Der Terrorist Anders Behring Breivik griff 2011 auch das Regierungsviertel in Oslo an. Norwegens Ministerpräsident Jens Stoltenberg reagierte mit dem Appell, die Offenheit der Gesellschaft nicht dem Anti-Terrorkampf preiszugeben. An diese Haltung erinnert Stefan BrauneisJusos in seinem Beitrag zum #pxp_thema Überwachte Welt. Foto: dpa
Ein Beitrag von Stefan BrauneisJusos , stellv. Bundesvorsitzender der Jusos
Noch vor Kurzem drehten sich die Debatten zu Netz und Demokratie um die großen Potentiale der Digitalisierung für demokratische Gesellschaften. Mehr Transparenz und ein einfacherer Zugang zu Informationen, kostengünstige Möglichkeiten zur Verbreitung der eignen Meinung für Jedermann, einfachere Vernetzung sozialer Bewegungen und ganz neue Wege von Teilhabe und Mitgestaltung wurden nicht nur diskutiert und erträumt, sondern auch ausprobiert und praktiziert. Bei einem Blick in die Blogs und Zeitungen fragt man sich: Wo sind diese Debatten und Hoffnungen geblieben?
Angst schafft politisches Duckmäusertum
Die globale Überwachung des Internets durch Geheimdienste jeglicher Coleur, die zunehmende verdachts- und anlassunabhängige Speicherung von Daten durch Sicherheitsbehörden und die fortschreitenden Möglichkeiten zur Datenspeicherung und -verknüpfung gefährden die freie Bürgerrechtsausübung. Das offenbar gewordene Ausmaß an Überwachung, insbesondere durch demokratisch verfasste Staaten, hat nicht nur das Grundvertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Sicherheit und Privatheit im Internet tiefgreifend gestört, sondern lässt auch vormalige Erwartungen auf eine demokratisierende Wirkung des Internets wie naive Träumereien wirken. Wer Angst haben muss, dass sein soziales Netzwerk durch Geheimdienste ausspioniert wird, zögert bei der Vernetzung mit politisch Gleichgesinnten. Wer befürchtet, dass die Aggregation von verfügbaren Daten zur eigenen Person später den Verlust des Jobs zur Folge hat, der übt sich in politischer Enthaltsamkeit. Das aber schafft Duckmäusertum, ist Gift für eine pluralistische Demokratie und befördert damit das Gegenteil des beschworenen Effekts: Indem die aktive Bürgerschaft gleichermaßen bedrängt wird wie tatsächliche oder vermeintliche Gegner von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, geben gewählte Regierungen genau jene demokratischen und rechtsstaatlichen Standards preis, die sie zu verteidigen meinen.
Individuelle Verantwortung als politische Bankrotterkärung
Als der norwegische Ministerpräsident Jens Stoltenberg auf die Anschläge von Oslo und Utøya mit der Ankündigung „Unsere Antwort wird mehr Offenheit und mehr Demokratie sein“ reagierte, setzte er einen beachtenswerten Kontrapunkt zur sonst gepflegten Rhetorik im „Krieg gegen den Terror“. Er zeigte damit, dass die zunehmende öffentliche Überwachung und Ausspähung nicht alternativlos ist. Ebenso wie die wachsenden Datensammlungen privater Akteure, ist sie Folge bewussten politischen Handelns oder Nicht-Handelns und damit durch entschiedenes politisches Eingreifen veränderbar. Appelle an die Verantwortung des Einzelnen mögen zwar in der aktuellen Situation ihre Berechtigung haben, sind aber auf politischer Ebene nicht mehr als eine Bankrotterklärung. Es ist die Aufgabe demokratischer Verfassungsstaaten, die Rechte ihrer Bürgerinnen und Bürger zu schützen – daran hat sich mit der Verbreitung des Internets nichts geändert.
Kein Staat im Staate
Es ist höchste Zeit, die Praktiken der Geheimdienste konsequent aufzuklären und offenzulegen. Ihre Befugnisse müssen auf das Notwendigste reduziert und ihr Handeln demokratischer Kontrolle unterworfen werden. Der Ringtausch von Daten zwischen Geheimdiensten und Sicherheitsbehörden zur Umgehung rechtlicher Beschränkungen ist nicht länger hinnehmbar. In einer Demokratie kann es keinen Staat im Staate geben. Deshalb bedarf es u.a. einer Ausweitung der Befugnisse und eine bessere Ausstattung der Parlamentarischen Kontrollkommission. Die Speicherung von Vorratsdaten durch staatliche Stellen macht eine demokratische Gesellschaft nicht sicherer, sondern rührt an ihren Grundfesten. Nach dem Urteil des EuGH sollte die Debatte darüber nicht nur in Deutschland beerdigt werden, es gehören auch die nach wie vor bestehenden Regelungen in anderen EU-Staaten auf die Müllhalde der Geschichte.
Nationale Regelungen reichen nicht
Gegenüber Unternehmen brauchen wir die staatliche Durchsetzung der Prinzipien von Datensparsamkeit und Datensouveränität. Eine Stärkung der Datenschutzbehörden ist dazu ebenso angezeigt, wie erweiterte Auskunftsrechte gegenüber öffentlichen und privaten Stellen. In der geplanten EU-Datenschutz-Grundverordnung müssen europaweit einheitliche und höchste Datenschutzstandards durchgesetzt werden, denn allein im nationalstaatlichen Rahmen lässt sich die notwendige Regulierung schlicht nicht bewerkstelligen. Es ist Aufgabe der EU und ihrer Mitgliedsstaaten, die zu schaffenden gemeinsamen europäischen Standards durch internationale Verträge und Abkommen auch gegenüber internationalen Akteuren durchzusetzen. Mit Blick auf Freihandelsverträge wie TTIP und CETA gilt deshalb umso mehr, dass mit ihnen keine Preisgabe von Standards verbunden sein darf.
Statt einer Angstdebattte: Druck und Politik
Diese Schlaglichter können die bestehenden Herausforderungen nicht abschließend beschreiben. Sie zeigen aber auf, dass es politische Handlungsmöglichkeiten gibt. Es ist die Aufgabe gewählter Regierungen und Parlamente, sie zu ergreifen. Es ist unser aller Aufgabe, den dafür notwendigen öffentlichen Druck zu erzeugen. Wir dürfen uns keine Angstdebatte aufzwingen lassen, sondern müssen aktiv unser Recht auf Teilhabe an den enormen Chancen einfordern, welche die digitale Welt mit sich bringt. Denn diese sind seit den Enthüllungen Edward Snowdens nicht weniger, sondern nur weniger besprochen worden. Es gibt keinen Grund, sie zu vergessen oder gar auf sie zu verzichten.