Lieber MisterEde, lieber Emil,

ich denke, man muss sich zunächst ein Stück weit von der tränenerstickten Betrachtung des Themas lösen. Flüchtlinge sind Menschen und handeln als solche oftmals rational, d.h. nutzenmaximierend. Sie wollen ihr Asyl nicht zwangsläufig auf dem ersten sicheren Boden beantragen, sondern ziehen dorthin, wo sie die beste wirtschaftliche Perspektive für sich sehen, Angehörige wiedersehen möchten oder andere Anreize locken. Soweit ist dieses Verhalten verständlich, es wird jedoch wie bereits heute ersichtlich zu Ungleichgewichten zwischen den Mitgliedsstaaten führen, die nicht tragbar sind. Als politische Gemeinschaft und als Rechtsgemeinschaft muss die EU diesen Prozess steuern. Juncker hat dazu sinnvolle und kohärente Vorschläge vorgebracht: ein permanenter Umverteilungsmechanismus für Asylsuchende, eine gemeinsame Liste sicherer Herkunftsstaaten, stärkere Sicherung der Außengrenzen sowie legale Einreisewege auf den Kontinent. Ich würde hinzufügen, dass zum Umverteilungsmechanismus nicht nur ein quantitativer Schlüssel (Komponenten zB Bevölkerungszahl, BIP, Pro-Kopf-Einkommen, Arbeitslosenquote) gehören sollte, der die Zahl der aufzunehmenden Menschen festlegt. Überlegenswert wäre ebenso ein qualitativer Schlüssel, der anschließend bestimmt, welche Menschen in welches Mitgliedsland aufgenommen werden: weil sie dort Familie und Angehörige haben, weil ihre berufliche Qualifikation dort gefragt ist oder weil sie bereits die Sprache sprechen. Wir kämen damit nicht nur unserer humanitären Pflicht nach, sondern würden für alle Beteiligten die bestmöglichen Rahmenbedingungen für Integration der Asylsuchenden schaffen. Dieses System zusammengenommen wäre ein Ausdruck europäischer Selbstbehauptung im Angesicht dieser epochalen Krise.