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Community-Abend: Gefühle und Spekulationen in der 'überwachten Welt'


Foto: Linnea RiensbergNichts sehen, nichts hören, nichts sagen? Beim Community-Abend zum #pxp_thema Überwachte Welt wurden spontan Reaktionen auf Überwachungspraktiken durchgespielt. Foto: Linnea Riensberg


Es wäre unmöglich, unseren Community-Abend zum #pxp_thema Überwachte Welt adäquat zusammenzufassen. Diskutierende mit ganz unterschiedlichen privaten und beruflichen Hintergründen brachten ihre Sichtweisen ein – vom Fotografen über die Medizinerin bis zum Pensionär. Ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit seien hier einige Beobachtungen und Fragen des Abends skizziert.

Ein Beitrag von Alexander Wragge, Redaktion

Wer allgemein die ‘Überwachungfrage’ stellt, bekommt schnell ein „Kladderadatsch-Problem“. Dann geht alles durcheinander: von der staatlichen Überwachung (NSA-Komplex) bis zur privatwirtschaftlichen und wissenschaftlichen Datensammelwut. Die Debatte ist übervoll von Erkenntnissen. Allein die Dokumente des US-Whistleblowers Edward Snowden und die Selbstversuche des Grünen-Politikers Malte Spitz zeigen regelmäßig neue Pfade in den Überwachungs-Kollaps. Zugleich fällt das Gespräch immer wieder in Informationslücken: was können beispielsweise Algorithmen heute schon mit unserem Datenwust anfangen?

Manche machen sich im Detail schlau, versuchen etwa Nutzungsbedingungen einer Taschenlampen-App zu verstehen oder lesen jede Überwachungs-News auf einem Fachportal wie Heise.de. Andere kommen nicht mehr hinterher oder geben auf. Eine Erkenntnis unseres Community-Abends zur „Überwachten Welt“: das Thema bewegt uns grundlegender, als es manche Umfragen vermuten lassen (wonach etwa die NSA-Enthüllungen für den Ausgang der Bundestagswahl 2013 nahezu irrelevant waren). Statt geplanten 90 Minuten sprachen wir ganze drei Stunden und es ging teilweise hoch her.

Was wird aus den Gefühlen?

Als Einstieg wählten wir eine persönliche Frage an jede/jeden. Was fühlst Du, wenn Du an den staatlich-privatwirtschaftlichen Überwachungskomplex denkst? Das klingt vielleicht etwas nach Betroffenheits-Kitsch und Therapiegruppe. Allerdings sind die Gefühle jedes Einzelnen ziemlich wichtig für die gesamte 'Überwachungs'-Politik: Ändern wir unser privates und berufliches (Digital-)Verhalten oder nicht? Haben wir so viel Angst vor Überwachung, dass wir bereits Selbstzensur üben, etwa auf Facebook? Protestieren wir wütend vor dem Kanzleramt, oder vertrauen wir ganz gelassen auf den schützenden Gesetzgeber?

Eine Erkenntnis: Der Gefühlshaushalt in der Überwachungsdebatte ist alles andere als homogen. Manche formulieren starke Empörung, etwa über die im Raum stehende 'Totalüberwachung'. Andere fühlen sich schlicht sprachlos, ohnmächtig, hilflos und verunsichert. Wieder andere wollen die vielen Chancen des digitalen Wandels nicht einfach einer dunklen Überwachungsangst opfern, bleiben tendenziell optimistisch.

Beobachtung zwei: Die Gefühle wirken bislang eher privat als politisch. Ein unbestimmtes Misstrauen lässt manche die Web-Cam am Laptop zukleben, weil diese zur heimlichen Video-Überwachung missbraucht werden könnte. Manche werden so vorsichtig, dass sie ganz auf ein Smartphone, den Facebook-Account und diverse Apps verzichten. Manche führen wichtige Gespräche tatsächlich nur noch persönlich und offline. Andere ändern rein gar nichts an ihrem Digital-Verhalten, haben dabei aber ein mulmiges Gefühl. An welcher Stelle im politischen Prozess sich die teils starken Gefühle sinnvoll artikulieren lassen, bleibt dagegen im Vagen: bei der Reform der BND-Aufsicht? Bei der EU-Datenschutzgrundverordnung? Bei der Schaffung neuen Völkerrechts?

Es bleibt spannend zu beobachten, wohin sich die noch recht diffuse Gefühlslage in dieser Debatte entwickelt. Bleiben die Emotionen zu unbestimmt und privat, als dass es zu einem breiten Massenprotest gegen Totalüberwachung kommt? Ahnen wir zwar dunkel, dass das Internet „kaputt“ ist (Zitat Sascha Lobo), blenden das aber lieber aus? Frisst sich das Misstrauen immer tiefer in uns uns hinein, bis ständig mit jeder Ausspähung gerechnet wird, auch im Wirtschaftsleben? Oder fassen wir irgendwann neues Urvertrauen in Staaten und Unternehmen und können wieder 'naiv' auf die digitale Welt blicken?

Wohin führen die Spekulationen?

Eine zweite Erkenntnis des Abends: Wer über die Überwachungsfrage spricht, redet zwangsläufig über die Zukunft. Was wäre, wenn? Was wäre, wenn Staaten und Unternehmen ihre technischen Möglichkeiten künftig nutzen, um Menschen zu diskriminieren, Gegnern und Konkurrenten zu schaden, die Massen zu kontrollieren? An Angstszenarien hat die Debatte keinen Mangel – vom Unternehmen, das mittels Big-Data-Wissen Mitarbeiter entlässt, noch bevor sie krank werden, bis zur Stasi 2.0, die sich digital merkt, wer mit was zu erpressen wäre.

Vielleicht überfordern derartige Spekulationen manchmal ein ergebnisorientiertes, konkretes Gespräch. Trotzdem scheint es ein sinnvoller erster Schritt im Sinne einer konstruktiven Debatte zu sein, für sich selbst eine begründbare Haltung zu all den (Horror-)Szenarien zu finden. Können wir uns aus gutem Grund zurücklehnen, oder muss der Gesetzgeber schnell handeln, um einen Überwachungs-Kollaps noch zu verhindern? Sollten wir Datensammel-Unternehmen schon heute regulieren, obwohl diese noch nicht einmal selbst wissen, was sie in 10, 20 Jahren mit den Daten anfangen können und wollen? Werden Daten schleichend zum neuen Machtfaktor, zur „fünften Gewalt“, die das bisherige System in ungekannte Schranken weist? Oder müssen wir aufpassen, uns nicht mit übertriebenen, undifferenzierten Überwachungsängsten eine segensreiche Digital-Zukunft zu verbauen, in der beispielsweise Big Data in der Medizin hilft, Leben zu retten?

Funktioniert ein Community-Abend?

Bleibt noch zu sagen: Es war unser erster Publixphere-Community-Abend. Einen solchen wird es künftig alle zwei Monate zum jeweiligen #pxp_thema geben (zusätzlich zur gewohnten Panel-Diskussion). Ein Fazit: es war gewinnbringend, sich mit Menschen aus unterschiedlichen Bereichen über die ‘Überwachte Welt’ auszutauschen. Eine Physikerin bringt etwa eine ganz andere Sichtweise auf Daten mit als ein Politikwissenschaftler oder die Datenschutz-Expertin aus einem Abgeordnetenbüro. Dass nur eine kleine, informierte “Netzgemeinde” fundiert, betroffen und leidenschaftlich über den Überwachungskomplex streiten kann und will, muss jedenfalls als Mythos gelten.

Vorangetrieben wurde das Gespräch auch durch zahlreiche Thesen, Kommentare und Fragen aus den Publixphere-Online-Diskussionen (aufgelistet unter unserem Hintergrund-Artikel) zur 'Überwachten Welt', die wir zwischendurch immer wieder kurz zusammenfassten. Also an alle Online-KommentatorInnen, die leider nicht vor Ort sein konnten: eure Sichtweisen haben unsere Offline-Diskussion sehr bereichert - danke dafür.


Hinweis: Alle Interessierten sind weiterhin eingeladen, sich online mit eigenen Texten und Kommentaren in die Überwachungs-Debatte einzubringen – und natürlich auch eigene Eindrücke vom Community-Abend zu schildern. Am 26. November sind die Impulse in ein Publixphere-Panel zum Thema mit SPD-Politiker Gerold Reichenbach MdB, SPD , dem Bundesvorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt, der Regisseurin Christiane Mudra sowie Silvana Tiedemann als Vertreterin der Publixphere-Community eingeflossen.

Wer nicht dabei sein konnte, kann hier den Audio-Stream anhören.


Kommentare

  • Wette auf die Zukunft

    Hallihallo,

    für mich bleibt die Überwachungsfrage eine Wette auf die Zukunft. Wenn wir uns heute fragen, was von unserem digitalen Ich später mal gegen uns verwendet werden könnte, kommen wir vielleicht auf Pornos, Affären, Besuche politisch radikaler Seiten, ausrastende anonyme Kommentare, sowas. Das wäre - veröffentlicht - vielleicht in der Moral unserer heutigen Gesellschaft ein Problem fürs Image, wenn wir sagen wir mal noch Bundeskanzler/in werden wollen.

    Nur: wir kennen die Gesellschaft der Zukunft noch nicht. Vielleicht sind in dieser linke Ansichten ein Problem, oder psychische Leiden, oder ein nierdiger IQ oder etwas ganz anderes. Vielleicht hindern sie uns nicht nur daran, ein Amt zu übernehmen, sondern allein schon, einen Job zu bekommen oder Zugang zu Informationen (Google und Facebook oder wie die Unternehmen 2050 auch heißen könnten sie uns gezielt vorenthalten). Und da liegt doch der Hase im Pfeffer, wenn wir uns in Sicherheit wiegen und unter heutigen Maßstäben wenig bis nichts zu verbergen haben.

  • Hi Alexander, eine Position, die beim Community-Abend angeschnitten wurde, möchte ich noch aufnehmen und vertiefen: hat es nicht auch positive Effekte wenn uns Unternehmen auf uns zugeschnittene Angebote machen können? Ich persönlich finde es äußerst praktisch wenn Amazon, Google, Netflix und co. mir Bücher und Filme, ja grundsätzlich Produkte vorschlagen auf Basis meiner getätigten Käufe/Suchanfragen. Beispiel Bücherei: Im nicht-digitalen Leben ist genau das ein wichtiger Faktor für Kundenbindung. In eine Bücherei, in der der Verkäufer mich kennt und mir zu meinem Leseverhalten passende Vorlschäge machen kann, werde ich sicherlich häufiger gehen. Gleiches gilt für alle Unternehmen, ob digital oder nicht-digital!