3. #pxp_thema: Troika und Eurokrise


©BELGA/AFP/L.GouliamakiGriechische und europäische Flaggen über der Akropolis in Athen. Seit 2010 sind Beamte der Troika vor Ort. Foto: ©BELGA/AFP/L.Gouliamaki


Als mehrere Euro-Länder in Zahlungsschwierigkeiten gerieten, mobilisierte die EU gemeinsam mit dem Internationalen Währungsfond (IWF) Kredite in Milliardenhöhe. Im Gegenzug verpflichteten sich die Krisenländer zu Sparmaßnahmen und Reformen. Ausgestaltet und überwacht werden die Hilfsprogramme durch die Troika, ein Expertengremium aus Vertretern der EU-Kommission, des IWF und der Europäischen Zentralbank. Erfolgreiche Rettungspraxis oder undemokratische Spardiktatur? Ein Überblick Von Alexander Wragge


Hinweis: "Troika und Eurokrise" ist Thema des Monats August (2014). Das "Thema des Monats" bestimmen wir nach Auswertung der Interessen der Community (Wie genau, findest du hier). Mit diesem Hintergrundtext möchten wir euch die Möglichkeit geben, das Thema umfassend zu erschließen und euch eine Meinung darüber zu bilden. Am 20. August 2014 diskutierten wir die Rolle der Troika in Berlin (Fotos). Eine Zusammenfassung der gesamten Debatte (bis zum 23. September 2014) findet ihr hier.


Worum geht es?

In der Finanz-, Wirtschafts- und Bankenkrise (seit 2008) gerieten die Staatshaushalte zahlreicher Euro-Länder in Schieflage. 2010 drohte Griechenland der Bankrott. In der Folge benötigten auch Portugal, Irland, Spanien und Zypern finanzielle Unterstützung. Ihre Kreditkosten am Kapitalmarkt (also die Zinsen auf ihre Staatsanleihen) waren in die Höhe geschnellt, die Bewertung ihrer Zahlungsfähigkeit verschlechterte sich. Zahlreiche Experten fürchteten gar einen „Dominoeffekt“ und einen Zerfall der Währungsunion. Die Gefahr einer Auflösung des Euro-Raums war laut einem Bericht des EU-Parlaments „deutlich spürbar“.

Die EU reagierte zunächst mit bilateralen Kredithilfen für Griechenland, dann mit dem Euro-Rettungsschirm, bestehend zunächst aus temporären Rettungsfonds (EFSF und EFSM), und schließlich einem dauerhaften Stabilitätsfonds (ESM) (Siehe hierzu auch: Was sind ESM, EFSM und EFSF?). Zugleich beteiligte sich der Internationale Währungsfond (IFW) an der Rettung und vergab Kredithilfen, so dass auch allgemein von der „EU-IWF-Finanzhilfe“ gesprochen wird.

Bedingung für die Rettungspakete von mehr als 400 Milliarden Euro waren und sind Spar- und Reformprogramme. Sie werden in sogenannten Memoranda of Understanding (MoU) mit den betroffenen Staaten vereinbart (Näheres siehe unten). Für die konkrete Ausgestaltung und die Überwachung ist die sogenannte Troika zuständig – ein Expertengremium aus Beamten der Europäischer Kommission, der Europäischen Zentralbank (EZB) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF). Neue Kredit-Tranchen hängen entscheidend von der Bewertung der Reformfortschritte durch die Troika ab. Ihre Vertreter besuchen die Programmländer in der Regel alle drei Monate und erstellen halbjährig Prüfberichte.

Wer trägt die Verantwortung?

Die Euro-Gruppe – bestehend vor allem aus Finanzministern und Regierungsvertretern der Eurozone – trägt laut EU-Parlament die „politische Verantwortung“ für die Troika-Maßnahmen in den Krisenländern. Demnach trifft die Euro-Gruppe die „endgültige Entscheidung“ über die Finanzhilfe und ihre Bedingungen, also beispielsweise Renten- und Arbeitsmarktreformen. Die beteiligten Regierungen (sowohl der Kreditgeber- als auch der Kreditnehmerstaaten) müssen ihre Rettungspolitik gegenüber den nationalen Parlamenten rechtfertigen und verantworten, nicht aber gegenüber dem EU-Parlament.

Allerdings bleibt unklar, wie detailliert die verantwortlichen Regierungen die Arbeit der Troika-Beamten (Problem-Diagnose, Lösungsstrategien) kontrollierte. So zeigt sich das EU-Parlament in seinem Bericht beunruhigt darüber, dass der ehemalige Vorsitzende der Euro-Gruppe Jean -Claude Juncker "zugegeben hat, dass die Euro-Gruppe die Empfehlungen der Troika unterstützte, ohne ihre konkreten politischen Implikationen umfassend zu prüfen" (Siehe Punkt 52).

Eingesetzt wurde die Troika auf Beschluss der Staats- und Regierungschefs des Euroraums (25. März 2010), um das erste Hilfsprogramm für Griechenland zu gestalten und zu überwachen. Die aktuellen Rechtsgrundlagen der Troika-Programme finden sich in einer EU-Verordnung (472/2013) und im ESM-Vertrag (Siehe insbesondere Artikel 13). Der scheidende Währungskommissar Olli Rehn begründet die Konstruktion mit den Worten: „Die Troika wurde mit der Absicht geschaffen, große Expertise in der Wirtschaftspolitik und verschiedene Quellen der Finanzierung zu vereinen, um eine ökonomische Kernschmelze in Europa zu verhindern.“

Das EU-Parlament kritisiert in seinem Troika-Untersuchungsbericht, dass die Verantwortlichkeiten in der Rettungspolitik nicht immer klar kommuniziert wurden. So bedauert das Parlament "die Art und Weise, in der die EU-Organe zum Sündenbock für die nachteiligen Auswirkungen der makroökonomischen Anpassungen in den Mitgliedstaaten gemacht werden, während die Finanzminister der Mitgliedstaaten die politische Verantwortung für die Troika und deren Tätigkeiten tragen" (Siehe Punkt 60).

Der Troika-Bericht des EU-Parlaments (13. März 2014) wurde mit einer Mehrheit von 488 zu 144 Stimmen angenommen. Allerdings stimmten die EU-Abgeordneten von CDU/CSU mehrheitlich gegen den Bericht, der unter Federführung des österreichischen Konservativen Othmar Karas (EVP) und des französischen Sozialisten Liem Hoang Ngoc (S&D) ausgearbeitet wurde.

Krisenmanagement ohne Öffentlichkeit

Die EU betrat mit den Rettungsprogrammen nach dem Muster „Hilfe nur bei Reformen“ (oder auch „Solidarität bei Solidität“) - auch rechtlich – Neuland. Dass sich Euro-Länder untereinander bei der Staatsfinanzierung aushelfen, war in den Gründungsverträgen der Währungsunion nicht vorgesehen (Siehe hierzu auch Wikipedia: Nicht-Beistandsklausel). Dagegen brachte der IWF jahrzehntelange Erfahrung mit entsprechenden Programmen ein. Die Sonderorganisation der UN mit aktuell 188 Mitgliedstaaten, vergibt – meist unter strengen Sparauflagen – regelmäßig Kredite an notleidende Staaten. Speziell die deutsche Regierung drängte darauf, den IWF mit seiner Expertise bei Hilfsprogrammen zu beteiligen. Die Europäische Zentralbank (EZB) übernahm innerhalb der Troika offiziell nur die Rolle eines "technischen Beraters".

Wie genau die Reformprogramme mit den Krisenländern ausgehandelt wurden, bleibt unklar. Die Memoranda of Understanding wurden – oft in nächtlichen Krisensitzungen – unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt. Das EU-Parlament bemängelt, es sei nicht hinreichend transparent, „in welchem Maße der hilfesuchende Mitgliedstaat Einfluss auf das Verhandlungsergebnis nehmen konnte“. Anders formuliert: Die Krisenstaaten standen unter erheblichen Druck, die Bedingungen der Kreditgeber zu akzeptieren.

Zwar habe die Troika umfassende Dokumente zu ihrer Arbeit veröffentlicht, erklärt das EU-Parlament. Allerdings hätten es diese Dokumente der Öffentlichkeit nicht erlaubt, "sich ein umfassendes Bild der Verhandlungen zu machen" (Siehe Punkt 39).

Reformvereinbarungen

Zwar unterscheiden sich die Programme je nach Land, allerdings ähneln sich die Vorgaben (Übersicht der EU-Kommission). Grob lassen sich die von den Krisenländern geforderten Reformen gliedern in:

  • Arbeitsmarkt: In Griechenland und Portugal lag und liegt ein Schwerpunkt auf Arbeitsmarktreformen wie: Öffnung geschützter Berufe, Lockerung des Kündigungsschutzes, Kürzung von Überstundenvergütungen, Streichung von Feier- und Urlaubstagen. Beide Länder haben den Mindestlohn auf Druck der Troika gesenkt und die Lohnfindung liberalisiert. In Griechenland sanken die Lohnstückkosten zwischen 2008 und 2012 um 8 Prozent. Griechenland, Irland, Spanien und Portugal erhöten das Renteneintrittsalter. Portugal erhöhte die Wochenarbeitsstunden im Staatsdienst von 35 auf 40.

  • Stellenabbau: Um die Sparvorgaben einzuhalten, setzten Griechenland und Portugal auf den Stellenabbau im öffentlichen Dienst. Griechenland verpflichtete sich dazu, die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Sektor um 200.000 zu senken (bis 2015) - also fast jede vierte Stelle zu streichen. Portugal strich 30.000 Stellen im öffentlichen Dienst. Der Stellenabbau steht teils heftig in der Kritik (Siehe etwa Massenproteste in Portugal).

  • Privatisierungen: Portugal und Griechenland verpflichteten sich, bestimmte Einnahmen durch den Verkauf von Staatsbetrieben und Staatsbesitz zu erzielen. Portugal privatisierte beispielsweise die Staatspost und in zahlreichen Gemeinden die Wasserversorgung. Griechenland hat etwa die staatliche Lottogesellschaft privatisiert, der größte Hafen des Landes in Piräus soll folgen. Gegen Privatisierungen mobilisiert sich vielerorts Widerstand, etwa im Fall der Wasserversorgung und eines Strandgeländes im griechischen Thessaloniki. Die deutsche Dienstleistungsgewerkschaft verdi unterstützt teilweise den Protest. Der Bund der deutschen Industrie fordert dagegen mehr Privatisierungen, um die Staatshaushalte der Krisenländer zu sanieren.

  • Finanzsektor: Alle Staaten, die den Rettungsschirm in Anspruch nahmen, mussten oder müssen Verwerfungen im Banken- und Finanzsektor beheben. Beispielsweise steckte Spanien Milliarden in die Sanierung von Banken und Sparkassen. Auch Zypern setzt ein Sanierungskonzept seines vor der Krise aufgeblähten Finanzsektors um.

  • Verwaltung: Speziell Griechenland steht unter Druck, seine Verwaltung zu reformieren, beispielsweise in den Bereichen Steuern und Gesundheit. Hierzu haben Griechenland und EU-Kommission 2012 eine eigene "Task Force" eingesetzt (TFGR), unter Leitung des deutschen EU-Beamten Horst Reichenbach. Bei der Gesundheitsreform wird Athen vom deutschen Gesundheitsministerium beraten.

  • Steuern: Auch auf der Einnahmeseite ergriffen die Programmländer Maßnahmen. Portugal erhebt eine "Solidaritätssteuer“ bei vermögenden Privatleuten. Ab 250.000 Euro Jahreseinkommen liegt dieser Steuer-Zuschlag bei 5 Prozent. Außerdem erhöhte Lissabon die Mehrwertsteuer (von 21 auf 23 Prozent), und besteuert nun Renten über 1000 Euro. Auch Griechenland führte bei Einkommen über 12.000 Euro einen Solidarzuschlag 1 bis 4 Prozent ein, zunächst bis 2018. Die Strafverfolgung bei Steuernvergehen wurde verschärft, die Steueramnestie abgeschafft.

Was ist der aktuelle Stand?

Die Euro-Staaten Griechenland, und Zypern müssen weiterhin Spar- und Reformprogramme umsetzen. Die Griechenlandhilfe umfasst etwa 237 Milliarden Euro an Krediten. Zypern bezog 10 Milliarden Euro aus dem Rettungsschirm.

Mitte 2013 gestand der IWF ein, die Folgen der Sparmaßnahmen für die griechische Konjunktur unterschätzt zu haben. Der IWF war zunächst davon ausgegangen, dass das griechische Bruttoinlandsprodukt (BIP) bis 2012 um 5,5 Prozent sinken würde. Tatsächlich brach das BIP um 17 Prozent ein.

Anfang August 2014 bestätigte die EU-Kommission Überlegungen, die Arbeit der Troika in Griechenland zu beenden.

Irland, das 67,5 Milliarden Euro an Hilfen erhielt, hat den Euro-Rettungsschirm verlassen und kann sich 2014 wieder selbst am Kapitalmarkt finanzieren. Auch Spanien bezieht keine Hilfen mehr. Um einen Kollaps des Bankensystems abzuwenden hatte Madrid rund 41 Milliarden Euro aus dem Rettungsschirm abgerufen. 2008 war die spanische Immobilienblase geplatzt. Portugal, das 78 Milliarden Euro bezog, hat das Hilfsprogramm ebenfalls verlassen. Allerdings erwägt die Regierung in Lissabon aktuell, mit bislang nicht abgerufenen EU-Hilfen von 4,9 Milliarden Euro die angeschlagene Bank Espírito Santo (BES) zu retten.

Einen Überblick über die Strukturreformen in den Euro-Staaten liefert der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) mit seinem Euro-Reformmonitor (PDF, Stand Juli 2014).

Kontroversen

Die Arbeit der Troika wird kontrovers diskutiert. Umstritten sind: die Bilanz der Reformprogramme, die sozialen Folgen der Sparpolitik, die Rechtsgrundlage und die demokratische Kontrolle des Gremiums. Inzwischen steht auch die Auflösung der Troika zur Debatte.

  • Sind die Reformen erfolgreich?

Verbessern oder verschlechtern die Troika-Reformen die Lage in den Krisenländern? Schon an dieser Frage scheiden sich die Geister...

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Der scheidende EU-Währungskommissar Olli Rehn hält die Programme prinzipiell für erfolgreich. „Ja, es war eine schwierige Reise, und ein schmerzhafter Anpassungsprozess in vielen Ländern liegt hinter uns,“ so Rehn in einer Rede (13. März 2014). „Aber die wirtschaftliche Trendwende ist jetzt greifbar und sichtbar. Die europäische Wirtschaft ist nicht zusammengebrochen, noch ist der Euro zerbrochen. Die wirtschaftliche Erholung ist nun auf dem Vormarsch und verfestigt sich.”


Das deutsche Bundesfinanzministerium (BMF) erklärt auf Anfrage von Publixphere, das Format der Troika habe sich bei den europäischen Finanzhilfeprogrammen bewährt. “Die unterschiedlichen Blickwinkel der drei beteiligten Institutionen ermöglichen einen umfassenden und ausgewogenen Ansatz bei der Problemlösung in den Programmländern.” Die europäische Krisenlösungsstrategie zeige Wirkung, wie die erfolgreichen Beispiele Irland, Portugal und Spanien zeigten.

Auch die Organisation for Economic Co-Operation and Development (OECD) liefert regelmäßig Berichte zu den Reformen im Euroraum. Anfang 2014 kam die OECD zum Schluss, Länder wie Irland, Griechenland, Portugal und Spanien hätten "wichtige strukturelle Reformen" implementiert, die zur "Modernisierung ihrer Wirtschaften" erforderlich seien.

Auch das EU-Parlament begrüßt „den Abbau struktureller Defizite in allen Programmländern seit dem Beginn ihrer jeweiligen Hilfsprogramme“. Zugleich erkennt das Parlament an, „dass es in der Regel mehrere Jahre dauert, bevor strukturelle Reformen einen wesentlichen Beitrag zur Steigerung von Leistung und Beschäftigung leisten können“. Daneben übt das Parlament aber auch Kritik an den Maßnahmen (siehe unten).

Norbert Barthle, haushaltspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, listet Erfolge in den Programmländern Griechenland, Portugal, Irland, Spanien und Zypern auf. „Heute zeigt sich, dass wir den richtigen Weg eingeschlagen haben“, so Barthle in einem Rundschreiben (20. Mai 2014). „Der Euro wird derzeit nicht mehr in Frage gestellt, Renditen auf Staatspapiere sinken auf breiter Front.“

Ähnlich sieht es der konservative österreichische EU-Abgeordnete Othmar Karas (EVP), der als Berichterstatter zur Troika tätig war. „Die Troika hat ein Desaster verhindert“, so Karas in einer Erklärung (März 2014). „Ein Staatsbankrott mit Zahlungsausfall hätte für die Bevölkerung noch schlimmere wirtschaftliche und soziale Auswirkungen gehabt, als dies heute schon der Fall ist. Wir mussten das Schiff inmitten eines Orkans reparieren und wir sind am richtigen Weg.“

Scharfe Kritik an den Reformen kommt dagegen von Sozialdemokraten und Linken. Die Troika habe die Krisenländer „mit einem Kürzungsfeldzug nach dem anderen überzogen“, schreibt der SPD-Europapolitiker Udo Bullmann in einem Diskussionsanstoß auf Publixphere. „Hinterlassen haben diese Attacken mit der Sense nichts als Brachland, sinkendes Wirtschaftswachstum und unaufhaltsam gestiegene Arbeitslosigkeit“ so Bullmann. Der linke EU-Abgeordnete Fabio De Masi kritisiert auf Publixphere: „Die Staatsverschuldung ist in den EU Staaten mit den heftigsten Kürzungspaketen explodiert.“ Auch der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) kommentiert auf Publixphere, die wirtschaftlichen Erfolge der Reformen seien ausgeblieben. "Das Wachstum in der EU ist auf einem Tiefpunkt angelangt, die Arbeitslosigkeit steigt auf nie gekannte Rekordwerte, vor allem die Jugendlichen haben in weiten Teilen der Union keine Perspektive mehr."

Die Kritik weist der CDU-Europapolitiker Herbert Reul scharf zurück. „Die Beschimpfungen der Troika sind beschämend und in der Sache vollkommen unbegründet“, sagte Reul im EU-Parlament (15. Januar 2014). Die Troika tue nichts anderes, als sich die Umsetzung der zwischen den Kreditgebern der Eurogruppe und den Programmländern vereinbarten Maßnahmen anzusehen. „Den Eindruck zu erwecken, die Troika sei an der wirtschaftlichen Lage oder der Arbeitslosigkeit schuld, ist irrsinnig und verantwortungslos“, so Reul. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament stellt seine Sicht auf Publixphere zur Diskussion. [weniger anzeigen]


  • Sozialer Kahlschlag?

Zahlreiche Kritiker halten die Reformagenda der Troika für sozial unausgewogen. Der neue Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker will gegensteuern...

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Das Netzwerk TroikaWatch, deren Initiatoren sich unter anderen in Bewegungen wie dem Europäischen Sozialforum, Blockupy und Attac zusammengefunden haben, kritisiert die Sparpolitik in den Programmländern scharf. In Portugal beispielsweise hätten die Programme dazu geführt, Arbeitnehmerfonds (Renten, Sozialversicherung) zu „plündern“, öffentliche Dienstleistungen zu „vernichten“ und „Arbeitnehmer mit Rechten“ durch „prekär Beschäftigte“ zu ersetzen.

Der Europarechtler Andreas Fischer-Lescano (Zentrum für europäische Rechtspolitik) spricht von einer "skandalösen Austeritätspolitik", die zu einer "Verarmung weiter Teile der Bevölkerung in den Krisenländern führt".

Der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) kritisiert speziell die Liberalisierungen der Arbeitsmärkte. "Insbesondere die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften sollte gebrochen werden", so David Hafner, ÖGB-Europabüro Brüssel, in einem Diskussionsanstoß auf Publixphere.

Der designierte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat angekündigt, die sozialen Folgen der Reformen künftig stärker zu prüfen. „Über die sozialen Auswirkungen von Strukturreformen muss öffentlich diskutiert werden und der Kampf gegen die Armut muss eine Priorität sein“ so Juncker in den politischen Leitlinien für seine Amtszeit. „Dass in einer Krise Reeder und Spekulanten noch reicher werden, während Rentnerinnen und Rentner nicht mehr über die Runden kommen, ist mit der sozialen Marktwirtschaft nicht vereinbar.“

Das EU-Parlament bedauert das Versäumnis des Krisenmanagements, die „Ausgewogenheit der wirtschaftlichen und sozialen Folgen der verordneten Maßnahmen in vollem Umfang zu berücksichtigen“. Die umgesetzten Maßnahmen hätten die Ungleichheit der Einkommensverteilung in den Programmländern kurzfristig ansteigen lassen. Die Kombination aus fiskalischer Konsolidierung und zurückhaltender Lohnpolitik hätten dort zu einer geringeren öffentlichen und privaten Nachfrage geführt. Dagegen sei dem Ziel einer Reform der industriellen Basis und der institutionellen Strukturen in den Programmländern weniger Aufmerksamkeit geschenkt worden. Auch bedauert das Parlament, "dass eine Reihe von detaillierten Vorgaben für Reformen des Gesundheitssystems und Ausgabenkürzungen in die Programme für Griechenland, Irland und Portugal aufgenommen wurde", und die Programme nicht an die Charta der Grundrechte der EU gebunden sind. [weniger anzeigen]


  • Demokratie-Defizit und Rechtsgrundlage

Sind die Reformrogramme für die Krisenländer demokratisch ausreichend legitimiert? Nein, sagen zumindest einzelne EU-Abgeordnete und ein Europarechtler...

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Das EU-Parlament bemängelt in seinem Bericht (Siehe Abschnitt „Troika - institutionelle Dimension und demokratische Legitimation“) fehlende rechtliche Grundlagen der Troika. So verfüge die Euro-Gruppe nicht über die demokratische Legitimation und Verantwortlichkeit auf EU-Ebene, wenn sie „Durchführungsbefugnisse“ ausübe. Gemeint ist, dass die Euro-Gruppe der EU-Kommission das Mandat für ihre Mitarbeit in der Troika erteilt, ohne dass hierbei das EU-Parlament eingebunden wird. Rein formal muss das EU-Parlament den Reformvereinbarungen (Memoranda of Understanding) auch nicht zustimmen, da es sich nicht um völkerrechtlichen Verträge handelt.

Der grüne EU-Abgeordnete Sven Giegold kommentiert: „Das Dreigestirn aus EU-Kommission, EZB und IWF krankt an Konstruktionsfehlern und braucht eine echte rechtliche und demokratische Grundlage. So muss das Europaparlament, als einzige direkt von der Bevölkerung legitimierte EU-Institution, ein Mitbestimmmungsrecht bei den Mandaten zur finanziellen Unterstützung von Mitgliedsstaaten bekommen.“ Auch das studentische Think Tank Project for Democratic Union (PDU) kritisiert die Troika auf Publixphere als „zutiefst undemokratische Institution“.

Dagegen erklärt der CDU-Europapolitiker Herbert Reul: „Das Argument, es mangele der Troika an demokratischer Legitimation, ist vollkommen substanzlos. Zum einen ist die Troika Bestandteil der Vereinbarung zwischen der Eurogruppe und den Programmländern. Zum anderen sind die Hilfskredite und die Reformmaßnahmen in allen betreffenden nationalen Parlamenten diskutiert und gebilligt worden.“

Auch das Bundesfinanzministerium sieht kein Demokratiedefizit. "Die europäischen Hilfsprogramme sind zudem voll demokratisch legitimiert, und zwar sowohl in Bezug auf die Gewährung von Finanzhilfe als auch mit Blick auf die Programmgestaltung”, erklärt das Ministerium gegenüber Publixphere. “Die in Eurogruppe/ESM-Board vertretenen nationalen Regierungen sind durch ihre jeweiligen Parlamente legitimiert und beteiligen diese gemäß den dortigen Bestimmungen – in Deutschland verfügt der Deutsche Bundestag hier über weitreichende Kompetenzen.”

In einem Gutachten (6.März 2014) kommt der Europarechtler Andreas Fischer-Lescano (Zentrum für europäische Rechtspolitik) zu dem Schluss, dass EU-Kommission und EZB als Teil der Troika gegen EU-Recht verstoßen haben. In Auftrag gegeben hat das Gutachten unter anderem der der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB). Fischer-Lescano argumentiert, mittels der Reformvereinbarungen (Memoranda) sei in verschiedene sozial- und arbeitsmarktpolitische Bereiche der betroffenen Euro-Staaten eingegriffen worden, die eigentlich außerhalb des Kompetenzbereichs der EU-Kommission liegen. Das EU-Parlament will entsprechende Bedenken von der Europäische Agentur für Grundrechte untersuchen lassen. Auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) könnte sich nochmlas mit der Rechtmäßigkeit der Troika-Maßnahmen beschäftigen. 2012 hatte der EuGH entschieden, dass die Kommission und die EZB auf Grundlage des ESM-Vertrags mit ihren Aufgaben in der Troika betraut werden durften.

Ebenfalls zur Diskussion steht, inwieweit die Troika-Politik spezifisch deutsche Interessen in den Porgrammländern befördert. Griechenlands Gesundheitsminister Adonis Georgiadis weist das zurück. "Die Verschwörungstheorien, dass uns die Deutschen zu einer Kolonie machen wollen, sind Bullshit." [weniger anzeigen]


  • Zukunft der Troika: Ablösung durch EWF?

Die Troika gehört abgelöst, meint zumindest das EU-Parlament. Die Idee: ein Europäischer Währungsfonds übernimmt ihre Aufgaben....

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Das Parlament fordert die bisherige Konstruktion durch einen Europäischen Währungsfonds (EWF) abzulösen. Der – neu zu schaffende – EWF soll demnach die Hilfen für EU-Länder mit Zahlungsbilanzschwierigkeiten abwickeln und dabei „höchsten demokratischen Standards der Verantwortlichkeit und Legitimation“ unterliegen. Er müsse sich dem EU-Parlament verantworten. Der EWF soll zudem die Beteiligung des IWF an den Hilfsmaßnahmen für die Euroländer überflüssig machen.

Die scheidende Justizkommissarin EU-Justizkommissarin Viviane Reding meint, Europa besitze bereits heute die nötigen Fähigkeiten, um den Krisenländer auch ohne IWF zu helfen. "Die Troika gehört abgeschafft", so Reding Mitte 2013. Auch am IWF beteiligte Schwellenländer wie Brasilien sehen das Engagement des Fonds in Europa kritisch.

Vor seiner Wahl im Europäischen Parlament hat der neue Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker angedeutet, auf die Forderungen des Parlaments einzugehen: „In Zukunft sollte es uns gelingen, die Troika durch eine Struktur mit stärkerer demokratischer Legitimation und Rechenschaftspflicht zu ersetzen, die um die europäischen Institutionen herum angesiedelt ist, mit verstärkter parlamentarischer Kontrolle sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene“, so Juncker. [weniger anzeigen]


Zuletzt aktualisiert: 6. August 2014

Links zum Thema

Eine Linkliste zu Dokumenten, Presseartikeln, Studien und Erklärungen zur Troika...

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