Lieber Oliver,
ich stimme Dir bezüglich des Wandelns entlang des inneren Abgrunds bei Goethes Faust voll zu. Mit überinterpretiert war auch nicht Dein Beitrag gemeint, sondern die Übertragung der beiden Faustschen Seelen auf die „deutsche Nation“ durch diejenigen, die Du im Beitrag erwähnst. Ambivalenzen sind für mich einfach die Grundlage des menschlichen Denkens und insofern ist das aus meiner Sicht universell und nicht speziell deutsch.
Zum Deutschen Volk: Das GG lässt zwar offen, wer genau dieses Volk ist, allerdings legt es nahe, dass es dieses ethnisch und kulturell definierte Volk gibt. Ich sehe das ähnlich und hatte die Hoffnung, dass Du das näher erläutern kannst, weil sich Dein Beitrag ja intensiv mit dem Deutschsein beschäftigt.
»Was ist deutsch?«, Was ist dieses Deutschland? Ein Staat mit »Leitkultur«? Eine multikulturelle Staatsbürgernation? Eine Rechtsgemeinschaft?
Ich dachte einfach, Du hättest dazu auch eine Antwort. Für mich gehört z.B. die Sicherheit Israels klar zur Staatsräson, ist aber aus meiner Sicht kein bestimmender Faktor des Deutschen Volkes. So können für mich auch diejenigen Deutsche sein, die das oder auch die Werte des GG ablehnen. Margot Honecker war Deutsche und auch der NSU ist deutsch. Zu den Werten des GG gehört nach meiner Auffassung auch der Humanismus und die Aufklärung und ich finde, dass diese Werte mit dem Schutz der Menschenwürde (Art. 1) und der in den folgenden Artikeln formulierten freiheitlich-demokratischen Grundordnung sehr wohl Eingang in das GG gefunden haben. Dass Linke daher keine Leitkultur formulieren, sondern auf das GG als Leitlinie verweisen, finde ich folgerichtig und keinesfalls als Mangel. Dass unsere Kultur aber durch weit mehr geprägt ist als durch diese Leitlinien des GG, halte ich ebenfalls für zutreffenden. Für mich ist das kein Widerspruch, denn nach meiner Auffassung sind Kultur und Leitkultur zwei völlig unterschiedliche Dinge. Margot Honecker oder der NSU sind daher deutsch, auch wenn sie mit unserem grundgesetzlichen Leitbild nichts am Hut hatten.
Abschließend: Ich finde, du stellst absolut die richtigen Fragen. Meinerseits bin ich aber eher auf der Suche nach den Antworten auf diese Fragen. Bislang sind die Schlüsse, die ich aus meiner unveröffentlichten Arbeit aus dem Sommer dieses Jahres ziehe, dass die deutsche Kultur mehr als 2.000 Jahre alt ist und damit sogar älter ist als z.B. das Christentum.
Beste Grüße, Mister Ede