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Ein US-Soldat auf Patrouille scannt die Augen von Afghanen im wehrfähigen Alter. Die Daten landen in einem Archiv mit digitalen Profilen. Dieses soll laut US-Armee helfen, die "guten von den schlechten Leuten zu unterscheiden". Foto: U.S. Army (CC BY 2.0)
Die Digitale Revolution ermöglicht eine ungekannte Überwachung - durch Unternehmen und den Staat. Welche Maßnahmen sind aus Sicherheitsgründen gerechtfertigt? Wie verändert Überwachung die Gesellschaft? Droht datenbasierte Diskriminierung? Ein Überblick.Von Alexander Wragge (Redaktion)
Hinweis: "Überwachte Welt" ist unser #pxp_thema. Dieses bestimmen wir nach Auswertung der Interessen der Community (mehr). Mit diesem Hintergrundtext möchten wir euch die Möglichkeit geben, das Thema umfassend zu erschließen und euch eine Meinung darüber zu bilden. Am 29. Oktober 2014 diskutieren wir "Überwachte Welt" im Rahmen eines Community-Abends (Informationen zum Termin) sowie Ende November in einer öffentlichen Podiumsdiskussion in Berlin (Näheres in Kürze). Alle laufenden Diskussionen finden sich unten aufgelistet – neue Diskussionstexte sind jederzeit willkommen. Am Ende liefern wir eine Zusammenfassung aller Thesen, Fragen und Impulse (Beispiel-Zusammenfassung).
Staatliche Überwachungsmaßnahmen sind so traditionsreich wie umstritten. Die digitale Revolution ermöglicht eine neue Qualität der Kontrolle. Können Reformen verhindern, dass Demokratien als Überwachungsstaat enden?
In Rechtsstaaten müssen Behörden allgemein strikte Regeln einhalten, wollen sie etwa Verdächtige ausforschen oder Daten über Bürger sammeln. Überwachung beschneidet schnell die Freiheitsrechte des Einzelnen. In Deutschland nutzten sowohl der NS-Staat als auch die DDR Überwachungsapparate, um politische Gegner zu verfolgen, und die Bevölkerung zu regimekonformen Verhalten zu zwingen.
Die Digitalisierung ermöglicht ganz neue Formen staatlicher Überwachung. Zahlreiche Daten geben potentiell Aufschluss über die Kommunikation, die Netzwerke, die Vorlieben, die Bewegungsprofile und Gewohnheiten der Bürger. Einem UN-Bericht zufolge haben einige Staaten die Möglichkeit, die gesamte Internet-und Telefon-Kommunikation der Bevölkerung zu überwachen und aufzuzeichnen. Moderne Technologien ermöglichen Staaten demnach die “invasive und willkürliche Überwachung von Personen, die teilweise gar nicht wissen können, dass sie überwacht werden und erst recht nicht in der Lage sind, sich zu wehren”, wie netzpolitik.org den Bericht zusammenfasst...
Nicht nur autoritäre Staaten wie China, Turkmenistan oder Saudi-Arabien forschen ihre Bürger digital aus (Siehe Bericht der Reporter ohne Grenzen). Seit den Enthüllungen des US-Whistlerblowers Edward Snowden Mitte 2013 steht zur Debatte, wie Demokratien die neuen Überwachungsmöglichkeiten nutzen. Die von Snowden entwendeten Dokumente offenbaren ein breites Überwachungsnetz der USA und ihrer Verbündeten Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland (Siehe hierzu auch das Publixphere-Thema “NSA-Abhörskandal”).
Im Zentrum steht die Massenüberwachung im Internet. Hierfür haben die USA die Befugnisse der Geheimdienste nach dem Anschlägen vom 11. September 2001 mit dem “USA Patriot Act” massiv ausgeweitet. Das Programm PRISM ermöglichte beispielsweise den Zugriff auf Chats, Mails und andere Daten von Anbietern wie Google, Microsoft, Facebook und Apple. Die Kooperation der Wirtschaft ist nicht unbedingt freiwillig. Dem Suchmaschinen-Anbieter Yahoo drohten täglich bis zu 250.000 Dollar Strafe, sollte er Nutzerdaten nicht an die US-Geheimdienste übermitteln.
Mehr als 50 Milliarden US-Dollar gaben die USA 2013 für ihre Geheimdienste aus. Allein 35.000 Menschen arbeiten laut einem Bericht der “Washington Post” daran, Verschlüsselungen zu knacken – etwa von Mails und Chats (Siehe auch Zeit Online).
Im April 2013 standen rund 120.000 Menschen weltweit unter Echtzeit-Überwachung der NSA, berichtet das ct-Magazin. Den Snowden-Dokumenten zufolge nutzt die NSA auch “Hintertüren” in Apps und Software, um Daten von Privatpersonen, Firmen und staatlichen Behörden abzuschöpfen. Die ARD zeigt in einem Beitrag etwa, wie die NSA den Erlanger Studenten Sebastian Hahn ausspähte. Vor den Snowden-Enthüllungen war die NSA dem Spiegel zufolge in Deutschland so aktiv wie in keinem anderen Land der EU. Deutschland sei als Partner, aber auch als Angriffsziel eingestuft worden.
Inwieweit der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) an der Massenüberwachung der NSA beteiligt ist, versucht ein Untersuchungs-Ausschuss des Bundestages derzeit herauszufinden. Nach Recherchen von SZ, NDR und WDR zeigen Dokumente eine enge Kooperation (“Operation Eikonal”). “Ausweislich der geheimen Unterlagen wurden von 2004 bis 2008 am Frankfurter Internetknoten abgefangene Rohdaten an den amerikanischen Partnerdienst weitergeleitet. Die NSA hatte darauf gedrungen, in Frankfurt Zugang zu erhalten.”
Unklar bleibt, ob die USA auch Wirtschaftsspionage in Deutschland betreiben. Das ZDF-Magazin "Frontal 21" berichtet zumindest, Geheimnisse der Firma Ferrostaal in Essen seien zugunsten eines amerikanischen Konkurrenten ausgeforscht worden.
Reformen gegen den Überwachungsstaat?
Mit dem “USA Freedom Act” will die US-Regierung die Befugnisse der Geheimdienste beschränken. Beispielsweise wäre die anlasslose Telefonüberwachung im Inland verboten. Auch soll das Geheimgericht FISA, das Überwachungen genehmigen muss, einen “Privatsphäre-Beirat” bekommen, der in wichtige Entscheidungen eingebunden wird. US-Präsident Barak Obama sagte zur Vorstellung des Gesetzesentwurfs: "Unser Regierungssystem beruht darauf, dass die Freiheit nicht von guten Absichten der Mächtigen abhängt; es beruht auf dem Recht, das die Mächtigen in ihrer Macht einschränkt."
Allerdings muss der US-Senat dem Gesetz noch zustimmen. Aktuell steht zur Debatte, ob die Reform angesichts der Bedrohung durch die Terrormiliz “Islamischer Staat” (IS) noch abgeschwächt wird. Kritiker warnen, die Reform erhöhe das Risiko von Anschlägen in den USA.
Die massenhafte Überwachung von Nicht-US-Bürgerinnen und -Bürgern bleibt laut netzpolitik.org von der US-Geheimdienstreform ausgeklammert. Die US-Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF) hält die bisherige Rechtsgrundlage für diese Praxis für verfassungswidrig. “Wer kein US-Bürger ist, dem nützt es nichts, dass die Verfassung seines Heimatlands das Recht auf Privatsphäre formuliert”, kommentiert der Bürgerrechtler Ben Haynes.
Das Europäische Parlament hat die “in gigantischem Ausmaß erfolgte systematische und pauschale Erfassung der personenbezogenen, oft auch intimen persönlichen Daten unschuldiger Menschen" verurteilt. Allerdings ist sein Abschlussbericht zur NSA-Überwachung (12. März 2014) zum NSA-Skandal rechtlich nicht bindend.
Mehr Schutz vor staatlicher und privatwirtschaftlicher Überwachung soll die neue Datenschutzgrundverordnung der EU (Siehe Publixphere-Thema: EU-Datenschutzreform) bringen, die noch verhandelt wird. Eine zentrale Neuerung ist das sogenannte Marktortprinzip. Demnach müssen Unternehmen, die Dienste in der EU anbieten, europäisches Recht einhalten, auch wenn sie die Daten außerhalb der EU verarbeiten. Betroffen wären davon etwa Internetkonzerne wie Facebook und Google. “Der Entwurf der Datenschutz-Grundverordnung regelt zwar nicht die Zulässigkeit von Überwachungsmaßnahmen, wohl aber die Frage des Umgangs privater Unternehmen mit Daten der europäischen Bürgerinnen und Bürger”, so der SPD-Politiker Gerold ReichenbachMdB, SPDauf Publixphere. “Mit einer starken europäischen Datenschutz-Grundverordnung kann Europa die gesetzliche Kontrolle über die Erhebung, Verwendung und Weitergabe von Daten wieder zurückerlangen”.
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Kommerzielle Überwachung
Von der simplen Internet-Suche über das Skype-Gespräch bis zur Körperüberwachung per Fitness-Uhr – noch nie produzierten Menschen so viele Daten. Unternehmen suchen nach Wegen, sie gewinnbringend zu nutzen.
Die neuen staatlichen Überwachungsmaßnahmen fallen in eine Zeit, in der Unternehmen immer mehr Daten erfassen, nicht nur weil immer mehr berufliche und private Kommunikation online abläuft. Beispielsweise erhalten Autos Fahrtenschreiber. Autoversicherungen überwachen so, wie riskant das Fahrverhalten ist – und belohnen vorsichtige Fahrer mit geringeren Tarifen. Ein weiterer Trend: die Erfassung von Körperdaten wie Blutdruck und Puls – etwa über eine Smartwatch am Handgelenk. Einer Schätzung zufolge wurden allein 2012 so viele Daten erzeugt wie in der gesamten Menschheitsgeschichte zuvor...
Die Datenerfassung und -analyse dient so unterschiedlichen Zwecken wie der gezielten Werbung, der Medizin, der Verkehrsplanung oder der Suche nach dem richtigen Partner. Das Konzept, möglichst viele und verschiedenartige Daten zu sammeln, und ihre Zusammenhänge zu erforschen (beispielsweise Kundenwünsche vorherzusehen), wird auch “Big Data” genannt.
Schon reine Metadaten (etwa über Telefonverbindungen) können aufschlussreich sein, zeigten Forscher der Universität Stanford mit einem Experiment. Nur anhand von Metadaten konnten sie auf Geschlechtskrankheiten, außereheliche Affären, Waffenbesitz und Drogenhandel der überwachten Personen schließen, berichtet die Süddeutsche Zeitung. Der Grünen-Politiker Malte Spitz erstellte schon 2009 aufgrund seiner von der Deutschen Telekom gespeicherten Handydaten sein eigenes animiertes Bewegungsprofi, um gegen die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland zu protestieren.
Welche digitalen Spuren der Bürger durch bloßes Internet-Surfen hinterlässt, zeichnet der Journalist Ole Reissmann nach. Werbe-Netzwerke wie Facebooks "Atlas"-System können potentielle Konsumenten über verschiedene Geräte hinweg verfolgen und wiedererkennen, um ihnen maßgeschneidert Werbung anzuzeigen.
Viele vermeintlich unbedeutende Spuren lassen sich erstaunlich weitreichend interpretieren. Eine britische Studiezeigt, dass bereits "Gefällt mir"-Angaben auf Facebook viel über die Nutzer verraten können. So schätzten die Forscher anhand der "Likes" recht treffsicher die Intelligenz, die sexuelle Orientierung, die Religion, die Hautfarbe und die politische Einstellung der Testpersonen ein. Ermöglicht würden so beispielsweise Werbeanzeigen, die gezielt die psychischen Eigenschaften der angesprochenen Personen ausnutzen.
Kritiker sehen speziell in der Kombination aus privatwirtschaftlicher Datenerfassung und staatlicher Überwachung Gefahren für die Demokratie. “Die gleichen Algorithmen, die Facebook nutzt, um unsere Interessen und Sehnsüchte zu verstehen, dienen Regierungen und privaten Sicherheitsfirmen, um zu kalkulieren, ob wir heute oder in der Zukunft ein Risiko darstellen”, meint etwa der US-Bürgerrechtler Ben Haynes.
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Aktuelle Kontroversen
Der Überwachungskomplex wirft zahlreiche gesellschaftliche Fragen auf. Verändert schon gefühlte Überwachung unser Verhalten? Muss der BND mit der NSA mithalten? Werden Unternehmen Menschen datenbasiert diskriminieren? Aktuelle Kontroversen im Überblick...
Berechtigte Terrorabwehr?
Behörden rechtfertigen die stattliche Überwachung meist mit der Terrorabwehr. Andrew Parker, Chef des britischen Geheimdienstes MI5, erläuterte in einer Rede (Original, Englisch) den Ansatz, in jegliche digitale Kommunikation eindringen zu dürfen: “Der MI5 wird weiterhin die Fähigkeit benötigen, die Kommunikation von Terroristen zu überwachen, wenn uns das ermöglicht, ihre Absichten zu kennen und sie zu stoppen. Das Gegenteil dazu wäre, zu akzeptieren, dass Terroristen Möglichkeiten zur Kommunikation haben, bei denen sie sicher sein können, dass sie außerhalb der Überwachungsmöglichkeiten des MI5 oder GCHQ liegen – basierend auf unseren gesetzmäßigen Befugnissen. Glaubt das tatsächlich irgendjemand?”.
Auch der Bundesverfassungsschutz hält die Überwachung digitaler Kommunikation grundsätzlich für notwendig – etwa mit Verweis auf Dschihadisten in Deutschland. Ein Nachrichtendienst brauche die nötigen Instrumentarien, um im Sicherheitsinteresse digitale Kommunikation nachvollziehen zu können, so Thomas Haldenwang, Vizepräsident des Verfassungsschutzes, jüngst bei einer Konferenz in Kiel. Gelöst werden müsse der Spagat zwischen digitalen Menschenrechten und Sicherheit am konkreten Einzelfall. "Die Zauberformulierung lautet hier Verhältnismäßigkeit.”
Der US-Whistleblower Edward Snowden bestreitet nicht, dass die Massenüberwachung Terror-Pläne aufdecken könne. Zugleich beobachtet er seit Jahren den Weg in den Sicherheitsstaat und fragt: “(...) Ist das die Gesellschaft, in der wir leben wollen?”. Der ehemalige NSA-Technikchef William Binney sagt, der Geheimdienst verfolge seit den Anschlägen am 11. September 2011 einen "totalitären Ansatz", wie man es bislang nur aus Diktaturen kenne. "Wenn Sie zehn Milliarden Dollar in eine Geheimdienstbehörde investieren", so Binney vor dem NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages, "dann ist das genug Geld, um ein ganzes Imperium zu gründen, das Daten sammelt. Genau das passiert."
Das Dogma “Mehr Überwachung schafft mehr Sicherheit” verortet der Publizist Sascha Lobo als “Esoterik” und “Propaganda”.
Wird der BND zur NSA?
Umstritten ist, ob der BND der NSA bei der Netzüberwachung nacheifern soll. Anlass der Diskussion sind Pläne des Dienstes, soziale Netze in "Echtzeit" auszuforschen und hierfür digital aufzurüsten. Dagegen regt sich breite Kritik. Marco Vietinghoff (Junge Liberale)Mitglied JuLis spricht auf Publixphere von einem Angriff auf die Bürgerrechte. Der BND dürfe nicht die deutsche NSA werden. Auch die SPD-Netzpolitiker SaskiaEskenMdB, SPD und Burkhard LischkaMdB, SPDkritisieren auf Publixphere die Argumenation, der BND müsse „auf Augenhöhe“ mit anderen Geheimdiensten vorgehen. “Wir können nicht auf der einen Seite die Praxis der amerikanischen und britischen Nachrichtendienste und die flächendeckende Ausspähung als maßlos und grundrechtswidrig kritisieren und zum Gegenstand eines Untersuchungsausschuss machen, gleichzeitig aber einfordern, dass unsere Dienste das gleiche Instrumentarium bekommen sollen”, so Esken.
Das für die BND-Finanzierung zuständige Vertrauensgremium hat eine Entscheidung über das 300 Millionen Euro schwere Programm namens "Strategische Initiative Technik" (SIT) im Juni 2014 vertagt. Wann ein Entschluss gefasst wird, bleibt unklar.
Der frühere Verfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier hält die Auslandsüberwachung des Bundesnachrichtendienstes (BND) für teilsweise grundgesetzwidrig. Es sei nicht vom Grundgesetz gedeckt, dass der BND nach Belieben E-Mails ausspähen und Telefonate abhören dürfe, sofern kein deutscher Staatsbürger betroffen ist, so Papier in einem Interview. Zuletzt war bekannt geworden, dass der BND zum Beispiel den NATO-Partner Türkei ausspäht.
Wer überwacht den BND?
Der NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages befasst sich auch mit der Rolle des BND. Der Verein “Digitale Gesellschaft”, der sich für menschenrechts- und verbraucherfreundliche Netzpolitik einsetzt, sieht eine Verwicklung des Dienstes in die “globale geheimdienstliche Spähmaschinerie”. Die parlamentarische Kontrolle des BND sei in ihrer gegenwärtigen Form nicht geeignet, den “Schutz von Grundrechten und Verfassung” zu gewährleisten. Der Digitale Gesellschaft e.V. fordert, das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) für die deutschen Geheimdienste mit einem eigenen Mitarbeiterstab auszustatten. Die Jungen Liberalen wollen die Befugnisse des PKGr stark auszuweiten. Es soll zum Beispiel ein Klagerecht gegenüber den Geheimdiensten erhalten.
Burkhard LischkaMdB, SPD, SPD-Obmann im PKGr, sieht allerdings aktuell keinen gesetzlichen Reformbedarf bei der Geheimdienst-Aufsicht. “Vielmehr müssen wir die bereits bestehenden gesetzlichen Grundlagen besser in ihrem vollen Umfang nutzen, um die Kontrolle zu intensivieren” so Lischka auf Publixphere. Man habe bereits ein eigenständiges Referat mit mehr Personal beschlossen, dessen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Nachrichtendienste ohne „Vorwarnung“ aufsuchen und überprüfen können.
Zensieren wir uns selbst?
Im Zentrum der Debatte steht, welche Folgen die (potentielle) Überwachung auf den Alltag der Bürgerinnen und Bürger hat. Äußern sie sich etwa weniger frei in sozialen Netzwerken und Mails und üben Selbstzensur? Trauen sie sich nicht mehr, radikale Positionen einzunehmen und verhalten sich möglichst regierungskonform? In der “Kontrolle der Gesellschaft” sieht der US-Journalist Glenn Greenwald den eigentlichen Zweck der Massenüberwachung.
Schon die Möglichkeit, überwacht zu werden, führe zu angepasstem Verhalten und Selbstzensur, so Greenwald unter Berufung auf Studien und zahlreiche historische Beispiele. Greenwald kommt zu dem Schluss: “(...) die Freiheit wird allein schon durch die Angst beschränkt, unter Beobachtung zu stehen. Darunter hat letztlich jeder zu leiden – auch derjenige, der gar keine Kritik übt und sich nicht politisch betätigt.”
Greenwald veröffentlicht regelmäßig Erkenntnisse aus Edward Snowdens Fundus an NSA-Dokumenten, aktuell auf der Plattform Intercept. In seinem Buch “Die globale Überwachung: Der Fall Snowden, die amerikanischen Geheimdienste und die Folgen“ bereitet der Snowden-Vertraute den Überwachungskomplex umfangreich auf. Eine Kurzfassung liefert er in dem Artikel “NSA: Die Schere im Kopf”.
Auch auf Publixphere wird diskutiert, wie unfrei die (potentielle) Überwachung macht. Emil beschreibt: “Wenn einmal die Diktatur zurückkehrt, dann weiß diese alles über mich – über meine sexuellen Vorlieben, über meine politischen Ansichten, über kleine Lügen und Lästereien. Autoritäre Machthaber der Zukunft hätten mich in der Hand.” pedroB5 meint:
“Der schlimmste Fall, den ich mir als Bürger, der in einem demokratischen Staat lebt, vorstellen kann, ist dass Menschen aus Angst vor Überwachung mit Selbstzensur reagieren und bestimmte Inhalte gar nicht mehr verbreiten.” Doro rät davon ab, ganz Persönliches oder Existentielles noch per Internet zu kommunizieren.
Eine konkrete Angst wird auf Publixphere mehrfach artikuliert: ein bestimmtes Internetverhalten könne ein Einreiseverbot in die USA zur Folge haben. Kathrin hat hierzu eine Diskussion gestartet – und fragt: “Gibt es Worte, die ich in der privaten Kommunikation, in Mails und Chats nicht nutzen darf, wenn ich nicht bei US-Behörden auf irgendeiner schwarzen Liste landen und Schwierigkeiten bei der Einreise bekommen will?”. Tatsächlich ist die Frage schwer zu beantworten. Von Einreiseverboten, die möglicherweise mit dem Internetverhalten in Zusammenhang stehen, berichten unter anderem tagesspiegel.de, die Hans-Böckler-Stiftung, netzpolitik.org, die Frankfurter Rundschau, vice.com und spiegel.de. Eine Publixphere-Anfrage zu den Regeln für die Einreiseverbote ließ die US-Botschaft in Deutschland bislang unbeantwortet.
Big Data und Profilbildung – drohen Diskriminierungen?
Zahlreiche Experten warnen vor Risiken des Big-Data-Ansatzes, der immer mehr Wissen über den einzelnen ermöglicht. Denkbar wäre zum Beispiel, dass Menschen aufgrund ihres digitalen Profils ihre Arbeit verlieren, oder dass man ihnen einen Mietvertrag, einen Kredit oder eine günstige (Kranken-)Versicherung verweigert.
In den USA wertet das Unternehmen Spokeo bereits systematisch öffentlich zugängliche Personendaten aus, die meist auch Hautfarbe, Einkommen oder Religion preisgeben.
Arbeitgebern und Vermietern ermöglichen die digitalen Profile eine subtile Form der Diskriminierung. Nur bestimmte “Wunschpersonen” bekommen beispielsweise im Netz eine Stellenanzeige oder ein Wohnungsangebot zu sehen, andere dagegen nicht.
Der US-Regierungsberater John Podesta hat im Mai 2014 einen umfassenden Bericht zu den Chancen und Risiken von Big Data vorgelegt. Podesta fordert neue gesetzliche Regelungen. Big-Data-Analysen dürften nicht verwendet werden, um Menschen zu diskriminieren. Vertreter der Internetbranche wehren sich gegen die Vorschläge. Sie würden Innovationen behindern und Arbeitsplätze gefährden.
Auch der deutsche Internetforscher Viktor Mayer-Schönberger sieht den Gesetzgeber gefordert, um Big-Data-Gefahren rechtzeitig zu bannen. Beispielsweise müsse man es Krankenversicherungen verbieten, mittels Big-Data-Analyse zwischen den einzelnen Versicherten zu differenzieren – um etwa von Risiko-Gruppen höhere Beiträge zu verlangen. Thilo Weichert, noch amtierender Datenschutzbeauftragter in Schleswig-Holstein fordert mehr Transparenz über die Informationsverarbeitung bei den Unternehmen, um Diskriminierungsgefahren zu bannen. "Ich möchte wissen, wie der Algorithmus aussieht", so Weichert. Würden Angaben über Finanztransaktionen, Bonität, medizinische Behandlung, privaten Konsum, Berufstätigkeit, aus der Internetnutzung, von elektronischen Karten und Smartphones oder aus der Video- und Kommunikationsüberwachung zusammengeführt, könne daraus ein gefährliches Ungleichgewicht entstehen.
Hinweis: Am 26. November sind die Online-Impulse in ein Publixphere-Panel zum Thema mit SPD-Politiker Gerold ReichenbachMdB, SPD, dem Bundesvorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt, der Regisseurin Christiane Mudra sowie Silvana Tiedemann als Vertreterin der Publixphere-Community eingeflossen.
Die Audio-Aufzeichnung zur Diskussion gibt es hier.