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Braucht Europa Grenzen?


CC BY 2.0 by ChrisZum 25. Mauerfalljubiläum markierte eine Lichtgrenze aus 8.000 erleuchtenden Ballons in Berlin den ehemaligen Mauerverlauf. Foto: Chris (CC BY 2.0)


Ein Beitrag von treffpunkteuropa.de

Grenzen und deren Überwindung sind in Deutschland und Europa ein wichtiger Bestandteil der Erinnerungskultur. Doch wer vom Mauerfall spricht, muss seine Stimme auch für die Menschen an den Außengrenzen Europas erheben und vor allem eins tun: handeln.

Wir möchten mit euch diskutieren: Die Mauer von damals als Außengrenze von heute? - Braucht Europa Grenzen?

Den Hintergrundartikel zur Diskussion findet ihr hier.


Kommentare

  • An dieser Stelle sind schon viele weiterführende Kommentare zum Thema Flüchtlinge und Armutsmigranten, die nach Europa wollen, eingestellt worden. Eigentlich ist dem nichts hinzuzufügen. Man dreht sich im Kreis.

    Trotzdem will ich das Thema noch einmal aufgreifen: die Skrupellosigkeit im Schleppergeschäft hat eine neue Qualität angenommen und ist kaum noch zu toppen. Marode Frachter werden mit Hunderten von Flüchtlingen aufs Mittelmeer geschickt und dort führerlos dahintreibend von den Schleusern allein gelassen.

    Meine Meinung: die Flüchtlinge aus den (Bürger-) Kriegsgebieten des Nahen und Mittleren Ostens sollten überhaupt nicht den Weg übers Mittelmeer antreten müssen, sondern an den europäischen südöstlichen Landgrenzen in Empfang genommen und auf die europäischen Länder verteilt und weitergeleitet werden.

    Armutsmigration aus schwarzafrikanischen Ländern sollte und muss nicht sein. Die meist jungen Männer und z.T. auch Frauen und Kinder werden in ihren Ländern gebraucht, um eine bessere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung aufzubauen. Dabei sollte Europa und die westliche Welt ihren Beitrag mit einem Investitionsprogramm, aber ohne Paternalismus, und mit erleichterten Handelsbeziehungen helfen. Gut finde ich dazu einen zwar schon etwas älteren, aber m.E. immer noch beherzigungswerten Beitrag von Veye Tatah in Publik-Forum: http://www.publik-forum.de/Publik-Forum-22-2007/wach-auf-afrika

    M.E. ist die Flucht von Menschen aus schwarzafrikanischen Ländern oftmals auch nicht die Verzweiflungstat Einzelner, soz. Ultima ratio, sondern einem Hype geschuldet. Sie haben gehört, dass Andere es nach Europa geschafft haben, und meinen, die seien am Ziel ihres Glücks angekommen. Hier haben die Botschaften europäischer Staaten in diesen Ländern die Aufgabe aufzuklären: Europa ist nicht ein Kontinent, wo Milch und Honig fließt, auch hier wird Niemandem etwas geschenkt, und es lohnt nicht, sein Leben zu riskieren, um dorthin zu gelangen.

    Und bei uns sollte die undifferenzierte Rede von den verzweifelten Menschen, die zu uns wollen, und die uns als Fachkräfte nur bereichern können, aufhören.

    Wir brauchen Fachkräfte aus dem Ausland. Aber die sollten in einer geregelten Zuwanderungsgesetzgebung zu uns kommen können, und nicht als Flüchtlinge übers Mittelmeer.

    Differenzierung tut not. Die Vermischung der Motive auf Seiten derjenigen, die einfach nur weg wollen aus ihren Heimatländern und echt Verfolgten , sowie der Motive bei uns, Mitleid, Humanität oder Eigeninteresse an gut ausgebildeten ausländischen Fachkräften ist nicht gut und schafft intellektuelle, moralische und emotionale Verwirrung. Leider war auch Merkels Neujahrsansprache nicht klar, sondern eine Mixtur aus Appell und Verurteilung vermeintlicher Ausländerfeindlichkeit.

  • Europa lässt sich praktisch nur in Grenzen denken, aber nur ohne Grenzen ganz realisieren. Die Idee einer freien Wertegemeinschaft macht sich durch die vielen europäischen Ausschlusssysteme lächerlich. Zoll- und Handelsbarrieren bevorzugen europäischen Handel, Einwanderungsregelungen betreffen einzig ressourcenstarke Gruppen. Eliteprojekt Europa, hier wächst eine neue Festung.

    • Gilt das auch für die Grenzen zwischen Lettland/Estland/Finnland und Russland?

      • Hallo Marcel Wollscheid,

        aktuell ist es wohl nicht nötig Flüchtlinge aus Russland aufzunehmen, aber wenn es in Sankt Petersburg eine schwere Katastrophe gibt und real die einzige Möglichkeit ist, dass Menschen nach Finnland oder Lettland fliehen, dann würde ich erwarten, dass dort unbürokratisch die Grenzen geöffnet werden und geholfen wird. Selbiges würde ich auch im umgekehrten Fall von Russland erwarten.

    • Hallo moseni,

      für mich ist das eine Art Rosinenpickerei der EU. Vielleicht wäre es auch eine Idee, die Grenze wirklich dicht zu machen und so Dinge wie "Öl" oder "Gas" nicht in die EU zu lassen. Ich glaube, dann würde sehr schnell erkannt werden, dass die EU nur als Teil der Weltgemeinschaft funktioniert und entsprechend auch eine Verantwortung für diese hat.

  • Marcel Wollscheid ist dafür
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    Die Mauer des totalitären DDR-Regimes mit den Außengrenzen der Europäischen Union zu vergleichen - geschickt, aber komplett daneben und unredlich.

    • Der Vergleich der Mauer und der innerdeutschen Grenze, die gefallen ist, mit Europas Außengrenzen, die entsprechend fallen müssten, hinkt absolut.

      Eine, da stimme ich CarstenWag zu, "gerechtere europäische Flüchtlingspolitik" ist dringend erforderlich. Aber auch die Unterstützung einer Entwicklung in den afrikanischen Ländern selbst hin zu lebenswürdigen Bedingungen. Doch ohne "weißen Paternalismus". Die afrikanischen Völker müssen das aus sich selbst heraus schaffen. Und dafür sind alle gefordert. Auch die vielen jungen Männer, die jetzt ihr Heil in der Flucht sehen.

      Was haltet Ihr von der Idee von Thomas de Maiziere, die schon von einem seiner Vorgänger stammt, nämlich von Schily, Aufnahmezentren als Willkommens- und Ausreisezentren in Nordafrika zu schaffen? Mit der Maßgabe natürlich, Etliche von der Flucht abzuhalten und mit einem anderen Selbstverständnis in ihre Heimatländer zurückzuschicken?

      • Ich finde diese Idee ist eine Erwägung wert, um zumindest die Mittelmeer-Schlepperbanden einzudämmen. Es bräuchte in diesem Fall eine enge Kooperation mit den Regierungen der Anrainerstaaten. Langfristig wird nur ein eigenverantwortlicher politischer Prozess in Afrika helfen.

        • Artikel wie dieser, der über 1000 aufgegriffene Flüchtlinge vor Italiens und Zyperns Küste (binnen 96 Stunden!) berichtet, verdeutlicht die Dringlichkeit einer Lösungsfindung. Was haltet ihr von der im Text angesprochenen "Mare nostrum"-Mission? Sie soll nicht mehr der sicheren Überfahrt von Flüchtlingen gewidmet sein, sondern der "Identitätsermittlung" und der "Rückkehrpolitik" dienen...

          • Hallo CarstenWag

            Mare nostrum: Mit „mare nostrum“ hat Italien den allerhöchsten Respekt bei mir verdient. Mein Eindruck ist, dass selbst das immer wieder für seine effiziente Verwaltung gelobte Deutschland eine solche Aktion nicht geschafft hätte, bzw. wahrscheinlich jetzt immer noch diskutieren würde, bis die Finanzierung auf die letzte Nachkommastelle gesichert ist.

            Deutschland: Ich finde es beschämend, dass Deutschland nicht mal 10 oder 20 Millionen Euro an Italien überweisen kann, für diese großartige Leistung, die dort vor Ort vollbracht wurde.

            Rückführung: Eine Rückführung halte ich für äußerst problematisch, da damit das Asylrecht beschnitten werden würde. Wünschenswert ist aus meiner Sicht, die von Doro angeführte Idee, in den Anrainerstaaten schon die Möglichkeit zu bieten, Asylverfahren einzuleiten. Solange das aber nicht möglich ist, sollten wir alles dafür machen, dass sich das Mittelmeer nicht zu einem Totenmeer verwandelt.

            • Mare Nostrum wird durch die gemeinsame EU-Mission Triton abgelöst, die jedoch auf ein wesentlich kleineres Budget zurückgreift. Mit der geringeren Ausstattung der Mission könnten die blinden Flecken auf dem Meer wachsen und mit ihnen die Todesopfer. Durch Mare Nostrum wurden alleine in einem Jahr schätzungsweise 150.000 Menschen aus der Seenot gerettet. Ich finde es braucht in allen Anstrengungen stärkere europäische Zusammenarbeit und Solidarität.

              • Hallo Marcel Wollscheid,

                ja, das ist mir bewusst. Wenn ich es allerdings richtig verstanden habe, ist bei Triton dann aber wieder das Ziel, den Grenzschutz in den Vordergrund zu stellen, wodurch dann die Menschlichkeit vernachlässigt wird.

                Von mir aus hätte einfach Italien weitermachen können und eine Rechnung nach Brüssel schicken. Das Ganze sollte zwar gesamteuropäisch finanziert sein, aber wenn Italien das gut macht, braucht man ja nicht gleich die ganze Mission gesamteuropäisch zu organisieren.

                P.S.: Es gab ja immer wieder Kritik an Italien, dass diese die Flüchtlinge nicht registriert haben, sondern einfach haben weiterziehen lassen. Genau das war aber richtig! Wäre ich in Italien verantwortlich gewesen und hätte sehen müssen, wie Italien von den europäischen Partnern bei einem so dringlichen Problem einfach im Stich gelassen wird, ich hätte mich auch an kein Dublin-Abkommen mehr gebunden gefühlt.

  • Liebe Community,

    ergänzend zur Diskussion möchten wir euch auf folgenden Artikel von Marina Lessing auf treffpunkteuropa.de hinweisen, in dem sie über die eigene Erfahrung mit der Situationen von Flüchtlingen in München berichtet.

    "Alleingelassen. Deutsche Kommunen sind mit der Betreuung von Flüchtlingen und Asylbewerbern überfordert"

  • Wer über Grenzen nachdenkt, verspürt den Wunsch nach Identitätsfindung: ich da drin und ihr da draußen; er will sich abgrenzen. Wer sich abgrenzen will, will sich auch schützen; schützen vor denen da draußen. Er sehnt sich um so mehr nach Grenzen, um so fremder ihm "die da draußen sind". Grenzen vereinfachen auch das Leben. Ich setze mir eine "natürliche Grenze"; bis dahin muss ich denken, aber nicht weiter. Die Welt ist ein bisschen weniger komplex dadurch. Die Grenze selber wird aber dadurch zur Bedrohung. Sie wird Druck ausgesetzt: Die da draussen, die zu uns rein wollen - Druck erzeugt Gegendruck und so wird die Grenze, die uns schützen sollte immer mehr zum Deckel auf einem Topf, der beginnt überzulaufen.

    Der Film "Der Marsch" nimmt sich dieses Themas an. Der Nordafrikaner organisiert einen Marsch aus nordafrikanischen Flüchtlingscamps nach Europa. Seine Hoffnung: „Wir glauben: wenn ihr uns vor euch seht, werdet ihr uns nicht sterben lassen. Deswegen kommen wir nach Europa. Wenn ihr uns nicht helft, dann können wir nichts mehr tun, wir werden sterben, und ihr werdet zusehen, wie wir sterben und möge Gott uns allen gnädig sein.“

    Vor einer solchen Entwicklung schützt uns - hier auf dem europäischen Kontinent - eine Grenze nur noch wenig. Deshalb dürfen wir es nicht so weit kommen lassen. Weniger die Befestigung von Grenzen sollte im Vordergrund stehen, als vielmehr dass sie als Schutz vor dem Fremden nicht gebraucht werden.

  • Ja, prinzipiell braucht Europa Grenzen. Wie diese jedoch "ausgestaltet" werden, insbesondere im Umgang mit Flüchtlingen, die diese überwinden wollen (und oftmals dabei ihr Leben lassen) ist eine andere Sache. Ich glaube die Lösung liegt vielmehr in einer gerechteren europäischen Flüchtlingspolitik als im Bau einer möglichst großen Mauer bzw. Grenzzone, die nur das Ziel der Abschreckung innehat.

    • Ich finde es ganz gut, was Papst Franziskus in seiner Rede vor dem Europaparlament zum Flüchtlingsproblem gesagt hat und darf ihn etwas ausführlicher zitieren:

      Für die EU ist es "notwendig, gemeinsam das Migrationsproblem anzugehen...Das Fehlen gegenseitiger Unterstützung innerhalb der Europäischen Union läuft Gefahr, partikularistische Lösungen des Problems anzuregen, welche die Menschenwürde der Einwanderer nicht berücksichtigen und Sklavenarbeit sowie ständige soziale Spannungen begünstigen. Europa wird imstande sein, die mit der Einwanderung verbundenen Problemkreise zu bewältigen, wenn es versteht, in aller Klarheit die eigene kulturelle Identität vorzulegen und geeignete Gesetze in die Tat umzusetzen, die fähig sind, die Rechte der europäischen Bürger zu schützen und zugleich die Aufnahme der Migranten zu garantieren; wenn es korrekte, mutige und konkrete politische Maßnahmen zu ergreifen versteht, die den Herkunftsländern der Migranten bei der sozio-politischen Entwicklung und bei der Überwindung der internen Konflikte - dem Hauptgrund dieses Phänomens - helfen, anstatt Politik der Eigeninteressen zu betreiben, die diese Konflikte steigert und nährt. Es ist notwendig, auf die Ursachen einzuwirken und nicht nur auf die Folgen." (zitiert aus Papst-Rede im Wortlaut, in SPIEGEL ONLINE v. 25.11.2014)

      By the way - es gehört vielleicht nicht ganz hierher, aber ich will doch einmal die Frage stellen: Warum werden in Berlin die meisten Flüchtlingsunterkünfte in Bezirken wie Marzahn, Hellersdorf, Schöneberg bereit gestellt und die wenigsten in einem Bezirk wie Steglitz-Zehlendorf? Wäre es nicht gerechter, die Bezirke für die Flüchtlingsunterkünfte zu nehmen, deren Einwohner selbst die wenigsten eigenen sozialen Probleme haben?