialhilfe-Antrags zu einer „unverhältnismäßigen Belastung“ geworden sind. Nur wer nach fünf Jahren das Recht auf Daueraufenthalt erhalten hat, hat unabhängig von seiner finanziellen Lage und der Beschäftigung auch Anspruch auf Sozialleistungen des Aufnahmelandes


Ausweisen dürfen die Aufnahmeländer laut EU-Kommission auch Menschen, die erwiesenermaßen Sozialbetrug begehen, etwa indem sie Dokumente fälschen oder Scheinehen schließen. Auch dürfen sie laut EU-Kommission den betreffenden Personen die Wiedereinreise zeitweise verbieten. Voraussetzung ist allerdings, dass die betroffenen Personen als „Gefahr für die öffentliche Ordnung“ eingestuft werden. In der deutschen Praxis ist vor allem bei schweren Straftaten der Fall. [weniger anzeigen]


Sozialleistungen für Zuwanderer: Wie ist die Rechtslage und Praxis in Deutschland?

Beim klassischen Arbeitslosengeld setzt Deutschland Zuwanderern aus der EU die gleichen Hürden wie deutschen Staatsbürgern. Allerdings streiten die Gerichte, die EU-Kommission und die CSU, ob die deutschen Behörden erwerbslosen Zuwanderern Hartz IV-Zahlungen grundsätzlich verweigern dürfen. Auch das Kindergeld steht zur Debatte.

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Nach deutschem Recht setzt der Bezug des klassischen Arbeitslosengelds einen längeren Aufenthalt voraus. So wie ihre deutschen Kollegen erhalten Erwerbstätige aus anderen EU-Staaten Arbeitslosengeld I nur dann, wenn sie mindestens ein Jahr gearbeitet und in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben. Das reguläre Arbeitslosengeld II und die Grundsicherung ('Hartz IV') dürfen deutsche Behörden in den ersten drei Monaten gemäß Sozialgesetzbuch generell nicht an Zuwanderer aus der EU zahlen. Ein Recht darauf erwerben diese erst, wenn sie länger als sechs Monate in Deutschland sozialversicherungspflichtig angestellt waren und unverschuldet ihre Arbeit verlieren. Allerdings können Zuwanderer aus der EU 'aufstockendes' Arbeitslosengeld II sofort beziehen, wenn sie als Selbstständige arbeiten.


Streit um Hartz IV für erwerbslose Zuwanderer

Rechtlich umstritten ist bis heute die Frage, ob deutsche Behörden Zuwanderern Hartz-IV-Leistungen auf Grundlage der Freizügigkeitsrichtlinie automatisch verweigern dürfen, die zuvor nicht gearbeitet haben. Sozialgerichte haben diese Frage unterschiedlich beantwortet. Manche sehen in der Leistungsverweigerung einen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot der EU. Inzwischen ist der Europäische Gerichtshof (EugH) in der komplexen Rechtsfrage eingeschaltet.

Die EU-Kommission hält die deutsche Gesetzgebung insofern für problematisch, als sie einen automatischen Leistungssauschluss für nicht erwerbstätige Zuwanderer aus der EU vorsieht. Der bisherigen Rechtssprechung des EuGH zufolge sei aber eine Einzelfallprüfung notwendig. "Die zuständigen nationalen Behörden müssen die individuelle Situation des Antragsstellers berücksichtigen", heißt es in einer Erklärung. Die Bundesregierung will dagegen aufwendige Einzelfallprüfungen vermeiden.

Je nachdem wie der EuGH urteilt, könnte der deutsche Gesetzgeber tätig werden. Im Koalitionsvertrag von Union und SPD heißt es zur bestehenden Rechtsunsicherheit: „Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sollen Anspruchsvoraussetzungen und Leistungsausschlüsse in der Grundsicherung für Arbeitsuchende präzisiert werden.“

CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer kritisiert die Einschätzung der Kommission zum laufenden Rechtsstreit als "eurokratischen Wahnsinn". "Die nationalen sozialen Sicherungssysteme sind kein Selbstbedienungsladen für alle Europäer, die zu uns kommen", so Scheuer. "Es ist für mich schockierend, wie die EU-Kommission leichtfertig die nationalen Sicherungssysteme damit torpediert."

Streitpunkt Kindergeld

Kindergeld gewähren die deutschen Behörden, sobald die Eltern in Deutschland wohnen oder arbeiten. Ob die Kinder sich in Deutschland aufhalten oder nicht, spielt hierfür keine Rolle. Die Arbeitsgemeinschaft von Bund und Ländern zur „Armutswanderung aus Osteuropa“ sieht darin mögliche Folgen für die Neuzuwanderung aus Bulgarien und Rumänien. „Die Höhe des Kindergelds (derzeit jeweils EUR 184,00 für die ersten beiden, EUR 190,00 für das dritte und EUR 215,00 für jedes weitere Kind) im Vergleich zu den sehr niedrigen Durch­schnittseinkommen in den Herkunftsländern setzt einen Anreiz zur Einreise nach Deutschland“, heißt es im Abschlussbericht der Arbeitsgruppe (Oktober 2013, ab Seite 140).

Die Arbeitskommission schlug vor, dass Kindergeld künftig an Bedingungen zu knüpfen – auch um keinen Fehlanreiz für die Zuwanderung zu setzen. So könne die Zahlung an den Schulbesuch oder den Aufenthalt des Kindes in Deutschland gekoppelt werden. Das SPD-geführte Bundesfamilienministerium lehnte diesen Vorschlag allerdings ab. „Eine Koppelung des Kindergelds an den Schulbesuch ist aus verfassungs- und europarechtlichen Gründen nicht möglich“, erklärte ein Sprecher. [weniger anzeigen]


Was sagt die EU-Kommission?

Die EU-Kommission hält Ängste vor Armutswanderung für übertrieben. Eine Änderung des EU-Rechts sei nicht notwendig, erklärt Arbeitskommissar Laslso Andor. Deutsche Städte und Kommunen könnten EU-Mittel nutzen, um soziale Probleme zu bewältigen, die mit dem Zuzug von EU-Bürgern entstehen.

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EU-Arbeitskommissar Laszlo Andor rechnet damit, dass sich die Debatte um Zuwanderung aus Südosteuropa wieder beruhigt. Die Bürger würden feststellen, „dass es keinen Zustrom rumänischer und bulgarischer Wander-Arbeitskräfte in europäische Mitgliedsstaaten gibt, die neuerdings ihren Arbeitsmarkt für Bürger dieser beiden Länder geöffnet haben“, sagte Andor in Brüssel. Von einer Änderung des EU-Rechts hält der Arbeitskommissar nichts. Dieses beinhalte bereits eine Reihe von Schutzklauseln gegen den Missbrauch der Freizügigkeit.


Auch mit Blick auf die Unsicherheit deutscher Richter, welche Sozialleistungen Zuwanderern aus der EU zustehen, sieht die Kommission keinen europäischen Handlungsbedarf. „Deutsche Urteile, die EU-Ausländern ohne Aufenthaltsrecht Ansprüche auf Hartz IV etc. geben, basieren allein auf deutschem Recht“, heißt es in einem Hintergrund-Text zur deutschen Debatte. „Solche Fälle könnten durch die nationalen Behörden verhindert werden durch eine klare Anwendung der Regeln der Freizügigkeitsrichtlinie, die Ausweisung und Wiedereinreisesperren im Fall von Missbrauch des Freizügigkeitsrechts vorsehen.“

Prinzipiell sieht die Kommission keine Anzeichen für einen europaweiten Sozialtourismus. „EU-Bürger aus anderen Mitgliedstaaten nehmen Leistungen der sozialen Sicherheit nicht stärker in Anspruch als die Staatsangehörigen des Aufnahmelandes“, erklärt die Brüsseler Behörde. Sie beruft sich dabei auf eine aktuelle Studie (Oktober 2013), die sie zur Migration innerhalb der EU in Auftrag gegeben hat. Auch bestehe kein statistischer Zusammenhang zwischen der Großzügigkeit der Sozialsysteme und dem Zuzug mobiler EU-Bürger.

Mit Blick auf Probleme an einzelnen Brennpunkten verweist die Kommission auf Fördermittel, die aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) bereit stehen. „Städte und Kommunen können finanzielle Unterstützung aus dem Programm anfordern, um soziale Probleme, die von einem größeren Zuzug von Bürgern aus anderen EU-Ländern herrühren, zu bewältigen.“ [weniger anzeigen]


Welche Parallelen gibt es zur britischen Debatte?

Großbritanniens Premier David Cameron warnt seit Jahren vor „Sozialtourismus“ im Zuge der Arbeitnehmerfreizügigkeit. London will Sozialleistungen für Zuwanderer aus der EU zurückfahren. Die EU-Kommission kritisiert Camerons Äußerungen scharf.

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In Großbritannien wird seit Jahren diskutiert, inwieweit Zuwanderer aus osteuropäischen EU-Staaten die Sozialsysteme belasten. Um Fehlanreize für „Sozialtourismus“ zu nehmen, will die britische Regierung ab 2014 Sozialleistungen für Zuwanderer aus der EU einschränken. Sie sollen erst nach einer dreimonatigen Sperrfrist und nur für maximal sechs Monaten staatliche Unterstützung erhalten können. Auch unterstützende Maßnahmen wie das Wohngeld will London Zuwanderern aus der EU streichen. Offen bleibt, ob alle Maßnahmen vom EU-Recht gedeckt sind. Möglicherweise verstoßen sie in Teilen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz der EU, wonach beschäftigte mobile EU-Bürger nicht anders behandelt werden dürfen als die heimischen Beschäftigten. Auch in Großbritannien stellt sich also die Frage, welches EU-Recht stärker wiegt: die Schutzmechanismen der Freizügigkeitsrichtlinie für die nationalen Sozialsysteme oder der Gleichbehandlungsgrundsatz.


Ein Satz des britischen Premiers David Camerons erregte besonderes Aufsehen. In einem Gastbeitrag (kostenpflichtig) in der Financial Times kündigte er im Ende November 2013 an: „Wenn die Leute nicht hier sind, um zu arbeiten – wenn sie betteln oder im Freien schlafen –, dann werden sie entfernt“. Ein solche Ausweisungspraxis wäre in bestimmten Fällen ein klarer Verstoß gegen das europäische Recht auf Freizügigkeit. Beispielsweise haben alle EU-Bürger unabhängig von ihrer Erwerbssituation das Recht, sich für drei Monate in einem anderen EU-Land aufzuhalten.

EU-Justizkommissarin Viviane Reding reagierte mit scharfen Worten auf Camerons Äußerung. "Es gibt vier Bewegungs-Freiheiten im Binnenmarkt: von Kapital, von Waren, von Dienstleistungen und von Menschen. Es gibt sie nur alle zusammen – oder gar keine“, so Reding. „Wenn Großbritannien aus dem Binnenmarkt austreten will, dann soll Großbritannien dies sagen". Die Kommission werde die Freizügigkeit „unerbittlich“ durchsetzen. Arbeitskommissar Laszlo Andor warnte Großbritannien davor, dass „hässliche Land der EU“ zu werden. Andors Kritik wies ein britischer Regierungssprecher zurück, und zwar als unangemessene Einmischung eines "nicht gewählten EU-Beamten", der auch von britischen Steuergeldern bezahlt werde.

Die rechtspopulistische United Kingdom Independence Party (Ukip) fordert unterdessen einen prinzipiellen Einwanderungsstopp, auch für EU-Bürger. Ukip-Chef Nigel Farage räumt ein, dass dies einen Austritt aus der EU voraussetze, für den sich die Partei einsetzt. Der frühere bulgarische Außenminister kritisiert die britische Zuwanderungsdebatte. Es handele sich um „Massenhysterie“, angetrieben durch rechte Stimmen. [weniger anzeigen]


Welchen Weg geht die Schweiz?

Die Schweizer wollen die Zuwanderung von EU-Bürgern künftig beschränken – entgegen bestehender Verträge. Das Schweizer Votum steht europaweit in der Kritik. In Deutschland findet es aber auch Anhänger.

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Mit einer knappen Mehrheit haben die Schweizer eine Beschränkung der Einwanderung beschlossen (9. Februar 2014). 50,3 Prozent der Wähler votierten bei einer Volksabstimmung für die Initiative "Masseneinwanderung stoppen". Initiatorin ist die rechtskonservative und EU-skeptische Schweizerische Volkspartei (SVP). Der Schweizer Bundesrat soll jetzt eine gesetzliche Regelung erarbeiten, wonach nur noch bestimmte Kontingente von EU-Bürgern dauerhaft ins Land gelassen werden. Maßgeblich sollen die „gesamtwirtschaftlichen Interessen“ der Schweiz, das Gesuch eines Arbeitgebers und die Integrationsfähigkeit der Zuwanderer sein. Konkrete Zahlen nennt der Initiativ-Text nicht.


Bisher dürfen alle EU-Bürger auf Grundlage eines Freizügigkeitsabkommens in der Schweiz leben, wenn sie dort eine Arbeit finden. Zwischen der Schweiz und der EU bestehen zahlreiche Verträge, die der Schweizer Wirtschaft zum Beispiel freien Zugang zum EU-Markt garantieren. Bislang wandern rund 80.000 Personen pro Jahr in die Schweiz ein. Der Ausländeranteil liegt offiziell bei 23,5 Prozent (fast 1,9 Millionen Menschen).

Eine Neuregelung könnte auch die künftige Zuwanderung aus Deutschland beschränken. Fast 300.000 Deutsche leben und arbeiten derzeit in der Schweiz. Bereits 2010 startete die SVP eine Kampagne gegen "deutschen Filz" an den Schweizer Hochschulen. „Wir haben zu viele Deutsche im Land“, sagt SVP-Nationalrätin Natalie Rickli.

Zuwanderungsquoten könnten wohl zu einer Neuverhandlung des gesamten Vertragspakets mit der EU führen. Die EU-Kommission erklärt, die sieben bilateralen Abkommen mit der Schweiz über Bereiche wie Freizügigkeit, Verkehr und Forschung seien rechtlich miteinander verknüpft. Die Schweiz könne sie nicht einzeln aufkündigen. Eine mengenmäßige Beschränkung der Einwanderung verletzt aus Sicht der Kommission allerdings das Prinzip des freien Personenverkehrs zwischen der EU und der Schweiz.

Politiker aus der EU kritisieren die Schweizer Entscheidung. Das Ergebnis werfe aus Sicht der Bundesregierung „erhebliche Probleme“ auf, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Ähnlich äußert sich Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), der allerdings auch für Gelassenheit plädiert. „Wir sollten das jetzt ohne Schaum vor dem Mund betrachten.“ Der französische Außenminister Laurent Fabius kündigt an: „Wir werden die Beziehungen zur Schweiz überdenken“.

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) erklärt, er bedauere das Ergebnis der Volksabstimmung, akzeptiere aber die demokratische Entscheidung des Schweizer Volkes. Nun müsse die Schweizer Regierung herausarbeiten, welche Schlussfolgerungen sie aus der Volksabstimmung zieht, und ob es möglich ist, diese insbesondere mit ihren Verträgen mit der EU in Einklang zu bringen. "Das wird für die Regierung in Bern sehr schwierig", so Schulz im Interview mit Spiegel Online. "Man kann aber nicht hingehen und sagen, wir wollen alle Vorteile des Binnenmarkts, aber bei der Freizügigkeit Quoten einführen."

Ähnlich argumentiert der CDU-Europapolitiker Elma Brok, Man könne das Schweizer Votum nicht widerspruchslos hinnehmen. "Es darf nicht sein, dass sich hier Rosinenpickerei durchsetzt."

Die rechtskonservative Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) lobt das Schweizer Modell, per Volksabstimmung über das Zuwanderungsrecht entscheiden zu lassen. Ein solche Volksabstimmung könne er sich auch in Deutschland vorstellen, sagt AfD-Chef Bernd Lucke. Volksabstimmungen zeigten, wo dem Volk der Schuh drücke und welche Probleme von der Regierung vernachlässigt würden.

Lucke fordert: „Unabhängig vom Inhalt des Schweizer Referendums ist auch in Deutschland ein Zuwanderungsrecht zu schaffen, das auf Qualifikation und Integrationsfähigkeit der Zuwanderer abstellt und eine Einwanderung in unsere Sozialsysteme wirksam unterbindet“. Bislang sieht das EU-Recht allerdings keine zahlenmäßige Beschränkung der Migration innerhalb der EU vor, und macht auch keine bestimmten Qualifikationen zur Bedingung. Die AfD-Position läuft also auf eine Änderung des EU-Rechts hinaus.

Der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach sieht im Schweizer Votum einen weiteren Grund dafür, dass Thema Armutszuwanderung innerhalb der EU anzugehen. „Die Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU darf nicht zu einer freien Auswahl des Sozialsystems führen“, so Bosbach. „Wir müssen die anhaltende Zuwanderung in die Sozialsysteme deutlich begrenzen, sonst wird uns diese Debatte immer wieder begegnen.“ AfD-Chef Lucke nimmt Bosbachs Äußerungen zum Anlass, diesem den Austritt aus der CDU nahezulegen. Die CDU habe die heutigen Zuwanderungsregeln mitzuverantworten.

Zahlreiche Kommentatoren europäischer Zeitungen sehen hinter dem Ergebnis der Volksabstimmung ein Schweizer Identitätsproblem (Presseschau). [weniger anzeigen]


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