#pxp_Thema: Troika und Eurokrise

*In Porto protestieren Menschen gegen die Sparvorgaben der Troika (März 2013). Foto: picture alliance / dpa*Hinter der Eurozone liegen lange Jahre der Krisenbewältigung. Doch wie legitim, erfolgreich und zukunftstauglich waren und sind die Rettungsmaßnahmen? Das diskutierten Nutzerinnen und Nutzer auf Publixphere mit Vertreter*innen aus Politik, Gesellschaft und Wissenschaft - online und offline. Eine Zusammenfassung.

Text: Alexander Wragge (Redaktion), Creative Commons Namensnennung-Keine Bearbeitung Lizenz 2.0

Politischer Kontext

Noch sind sie frisch in Erinnerung: Schlagzeilen wie „Steht der Euro vor dem Kollaps?“ und „Verkauft doch eure Inseln, ihr Pleite-Griechen!“. Doch inzwischen scheint sich die Lage beruhigt zu haben. Von akuten Staatsschuldenkrisen in der Eurozone ist kaum noch die Rede. Was ist geschehen?

Die EU, der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Europäische Zentralbank (EZB) schufen seit 2010 ein komplexes Rettungsregime für angeschlagene Euro-Staaten. Zentrales Element sind Kredithilfen. Auch Deutschland haftet hierfür mit maximal 190 Milliarden Euro. Zugleich hat die EZB 2012 die Märkte beruhigt – mit der Ankündigung, notfalls unbegrenzt Staatsanleihen kriselnder Euro-Staaten aufzukaufen.

Griechenland, Zypern, Portugal, Irland und Spanien bekamen und bekommen die Kredithilfen nur unter Auflagen. Mit den Geldgebern vereinbarten sie Reformprogramme – vom Stellenabbau im öffentlichen Dienst über Privatisierungen bis zur Liberalisierung des Arbeitsmarkts. Auf Beschluss der EU-Staats- und Regierungschefs (2011) sind Beamte der EU-Kommission, des IWF und der EZB damit befasst, die "Gegenleistungen für finanzielle Beihilfen” mit den Krisenländern auszuhandeln und zu überwachen. Für dieses Dreigespann fand die griechische Presse den griffigen Namen „Troika“.

Die Reformprogramme führten zu teilweise heftigen Protesten - etwa in Griechenland und Portugal. Verantworten müssen sich die Beamten gegenüber den Finanzmistern der Eurozone, die wiederum ihren nationalen Parlamenten und Wählern gegenüber rechenschaftspflichtig sind. Das Besondere an der – aus der Not geborenen – Konstruktion: das EU-Parlament hat keine Mitsprache- und Kontrollrechte.

Zwar beziehen Portugal, Irland und Spanien keine neuen Kredithilfen mehr, trotzdem wirkt das Rettungsregime der Troika nach. Umstritten bleiben ihre Legitimation, ihre Bilanz und ihre (institutionellen) Alternativen.

pxp_thema August 2014

Das studentische Think Tank Project for Democratic Union (PDU) hat auf Publixphere eine Diskussion zur Troika-Politik angestoßen. Daraus entwickelte sich - angesichts des großen Interesses der Community - das „Thema des Monats“ August (#pxp_thema). Neben zahlreichen Nutzer*innnen beteiligten sich über Wochen hinweg Politiker und Experten an der Debatte. Am 20. August diskutierten wir die Troika in Berlin (Fotos), mit PDU-Geschäftsführer Benjamin Zeeb (Benjamin Project for Democratic Union European Republic ) und Michael Vollprecht, dem stellvertretenden Leiter der politischen Abteilung der Vertretung der EU-Kommission in Deutschland.

Informationen zur Troika haben wir in einem Hintergrund-Text zusammengetragen. Im Folgenden seien die Thesen, Knackpunkte und offenen Fragen der Debatte zusammengefasst

Demokratische Legitimation

Wie demokratisch ging es zu, als Krisenländer wie Griechenland sich einen harten Spar- und Reformkurs verordneten? Hatten sie überhaupt eine Wahl oder unterlagen sie einer „Bürokratenherrschaft ohne Verantwortung“? Bei der Frage, wie legitimiert die Troika-Politik ist, gehen die Bewertungen weit auseinander...

Sie waren gewiss nicht ohne Dramatik – die Situationen, in denen Griechenland, Zypern, Portugal, Irland und Spanien beschlossen, Kredithilfen aus dem Euro-Rettungsschirm zu beantragen. Zuvor waren ihre Kreditkosten am Kapitalmarkt (also die Zinsen auf ihre Staatsanleihen) in die Höhe geschnellt. Es drohten kaum noch tragbare Zinslasten - wenn nicht der Bankrott. Zugleich fürchteten Geberländer wie Deutschland, sich mit den Hilfen zu übernehmen. Beim Bundesverfassungsgericht gingen zahlreiche Klagen ein. Unter – teils erheblichem – Zeitdruck erarbeiteten die Kreditnehmerländer mit der Troika Reformprogramme, um ihre wirtschaftliche und finanzielle Lage langfristig zu stabilisieren.

„Verrat an der Demokratie“

Folgt man der Lesart des Project for Democratic Union, hatten die Krisenländer in den – nicht öffentlichen – Verhandlungen mit den Geldgebern kaum Möglichkeiten, die Bedingungen für die Kredithilfen abzulehnen. In manchen Fällen hätte ein Staatsbankrott gedroht, hätten sich die Parlamente verweigert. Ein breiter demokratischer Willensbildungsprozess zu den Reformen fiel dem PDU zufolge aus. Die Kernthese der Denkfabrik: „In vielen Staaten der Eurozone ist als Folge der Krise die Demokratie de facto abgeschafft worden“. Tatsächlich verengten sich die Handlungsspielräume der Krisenländer, vor allem in der Budgetpolitik. Die Auszahlung weiterer Kredithilfen war stets an bestimmte Haushaltsziele gekoppelt.

Auch EU-Abgeordnete halten den Reformprozess gemäß den Analysen und Empfehlungen der Troika für undemokratisch. Der SPD-Abgeordnete Udo Bullmann MdEP, SPD spricht in seinem Diskussionsanstoß von einer „Bürokratenherrschaft ohne Verantwortung“. Die Troika habe nationale Parlamente entmachtet und über das Schicksal von Millionen von Menschen entschieden. Dabei unterliege sie „keinerlei demokratischer oder öffentlicher Kontrolle“.

Noch schärfere Worte wählt Fabio De Masi MdEP, DIE LINKE . „Die Troika wurde geboren, um die Demokratie zu verraten“, so der linke EU-Abgeordnete in seinem Diskussions-Beitrag auf Pubixphere. Sie sei „Gift für Europa“. David Hafner, Österreichischer Gewerkschaftsbund ÖGB , meint in einer Bestandsaufnahme, die Eingriffe in souveräne Entscheidungsrechte der Programmländer hätten das Vertrauen vieler Menschen in die Demokratie stark erschüttert.

„Unredliche Zweifel“

Heftiger Widerspruch kommt vom Herbert Reul MdEP, CDU , dem Vorsitzenden der CDU/CSU-Gruppe im EU-Parlament. Es sei „unredlich“, Zweifel an der Legitimation der Troika zu schüren, denn: „Die Reformmaßnahmen wurden in den jeweiligen nationalen Parlamenten diskutiert und beschlossen.“ Das deutsche Bundesfinanzministerium hält die Hilfsprogramme ebenfalls für vollständig demokratisch legitimiert (Siehe Hintergundtext). Reul erinnert zudem in seinem Diskussionsbeitrag an die Entstehung der Krise. „Nicht die Troika ist Schuld an der hohen Staatsverschuldung und den wirtschaftlichen Problemen, sondern die nationalen Regierungen der betroffenen Länder.“

Auch Experten vom Centrum für Europäische Politik CEP in Freiburg, dem europapolitischen Think-Tank der Stiftung Ordnungspolitik, halten in einem Diskussions-Beitrag fest: „Dass die Regierungen der Programmländer Griechenland, Irland, Portugal und Spanien unangenehme Verhandlungen mit der Troika führen mussten, daran waren in erster Linie sie selbst schuld.“ Zugleich räumen die CEP-Experten ein: „Die Bevölkerung der Programmländer fühlt sich massiv fremdbestimmt“. Vereinzelt Zuspruch erhält Reul auch aus dem Forum. „Die Troika ist Teil der Lösung, nicht des Problems“, meint Ingeborg.

Auch Michael Vollprecht (EU-Kommission) widerspricht der Darstellung des PDU. Die kreditnehmenden Länder hätten immer einen „relativ großen Ermessensspielraum“ in der Umsetzung der Reformprogramme gehabt, so Vollprecht beim Diskussionsabend in Berlin. Vollprecht erinnert ebenfalls daran, dass eine teilweise verfehlte Wirtschaftspolitik dafür verantwortlich ist, wenn heute die haushaltspolitischen Möglichkeiten der Programmländer beschränkt sind. Prinzipiell würden alle EU-Länder immer auch haushaltspolitische Souveränität an die europäische Ebene abgeben. „Die EU ist ein Club mit Rechten und Pflichten.“

Der vereinfachten These "Die Südländer waren selber schuld" widerspricht das PDU in seiner Antwort auf den Text von CDU-Politiker Herbert Reul. „Fakt ist auch, dass die Verschuldung der 'Krisenstaaten' relativ zum Bruttoinlandsprodukt (außer in Griechenland) nicht durch Missmanagement entstanden ist, sondern durch die Übernahme von Verbindlichkeiten global agierender Banken.“ Michael Vollprecht (EU-Kommission) wirbt ebenfalls für eine differenzierte Betrachtung der Krisenursachen in der Eurozone. Ein entscheidender Ausgangspunkt sei die globale Finanz- und Wirtschaftskrise (ab 2008) gewesen. Hierzu stellt MisterEde seine Thesen zur Diskussion.

Komplexe Verantwortlichkeiten

Generell kreiste die Debatte auf Publixphere (online und offline) nicht allein um die formale Legitimation der Reformmaßnahmen. Es geht auch darum, wer dafür faktisch die Verantwortung übernimmt. Die Konstruktion - Beamte dreier Institutionen verantworten ihre Arbeit gegenüber 18 Finanzministern der Eurostaaten (und dem IWF) - macht es den nationalen Wähler*innen nicht leicht, Fehler und Erfolge zuzuordnen. Udo Bullmann MdEP, SPD meint: „Rechenschaftspflicht ist ein wichtiger Teil der Demokratie, auf den die Bürger ein Anrecht haben.“ Den Bürgern Europas dürfe es nicht länger verwehrt bleiben, den richtigen Weg aus der Krise mit zu wählen. Klaus hakt im Forum nach: „Eigentlich hätte sich die schwarz-gelbe Bundesregierung ja für die Troika-Maßnahmen genauso 'rechtfertigen' müssen wie die griechische und portugiesische? Ich kann mich an entsprechende Debatten aber nicht erinnern - auch ein Versäumnis der (deutschen) SPD?“.

Auch für MisterEde sind nicht die Troika-Beamten der richtige Adressat für Kritik. „Die Verantwortung für die miserable Krisenpolitik tragen meines Erachtens (...) ausnahmslos und uneingeschränkt die Regierungschefs, die sich für die damalige Rettungspolitik entschieden haben, und nicht die Troika, die lediglich auf Basis dieser Politik arbeitet.“

Rakaba vermutet hinter dem Rettungsregime eine Strategie, die Verantwortung für schmerzhafte Strukturreformen hin und her zu schieben. „Die deutsche Regierung kann dem Hass auf den Gläubiger entgegnen: die Troika (der IWF) war’s. Die griechische Regierung kann ihren Wählern sagen: Was sollen wir machen? Die Troika regiert!“. Auch Udo Bullmann MdEP, SPD spricht von einer „organisierten Unverantwortlichkeit“.

Ist eine Troika völlig normal?

MisterEde meint dagegen, Gremien wie die Troika müssten nicht direkt politisch legitimiert werden. „Aus meiner Sicht sind solche Konstruktionen mit einem zusätzlichen Gremium oder einer zusätzlichen Kommission völlig normal und weder besonders intransparent noch eine Frage der demokratischen Legitimation.“ Die Entscheidungen müssten am Ende ja von den demokratisch legitimierten Vertretern getroffen werden.

Experten der CDU-nahen Konrad Adenauer-Stiftung (KAS) gehen die Legitimationsfrage in ihrem Diskussionsbeitrag eher beschreibend an. Zunächst seien die Kompetenzen und Erfahrungen der Troika für den langfristigen Erfolg der Programme in den notleidenden Länder zwingend erforderlich. Zugleich stellt die KAS Brüssel KAS Brüssel fest, das EU-Parlament habe bei den Aktivitäten der Troika kein direktes Mitsprache- oder Entscheidungsrecht. Mit Blick auf die Verantwortlichkeit der nationalen Parlamente würdigt das Brüsseler Büro der KAS ihre gegenseitige Vernetzung über die neue Institution COSAC. Generell gelte: „Je direkter die Bürgerbeteiligung an Entscheidungsprozessen staatlicher Institutionen, desto stärker ihre demokratische Legitimität.“

Der deutsche Einfluss

Wie das PDU sieht auch der Linkspolitiker Fabio De Masi MdEP, DIE LINKE bei der deutschen Regierung die Hauptverantwortung für die – in seiner Sicht gescheiterten – Rettungspolitik. „Die Troika soll den Eindruck vermeiden, die Regierungen der Gläubigerstaaten der Eurozone – insbesondere die Regierung Merkel - würden andere Euro-Länder beherrschen“, so De Masi. „Doch jeder weiß, dass die Musik im Kanzleramt spielt.“ Auch nemo meint, die Troika exekutiere eine Politik, „die die Europäische Kommission und EZB unter wesentlichem Einfluss von deutschem Austeritätsdenken vorgegeben haben“.

In den auf Publixphere geführten Diskussionen gibt es allerdings gleichsam Verständnis für die Position der Geberländer. Ingeborg stellt einen Vergleich an: Auch eine Bank rede ihr als Kreditnehmerin unter Umständen ins Geschäft rein. „Schließlich muss die Bank fürchten, dass ich den Kredit sonst nie wieder zurückzahle, sie vielleicht sogar mit in den Abgrund reiße (bei entsprechenden Volumen).“ So könne man das Verhältnis der Geber- und der Nehmerländer auch sehen. „Das ist nicht schön und auch nicht ideal demokratisch und europäisch organisiert, sondern einfach mal hartes politisches und ökonomisches Geschäft.“

Bilanz der Troika-Politik

Sparen sich die Krisenländer zu Tode oder stärken sie aktuell ihre Wettbewerbsfähigkeit? Sind die Rettungskonzepte einseitig "neoliberal" - zugunsten der Reichen und zulasten der Arbeitnehmer? Die wirtschafts- und finanzpolitische Bilanz der Troika-Politik bleibt umstritten...

Eng mit der Legitimations-Debatte verknüpft ist die Bilanz des Rettungsregimes. Das Project for Democratic Union kommentiert: „Mit dem Ausbleiben des wirtschaftliche Erfolges der verschriebenen Spar-Maßnahmen ist auch noch die klassische Legitimation des autoritär-technokratischen Regierungshandelns weggebrochen.“

Einen Überblick über die aktuellen Reformen in den Euro-Staaten liefert der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) mit seinem Euro-Reformmonitor (Stand Juli 2014).

„Nichts als Brachland“

Das PDU hält den wirtschafts- und finanzpolitischen Kurs für verfehlt, den sich die Krisenländer in Absprache mit der Troika verordneten. Als Beleg führt die Denkfabrik unter anderem die gestiegene Schuldenlast und Jugendarbeitslosigkeit in den Programmländern an. Das Handeln der Troika werde von der großen Mehrheit internationaler Ökonomen als töricht angesehen und reiße die gesamte Eurozone immer tiefer in die Krise, so das PDU. Statt echten Strukturreformen sei „Rotstift“ das Motto gewesen.

Auch Udo Bullmann MdEP, SPD , Fabio De Masi MdEP, DIE LINKE , der Österreichische Gewerkschaftsbund und zahlreiche Nutzerinnen und Nutzer ziehen eine negative Bilanz. „Diese Troika hat die Krisenländer seitdem mit einem Kürzungsfeldzug nach dem anderen überzogen“, meint Bullmann. „Hinterlassen haben diese Attacken mit der Sense nichts als Brachland, sinkendes Wirtschaftswachstum und unaufhaltsam gestiegene Arbeitslosigkeit.“

Scharf formuliert auch De Masi: „Die Troika hat die Euro-Zone in die Depression geführt, eine verlorene Generation geschaffen und begräbt die europäische Idee.“ Der Österreichische Gewerkschaftsbund meint, man habe die negativen Auswirkungen der einseitigen Sparpolitik auf das Wachstum in der EU „systematisch" unterschätzt. "Die wirtschaftliche und soziale Katastrophe in einigen Mitgliedstaaten wird auch Folgen für die übrigen Länder der EU nach sich ziehen."

Zumindest der IWF hat inzwischen auch Fehler in der Rettungspolitik eingeräumt. Mitte 2013 gestand der IWF ein, die Folgen der Sparmaßnahmen für die griechische Konjunktur unterschätzt zu haben. Der IWF war zunächst davon ausgegangen, dass das griechische Bruttoinlandsprodukt (BIP) bis 2012 um 5,5 Prozent sinken würde. Tatsächlich brach das BIP um 17 Prozent ein.

Zuletzt kritisierten auch 17 Nobelpreisträger die Euro-Krisenpolitik – und richteten sich speziell an Bundeskanzlerin Angela Merkel. Der Harvard-Professor Eric Maskin sagte bei einem Treffen (Ende August 2014), Merkel verfolge in Europa eine völlig falsche Politik. „Der von ihr verordnete Sparkurs wird die Euro-Zone in die Depression schicken.“

„Steigende Wettbewerbsfähigkeit“

Herbert Reul MdEP, CDU verteidigt dagegen den Eurorettungs-Kurs: „Im Auftrag der Euroländer hat die Troika in den vergangenen Monaten und Jahren sehr gute Arbeit geleistet.“ Das Ergebnis könne sich sehen lassen. Die Hilfskredite hätten zusammen mit den Reformauflagen Staatspleiten verhindert. Reul fordert: „Die Troika muss die Reformanstrengungen der Krisenländer weiterhin zielführend begleiten, damit Schuldenberge abgebaut und Wettbewerbsfähigkeit der Länder und damit der gesamten Eurozone gestärkt wird.“

Das Brüsseler Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung verzeichnet ebenfalls erste Reformerfolge, etwa eine „gestiegene Wettbewerbsfähigkeit der portugiesischen Wirtschaft“. Zugleich sei die Krise in Portugal noch nicht überstanden. Griechenland stehe noch vor vielen Reformen.

Auch das Centrum für Europäische Politik CEP sieht – mit Verweis auf eine hauseigene Analyse (cepDefaultIndex) – positive Entwicklungen in Irland, Spanien und Portugal. Griechenland bleibe dagegen das Sorgenkind der Euro-Zone.

Eine komplexe Bilanz...

Auch aus dem Forum kommen zumindest Zweifel, ob Kritiker die Troika-Politik nicht zu negativ darstellen. Rakaba meint: „Inhaltlich kann ich das alles (…) nicht recht bewerten, weil ich nicht weiß, wie starr und wirtschaftshemmend die Arbeitsmärkte in Griechenland und Portugal waren bzw. ob die Troika-Reformen an dieser Stelle nicht auch richtig waren und sind.“ GeertV kommentiert: „Ich kenne Griechen, die am eigenen, reformunfähigen Land verzweifelten, und die es vielleicht nicht so offiziell sagen, die aber froh sind, über so manche Reform. Wir hatten es hier beinahe mit einem Failed State zu tun.“

Kritik gibt es an der These, die Maßnahmen der Troika hätten den Krisenländern den Weg zurück an die Kapitalmärkte geebnet. David Krappitz Mitglied JEB verweist auf die Rolle der EZB. Deren Programm zum Ankauf von Anleihen sei entscheidend dafür gewesen, dass die Kreditwürdigkeit der Krisenländer sich an den Märkten verbesserte, so Krappitz beim Diskussionsabend in Berlin.

Michael Vollprecht (EU-Kommission) hält eine Bilanz für verfrüht. Faktisch habe sich die Eurozone aber stabilisiert, nach innen und nach außen. Die Troika sei auch nur ein Teil der EU-Maßnahmen zur Krisenbewältigung. Zum Gesamtkontext gehörten unter anderem auch nationale und europäische Investitionsprogramme, der Stabilitäts- und Wachstumspakt und die Bankenunion. „Die Troika ist im Grunde nur die Feuerwehr, renoviert werden muss am Ende das ganze Haus.“

Einseitig neoliberal?

Grundsätzlich kreist die Debatte auf Publixphere um die Denkschulen hinter den wirtschafts- und finanzpolitischen Rezepten, die in den Krisenländern Anwendung fanden. Vielfach werden einseitig „neoliberale“ Denkmuster attestiert und kritisiert. Rakaba fragt, was hinter den Prämissen und Überzeugungen der Troika-Politik stecke. „Ist sie vom neoliberalen Technokraten-Himmel gefallen?“. In seiner Antwort sieht das PDU das „lange herrschende transatlantische makroökonomische Mainstream-Denken“ am Werk, und verortet dieses vor allem im deutschen Bundesfinanzministerium.

Nach der Herkunft der wirtschafts- und finanzpolitischen Rezepte gefragt, verweist Michael Vollprecht (EU-Kommission) auf die politische Konstellation in der Eurozone. In der Mehrheit seien konservative und wirtschaftsliberale Regierungen und Finanzministerien. MisterEde stellt Thesen zur "neoliberalen Marktgläubigkeit" zur Diskussion.

Reformen auf Kosten der Arbeitnehmer?

Der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) meint, die Troika habe in den Krisenstaaten einen harten Liberalisierungskurs zu Lasten der Arbeitnehmer durchgesetzt. „Dies geschah nicht nur durch massive Einschnitte in die Sozialsysteme und vor allem Pensionen, sondern auch durch direkte Eingriffe in die Lohnpolitik und die Kollektivvertragssysteme.“ In ihrer Arbeitsmarktpolitik habe sich die Troika hauptsächlich auf Lohnkürzungen beschränkt: „Insbesondere die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften sollte gebrochen werden.“ Eine Liberalisierung der Arbeitsmärkte beschreiben auch die Experten der KAS Brüssel KAS Brüssel , bewerten diese allerdings positiv.

Michael Vollprecht (EU-Kommission) weist die Kritik des ÖGB zurück. Bei den Maßnahmen der Troika würden die Tarifpartner einbezogen. Auch die Forderungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) würden erfüllt.

Fehlende Reichenbesteuerung?

Beklagt wird vielfach, Vermögende seien unzureichend in die Krisenbewältigung einbezogen worden. Emil meint: „Auch der Gedanke, den Reichen das Geld zu nehmen, wenigstens ihre Steuerpflicht durchzusetzen, kam wenn überhaupt doch reichlich spät.“ Klaus wundert sich, „dass der IWF in all den Jahrzehnten keine intelligenteren Instrumente erarbeitet hat, beispielsweise bei der Einbeziehung der Vermögenden“. Auch fragt er, was die griechische Regierung daran hindere, Millionäre stärker zu besteuern. „Würden die Finanzbehörden weltweit dabei helfen ('solidarische Steuerfahndung') oder raten Berlin und Washington von solch 'sozialistischen' Experimenten ab?“. Griechenlands Ministerpräsident Antonis Samaras wendet sich aktuell gegen eine Sonderabgabe für vermögende Griechen. Diese würden bereits „substanziell besteuert“.

Linkspolitiker Fabio De Masi MdEP, DIE LINKE sieht– mit Verweis auf ein Positionspapier der Linken – ein systematisches Problem. „Keine Auflage der Troika hat jemals verlangt, griechische Oligarchen zur Kasse zu bitten. Dies wäre bitter nötig: Das Vermögen der europäischen Millionäre übertrifft laut Credit Suisse mit 17 Billionen Euro die Staatsschulden aller 28 EU Staaten von 11 Billionen Euro.“

Auch MisterEde meint, die bisherige Politik sei zu einseitig auf das Sparen fixiert. Sein Vorschlag: „Investitionen in den Krisenstaaten, die durch Finanzmarktsteuer, höhere Steuersätze für Kapitalerträge und Erbschaften und durch das Schließen von Steuerschlupflöchern für Großkonzerne finanziert werden.“

Alternativen und Ausblick

Auf EU-Ebene fordern viele Stimmen ein Ende der Troika-Politik. Braucht die Eurozone eine echte politische Union samt Zentralregierung, um künftige Krisen zu vermeiden? Was macht die neue EU-Kommission?

Udo Bullmann MdEP, SPD (SPD) greift die Vorschläge auf, die das EU-Parlament im März mehrheitlich und fraktionsübergreifend in seinem Troika-Bericht beschlossen hat. Die Troika könnte demnach durch einen Europäischen Währungsfonds (EWF) ersetzt werden. Dieser Fonds wäre dem EU-Parlament gegenüber rechenschaftspflichtig. Bei der Gestaltung und Umsetzung von Reformprogrammen bekäme das Parlament so ein Mitsprache- und Kontrollrecht. Allerdings stimmte die CDU/CSU-Gruppe im EU-Parlament mehrheitlich gegen den Troika-Bericht. Herbert Reul MdEP, CDU (CDU) geht nicht auf die Idee eines Europäischen Währungsfonds ein. Die Troika müsse ihre Arbeit fortsetzen.

Staateninsolvenzordnung

Das Centrum für Europäische Politik CEP empfiehlt eine Reform der Eurozone – um künftige Staatsschuldenkrisen zu vermeiden und damit die Troika überflüssig zu machen (siehe CEP-Studie „Die Euro-Reform“). Das CEP-Konzept umfasst eine Staateninsolvenzordnung, automatische Schuldenschnitte, eine neue Regulierung der Finanzinstitute und eine andere EZB-Politik. Aus dem Forum kommen Zuspruch und Zweifel. MisterEde und GeertV hinterfragen beispielsweise die politische Umsetzbarkeit eines automatischen Schuldenschnitts für die Euroländer.

Euro-Regierung

Das Project for Democratic Union geht weit über die Forderungen des Parlaments hinaus. Grundsätzlich befürwortet das PDU im Sinne einer stabilen Währungsunion „massive Eingriffe in die staatliche Souveränität aller Eurostaaten“. Allerdings sollen sie durch eine grundlegende Reform des politischen Systems legitimiert werden. Die Eurozone brauche eine zentrale, gewählte Regierung, so PDU-Geschäftsführer Benjamin Zeeb (Benjamin Project for Democratic Union European Republic ) in Berlin.

Prinzipiell setzt sich das PDU für eine vollständige politische Vereinigung der Eurozone auf angloamerikanischer Verfassungsgrundlage ein (Siehe das Statement of Principles des PDU). Ideengeber ist unter anderem der PDU-Mitbegründer Brendan Simms, Professor der Geschichte der Internationalen Beziehungen an der Universität Cambridge in England.

David Krappitz Mitglied JEB , Mitglied der Jungen Europäischen Bewegung, kommentierte die PDU-Thesen in Berlin: Ziel der bisherigen Integration sei gewiss nicht die totale Entmachtung nationaler Parlamente gewesen. Im Ergebnis hätten die Krisenländer aber kaum noch Möglichkeiten, außerhalb der Troika-Vorgaben Politik zu machen. „Vielleicht gibt es heute eben Politikbereiche, die nicht mehr nur national geregelt werden können“ so Krappitz - auch mit Verweis auf die Globalisierung. Die Jungen Europäischen Föderalisten, zu denen die JEB gehören, haben entsprechende Vorschläge erarbeitet. Ihre Vision für die Eurozone sieht weitere Integrationsschritte vor, beispielsweise die Einführung einer europäischen Arbeitslosenversicherung und die Harmonisierung konjunkturrelevanter Steuersätze (Mehr)

Gegen eine politische Union mit Zentralregierung gab es in der Berliner Diskussionsrunde auch Einwände aus dem Publikum. Für einen entsprechenden demokratischen Willensbildungsprozess fehle die europäische Öffentlichkeit. Rakaba meint, speziell in den nationalen Regierungen dürfte sich “die Beliebtheit einer europäischen Exekutive in Grenzen halten”.

Was macht die neue Kommission?

Gefragt nach der „politischen Union“ der Eurozone erinnerte Michael Vollprecht (EU-Kommission) in Berlin an Vorschläge seitens der EU-Kommission. Ende 2012 hatte die Brüsseler Behörde ein Konzept für eine „vertiefte, echte Wirtschafts- und Währungsunion“ zur Debatte gestellt. Demnach würden “alle wichtigen wirtschafts- und fiskalpolitischen Entscheidungen der Mitgliedstaaten einer umfassenden Koordinierung, Zustimmung und Überwachung auf europäischer Ebene unterliegen”. Teile des Konzepts – etwa die Bankenunion – wurden auf EU-Ebene bereits auf den Weg gebracht. Die neue EU-Kommission (Amstantritt November 2014) wird laut Michael Vollprecht möglicherweise an diese „Blaupause“ von 2012 anknüpfen.

Seine politischen Leitlinien für die kommenden fünf Jahre hat der neue EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bereits vorgestellt. Oberste Priorität: ein "ehrgeiziges Paket zur Förderung von Arbeitsplätzen, Wachstum und Investitionen" in der EU. Bei der Vorstellung sagte Juncker, er halte private und öffentliche Investitionen in Höhe von 300 Milliarden Euro in den kommenden drei Jahren für möglich.

Auch für die Idee eines EWF zeigt sich Juncker offen. Vor seiner Wahl im EU-Parlament sagte Juncker: „In Zukunft sollte es uns gelingen, die Troika durch eine Struktur mit stärkerer demokratischer Legitimation und Rechenschaftspflicht zu ersetzen, die um die europäischen Institutionen herum angesiedelt ist, mit verstärkter parlamentarischer Kontrolle sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene." Außerdem schlägt Juncker künftig eine soziale Folgenabschätzung bei Hilfs- und Reformprogrammen vor. “Dass in einer Krise Reeder und Spekulanten noch reicher werden, während Rentnerinnen und Rentner nicht mehr über die Runden kommen, ist mit der sozialen Marktwirtschaft nicht vereinbar", so der Luxemburger. Über die sozialen Auswirkungen von Strukturreformen müsse öffentlich diskutiert werden.

Auf Publixphere steht mittlerweile nicht nur die Lage in den Troika-Programmländern zur Diskussion, sondern auch die Situation in Frankreich.


Hinweis: Alle Interessierten sind eingeladen, die Debatte „Troika und Eurokrise“ auf Publixphere mit neuen Diskussionsanstößen und Kommentaren fortzuführen. Diese (kommentierbare) Zusammenfassung bezieht sich auf die Beiträge bis zum 18.September 2014 und kann naturgemäß nicht alle Impulse einbeziehen. Kritik und Ergänzungen sind willkommen.


Bild: Was online mit Thesen des Project for Democratic Union (PDU) begann, mündete am 20. August 2014 in einer Offline-Diskussion zur Troika im Publixphere-Büro in Berlin. Auch PDU-Geschäftsführer Benjamin Zeeb (im weißen Sessel) war vor Ort.

Troika-Abend


Headerfoto & Teaser: picture alliance / dpa