Lieber Mister Ede,

erstmal zu Faust. Gewissermaßen ist deine Faust-Interpretation, der ich auch zustimmen würde, die Konklusion, die Lehre des Dramas. Das »Leitmotiv« (wie ich oben schrieb) ist aber durchaus das Wandeln entlang des inneren Abgrunds. Zwischen Mystik und Welt.

Nun zum zweiten Absatz. Also, der Essay behandelt streng genommen gar nicht meine Sicht, was deutsch im letzten Sinne bedeuten soll. Es geht ja vielmehr um die Möglichkeit einer derartigen Deutung und die Frage, ob derartige Setzungen per se anti-westlich, das heißt anti-universalistisch seien. Dies bezweifle ich. Du meinst, »klarer (als in Art. 116 GG) kann man doch eine kulturelle und ethnische Einheit des Deutschen Volkes gar nicht formulieren«. Wirklich? Dies ist doch nur eine juristisch-positivistische Tautologie. Deutsch ist, wer nach dem Gesetz Deutscher ist. Daran möchte ich nicht rütteln (anders als die AfD z.B., wie ich ja auch oben schreibe). Aber eine Selbstdeutung, eine Selbstbetrachtung ist das ja bei weitem nicht. Mir geht es darum, die Möglichkeit offenzuhalten, dass dieses Land einen Blick auf sich selbst wirft. Nehmen wir die Westbindung, die Sicherheit Israels als Staatsraison - alles Dinge, die uns - auch mir - hoch und heilig sind. Aber diese Dinge finden wir nicht im Grundgesetz. Sie formen eine Art »Leitkultur«. Auch das Bekenntnis zum Erbe des Humanismus, der Aufklärung sind keine GG-Artikel, sondern Leitkulturen, um die im öffentlichen Diskurs Tag ein Tag aus gestritten wird. Wenn der konservative Teil der Republik also eine Leitkultur festlegt, ist das prinzipiell legitim. Der Fehler der Linken besteht darin, nicht selbst eine zu formulieren. Ansätze dazu finden sich im letzten Absatz des Essays.

LG Oliver