Zur Schieflage in der Datenhoheit
Datenbrillen könnten ein neuer Trend werden. Doch was, wenn Menschen sie aus Angst vor Überwachung nicht tragen wollen? Thomas F. Dapp, Big-Data-Experte des Think Tanks Deutsche Bank Research, warnt in seinem Diskussions-Anstoß zum #pxp_thema Überwachte Welt vor den ökonomischen Folgen eines Vertrauensverlustes. Foto: Ted Eytan CC BY-SA 2.0
Ein Beitrag von Thomas F. Dapp, Deutsche Bank Research
Ich nutze das Internet jeden Tag, beruflich wie privat. Tägliche, routinemäßige Handlungen mit modernen, web-basierten Technologien zu verbinden, erleichtert mir mein Leben. Mit jedem Klick auf Online-Portalen, mit jedem Sprachbefehl auf mobilen Endgeräten oder jeder GPS-Ortung spare ich wertvolle Zeit. Viele Internet-Dienste erhöhen meine Effizienz, meine Produktivität und meinen Komfort im Alltag. Meine Nachfrage ist bis jetzt auch (noch) ungebrochen. Die Nutzung dieser Dienste ist aber nicht umsonst, sondern hat einen durchaus hohen Preis. Sie kostet mich zwar kein Geld, sie wird aber mit der mehr oder weniger freiwilligen Preisgabe meiner persönlichen digitalisierten Daten bezahlt.
Daten werden zunehmend zu einem entscheidenden volkswirtschaftlichen Produktionsfaktor. Gerade die Nutzung personenbezogener Daten hat einen ökonomischen Wert und weckt bei vielen Akteuren aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik Begehrlichkeiten mit unterschiedlichem Fokus. Primär nähren die Daten bei Vielen die Hoffnung auf steigende Umsätze, aber auch eine bessere Datengrundlage für Prognosen in der Wirtschaft oder die professionelle Erstellung umfassender Profile der Menschen können Treiber sein.
Prinzipiell geht es darum, unterschiedliche Datenmengen und -strukturen mit neuen Datensätzen zu kombinieren, eventuelle Muster in diesen kumulierten Daten mit intelligenten Softwareprogrammen aufzuspüren, um anschließend die richtigen (möglichst lukrativen) Schlüsse aus den Ergebnissen zu ziehen.
Neue Geschäftsideen, Prozesse, Dienste
All das wird unter dem Begriff „Big Data“ oder „Data Analytics“ diskutiert. Einmal erhobene Primärdatensätze können zu unterschiedlichen Zwecken und für unterschiedliche Akteure zwei-, drei- oder x-fach ausgewertet werden. Dadurch erweisen sich die Daten einerseits als Quelle für Innovation, Kreativität sowie „Out-of-the-box-Denken“ und münden idealerweise in neue Geschäftsideen, Prozesse, Produkte oder Dienste. Andererseits können und werden sie Vielen aber auch Sorgen und Ängste bereiten, weil die eigene Datenhoheit, also die informationelle Selbstbestimmung, schnell verlorengehen kann.
Aus innovations-und wirtschaftspolitischer Sicht kann mit Besorgnis beobachtet werden, mit welcher Ohnmacht viele Entscheidungsträger, aber auch viele Internetnutzer in Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft zusehen, wie sich das Internet allmählich in eine Spielwiese von nur noch wenigen Akteuren wandelt. Diese dominieren den Markt, umzäunen ihre schönen und viel genutzten Gärten und bestimmen für große Teile der Internetnutzer den Innovations- bzw. Technologiekurs. Eine zu Beginn des Internetzeitalters von Vielen erwartete oder gar erhoffte Konsumenten- bzw. Bürgersouveränität im Netz sieht wahrlich anders aus. Die Diskussion wird zusätzlich angeheizt durch die seit Sommer 2013 veröffentlichten Snowden-Dokumente zur Datensammelpraxis von Geheimdiensten.
Bei all den Wachstumschancen, die das Internet mit sich bringt, werden damit einhergehende Risiken und Probleme, vor allem bezüglich des Datenschutzes und potenziellen Datenmissbrauchs, gerne ausgeblendet. Insbesondere in die neuen, hochgehandelten Algorithmen zur Reduzierung von Komplexitäten oder zur Erstellung von Berechenbarkeitsanalysen werden hohe Erwartungen gesteckt. Die Realität zeigt jedoch, dass Fragen hinsichtlich dahinterliegender Interessen, Machtverhältnisse, ethische und moralische Gesichtspunkte, Kontrolle, Rechte und Pflichten oftmals nur eine untergeordnete Rolle spielen.
Verunsicherung könnte der Volkswirtschaft schaden
Meine Verunsicherung als aktiver Internetnutzer steigt, weil ich jeden Tag mit weiteren Ausspähpraktiken oder sonstigem Missbrauch personenbezogener Daten auf On- und Offlinekanälen konfrontiert werde. Mittlerweile achte ich vermehrt darauf, welche Aussagen, Botschaften und Meinungen ich via E-Mail, Messenger, SMS oder sonstige digitale Kanäle von mir gebe. Zuletzt habe ich auch die Webcam am oberen Ende meines Notebooks zugeklebt, weil ein Fremdzugriff technisch möglich ist und Missbräuche bereits diskutiert wurden.
Es stellt sich mir die Frage, ob sich die digitalen Ökosysteme, die Geheimdienste oder sonstige Akteure im Internet durch ihre Geschäftspraktiken mittel- bis langfristig nicht selbst schaden (für Unternehmen: „ihre Geschäftsgrundlage unterminieren“), weil das Misstrauen steigt und die Bereitschaft, sich unbehelligt (oder ungeschützt) in digitalen Kanälen aufzuhalten, allmählich sinken könnte. Einige Studien können die zunehmende Verunsicherung der Internet-Nutzer bereits belegen. Die mittelfristig daraus resultierende Konsequenz ist ein sich allmählich anpassendes und sich veränderndes Mediennutzungs- und Konsumverhalten vieler Internetnutzer. Der volkswirtschaftliche Schaden könnte branchenübergreifend und für alle Anbieter web-basierter Technologien spürbar werden. Denn die größten Hürden für jede neu in den Markt eintretende Technologie sind mangelnde Akzeptanz und sinkendes Vertrauen der Nutzer. Letzteres ist bereits angekratzt.
Grafik: Oliver Ullmann. Deutsche Bank Research. Quelle: Dapp, T. (2014). Big Data – die ungezähmte Macht. Deutsche Bank Research. Frankfurt am Main.
Worst Case: Vertrauensverlust
Einige Akteure im Netz sollten sich die Frage stellen, welche Folgen es haben könnte, wenn immer mehr Internetnutzer anfangen, die angebotenen Produkte und Dienste zu meiden oder sie zu substituieren mangels Vertrauen. Was, wenn internetaffine Menschen ihre Haushaltsgegenstände vielleicht miteinander, aber nicht mit dem Internet und somit mit einem einzigen Akteur verbinden möchten, weil sie eben doch dauerhaft Wert auf ihre Privatsphäre legen? Was, wenn die Menschen keine automatisierten und selbstlenkenden Fahrzeuge nachfragen, weil sie nicht möchten, dass ihnen somit vielleicht der Fahrspaß verlorengeht oder weitaus beunruhigender, einige Akteure permanent wissen, wohin man fährt, wer im Auto sitzt und was während der Fahrt passiert? Was, wenn die Menschen keine web-basierten Brillen tragen wollen, weil sie nicht möchten, dass einige Akteure 1:1 sehen, was sie sehen? Was, wenn die Menschen keine web-basierten Uhren, Armbänder oder Ringe nachfragen, weil sie nicht möchten, dass einige Akteure durch ihre intelligent platzierten Sensoren ihre Schwächen und Krankheiten aus den rund um die Uhr gesammelten Biodaten erkennen können?
Was also, wenn wir allmählich erkennen, dass uns einige Akteure auf Schritt und Tritt im Alltag folgen, uns beobachten und uns mit individuellen Werbebotschaften manipulieren. Mittelfristig könnte es aufgrund der gesammelten und angelegten persönlichen Profile auch soweit kommen, dass wir diskriminiert werden von Versicherungen oder sonstigen Dienstleistern. Sollten die Datensammel-Aktivitäten einiger Akteure ungebändigt weitergehen, könnten wir früher oder später erkennen, dass wir allmählich selbst zum gehandelten Gut geworden sind, dass wir permanent mit intransparenten Strukturen zu kämpfen haben, keine Kontrolle mehr über die Sicherheit der angebotenen Systeme, über eventuelle Zugriffe oder Löschung unserer persönlichen Daten haben.
Dann wird sich die Erkenntnis durchsetzen, dass es zu einer massiven Schieflage in der Datenhoheit gekommen ist. Für einige Akteure im Netz wird es dann immer schwieriger, ihre Geschäftsmodelle auszubauen. Denn einige Menschen werden ihr Mediennutzungs- und Konsumverhalten aufgrund des Datenmissbrauchs bereits angepasst haben. Im gleichen Atemzug wird das Bedürfnis nach sicheren digitalen Kanälen außergewöhnlich stark zunehmen. Nur mit dem Unterschied, dass viele Menschen einigen Akteuren kein Vertrauen mehr schenken, selbst wenn sie versprechen, sorgfältig und sparsam mit personenbezogenen Daten umzugehen. Denn, wer einmal lügt...
Hinweis: Von Thomas F. Dapp erschien jüngst die DB-Research-Studie "Big Data - die ungezähmte Macht" (4. März 2014)
jkippenberg
Wann brechen die Gratis-Märkte zusammen?
Hallo Herr Dapp, da Sie so schön privat ans Thema herangehen, hier mein Privates. Was ich inzwischen nicht mehr tue: ich lade fast gar keine Apps mehr auf mein Smartphone. Wenn die Liste kommt, auf was fast jede App so zugreifen will (E-Mailadresse, Kontakte, Standort und so weiter) denke ich jedes Mal: bitte was? Und dann drücke ich nicht mehr "Installieren", breche den Vorgang ab.
Vor allem will ich nicht irgendwem die Daten aller meiner pirvaten und beruflichen Kontakte geben, nur weil ich irgendein Video streamen möchte, und dazu eine App brauche.
Wenn jetzt alle so misstrauisch werden wie ich, bricht der Gratis-App-Markt einfach mal zusammen.
Gut fände ich eine große Bezahlmodell-Offensive. Ich möchte fürs mailen, fürs soziale Netzwerken, für jede App echtes, gutes altes Geld bezahlen, und im Gegenzug werden keine oder minimale Daten erhoben. Ich habe aber den Verdacht, dass die Preise dann ziemlich hoch wären, oder?
Bis auf die Apps habe ich bislang gar nichts geändert, nicht mal mein Google Drive. Und ich fühle mich deshalb schlecht, fahrlässig, so blöde 'selber Schuld'. Leben mit einem dauerhaften schlechten Gewissen, weil man nicht verschlüsselt, sich keinen Kopf macht, das drückt unbewusst auf die Laune, aufs Lebensgefühl.
Und dann kommt der Trotz. Wie kann es sein, dass ich mir um so selbstverständliche Dinge wie das 'Briefgeheimnis' oder besser "Chat"- und "Mail"-Geheimnis Gedanken machen muss? Warum macht das nicht die Bundesregierung für mich?
Wenn die Bundesregierung es aufgegeben hat, für den Schutz vor Überwachung zu kämpfen, müsste sie sich wenigstens im Alarmismus üben. So wie es eine Reisewarnung vor Nordkorea gibt, müsste es eine Nutzungswarnung für alle unsicheren Digital-Kanäle geben. Aber auch da bleibt alles totenstill.