De Masi (Linke): Die Troika ist Gift für Europa
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Ein Beitrag von Fabio de Masi
*MdEP Fabio De Masi (DIE LINKE) ist Ökonom und Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Europäischen Parlaments.
Die Troika aus Internationalem Währungsfonds (IWF), Europäischer Zentralbank (EZB) und EU-Kommission ist Gift für Europa. Sie entmachtet Parlamente und entscheidet über das Schicksal von Millionen Menschen. Unter Führung der Troika haben zeitweise in Italien und Griechenland Vertreter der Finanzwirtschaft die Regierungsgeschäfte übernommen - ohne Wahlen. Die Troika hat die Euro Zone in die Depression geführt, eine verlorene Generation geschaffen und begräbt die europäische Idee.
Die Troika wurde geboren, um die Demokratie zu verraten. Kein Regierungschef würde mit dem Programm der Troika gewählt. Sie ist das McKinsey der Staaten. Sie wird gerufen, um einen hässlichen Job zu erledigen. Präsidenten geben sich machtlos, damit Millionen Beschäftigte, Rentner oder Erwerbslose ihre Ohnmacht spüren. Die Troika soll den Eindruck vermeiden, die Regierungen der Gläubigerstaaten der Euro Zone - insbesondere die Regierung Merkel - würden andere Euro Länder beherrschen. Doch jeder weiß, dass die Musik im Kanzleramt spielt. Die deutsche Regierung sitzt über den Kapitalanteil beim IWF, bei der EZB und über die Berufung des EU-Kommissionspräsidenten durch den Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs im Fahrersitz. Und jeder sollte wissen, dass nicht griechische Rentner oder irische Krankenschwestern gerettet wurden, sondern deutsche und französische Banken, die in die Staatsanleihen der Krisenstaaten investiert haben.
Die Troika behauptet es brauche einen starken und unabhängigen Akteur in der Euro Krise, um schnelle, unpopuläre Entscheidungen zu treffen. Warum aber sollte Politik unpopulär sein, wenn sie Erfolge bringt? Die Euro Krise ist keine Krise der Staatsverschuldung oder einfacher Menschen, die über ihre Verhältnisse lebten. Spanien und Irland hatten bei Ausbruch der Krise Traumwerte bei der Staatsverschuldung. Die Euro Krise ist auf Zombie Banken, eine unzureichende Lohnentwicklung in Ländern wie Deutschland, die über chronische Exportüberschüsse zu einer massiven Verschuldung der privaten Haushalte und Unternehmen in den Krisenstaaten führte, sowie unzureichende Steuersysteme zurück zu führen. Doch keine Auflage der Troika hat jemals verlangt griechische Oligarchen zur Kasse zu bitten. Dies wäre bitter nötig: Das Vermögen der europäischen Millionäre übertrifft laut Credit Suisse mit 17 Billionen Euro die Staatsschulden aller 28 EU Staaten von 11 Billionen Euro.
Der Masse der Menschen im tiefsten Mittelalter wurde gepredigt, ihr Leid in der Gegenwart beschere ihnen das Paradies in der Zukunft. Die Troika predigt die Kürzung von Löhnen, Renten und öffentlichen Investitionen sowie die Privatisierung des öffentlichen Eigentums zu Schleuderpreisen (fire sale) führe in den Aufschwung. Doch auch die Troika muss sich nach Jahren der Verwüstung am wahren Leben, nicht der Welt der Finanzmärkte, messen:
Die Euro-Zone verharrt in der Depression. Dies ist nach einem derart harten Abschwung ein Kunststück. US-Nobelpreisträger Paul Krugman verwies darauf, dass vier große europäische Volkswirtschaften eine schwächere Wirtschaftsentwicklung aufweisen als nach der Großen Depression der 1930er Jahre. In den Krisenstaaten herrscht Deflation. Eine brandgefährliche Phase fallender Preise. Zentralbanken sind dann auch mit aggressiver Geldpolitik und ultraniedrigen Zinsen machtlos, weil private Haushalte und Unternehmen wegen schlechter Zukunftserwartungen bei Konsum und Investitionen streiken. Die Staatsverschuldung ist in den EU Staaten mit den heftigsten Kürzungspaketen explodiert. Und auch die Rückkehr von Krisenstaaten an den Kapitalmarkt ist keine Entwarnung. Dies war nur möglich, weil die EZB für neue Kredite bei Banken und Vermögenden garantiert. Die Zeche zahlt die einfache Bevölkerung über Zinsen, die über dem Niveau der vermeintlichen Rettungsschirme liegen. Ein echter Aufschwung in Europa führt daher nicht über die Troika sondern über die Demokratie.
Was meint ihr?
nemo
Da PUBLIXPHERE die TROIKA und damit die EUROKRISE zum Thema des Monats gemacht haben hier einige Bemerkungen zu dem Wirtschaftssystem, innerhalb dessen wir versuchen Politik zu gestalten oder mitzugestalten. Viele, die jetzt vehement Kritik an den Folgen der Finanz- und Eurokrise oder der Globalisierung äußern, vergessen, dass der real existierende Kapitalismus 1) als System einer ganz stringenten inneren Logik folgt, die in der europäischen Politik bisher kaum jemand als Ganzes in Frage gestellt hat. Dazu ein paar grundsätzliche Feststellungen:
Alle ökonomischen wirtschaftlich-finanziellen und rechtlichen Einheiten (im folgenden pauschal Unternehmen), vom mittelständischen Betrieb bis zur riesigen Investmentbank haben das eine, gleiche Ziel, dem letztlich alles untergeordnet ist und in der Logik des Systems untergeordnet werden muss, um Bestand und Zukunft des Unternehmens im Wettbewerb mit anderen, national oder global zu garantieren. Dieses Ziel ist es eine möglichst hohe Rendite auf das eingesetzte Kapital zu erzielen. Löhne, Arbeitsbedingungen, Ressourcenverbrauch, Energieversorgung etc. sind für sie ausschließlich Kosten, die es möglichst gering zu halten gilt ebenso wie die Steuerbelastung, um immer wettbewerbsfähig zu bleiben. Nur so ist im Kapitalismus ein Überleben für dieses Unternehmen möglich. Innovation (neue Produkte, neue Vertriebskanäle, ständiges Zurückdrängen des Kostenfaktors menschliche Arbeit durch Maschinen und Industrieroboter, Suche nach Produktionsstandorten mit möglichst niedrigen Löhnen und Sozialstandarts) ist dabei der zweite wichtiger Faktor. Soweit Ethik und Nachhaltigkeit zum Firmenbild gehören, fallen diese in den Bereich Marketing und sind somit auch Kosten und belasten eigentlich das Betriebsergebnis.
Unternehmen halten sich in aller Regel dabei in den Volkswirtschaften in denen sie tätig sind weitestgehend an dort geltendes Recht oder an Absprachen mit den herrschenden Eliten dieser Länder, einiges fällt zwar in rechtliche Grauzonen, ist aber auch nicht direkt ungesetzlich. Die Zahl der Strafverfahren weltweit, die im direkten Zusammenhang mit der Finanzkrise nach 2007/2008 oder der Eurokrise welt- oder europaweit zu Verurteilungen führte, kann man bisher an zwei Händen abzählen.
Was ethische, moralische, ökologische und politische Folgen unternehmerischen Handelns anbetrifft (z.B. in der Rüstungsindustrie), so können diese zwangsläufig nicht Teil ihrer unternehmerischen Entscheidungen sein, solange man sich an geltendes Recht hält. Jedes Unternehmen wäre damit überfordert, weil das prinzipiell der Ratio seines betriebswirtschaftlichen Handels entgegensteht. Die Logik des Systems sieht so etwas deshalb auch nicht vor.
Beim Punkt Innovation/neue Produkte hat insbesondere die Finanzindustrie eine hohe Innovationskraft entwickelt und damit einen deutlichen Vorsprung vor der Realwirtschaft gewonnen. Zu den wichtigsten neueren Produkten gehören u.a. sogenannte Credit-Default-Swaps, die bei der Eurokrise eine wichtige Rolle gespielt haben oder der High-Frequency-Trade, die beide völlig legal sind, ebenso wie die sogar politisch (gesetzlich) geschaffene Möglichkeit eigenkapitalbelastende Positionen bei Finanzunternehmen aus der offiziellen, testierten und geprüften Bilanz in Off-Balance-Sheets zu verlagern.
Für jedes Unternehmen dessen betriebswirtschaftliches Handeln oder Risikomanagement wie bei z.B. Lehman Bros. dabei versagt - auch Gier ist kein Straftatbestand! - sieht die Logik des Systems das Ausscheiden aus dem Markt (Insolvenz) vor. Ein Konzept für die menschlichen, gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Folgen einer solchen Insolvenz ist in der Logik des Systems Kapitalismus nicht vorgesehen, lediglich der rechtliche Rahmen für die Abwicklung eines solchen Verfahrens. Alles andere regelt der freie Markt.
Noch einmal: dies ist ein geschlossenes System mit einer stringenten inneren Logik. Deshalb bleibt festzuhalten: Alle Beteiligten, die auf Seiten der Finanzindustrie zu Finanz- und Eurokrise beigetragen haben, haben paradoxerweise im Vorfeld und im Verlaufe dieser Krisen innerhalb dieses Systems Kapitalismus formal legal, logisch und rational gehandelt!
Jeder der die bekannten Folgen der Entwicklung des Kapitalismus in den letzten 3 Dekaden kennt und beklagt, muss sich deshalb darüber im Klaren sein, dass er eigentlich auch die Systemfrage stellt. Diese Fass aufzumachen ist bisher aber nur die politische Linke Europas bereit. Ich wäre schon zufrieden, wenn wir wenigstens die soziale Marktwirtschaft zurückbekämen. Übrigens gilt die oben skizzierte Logik des Systems unsinnigerweise zum Teil auch für den Wettbewerb der nationalen Volkswirtschaften der EU und der Euroraumes untereinander.
1) Der Begriff Kapitalismus ist in Deutschland aus verschiedenen Gründen so negativ belastet, dass man sich kaum traut ihn zu benutzen. Ich tue dies trotzdem und berufe mich dabei auf die angelsächsische Tradition, in der sich kein Mensch bei der Benutzung dieses Begriffes dem Verdacht aussetzen muss ein in der Wolle gefärbter Marxist oder Schlimmeres zu sein.