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Verantwortung: „Was hast Du getan, um zu verhindern, dass Europa zerstört wird?“


picture alliance/dpaReaktionen während der Rede von Alexis Tsipras nach dem Wahlsieg seiner Partei Syriza am 25. Januar in Athen. Foto & Teaser: dpa/picture alliance


Ein Beitrag von MisterEde

Spätestens nach der Griechenland-Wahl ist nicht mehr zu leugnen, dass jene maßgeblich von der Bundesregierung initiierte Austeritätspolitik auf direktem Weg zum Auseinanderfallen der Eurozone und dann vielleicht sogar zur Vernichtung der gesamten EU führt. Griechenland hat eine Syriza-Regierung, in Spanien kommt bald Podemos dran, in Italien Grillo und in Frankreich Le Pen.

Eigentlich hatte ich ja erwartet, dass nach der Europawahl 2014 und dem damaligen Schuss vor den Bug auf jene, die warnten (ich bin ja nur einer von vielen), gehört wird. Leider hat sich diese Hoffnung nicht erfüllt. Wenn mich also meine Enkel in der Zukunft fragen, „was hast Du getan, um zu verhindern, dass Europa zerfällt“, so werde ich antworten müssen, „ich habe versucht die Menschen zu informieren, zu warnen und aufzurütteln, aber die meisten wollten davon nichts wissen.“

Nun meine Frage an Euch: Was werdet Ihr Euren Enkeln oder Enkelinnen antworten?


Kommentare

  • Ich habe mal versucht, das Thema in eine Karikatur zu packen. Wir sind mit diesem Kurs in einer Sackgasse gegen die Wand gefahren und müssten jetzt eigentlich über Auswege diskutieren, stattdessen scheint das Motto zu heißen, „Weiter So mit viel Schwung!“

    Karikatur „Austerität in der Sackgasse“ auf www.mister-ede.de

  • Drei weitere Gedanken

    Gedanke 1:
    Was kommt danach? Wir könnten uns mal fragen, was passiert in Griechenland, wenn Syriza (egal welcher Weg beschritten wird) nicht erfolgreich ist? Zurzeit haben kann man ja von Glück sprechen, dass ein „linker Ausweg“ als attraktive Alternative erscheint, aber was, wenn das jetzt auch scheitert?

    Gedanke 2:
    Wenn Griechenland in den nächsten Tagen durch das auslaufende „Ultimatum“ weiter an die Wand gedrängt wird, könnte es fatal reagieren und tatsächlich einen Zahlungsstopp verhängen und Banken in die Pleite schicken. Das würde den Schaden unnötig erheblich vergrößern, ohne dass davon irgendjemand etwas hat.

    Gedanke 3:
    Eine Befürchtung: Vielleicht ist das Kalkül, Chaos in Griechenland in Kauf zu nehmen, um ein abschreckendes Beispiel, z.B. für Podemos-Anhänger zu sein. Das könnte aber kräftig nach hinten losgehen, wenn dann der entstehende Schaden AfD und Front National in die Hände spielt.

  • Hallo MisterEde, ich bin etwas ratlos. Ich habe das Gefühl, nicht alle Informationen zu haben. Eigentlich liegt es absolut im deutschen Interesse, dass Griechenland zahlungsfähig wird, mehr noch, dass es den Griechen gut geht (und den Spaniern, Franzosen, allen...).

    Warum Berlin aber zu völlig anderen Schlüssen kommt, wenn es um den Weg dorthin geht, entzieht sich völlig meiner Kenntnis/Einschätzung. Böswilligkeit schließe ich erstmal aus. Hat Herr Schäuble wirklich die falschen Berater und ökonomisch keine Ahnung was er da (nicht) tut? Welche Rolle spielen auch einfach Aggressionen gegen Griechenland, das die Lagarde-Liste (mit Steuerhinterziehern) immer nich nicht abgearbeitet hat?

    Dein Text klingt sehr besorgt, gibt es dazu einen besonderen Anlass?

    • Nachdem ja immer von Dialog gesprochen wird, drücke ich es mal anders aus. Wieso erklärt nicht ein Abgeordneter der Union, warum der Austeritätskurs nach seiner Meinung richtig ist oder setzt sich mit der Kritik an dieser Politik auseinander?

      Sehr geehrter Herr Kauder,

      wieso liegt trotz der erfolgreichen Rettungspolitik die Arbeitslosenquote in Spanien mit rund 25% noch immer über der Quote des Jahres 2011 und auf dem Level von 2012 und 2013? Wieso hält sich oder steigt die Arbeitslosigkeit in zahlreichen Euro-Staaten über die 10% Marke, wenn der „Reformkurs“ doch funktioniert? Oder wieso liegt eigentlich heute die Staatsverschuldung in vielen Ländern fernab jeglicher Maastricht-Kriterien?

      Übrigens, warum gibt es in Deutschland noch keine Finanztransaktionssteuer, so wie es diese in Italien oder Frankreich seit 2 bzw. 3 Jahren gibt? Und wie soll die für eine Währungsunion notwendige weitere politische Integration gelingen, wenn Deutschland sich abseits von Rettungsschirmen, die ja nur Banken retten, jeglicher Kooperation verweigert?

      Beste Grüße Mister Ede

      • Hallo MisterEde, hallo Emil, meiner Ansicht nach sollte man, bevor man die Austeritätspolitik grundsätzlich verurteilt, sich anschauen, aus welchem Grunde sie überhaupt etabliert wurde. Meines Erachtens nach ist Ziel dieser Politik, Griechenland und andere "wirtschaftliche Problemfälle" zu Reformen anzuhalten, welche dringend nötig sind; oft werden in diesem Zusammenhang z.B. unnötig hohe Renten für Staatsbedienstete, überdurchschnittlich hohe Ausgaben im sozialen Sektor, Vetternwirtschaft, etc... als Problemfelder genannt. Wurden diese Reformvorhaben gänzlich erfüllt? Zudem wüsste ich gerne, was Ihr von der Forderung Tsipras' nach Reparationszahlungen in Höhe von 11 Mrd. Euro haltet.LG

        • Hallo larifari000,

          wenn ich es richtig verstehe, zielt deine Frage darauf, in wie weit die Austeritätspolitik nicht auch richtige Ansätze hatte bzw. ob Reform-Maßnahmen tatsächlich umgesetzt wurden. Grundsätzlich wurde ein Problem der Eurozone, nämlich die auseinandergelaufenen Wettbewerbsfähigkeit, richtig erkannt. Auch die Liquiditätsproblematik wurde durchaus erkannt.

          Die Liquiditätsproblematik führte im Verlauf zum ESM (der sollte uns hier jetzt mal egal sein) und die Wettbewerbsproblematik (also die fehlende Wettbewerbsfähigkeit z.B. von Griechenland) führte zu Reformschritten. Diese Reformschritte haben zum Teil sinnvolle Reformen beinhaltet, aber eben auch, und das versuche ich aufzuzeigen, eine einseitige Austeritätspolititk, die der falsche Weg war. Natürlich kann man sagen, die Lohnstückkosten sind in Griechenland, Spanien, Portugal, Frankreich, Italien und Belgien zu hoch oder man stellt eben fest, sie waren vor allem in Deutschland zu niedrig. Letzteres führt dann zu anderen Ansätzen als Ersteres.

          Sagen wir es mal so. Griechenland hatte 2010 60% der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Durch sinnvolle Reformen lässt sich das vielleicht auf 70% steigern, fehlen noch immer 30%, die sich nicht unwesentlich über die Lohnstückkosten und damit über die Löhne oder Sozialabgaben bestimmen. Und genau auf diese übrigen 30% wurde dann eine falsche Medizin angewendet und in einer falschen Dosis. Die Einseitigkeit der Austeritätspolitik (keine Anpassungen in den starken Staaten) und die Massivität waren der Fehler. Es war aus meiner Sicht durchaus sinnvoll auf sinkende Lohnstückkosten zu setzen, nur hätte die dadurch ausgelöste Rezession durch staatliche Maßnahmen (große Konjunkturpakete) und eine Stärkung der Binnennachfrage, z.B. in Deutschland, ausgeglichen werden müssen. Es fand allerdings keinerlei Kompensation statt, sogar im Gegenteil handelten die Staaten eben aufgrund der durch die Austeritätspoltik einzuhaltende Haushaltsdisziplin kontraproduktiv und kürzten wo es ging – oder auch dort wo es nicht ging.

          Meine Antwort ist also: Zahlreiche Reformen waren sinnvoll und sind zu einem großen Teil auch umgesetzt worden, daneben sind aber auch einige sinnvolle Reformen, z.B. Finanztransaktionssteuer, nicht durchgeführt worden. Die Austeritätspoltik hingegen, die auf Anpassungen des Lohnniveaus in den starken Staaten verzichtete und einseitig Lohnsenkungen und Haushaltsdisziplin in den Krisenstaaten als Lösungsweg propagierte, war fatal.

          Zu den Reparationszahlungen: Es wird halt alles versucht, weil Griechenland gerade ziemlich in die Ecke gedrängt ist.

          • Hallo MisterEde, der Ansatz mit den Lohnstückkosten führt genau in die richtige Richtung, auch wenn viele Mainstream-Ökonomen und ihre publizistischen Helfer (u.a. Handelblatt, Wirtschaftswoche) das inzwischen gern kleinreden!

            Es wird aber auch sonst einsam um die beiden weltweit führenden Protagonisten der Austeritätspolitik, Angela Merkel und Wolfgang Schäuble. Noch haben diese beiden Laienschauspieler (die eine Physikerin, der andere Jurist) zwar die europäische Meinungsführerschaft, sie wirken aber zunehmend isoliert. Hier drei Beispiele aus politisch völlig unverdächtiger Ecke.

            Nobelpreisträger Paul Krugman schrieb vor einigen Tagen in der New York Times die Politik der Bundeskanzlerin sei „ ein Rezept für eine Katastrophe im Zeitlupenformat“. Original hier und eine deutsche Übersetzung hier.

            Der Londoner Economist nannte den Bundesfinanzminister Schäuble gar „Europe's foremost ayatollah of austerity“. Zusammen mit einer passenden Karikatur, die die dramatische Lage der Europäischen Union und der Eurozone deutlich macht, findet sich der Beitrag hier.

            Der amerikanische Politikwissenschaftler Mark Blyth wies jetzt in einer profunden und von der Financial Times hochgelobten und bei der Oxford University Press erschienenden Studie mit dem Titel Austerity/The History of a Dangerous Idea nach, dass Austeritätspolitik noch niemals irgendwo auf der Welt funktioniert hat und listet zudem peniebel auf, was zu der sogenannten Staatsschuldenkrise geführt hat: u.a. Bankenrettung und Steuerverzicht bzw. ein ruinöser Steuerwettbewerb. Für Deutschland kämen noch die immensen Kosten der Deutschen Einheit hinzu. All das herausgerechnet lägen wir dann zum Beispiel mit den bundesdeutschen Staatsschulden bei paradiesischen ca. 30 bis 40% unseres BIP!

    • Hallo Emil,

      der Anlass ist, dass auch nach der Griechenlandwahl, nicht im Ansatz verstanden wird, wo die Probleme liegen. Griechenland ist nämlich nur ein Beispiel, aber die Austeritätspolitik versagt doch in anderen Ländern genauso (Arbeitslosigkeit, Rezession, Schuldenstand). Wenn man sich anschaut, was Zeitungen berichten, denkt man, es bräuchte eine Lösung für das „Griechenland-Problem“, aber das ist falsch. Wir brauchen endlich eine Lösung für die Eurokrise, in der Griechenland nur ein kleiner Bestandteil ist.

      Und dazu muss endlich verstanden werden – und ja, das wird in der Regierung wohl wirklich nicht verstanden –, dass der Schlüssel zur Lösung der Eurokrise maßgeblich in Deutschland liegt. Wir müssen schauen, dass in Deutschland die in Euro gerechneten Löhne ansteigen, dass die Binnennachfrage angekurbelt wird, die Preise in Deutschland etwas nach oben gehen und die Lohnstückkosten [das gleicht sich durch den Euro-Wechselkurs aus]. Dafür brauchen wir in Spanien, Portugal und Griechenland zwar weiter Lohnzurückhaltung, aber gleichzeitig auch Wachstumsimpulse, z.B. ein Investitionsprogramm, das diese Rezessionsspirale durchbricht. Aber vor allem müssen eben Deutschland und auch die anderen starken Euro-Staaten, etwas dafür tun, dass sich auch Ihre Lohnstückkosten in der richtigen Richtung anpassen.

      Das wird aber fast nirgends thematisiert (Siggi und Co. sind ja lieber bei Pegida) und so braucht man sich nicht wundern, wenn dann in Spanien irgendwann Podemos oder halt deutlich schlimmer in Frankreich Le Pen dran ist. Insgesamt habe ich das Gefühl, es interessiert hier in Deutschland auch niemanden wirklich, ob eine links-außen Partei in Griechenland regiert oder der Front National in Frankreich immer mehr Sitze und Ämter erringt. Und das frustriert und besorgt mich.