Foto zur Illustration des DatenskandalsWestliche Geheimdienste zapfen Datenleitungen an und speichern immense Mengen privater Informationen der Bürger. ©picture alliance/dpa: Julian Stratenschulte

Im Netz der Dienste

Enthüllungen des ehemaligen Mitarbeiters des US-Geheimdienstes National Security Agency (NSA) Edward Snowden haben das Ausmaß staatlicher Überwachung von Internet- und Telekommunikationsdaten offenbart. US-amerikanische und europäische Geheimdienste spähen systematisch Kommunikationsdaten der Bürger aus. Deutschland gehört zu den am meisten überwachten Staaten. Von Alexander Matschke und Alexander Wragge

Westliche Geheimdienste speichern systematisch Kommunikationsdaten der Bürger bis hin zu höchsten Regierungsvertretern und -vertreterinnen. Ermöglicht wird dies auch durch direkten Zugriff auf die Server von Unternehmen wie Facebook, Google oder Apple. Auch Betreiber von Internetkabeln und -knoten wie Vodafone oder Verizon kooperieren mit Nachrichtendiensten. Das geht aus von Snowden geleakten Dokumenten hervor, die in den vergangenen Monaten von internationalen Medien ausgewertet worden sind.


Was ist der aktuelle Stand?

Lange hat Barack Obama zur NSA-Affäre geschwiegen. Mitte Januar kündigte er eine Reform der Geheimdienstarbeit an. Die Reaktionen sind gespalten. Zu einem gegenseitigen No-Spy-Abkommen können sich selbst die EU-Staaten noch nicht durchringen.

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Wie die US-Regierung die Arbeit der Geheimdienste reformieren will, erklärte Obama in einer 45-minütigen Rede (Original-Text im Wortlaut / Video). So sollen befreundete Staats- und Regierungschefs nicht mehr abgehört werden dürfen. Auch die Privatsphäre „normaler Menschen“ außerhalb der USA werde künftig stärker beachtet. Die Dienste sollen Ausländer nur überwachen, wenn die nationale Sicherheit konkret gefährdet ist. Inwieweit die NSA die Daten ausländischer Staatsbürger - etwa Mails, SMS oder Chats - vorsorglich sammeln darf, um sie gegebenenfalls später zu überprüfen, lässt Obamas Formulierung allerdings offen.


Außerdem soll der in den USA viel kritisierte Umgang mit Telefon-Metadaten von US-Bürgern reformiert werden. Eine Einsicht durch die Geheimdienste müssen Gerichte künftig im Einzelfall prüfen. Zahlreiche technische Fragen griff Obama in seiner Rede nicht auf, etwa ob die NSA weiterhin die Leitungen großer Internetfirmen anzapft.

Ausgangspunkt der Reform ist der Bericht (Original-Text) einer Expertenkommission. Sie hatte die Tätigkeiten der Dienste monatelang überprüft. Allerdings folgt die US-Regierung nicht allen der 46 Experten-Vorschläge.

Prinzipiell verteidigt Obama die Spionagetätigkeiten der Dienste. Sie hätten mehrere Terrorangriffe verhindert und Menschenleben gerettet, auch im Ausland. „Wir können unsere Geheimdienste nicht einseitig entwaffnen“, so Obama. Mit Blick auf den Whistleblowe Edward Snowden, der die NSA-Affäre ins Rollen brachte, zeigt sich der US-Präsident weiterhin unversöhnlich. „Ich sage, dass die Verteidigung unseres Landes teils von der Treue derjenigen abhängig ist, die mit den Geheimnissen unserer Nation betraut werden.“

Zum Verhältnis zu Deutschland sagte Obama in einem ZDF-Interview: „Da hat sich eine Menge Misstrauen aufgebaut, in Deutschland und der ganzen Welt“. Es werde einige Zeit brauchen, um das Vertrauen zurückzugewinnen.

Die Bundesregierung begrüßt, „dass Datenschutz und Persönlichkeitsrechte auch von Nicht-US-Bürgern künftig stärker geachtet werden sollen“. Allerdings bleiben für Berlin viele Fragen offen. Der CSU-Politker Stephan Mayer, Mitglied im Geheimdienst-Kontrollgremium des Bundestages, sagte: „Es darf nicht dabei bleiben, dass nur Ankündigungen gemacht werden, sondern jetzt muss auch konkret gehandelt werden.“ Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele nannte Obamas Vorschläge bemerkenswert. „Das ist ein Fortschritt, das habe ich so von unseren Politikern, von unserer Kanzlerin, aber auch von unseren Geheimdiensten bisher nicht gehört.“

Parlamente untersuchen NSA-Spionage

Die Große Koalition einigte sich mit der Opposition auf die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses zur NSA-Affäre, der auch die Rolle der Bundesregierung prüfen soll. Auf der Tagesordnung steht grundsätzlich die mögliche Verletzung von Bürgerrechten durch nachrichtendienstliche Tätigkeiten.

Das EU-Parlament billigte bereits am 12. März seinen - rechtlich nicht bindenden - Abschlussbericht zur NSA-Massenüberwachung. 544 Abgeordnete stimmten dafür, 78 dagegen. Seit Dezember 2013 hatte es 16 Anhörungen eines NSA-Untersuchungsausschusses gegeben. Der Whistleblower Edward Snowden äußerte sich schriftlich zu den Fragen des Parlaments (Volltext, Enlisch).

In dem Bericht (73 Seiten) - ausgearbeitet vom britischen Labour-Politiker Claude Moraes - verurteilt das Parlament "die in gigantischem Ausmaß erfolgte systematische und pauschale Erfassung der personenbezogenen, oft auch intimen persönlichen Daten unschuldiger Menschen". Das Parlament will dem geplanten Freihandelsabkommen mit den USA (Siehe Publixphere-Schwerpunkt zu TTIP) nicht zustimmen, "solange die pauschale Massenüberwachung sowie das Abfangen von Nachrichten in EU-Institutionen und diplomatischen Vertretungen nicht völlig eingestellt werden und keine angemessene Lösung für Datenschutzrechte von EU-Bürgern, einschließlich behördlicher und gerichtlicher Rechtsbehelfe, gefunden wird."

Das Parlament fordert außerdem, das Programm zur Offenlegung der Terrorismus-Finanzierung (TFTP) sowie das Safe-Harbour-Abkommen (Anerkennung von EU-Datenschutzgrundsätzen durch US-Unternehmen) auf Eis legen.

Streit um No-Spy-Abkommen

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) dränge bislang auf ein Anti-Spionage-Abkommen mit den USA. „Erst wenn wir ein rechtlich verbindliches Abkommen unterzeichnet haben, das die Daten aller Bürger schützt, werden wir verlorenes Vertrauen zurückgewinnen können“, so Maas.

Die Süddeutsche Zeitung berichtete allerdings Mitte Januar aus Verhandlungskreisen, das geplante deutsch-amerikanische No-Spy-Abkommen stehe vor dem Aus. So seien die USA etwa nicht zu der Zusicherung bereit, keine deutschen Regierungsmitglieder und politischen Amtsträger abzuhören.

Der frühere luxemburgische Premier Jean-Claude Juncker fordert derweil ein weitreichendes No-Spy-Abkommen zwischen den USA und allen 27 EU-Staaten. Es müsse so ausfallen, „dass keine einzigen operativen Maßnahmen geheimdienstlicher Natur gegen Verbündete ergriffen werden.“

Auch ein Abkommen zwischen den EU-Staaten steht zur Debatte. Es soll den EU-Ländern erstmalig die gegenseitige politische und wirtschaftliche Spionage verbieten. Allerdings scheint Großbritannien nur eine gemeinsame Erklärung zu wollen, und kein förmliches Abkommen. Der britische Geheimdienst stand im Zuge der Affäre im Verdacht, das deutsche Regierungsviertel abzuhören.

Bürgerrechtler unzufrieden

Vertreter der US-Geheimdienste loben die angekündigten Schritte der US-Regierung. Obama habe einen „bedächtigen und gut durchdachten Ansatz“ zur Geheimdienstreform gewählt, so James Clapper, Direktor der nationalen Nachrichtendienste. Clapper hatte zuvor auch Spähangriffe auf ausländische Spitzenpolitiker verteidigt: „Es ist unersetzlich für uns zu wissen, was die Länder bewegt, was ihre Politik ist.“

Ehemalige NSA-Mitarbeiter zeigen sich dagegen skeptisch, ob der US-Regierung zu glauben ist. Der Ex-NSA-Mann J. Kirk Wiebe fordert, eine unabhängige Gruppe von IT-Spezialisten solle sicherstellen, dass die NSA keine Daten missbraucht. Sein ehemaliger Kollege Russ Tice behauptet zudem, die NSA habe in der Vergangenheit ranghohe US-Politiker überwacht, auch Barack Obama. Vorlegbare Beweise habe er dafür aber nicht.

Auch Bürgerrechtlern geht die geplante Reform nicht weit genug. Die Electronic Frontier Foundation (EFF) gibt ihr 3,5 Punkte - auf einer Skala von 0 bis 12. Fast keinen Forschritt sieht die EFF, wenn es um die Beendung der „Massenüberwachung von digitaler Kommunikation“ geht. [weniger anzeigen]


Geheimdienstprogramm Prism

Den Anfang machten im Juni Berichte der britischen Tageszeitung "The Guardian" und des US-amerikanischen Blattes "Washington Post" über das Spionageprogramm Prism der NSA.

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Die Zeitungen berichteten zunächst über die Zusammenarbeit einer Reihe von Internetunternehmen mit dem NSA-Programm: Microsoft, Yahoo, Google, Facebook, Skype und andere kooperierten mit der NSA. Laut "Guardian" ist es dank Prism möglich, direkt auf die Server der Onlinekonzerne zuzugreifen. Dafür sei im Einzelfall keine richterliche Entscheidung erforderlich, so das Blatt:

"The Prism program allows the NSA, the world's largest surveillance organisation, to obtain targeted communications without having to request them from the service providers and without having to obtain individual court orders"

Der beschriebene Zugriff auf die Kommunikationsdaten der Bürger hat Kritik von Datenschützern und Politikern provoziert. US-Präsident Barack Obama hat das Spähprogramm verteidigt und als wichtig zur Vereitelung von Terroranschlägen bezeichnet. [weniger anzeigen]


Überwachung auch durch EU-Länder Großbritannien und Frankreich

Nach dem Bekanntwerden von Prism berichteten Medien über weitere Abhörprogramme westlicher Geheimdienste, die offenbar beim Umfang der Datenspeicherung weit über das NSA-Programm hinausgehen.

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Die Enthüllungen stützen sich ebenfalls auf Dokumente, die von Snowden an die Presse gegeben wurden. So veröffentlichte der "Guardian" Informationen über das Programm Tempora des britischen Geheimdiensts GCHQ (Government Communication Headquaters): der Dienst höre transatlantische Daten- und Telefonleitungen ab, speichere immense Informationsmengen und gebe die Daten an die NSA weiter.

Anfang Juli berichtete die französische Tageszeitung "Le Monde", dass auch der französische Nachrichtendienst DGSE (Direction Générale de la Sécurité Extérieure) systematisch Kommunikationsdaten speichere.

Anfang August berichtete die Süddeutsche Zeitung unter Berufung auf vorliegende Geheimdienst-Dokumente, dass wichtige Telekommunikationsfirmen eng mit dem britischen GCHQ zusammenarbeiten. Unternehmen wie Vodafone, British Telecom oder Verizon entwickelten in diesem Zusammenhang im Auftrag des Geheimdienstes spezielle Spionagesoftware, so das Blatt. [weniger anzeigen]


Deutschland wichtiges Spionageziel

Das Magazin "Der Spiegel" veröffentlichte in Zusammenarbeit mit dem "Guardian" Details einer geheimen NSA-Statistik. Ihr zufolge ist Deutschland ein wichtiges Ziel der Abhör- und Spionage durch die NSA.

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Monatlich würden rund eine halbe Milliarde Kommunikationsverbindungen ausgewertet:

"Damit ist die NSA in Deutschland so aktiv wie in keinem anderen Land der Europäischen Union. [...] Aus einer vertraulichen Klassifizierung geht hervor, dass die NSA die Bundesrepublik zwar als Partner, zugleich aber auch als Angriffsziel betrachtet."

Der Bundesnachrichtendienst (BND) hat im wiederum Zusammenhang mit den Enthüllungen eingeräumt die von der NSA entwickelte Spähsoftare XKeyscore einzusetzen. Mit XKeyscore können Geheimdienste sogenannte Telekommunikations-Metadaten analysieren: etwa das Surfverhalten im Internet oder wer mit wem wann und wo kommunizierte. [weniger anzeigen]


NSA hörte Angela Merkels Handy ab

Medienberichte, dass die NSA auch das Handy von Bundeskanzlerin Angela Merkel abgehört habe, haben im Herbst 2013 zu diplomatischen Verstimmungen zwischen der Bundesregierung und der US-Administration geführt.

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Merkel, die laut "Zeit" zuvor das Abhören von Telefonaten verteidigt hatte, nannte die Vorwürfe im Bundestag "gravierend" und sagte: "Für die Zukunft muss neues Vertrauen aufgebaut werden". Die Bundesregierung verlangt von den USA ein Abkommen, in dem diese sich verpflichten, Regierungen, Behörden und Botschaften nicht abzuhören. Ob es zum Abschluss einer solchen No-Spy-Übereinkunft kommt, ist jedoch unklar. Außer der Bundeskanzlerin soll die NSA weltweit über 30 Staats- und Regierungschefs abgehört haben. [weniger anzeigen]

Reaktionen

Die weitgehend im verborgenen stattfindende, umfassende und verdachtsunabhängige Speicherung privater Kommunikation, zu der auch die Erstellung von Bewegungsprofilen von Handynutzern gehört, hat Besorgnis ausgelöst. Kritiker fürchten angesichts der großen und durch Gerichte teilweise kaum kontrollierte Macht der Dienste Gefahren für Grundrechte, Medienfreiheit und schließlich für den Fortbestand der Demokratie.

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Im Dezember 2013 haben 560 Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus 83 Ländern in einem Apell die Überwachung durch Staaten und Konzerne kritisiert und die Einhaltung der Bürgerrechte im digitalen Zeitalter gefordert. Mehrere US-Technologiefirmen, die durch die Snowden-Enthüllungen in Verruf geraten sind, haben ebenfalls im Dezember 2013 in einem Brief an US-Präsident Barack Obama gefordert, die Überwachung durch die NSA zu beenden. Obama hatte kurz zuvor neue Regeln für die NSA angekündigt. Ein vom US-Präsidenten eingesetztes Gremium zur Untersuchung der NSA-Aktivitäten fordert laut "New York Times" Reformen und schärfere Datenschutzbestimmungen für den Geheimdienst. [weniger anzeigen]

Russisches Asyl für Snowden

Informant Snowden ist nach Weitergabe der Geheimdienstdokumente aus den Vereinigten Staaten geflohen und hielt sich mehrere Wochen im Transitbereich des internationalen Moskauer Flughafens auf, von wo aus er sich in mehreren Staaten um politisches Asyl bemühte. Russland hat dem zu diesem Zeitpunkt 30-jährigen im Sommer 2013 Asyl für ein Jahr gewährt. Eine US-Amnestie für Snowden unter der Bedingung, dass dieser die Publikation weiterer von ihm geleakten Geheimdokumente verhindert, hat die US-Regierung im Dezember 2013 abgelehnt.



Zuletzt aktualisiert am 14. März 2014.

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