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    Alexander Wragge · angelegt
     

    Hallo Bürgerdialoge!

    Punkt 1: Mir wird angesichts der vielen irren Autorkraten auf der Welt jetzt schon warm ums Herz, wenn ich an die EU denke, diesen (bald letzten?) Ort des Rechts, der Aufklärung (auch in postfaktischen Zeiten), der Glaubens- und Meinungsfreiheit, des Minderheitenschutzes, der freien Entfaltung, der sozialen Marktwirtschaft, ....

    Punkt 2: Hören wir endlich auf, den Menschen die EU "näher" bringen zu wollen oder besser zu "verkaufen". Wir leben als EU-Bürgerinnen bereits in der EU, näher geht es nicht. Und die EU gehört bereits uns, dem Souverän, und zwar nur uns. Nicht "Brüssel", nicht den Staats und Regierungschefs, nicht irgendwelchen Lobbyisten, Verbänden, Technokraten usw.. Lobbyisten. Wir gestalten hier die Politik selbst, indem wir wählen gehen und Politikerinnen und Institutionen mit der Gesetzgebung beauftragen.

    Punkt 3: Warum Punkt 2 ständig in Vergessenheit gerät, was es den Populisten so leicht macht, einen Keil zwischen uns und unser (europäisches) politisches System zu treiben, ist eine lange Diskussion, die wir hier auf Publixphere oft geführt haben.

    Wen es interessiert, unten nochmal ein paar Gedanken, die ich nach einer abendlichen PXP-Diskussion im Park zum Brexit aufgeschrieben hab.

    Lieben Gruß! Alex

    Die Kommunikation kann so nicht weitergehen

    Seit Jahrzehnten haben britische Boulevardmedien und Akteure wie Nigel Farage das europäische Projekt in den Dreck gezogen. Es gibt viele Hinweise darauf, das weite Teile der Bevölkerung nie wirklich verstanden haben, wie Entscheidungen in der EU bislang gefällt wurden, nämlich unter maßgeblicher Mitwirkung der britischen Regierung, britischer Beamter in der EU-Kommission und der britischen Abgeordneten im EU-Parlament. Es gelang in all den Jahrzehnten ganz offensichtlich nicht, in Großbritannien eine breite Identifikation mit dem EU-System zu stiften. Die EU wurde als das Fremde, nicht als das Eigene erlebt.

    Nun können wir sagen, die Brexit-Populisten haben im Wahlkampf gnadenlos vereinfacht, verdummt und unverschämt gelogen. Wir können sagen, die Briten wussten gar nicht was sie tun. Sie dachten, sie befreien sich von einer “Brüsseler Diktatur”, von einem grotesken Zerrbild europäischer Zusammenarbeit, das ihnen Demagogen über Jahrzehnte eingetrichtert hatten. Erst nach der Entscheidung fingen Viele an zu googeln, was diese Europäische Union überhaupt ist und wie sie funktioniert.

    Doch wenn wir die Brexit-Mehrheit für mehr oder minder unzurechnungsfähig erklären, nicht ernst nehmen, dann drücken wir uns vor vielen wichtigen Debatten, die nun zu führen sind. Eine grundsätzliche Frage lautet: Warum fällt es so vielen Menschen so schwer, die eigenen Interessen und das (europäische) Gemeinwohl durch die EU-Insitutionen, durch Rat, Kommission und Parlament vertreten zu sehen?

    Eine neue Kultur der Zurechenbarkeit und Verantwortung

    Wir können es uns hier leicht machen und sagen: die EU funktioniert eigentlich gut, sie hat nur ein Vermittlungsproblem. Aber selbst dann muss sich nun etwas grundlegend ändern, nämlich die Kommunikation unserer gemeinsamen EU-Politik. Wann antworten nationale PolitikerInnen zum Beispiel endlich auf den ewigen Vorwurf der Brüsseler Regulierungswut? Wann sagen sie endlich, dass es natürlich Sinn macht, in einem gemeinsamen Markt einheitliche EU-Standards für Kopfkissen, Glühbirnen und Duschköpfe zu definieren, statt 27 verschiedene? Wann machen sie das nationale Mitwirken an diesen EU-Standards endlich transparent, genauso wie den Einfluss zahlreicher Interessengruppen? Der Grundsatz-Konflikt Regulierung vs. Deregulierung gehört am Ende eigentlich ins Europäische Parlament und ist politisch zu entscheiden. Wer ein Problem mit Vorschriften hat, zum Beispiel mit Stromspar-Vorgaben für Staubsauger, kann seine europäischen VolksvertrerInnen entsprechend wählen und bearbeiten. Sie/Er muss dafür nicht gleich die ganze EU infrage stellen und den Austritt anstreben. Und es wird spannend zu sehen, ob Großbritannien jetzt, wo es die “EU-Diktatur” losgeworden ist, auf Produktvorschriften ganz verzichtet.

    Die Kommunikation von Politik muss künftig endlich die entscheidenden Fragen klären. Wer trägt für was die politische Verwantwortung? Welcher politische Wettbewerb findet um die EU-Gesetzgebung statt? Es reicht offensichtlich nicht mehr, Politikergebnisse wie die gedeckelten Roaming-Gebühren und europäische Errungenschaften wie die Arbeitnehmerfreizügigkeit den BürgerInnen zu "verkaufen". Stattdessen könnten diese souveränen EU-BürgerInnen endlich selbst ins Zentrum der gesamten Debatte (Medien, Institutionen) rücken. Wissen sollte ich als EU-BürgerIn, wie ich meine Interessen rechtzeitig vertrete und vertreten lasse, nicht nur im EU-Parlament oder durch meine nationale Regierung, sondern zum Beispiel auch durch meine regionalen VertreterInnen, die immerhin die EU-Fördermittel für meine Region beantragen. Im besten Fall realisieren wir auch unseren Einfluss als europäische Zivilgesellschaft, die jederzeit frei ist, sich europäisch zu vernetzen, sich mit Forderungen und Protesten einzumischen.

    In welcher EU wollen wir leben?

    Nun kam in unserer Runde auch Skepsis auf, ob eine neue Vermittlung wirklich die Probleme löst. Reicht es aus, einfach unser EU-Bürgertum zu entdecken und stark zu reden? Wecken wir damit nicht bei uns und anderen Teilhabe-Erwartungen, die von dieser EU gar nicht einzulösen sind? Die Demokratiedefizite der EU sind schließlich keine Erfindung von Populisten. Sie füllen seit Jahrzehnten Regale in den Bibliotheken. Demokratie funktioniert in dieser EU immer noch maßgeblich über die nationale Wahl von nationalen Regierungsmitgliedern in den Rat. Viele Ideen, Interessen und Gegenargumente bleiben so bei der europäischen Entscheidungsfindung auf der Strecke. Gemeinsame grenzüberschreitende Anliegen (zum Beispiel die der jungen Generation Europas) werden kaum sichtbar. Sie sind nur schwer zu mobilisieren und zu vertreten. Doch was folgt aus der Erkenntnis, dass diese EU noch nicht perfekt ist und noch lange nicht fertig?

    Aus Angst vor reaktionärem Rechts-Populismus, Nationalismus und Chauvinismus in der EU werden nun sicher einige PolitikerInnen einen Rückbau oder die reine Verteidigung des Status quo fordern. Beides sind für Viele von uns keine verlockenden Optionen. Rückbau wohin? In den nationalen Mief, den uns AfD, FPÖ und Front National als Zukunft verkaufen? In einen losen Staatenbund, dessen Grundrechte-Charta zum Papiertiger verkommt, der auch global gesehen jeden Einfluss verliert? In einen reinen Binnenmarkt, der keine sozialen oder ökologischen Ziele und kein europäisches Gemeinwohl kennt?

    Aktuell im Umlauf sind zahlreiche Reformideen für Europa (beispielsweise die Utopie einer Europäische Republik von Ulrike Guérot). Als Europas junge Generation können wir uns diese Zukunftsideen zumindest anschauen, sie kritisch diskutieren, eigene Vorstellungen entwickeln, und probieren, diese Zeitenwende (mit Aktionen) selbst zu gestalten. Und vielleicht gibt es ja gemeinsam noch ein paar EU-Referenden zu gewinnen, in den Niederlanden, in Frankreich...

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    Alexander Wragge · angelegt
     

    Hallo Bürgerdialoge!

    Punkt 1: Mir wird angesichts der vielen irren Autorkraten auf der Welt jetzt schon warm ums Herz, wenn ich an die EU denke, diesen (bald letzten?) Ort des Rechts, der Aufklärung (auch in postfaktischen Zeiten), der Glaubens- und Meinungsfreiheit, des Minderheitenschutzes, der freien Entfaltung, der sozialen Marktwirtschaft, ....

    Punkt 2: Hören wir endlich auf, den Menschen die EU "näher" bringen zu wollen oder besser zu "verkaufen". Wir leben als EU-Bürgerinnen bereits in der EU, näher geht es nicht. Und die EU gehört bereits uns, dem Souverän, und zwar nur uns. Nicht "Brüssel", nicht den Staats und Regierungschefs, nicht irgendwelchen Lobbyisten. Wir gestalten hier die Politik selbst, indem wir wählen gehen und Politikerinnen und Institutionen mit der Gesetzgebung beauftragen.

    Punkt 3: Warum Punkt 2 ständig in Vergessenheit gerät, was es den Populisten so leicht macht, einen Keil zwischen uns und unser (europäisches) politisches System zu treiben, ist eine lange Diskussion, die wir hier auf Publixphere oft geführt haben.

    Wen es interessiert, unten nochmal ein paar Gedanken, die ich nach einer abendlichen PXP-Diskussion im Park zum Brexit aufgeschrieben hab.

    Lieben Gruß! Alex

    Die Kommunikation kann so nicht weitergehen

    Seit Jahrzehnten haben britische Boulevardmedien und Akteure wie Nigel Farage das europäische Projekt in den Dreck gezogen. Es gibt viele Hinweise darauf, das weite Teile der Bevölkerung nie wirklich verstanden haben, wie Entscheidungen in der EU bislang gefällt wurden, nämlich unter maßgeblicher Mitwirkung der britischen Regierung, britischer Beamter in der EU-Kommission und der britischen Abgeordneten im EU-Parlament. Es gelang in all den Jahrzehnten ganz offensichtlich nicht, in Großbritannien eine breite Identifikation mit dem EU-System zu stiften. Die EU wurde als das Fremde, nicht als das Eigene erlebt.

    Nun können wir sagen, die Brexit-Populisten haben im Wahlkampf gnadenlos vereinfacht, verdummt und unverschämt gelogen. Wir können sagen, die Briten wussten gar nicht was sie tun. Sie dachten, sie befreien sich von einer “Brüsseler Diktatur”, von einem grotesken Zerrbild europäischer Zusammenarbeit, das ihnen Demagogen über Jahrzehnte eingetrichtert hatten. Erst nach der Entscheidung fingen Viele an zu googeln, was diese Europäische Union überhaupt ist und wie sie funktioniert.

    Doch wenn wir die Brexit-Mehrheit für mehr oder minder unzurechnungsfähig erklären, nicht ernst nehmen, dann drücken wir uns vor vielen wichtigen Debatten, die nun zu führen sind. Eine grundsätzliche Frage lautet: Warum fällt es so vielen Menschen so schwer, die eigenen Interessen und das (europäische) Gemeinwohl durch die EU-Insitutionen, durch Rat, Kommission und Parlament vertreten zu sehen?

    Eine neue Kultur der Zurechenbarkeit und Verantwortung

    Wir können es uns hier leicht machen und sagen: die EU funktioniert eigentlich gut, sie hat nur ein Vermittlungsproblem. Aber selbst dann muss sich nun etwas grundlegend ändern, nämlich die Kommunikation unserer gemeinsamen EU-Politik. Wann antworten nationale PolitikerInnen zum Beispiel endlich auf den ewigen Vorwurf der Brüsseler Regulierungswut? Wann sagen sie endlich, dass es natürlich Sinn macht, in einem gemeinsamen Markt einheitliche EU-Standards für Kopfkissen, Glühbirnen und Duschköpfe zu definieren, statt 27 verschiedene? Wann machen sie das nationale Mitwirken an diesen EU-Standards endlich transparent, genauso wie den Einfluss zahlreicher Interessengruppen? Der Grundsatz-Konflikt Regulierung vs. Deregulierung gehört am Ende eigentlich ins Europäische Parlament und ist politisch zu entscheiden. Wer ein Problem mit Vorschriften hat, zum Beispiel mit Stromspar-Vorgaben für Staubsauger, kann seine europäischen VolksvertrerInnen entsprechend wählen und bearbeiten. Sie/Er muss dafür nicht gleich die ganze EU infrage stellen und den Austritt anstreben. Und es wird spannend zu sehen, ob Großbritannien jetzt, wo es die “EU-Diktatur” losgeworden ist, auf Produktvorschriften ganz verzichtet.

    Die Kommunikation von Politik muss künftig endlich die entscheidenden Fragen klären. Wer trägt für was die politische Verwantwortung? Welcher politische Wettbewerb findet um die EU-Gesetzgebung statt? Es reicht offensichtlich nicht mehr, Politikergebnisse wie die gedeckelten Roaming-Gebühren und europäische Errungenschaften wie die Arbeitnehmerfreizügigkeit den BürgerInnen zu "verkaufen". Stattdessen könnten diese souveränen EU-BürgerInnen endlich selbst ins Zentrum der gesamten Debatte (Medien, Institutionen) rücken. Wissen sollte ich als EU-BürgerIn, wie ich meine Interessen rechtzeitig vertrete und vertreten lasse, nicht nur im EU-Parlament oder durch meine nationale Regierung, sondern zum Beispiel auch durch meine regionalen VertreterInnen, die immerhin die EU-Fördermittel für meine Region beantragen. Im besten Fall realisieren wir auch unseren Einfluss als europäische Zivilgesellschaft, die jederzeit frei ist, sich europäisch zu vernetzen, sich mit Forderungen und Protesten einzumischen.

    In welcher EU wollen wir leben?

    Nun kam in unserer Runde auch Skepsis auf, ob eine neue Vermittlung wirklich die Probleme löst. Reicht es aus, einfach unser EU-Bürgertum zu entdecken und stark zu reden? Wecken wir damit nicht bei uns und anderen Teilhabe-Erwartungen, die von dieser EU gar nicht einzulösen sind? Die Demokratiedefizite der EU sind schließlich keine Erfindung von Populisten. Sie füllen seit Jahrzehnten Regale in den Bibliotheken. Demokratie funktioniert in dieser EU immer noch maßgeblich über die nationale Wahl von nationalen Regierungsmitgliedern in den Rat. Viele Ideen, Interessen und Gegenargumente bleiben so bei der europäischen Entscheidungsfindung auf der Strecke. Gemeinsame grenzüberschreitende Anliegen (zum Beispiel die der jungen Generation Europas) werden kaum sichtbar. Sie sind nur schwer zu mobilisieren und zu vertreten. Doch was folgt aus der Erkenntnis, dass diese EU noch nicht perfekt ist und noch lange nicht fertig?

    Aus Angst vor reaktionärem Rechts-Populismus, Nationalismus und Chauvinismus in der EU werden nun sicher einige PolitikerInnen einen Rückbau oder die reine Verteidigung des Status quo fordern. Beides sind für Viele von uns keine verlockenden Optionen. Rückbau wohin? In den nationalen Mief, den uns AfD, FPÖ und Front National als Zukunft verkaufen? In einen losen Staatenbund, dessen Grundrechte-Charta zum Papiertiger verkommt, der auch global gesehen jeden Einfluss verliert? In einen reinen Binnenmarkt, der keine sozialen oder ökologischen Ziele und kein europäisches Gemeinwohl kennt?

    Aktuell im Umlauf sind zahlreiche Reformideen für Europa (beispielsweise die Utopie einer Europäische Republik von Ulrike Guérot). Als Europas junge Generation können wir uns diese Zukunftsideen zumindest anschauen, sie kritisch diskutieren, eigene Vorstellungen entwickeln, und probieren, diese Zeitenwende (mit Aktionen) selbst zu gestalten. Und vielleicht gibt es ja gemeinsam noch ein paar EU-Referenden zu gewinnen, in den Niederlanden, in Frankreich...

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    Alexander Wragge · angelegt
     

    Hallo Bürgerdialoge!

    Punkt 1: Mir wird angesichts der vielen irren Autorkraten auf der Welt jetzt schon warm ums Herz, wenn ich an die EU denke, diesen (bald letzten?) Ort des Rechts, der Glaubens- und Meinungsfreiheit, des Minderheitenschutzes, der freien Entfaltung, der ....

    Punkt 2: Hören wir endlich auf, den Menschen die EU "näher" bringen zu wollen oder besser zu "verkaufen". Wir leben als EU-Bürgerinnen bereits in der EU, näher geht es nicht. Und die EU gehört bereits uns, dem Souverän, und zwar nur uns. Nicht "Brüssel", nicht den Staats und Regierungschefs, nicht irgendwelchen Lobbyisten. Wir gestalten hier die Politik selbst, indem wir wählen gehen und Politikerinnen und Institutionen mit der Gesetzgebung beauftragen.

    Punkt 3: 3 Warum Punkt 2 ständig in Vergessenheit gerät, was es den Populisten so leicht macht, einen Keil zwischen uns und unser (europäisches) politisches System zu treiben, ist eine lange Diskussion, die wir hier auf Publixphere oft geführt haben.

    Wen es interessiert, unten nochmal ein paar Gedanken, die ich nach einer abendlichen PXP-Diskussion im Park zum Brexit aufgeschrieben hab.

    Lieben Gruß! Alex

    Die Kommunikation kann so nicht weitergehen

    Seit Jahrzehnten haben britische Boulevardmedien und Akteure wie Nigel Farage das europäische Projekt in den Dreck gezogen. Es gibt viele Hinweise darauf, das weite Teile der Bevölkerung nie wirklich verstanden haben, wie Entscheidungen in der EU bislang gefällt wurden, nämlich unter maßgeblicher Mitwirkung der britischen Regierung, britischer Beamter in der EU-Kommission und der britischen Abgeordneten im EU-Parlament. Es gelang in all den Jahrzehnten ganz offensichtlich nicht, in Großbritannien eine breite Identifikation mit dem EU-System zu stiften. Die EU wurde als das Fremde, nicht als das Eigene erlebt.

    Nun können wir sagen, die Brexit-Populisten haben im Wahlkampf gnadenlos vereinfacht, verdummt und unverschämt gelogen. Wir können sagen, die Briten wussten gar nicht was sie tun. Sie dachten, sie befreien sich von einer “Brüsseler Diktatur”, von einem grotesken Zerrbild europäischer Zusammenarbeit, das ihnen Demagogen über Jahrzehnte eingetrichtert hatten. Erst nach der Entscheidung fingen Viele an zu googeln, was diese Europäische Union überhaupt ist und wie sie funktioniert.

    Doch wenn wir die Brexit-Mehrheit für mehr oder minder unzurechnungsfähig erklären, nicht ernst nehmen, dann drücken wir uns vor vielen wichtigen Debatten, die nun zu führen sind. Eine grundsätzliche Frage lautet: Warum fällt es so vielen Menschen so schwer, die eigenen Interessen und das (europäische) Gemeinwohl durch die EU-Insitutionen, durch Rat, Kommission und Parlament vertreten zu sehen?

    Eine neue Kultur der Zurechenbarkeit und Verantwortung

    Wir können es uns hier leicht machen und sagen: die EU funktioniert eigentlich gut, sie hat nur ein Vermittlungsproblem. Aber selbst dann muss sich nun etwas grundlegend ändern, nämlich die Kommunikation unserer gemeinsamen EU-Politik. Wann antworten nationale PolitikerInnen zum Beispiel endlich auf den ewigen Vorwurf der Brüsseler Regulierungswut? Wann sagen sie endlich, dass es natürlich Sinn macht, in einem gemeinsamen Markt einheitliche EU-Standards für Kopfkissen, Glühbirnen und Duschköpfe zu definieren, statt 27 verschiedene? Wann machen sie das nationale Mitwirken an diesen EU-Standards endlich transparent, genauso wie den Einfluss zahlreicher Interessengruppen? Der Grundsatz-Konflikt Regulierung vs. Deregulierung gehört am Ende eigentlich ins Europäische Parlament und ist politisch zu entscheiden. Wer ein Problem mit Vorschriften hat, zum Beispiel mit Stromspar-Vorgaben für Staubsauger, kann seine europäischen VolksvertrerInnen entsprechend wählen und bearbeiten. Sie/Er muss dafür nicht gleich die ganze EU infrage stellen und den Austritt anstreben. Und es wird spannend zu sehen, ob Großbritannien jetzt, wo es die “EU-Diktatur” losgeworden ist, auf Produktvorschriften ganz verzichtet.

    Die Kommunikation von Politik muss künftig endlich die entscheidenden Fragen klären. Wer trägt für was die politische Verwantwortung? Welcher politische Wettbewerb findet um die EU-Gesetzgebung statt? Es reicht offensichtlich nicht mehr, Politikergebnisse wie die gedeckelten Roaming-Gebühren und europäische Errungenschaften wie die Arbeitnehmerfreizügigkeit den BürgerInnen zu "verkaufen". Stattdessen könnten diese souveränen EU-BürgerInnen endlich selbst ins Zentrum der gesamten Debatte (Medien, Institutionen) rücken. Wissen sollte ich als EU-BürgerIn, wie ich meine Interessen rechtzeitig vertrete und vertreten lasse, nicht nur im EU-Parlament oder durch meine nationale Regierung, sondern zum Beispiel auch durch meine regionalen VertreterInnen, die immerhin die EU-Fördermittel für meine Region beantragen. Im besten Fall realisieren wir auch unseren Einfluss als europäische Zivilgesellschaft, die jederzeit frei ist, sich europäisch zu vernetzen, sich mit Forderungen und Protesten einzumischen.

    In welcher EU wollen wir leben?

    Nun kam in unserer Runde auch Skepsis auf, ob eine neue Vermittlung wirklich die Probleme löst. Reicht es aus, einfach unser EU-Bürgertum zu entdecken und stark zu reden? Wecken wir damit nicht bei uns und anderen Teilhabe-Erwartungen, die von dieser EU gar nicht einzulösen sind? Die Demokratiedefizite der EU sind schließlich keine Erfindung von Populisten. Sie füllen seit Jahrzehnten Regale in den Bibliotheken. Demokratie funktioniert in dieser EU immer noch maßgeblich über die nationale Wahl von nationalen Regierungsmitgliedern in den Rat. Viele Ideen, Interessen und Gegenargumente bleiben so bei der europäischen Entscheidungsfindung auf der Strecke. Gemeinsame grenzüberschreitende Anliegen (zum Beispiel die der jungen Generation Europas) werden kaum sichtbar. Sie sind nur schwer zu mobilisieren und zu vertreten. Doch was folgt aus der Erkenntnis, dass diese EU noch nicht perfekt ist und noch lange nicht fertig?

    Aus Angst vor reaktionärem Rechts-Populismus, Nationalismus und Chauvinismus in der EU werden nun sicher einige PolitikerInnen einen Rückbau oder die reine Verteidigung des Status quo fordern. Beides sind für Viele von uns keine verlockenden Optionen. Rückbau wohin? In den nationalen Mief, den uns AfD, FPÖ und Front National als Zukunft verkaufen? In einen losen Staatenbund, dessen Grundrechte-Charta zum Papiertiger verkommt, der auch global gesehen jeden Einfluss verliert? In einen reinen Binnenmarkt, der keine sozialen oder ökologischen Ziele und kein europäisches Gemeinwohl kennt?

    Aktuell im Umlauf sind zahlreiche Reformideen für Europa (beispielsweise die Utopie einer Europäische Republik von Ulrike Guérot). Als Europas junge Generation können wir uns diese Zukunftsideen zumindest anschauen, sie kritisch diskutieren, eigene Vorstellungen entwickeln, und probieren, diese Zeitenwende (mit Aktionen) selbst zu gestalten. Und vielleicht gibt es ja gemeinsam noch ein paar EU-Referenden zu gewinnen, in den Niederlanden, in Frankreich...

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    ''Eine neue Kultur der Zurechenbrarkeit und Verantwortung

    Hallo Bürgerdialoge!

    Punkt 1: Mir wird angesichts der vielen irren Autorkraten auf der Welt jetzt schon warm ums Herz, wenn ich an die EU denke, diesen (bald letzten?) Ort des Rechts, der Glaubens- und Meinungsfreiheit, des Minderheitenschutzes, der freien Entfaltung, der ....

    Punkt 2: Hören wir endlich auf, den Menschen die EU "näher" bringen zu wollen oder besser zu "verkaufen". Wir leben als EU-Bürgerinnen bereits in der EU, näher geht es nicht. Und die EU gehört bereits uns, dem Souverän, und zwar nur uns. Nicht "Brüssel", nicht den Staats und Regierungschefs, nicht irgendwelchen Lobbyisten. Wir gestalten hier die Politik selbst, indem wir wählen gehen und Politikerinnen und Institutionen mit der Gesetzgebung beauftragen.

    Punkt 3 Warum Punkt 2 ständig in Vergessenheit gerät, was es den Populisten so leicht macht, einen Keil zwischen uns und unser (europäisches) politisches System zu treiben, ist eine lange Diskussion, die wir hier auf Publixphere oft geführt haben.

    Wen es interessiert, unten nochmal ein paar Gedanken, die ich nach einer abendlichen PXP-Diskussion im Park zum Brexit aufgeschrieben hab.

    Lieben Gruß! Alex

    Die Kommunikation kann so nicht weitergehen

    Seit Jahrzehnten haben britische Boulevardmedien und Akteure wie Nigel Farage das europäische Projekt in den Dreck gezogen. Es gibt viele Hinweise darauf, das weite Teile der Bevölkerung nie wirklich verstanden haben, wie Entscheidungen in der EU bislang gefällt wurden, nämlich unter maßgeblicher Mitwirkung der britischen Regierung, britischer Beamter in der EU-Kommission und der britischen Abgeordneten im EU-Parlament. Es gelang in all den Jahrzehnten ganz offensichtlich nicht, in Großbritannien eine breite Identifikation mit dem EU-System zu stiften. Die EU wurde als das Fremde, nicht als das Eigene erlebt.

    Nun können wir sagen, die Brexit-Populisten haben im Wahlkampf gnadenlos vereinfacht, verdummt und unverschämt gelogen. Wir können sagen, die Briten wussten gar nicht was sie tun. Sie dachten, sie befreien sich von einer “Brüsseler Diktatur”, von einem grotesken Zerrbild europäischer Zusammenarbeit, das ihnen Demagogen über Jahrzehnte eingetrichtert hatten. Erst nach der Entscheidung fingen Viele an zu googeln, was diese Europäische Union überhaupt ist und wie sie funktioniert.

    Doch wenn wir die Brexit-Mehrheit für mehr oder minder unzurechnungsfähig erklären, nicht ernst nehmen, dann drücken wir uns vor vielen wichtigen Debatten, die nun zu führen sind. Eine grundsätzliche Frage lautet: Warum fällt es so vielen Menschen so schwer, die eigenen Interessen und das (europäische) Gemeinwohl durch die EU-Insitutionen, durch Rat, Kommission und Parlament vertreten zu sehen?

    Eine neue Kultur der Zurechenbarkeit und Verantwortung

    Wir können es uns hier leicht machen und sagen: die EU funktioniert eigentlich gut, sie hat nur ein Vermittlungsproblem. Aber selbst dann muss sich nun etwas grundlegend ändern, nämlich die Kommunikation unserer gemeinsamen EU-Politik. Wann antworten nationale PolitikerInnen zum Beispiel endlich auf den ewigen Vorwurf der Brüsseler Regulierungswut? Wann sagen sie endlich, dass es natürlich Sinn macht, in einem gemeinsamen Markt einheitliche EU-Standards für Kopfkissen, Glühbirnen und Duschköpfe zu definieren, statt 27 verschiedene? Wann machen sie das nationale Mitwirken an diesen EU-Standards endlich transparent, genauso wie den Einfluss zahlreicher Interessengruppen? Der Grundsatz-Konflikt Regulierung vs. Deregulierung gehört am Ende eigentlich ins Europäische Parlament und ist politisch zu entscheiden. Wer ein Problem mit Vorschriften hat, zum Beispiel mit Stromspar-Vorgaben für Staubsauger, kann seine europäischen VolksvertrerInnen entsprechend wählen und bearbeiten. Sie/Er muss dafür nicht gleich die ganze EU infrage stellen und den Austritt anstreben. Und es wird spannend zu sehen, ob Großbritannien jetzt, wo es die “EU-Diktatur” losgeworden ist, auf Produktvorschriften ganz verzichtet.

    Die Kommunikation von Politik muss künftig endlich die entscheidenden Fragen klären. Wer trägt für was die politische Verwantwortung? Welcher politische Wettbewerb findet um die EU-Gesetzgebung statt? Es reicht offensichtlich nicht mehr, Politikergebnisse wie die gedeckelten Roaming-Gebühren und europäische Errungenschaften wie die Arbeitnehmerfreizügigkeit den BürgerInnen zu "verkaufen". Stattdessen könnten diese souveränen EU-BürgerInnen endlich selbst ins Zentrum der gesamten Debatte (Medien, Institutionen) rücken. Wissen sollte ich als EU-BürgerIn, wie ich meine Interessen rechtzeitig vertrete und vertreten lasse, nicht nur im EU-Parlament oder durch meine nationale Regierung, sondern zum Beispiel auch durch meine regionalen VertreterInnen, die immerhin die EU-Fördermittel für meine Region beantragen. Im besten Fall realisieren wir auch unseren Einfluss als europäische Zivilgesellschaft, die jederzeit frei ist, sich europäisch zu vernetzen, sich mit Forderungen und Protesten einzumischen.

    In welcher EU wollen wir leben?

    Nun kam in unserer Runde auch Skepsis auf, ob eine neue Vermittlung wirklich die Probleme löst. Reicht es aus, einfach unser EU-Bürgertum zu entdecken und stark zu reden? Wecken wir damit nicht bei uns und anderen Teilhabe-Erwartungen, die von dieser EU gar nicht einzulösen sind? Die Demokratiedefizite der EU sind schließlich keine Erfindung von Populisten. Sie füllen seit Jahrzehnten Regale in den Bibliotheken. Demokratie funktioniert in dieser EU immer noch maßgeblich über die nationale Wahl von nationalen Regierungsmitgliedern in den Rat. Viele Ideen, Interessen und Gegenargumente bleiben so bei der europäischen Entscheidungsfindung auf der Strecke. Gemeinsame grenzüberschreitende Anliegen (zum Beispiel die der jungen Generation Europas) werden kaum sichtbar. Sie sind nur schwer zu mobilisieren und zu vertreten. Doch was folgt aus der Erkenntnis, dass diese EU noch nicht perfekt ist und noch lange nicht fertig?

    Aus Angst vor reaktionärem Rechts-Populismus, Nationalismus und Chauvinismus in der EU werden nun sicher einige PolitikerInnen einen Rückbau oder die reine Verteidigung des Status quo fordern. Beides sind für Viele von uns keine verlockenden Optionen. Rückbau wohin? In den nationalen Mief, den uns AfD, FPÖ und Front National als Zukunft verkaufen? In einen losen Staatenbund, dessen Grundrechte-Charta zum Papiertiger verkommt, der auch global gesehen jeden Einfluss verliert? In einen reinen Binnenmarkt, der keine sozialen oder ökologischen Ziele und kein europäisches Gemeinwohl kennt?

    Aktuell im Umlauf sind zahlreiche Reformideen für Europa (beispielsweise die Utopie einer Europäische Republik von Ulrike Guérot). Als Europas junge Generation können wir uns diese Zukunftsideen zumindest anschauen, sie kritisch diskutieren, eigene Vorstellungen entwickeln, und probieren, diese Zeitenwende (mit Aktionen) selbst zu gestalten. Und vielleicht gibt es ja gemeinsam noch ein paar EU-Referenden zu gewinnen, in den Niederlanden, in Frankreich...

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    Alexander Wragge · angelegt
     

    ''Eine neue Kultur der Zurechenbrarkeit und Verantwortung

    Hallo Bürgerdialoge! Punkt 1: Mir wird angesichts der vielen irren Autorkraten auf der Welt jetzt schon warm ums Herz, wenn ich an die EU denke, diesen (bald letzten?) Ort des Rechts, der Glaubens- und Meinungsfreiheit, des Minderheitenschutzes, der freien Entfaltung, der ....

    Punkt 2: Hören wir endlich auf, den Menschen die EU "näher" bringen zu wollen oder besser zu "verkaufen". Wir leben als EU-Bürgerinnen bereits in der EU, näher geht es nicht. Und die EU gehört bereits uns, dem Souverän, und zwar nur uns. Nicht "Brüssel", nicht den Staats und Regierungschefs, nicht irgendwelchen Lobbyisten. Wir gestalten hier die Politik selbst, indem wir wählen gehen und Politikerinnen und Institutionen mit der Gesetzgebung beauftragen.

    Punkt 3 Warum Punkt 2 ständig in Vergessenheit gerät, was es den Populisten so leicht macht, einen Keil zwischen uns und unser (europäisches) politisches System zu treiben, ist eine lange Diskussion, die wir hier auf Publixphere oft geführt haben.

    Wen es interessiert, unten nochmal ein paar Gedanken, die ich nach einer abendlichen PXP-Diskussion im Park zum Brexit aufgeschrieben hab.

    Lieben Gruß! Alex

    Die Kommunikation kann so nicht weitergehen

    Seit Jahrzehnten haben britische Boulevardmedien und Akteure wie Nigel Farage das europäische Projekt in den Dreck gezogen. Es gibt viele Hinweise darauf, das weite Teile der Bevölkerung nie wirklich verstanden haben, wie Entscheidungen in der EU bislang gefällt wurden, nämlich unter maßgeblicher Mitwirkung der britischen Regierung, britischer Beamter in der EU-Kommission und der britischen Abgeordneten im EU-Parlament. Es gelang in all den Jahrzehnten ganz offensichtlich nicht, in Großbritannien eine breite Identifikation mit dem EU-System zu stiften. Die EU wurde als das Fremde, nicht als das Eigene erlebt.

    Nun können wir sagen, die Brexit-Populisten haben im Wahlkampf gnadenlos vereinfacht, verdummt und unverschämt gelogen. Wir können sagen, die Briten wussten gar nicht was sie tun. Sie dachten, sie befreien sich von einer “Brüsseler Diktatur”, von einem grotesken Zerrbild europäischer Zusammenarbeit, das ihnen Demagogen über Jahrzehnte eingetrichtert hatten. Erst nach der Entscheidung fingen Viele an zu googeln, was diese Europäische Union überhaupt ist und wie sie funktioniert.

    Doch wenn wir die Brexit-Mehrheit für mehr oder minder unzurechnungsfähig erklären, nicht ernst nehmen, dann drücken wir uns vor vielen wichtigen Debatten, die nun zu führen sind. Eine grundsätzliche Frage lautet: Warum fällt es so vielen Menschen so schwer, die eigenen Interessen und das (europäische) Gemeinwohl durch die EU-Insitutionen, durch Rat, Kommission und Parlament vertreten zu sehen?

    Eine neue Kultur der Zurechenbarkeit und Verantwortung

    Wir können es uns hier leicht machen und sagen: die EU funktioniert eigentlich gut, sie hat nur ein Vermittlungsproblem. Aber selbst dann muss sich nun etwas grundlegend ändern, nämlich die Kommunikation unserer gemeinsamen EU-Politik. Wann antworten nationale PolitikerInnen zum Beispiel endlich auf den ewigen Vorwurf der Brüsseler Regulierungswut? Wann sagen sie endlich, dass es natürlich Sinn macht, in einem gemeinsamen Markt einheitliche EU-Standards für Kopfkissen, Glühbirnen und Duschköpfe zu definieren, statt 27 verschiedene? Wann machen sie das nationale Mitwirken an diesen EU-Standards endlich transparent, genauso wie den Einfluss zahlreicher Interessengruppen? Der Grundsatz-Konflikt Regulierung vs. Deregulierung gehört am Ende eigentlich ins Europäische Parlament und ist politisch zu entscheiden. Wer ein Problem mit Vorschriften hat, zum Beispiel mit Stromspar-Vorgaben für Staubsauger, kann seine europäischen VolksvertrerInnen entsprechend wählen und bearbeiten. Sie/Er muss dafür nicht gleich die ganze EU infrage stellen und den Austritt anstreben. Und es wird spannend zu sehen, ob Großbritannien jetzt, wo es die “EU-Diktatur” losgeworden ist, auf Produktvorschriften ganz verzichtet.

    Die Kommunikation von Politik muss künftig endlich die entscheidenden Fragen klären. Wer trägt für was die politische Verwantwortung? Welcher politische Wettbewerb findet um die EU-Gesetzgebung statt? Es reicht offensichtlich nicht mehr, Politikergebnisse wie die gedeckelten Roaming-Gebühren und europäische Errungenschaften wie die Arbeitnehmerfreizügigkeit den BürgerInnen zu "verkaufen". Stattdessen könnten diese souveränen EU-BürgerInnen endlich selbst ins Zentrum der gesamten Debatte (Medien, Institutionen) rücken. Wissen sollte ich als EU-BürgerIn, wie ich meine Interessen rechtzeitig vertrete und vertreten lasse, nicht nur im EU-Parlament oder durch meine nationale Regierung, sondern zum Beispiel auch durch meine regionalen VertreterInnen, die immerhin die EU-Fördermittel für meine Region beantragen. Im besten Fall realisieren wir auch unseren Einfluss als europäische Zivilgesellschaft, die jederzeit frei ist, sich europäisch zu vernetzen, sich mit Forderungen und Protesten einzumischen.

    In welcher EU wollen wir leben?

    Nun kam in unserer Runde auch Skepsis auf, ob eine neue Vermittlung wirklich die Probleme löst. Reicht es aus, einfach unser EU-Bürgertum zu entdecken und stark zu reden? Wecken wir damit nicht bei uns und anderen Teilhabe-Erwartungen, die von dieser EU gar nicht einzulösen sind? Die Demokratiedefizite der EU sind schließlich keine Erfindung von Populisten. Sie füllen seit Jahrzehnten Regale in den Bibliotheken. Demokratie funktioniert in dieser EU immer noch maßgeblich über die nationale Wahl von nationalen Regierungsmitgliedern in den Rat. Viele Ideen, Interessen und Gegenargumente bleiben so bei der europäischen Entscheidungsfindung auf der Strecke. Gemeinsame grenzüberschreitende Anliegen (zum Beispiel die der jungen Generation Europas) werden kaum sichtbar. Sie sind nur schwer zu mobilisieren und zu vertreten. Doch was folgt aus der Erkenntnis, dass diese EU noch nicht perfekt ist und noch lange nicht fertig?

    Aus Angst vor reaktionärem Rechts-Populismus, Nationalismus und Chauvinismus in der EU werden nun sicher einige PolitikerInnen einen Rückbau oder die reine Verteidigung des Status quo fordern. Beides sind für Viele von uns keine verlockenden Optionen. Rückbau wohin? In den nationalen Mief, den uns AfD, FPÖ und Front National als Zukunft verkaufen? In einen losen Staatenbund, dessen Grundrechte-Charta zum Papiertiger verkommt, der auch global gesehen jeden Einfluss verliert? In einen reinen Binnenmarkt, der keine sozialen oder ökologischen Ziele und kein europäisches Gemeinwohl kennt?

    Aktuell im Umlauf sind zahlreiche Reformideen für Europa (beispielsweise die Utopie einer Europäische Republik von Ulrike Guérot). Als Europas junge Generation können wir uns diese Zukunftsideen zumindest anschauen, sie kritisch diskutieren, eigene Vorstellungen entwickeln, und probieren, diese Zeitenwende (mit Aktionen) selbst zu gestalten. Und vielleicht gibt es ja gemeinsam noch ein paar EU-Referenden zu gewinnen, in den Niederlanden, in Frankreich...