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Jelpke (Linke): Das Panoptikum einreißen!


Foto: Joram Huyben, CC BY 2.0Wer ruft einen Anwalt an? Wer einen Psychiater oder die Suchthilfe? Schon diese Daten können viel Persönliches verraten, warnt die Linkspolitikerin Ulla Jelpke MdB, DIE LINKE in ihrem Diskussions-Anstoß zum #pxp_thema "Überwachte Welt". Foto: Joram Huyben CC BY 2.0


Ein Beitrag von Ulla Jelpke

Staatliche Massenüberwachung ist kein Zukunftsszenario mehr. So gigantomanisch wie bei der NSA sammelt man bei BND, Verfassungsschutz und BKA zwar nicht, aber zu den Eigenheiten solcher Datensammlungen gehört ja: Man weiß als Bürger nur, dass die „Sicherheitsdienste“ Daten sammeln können, jederzeit, von jedem, über alles – man weiß aber nie, ob man auch persönlich im Fokus steht, jetzt gerade, diese konkrete Mail, dieses konkrete Telefongespräch. Das ist das Prinzip des Panoptikums, eines Überwachungskonzeptes aus dem 18. Jahrhundert: Darin sind Gefängniszellen (oder Fabrikarbeitsplätze) in Kreisform so angelegt, dass sie von einem zentralen Beobachtungsturm aus eingesehen werden können, durch einen einzigen Aufpasser, der aber selbst nicht sichtbar ist. Der kann nicht ständig alle kontrollieren, und dennoch sind Überwachung und Kontrolle ständig präsent und entfalten ihre disziplinierende Wirkung rund um die Uhr.

Bei den Anti-Nazi-Protesten in Dresden wurde vollständig erfasst, welche Handynummern im Nahkreis der Kundgebungen aktiv waren. Mittels Funkzellenabfrage wurden Zehntausende Nummern erfasst. Angeblich nicht die zugehörigen Besitzer – was sich kaum kontrollieren lässt. Aber es zeigt: Es ist technisch möglich, man muss damit rechnen.

Angst vor Kontaktaufnahme

Die ausufernde Erfassung von Daten ist ein Grundrechteeingriff, weil sie ein Vermeidungsverhalten provozieren kann: Um nicht erfasst zu werden, meide ich Demonstrationen, Mitgliedschaften in (vielleicht) beobachteten Organisationen, Postings auf (vielleicht) beobachteten Internetplattformen. Selbst wenn jedes erfasste Datum für sich genommen harmlos sein mag, so gibt es heutzutage technische Möglichkeiten, alle Daten zu kombinieren und mit denen anderer Personen abzugleichen. Wer ruft wie oft bei einer psychiatrischen Beratungsstelle an, wer bei der AIDS-Hilfe, wer bei welchen Anwälten – mit welchen Personen hat man besonders häufig Kontakt, und mit wem wiederum kommuniziert der Freundeskreis. So lässt sich ein umfassendes Persönlichkeitsbild erstellen. Unter anderem deswegen hat das Bundesverfassungsgericht die Vorratsdatenspeicherung gekippt.

Nicht immer wird geheim, manchmal wird offen beobachtet. So stand die Linkspartei jahrelang (in Bayern heute noch) unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. Das kann gravierende Folgen haben: Personen können abgeschreckt werden, in die Partei einzutreten oder ihre Versammlungen zu besuchen, sie können sogar abgeschreckt werden, mit ihren Wahlkreisabgeordneten Kontakt aufzunehmen, weil sie befürchten, dann selbst in den Fokus des Geheimdienstes zu geraten.

Gesetze auf den Prüfstand

Die Tendenz geht dahin, möglichst die ganze Gesellschaft zu erfassen und aus den gewonnenen Daten relevante Zusammenhänge zu erkennen. Bei diesem Ansatz müssen zwangsläufig Berge von Daten erfasst werden, die für den offiziellen Zweck „Sicherheit“ irrelevant sind – für die jeweiligen Bürgerinnen und Bürger aber unter Umständen höchst sensibel sein können. Im Anti-Terror-Abkommen mit den USA ist sogar der Austausch von sexuellen Präferenzen und Gewerkschaftsmitgliedschaften festgehalten.

Gesetzliche Einschränkungen helfen da nicht immer. Beim Verfassungsschutz Niedersachsen kam im Sommer heraus, dass von 9000 gespeicherten Personen 40 Prozent zu Unrecht gespeichert waren. Bis solche Gesetzwidrigkeiten beendet werden, kann es dauern, und der politische Schaden ist schon längst eingetreten. So wie 2007, als das Bundeskriminalamt im Vorfeld des G8-Gipfels linke GlobalisierungsgegnerInnen als „terroristische Vereinigung“ einstufte und mit Razzien behelligte. Ein halbes Jahr nach dem Gipfel wurde vom Bundesgerichtshof die Rechtswidrigkeit der Maßnahmen festgestellt, aber die Diffamierung war nachträglich nicht wiedergutzumachen.

Wir brauchen, auch im legitimen Kampf gegen Terroristen, nicht noch mehr Überwachungsgesetze. Sinnvoll wäre es, erst einmal zu evaluieren, was die bisherigen Gesetze gebracht haben, und das Panoptikum einzureißen.


Hinweis der Redaktion: Am 29. Oktober 2014 diskutieren wir unser #pxp_thema "Überwachte Welt" im Rahmen eines Community-Abends (Informationen zum Termin) sowie Ende November in einer öffentlichen Podiumsdiskussion in Berlin (Näheres in Kürze).


Kommentare

  • Liebe Frau Jelpke, Sie warnen sicher zurecht. Angesichts der technischen Moeglichkeiten muessen auch viel mehr die zustaendigen (Sicherheits-)Beamten ins Licht der Oeffentlichkeit. Wer entscheidet über die Einstufung "Terrorist" (ihr G8-Protest-Beispiel)? Wer kontrolliert den Sicherheits-Apparat im taeglichen Geschäft? Leider bleiben ihre Vorstellungen (Gesetze überpruefen) doch recht vage. Bei der Sache mit den Gewerkschaftern wuerde ich gern mehr wissen.

    Und auch wenn Sie es als Linke-Politikerin vielleicht nicht mehr hoeren koennen: Aber angesichts der unsaeglichen Debatte in Ihrer Partei, ob die DDR ein Unrechtsstaat war (ernsthaft? JA WAS IN GOTTES NAMEN DENN SONST?) haette ich mir von Ihnen schon einen Hinweis auf die STASI gewünscht. Die Linke hat eben eine besondere Verantwortung, wenn es um Ueberwachung geht. Sie muessen sich durch Einsicht selbst rehablitieren, denn wir Buerger brauchen sie als groeßte Oppositionspartei, sonst tut die Bundesregierung in Punkto Totalueberwachung einfach mal gar nichts.

    • Ein wichtiges Thema in diesem Zusammenhang ist auch das Löschen von Einträgen z.B. bei Google. Das Löschen von eigenen Beiträgen oder von Artikeln über die eigene Person oder von eigenen Websites. Seit kurzem gibt es die Möglichkeit, bei Google einen Löschantrag zu stellen. Aber wer entscheidet darüber, ob das, was man gelöscht haben will, wirklich gelöscht wird? Google selbst? Müßte es nicht ein unabhängiges "Schiedsgericht" geben? Und wer darf ein "Profiling" über die eigene Person erstellen? Schon jetzt fühlt sich der Internet-User ziemlich ausgeliefert. Er verliert die Macht über seine eigenen Daten, er verliert sein Selbstbestimmungsrecht.

      Wer ist eigentlich in Zukunft Ansprechpartner für diese Fragen in Brüssel? Neelie Kroes "Digitale Agenda" oder Guenther Oettinger "Digitalwirtschaft" oder Vera Jourova "Justizkommissarin"? Wie sind die Kompetenzen aufgeteilt, so dass sie sich nicht gegenseitig blockieren?

      • Hallo Doro,

        in der neuen Kommission ist Günther Oettinger als Kommissar für die "digitale Wirtschaft und die digitale Gesellschaft" zuständig. Seine Vorgängerin Neelie Kroes scheidet aus der Kommission aus.

        Bei rechtlichen Fragen wie dem "Recht auf Vergessen" wird wohl die neue EU-Justizkommissarin Věra Jourová aus Tschechien eine entscheidende Rolle spielen. Eine Schiedsstelle für Linklöschungen ist derzeit im Rahmen der neuen EU-Datenschutzgrundverordnung im Gespräch.

        Außerdem wird es erstmals das Projektteam „Digitaler Binnenmarkt“ geben. Geleitet wird es vom estnischen Kommissions-Vizepräsident Andrus Ansip. Die neuen Projektteams sollen die Arbeit mehrerer Kommissare steuern und koordinieren.

        Weitere Informationen auf der Seite der EU-Kommisssion

        • Oh, danke! Ich hatte es vor zwei Tagen in einer großen Tageszeitung noch anders gelesen. Aber Ihr seid auf dem neusten Stand, was die Personalien angeht.

          • Pardon! Věra Jourová wird neue Justiz-Kommissarin!

            • Also, es scheint noch ein bisschen ein Hin und Her zu geben, bis die neuen Kommissare endgültig feststehen!

              Die Hauptsache, die neue Datenschutzgrundverordnung kommt bald und setzt den Internet-User in sein Recht auf Datenschutz und Selbstbestimmung!

              Ich denke zudem, Oettinger hat ein sehr wichtiges Ressort innerhalb der Kommission, was ja anfangs heruntergespielt wurde, und ich möchte ihm zutrauen, sich schnell und unabhängig von Konzernen und ihren Lobbyisten (!) einzuarbeiten!

              Eine Frage an die Community: Wie denkt Ihr über die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an Jaron Lanier? "Überwachte Welt" - Be- wußtwerdung und der Beginn einer Gegensteuerung?

              • mal ab vom löschen, das einer zensur gleicht und natürlich gefährlich ist möchte ich Ulla Jelpke MdB, DIE LINKE nocheinmal in ihren punkten unterstützen. kaum ein freies bewegen scheint mehr möglich, alle wissen alles von mir. versicherungen werden mich bald ablehnen oder nicht mehr zahlen, schweigepflicht und privatsphäre werden ad absurdum geführt. Ulla Jelpke MdB, DIE LINKE was tun Sie konkret poltisch daran das zu ändern???