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Jede Abschiebung ist ein "Härtefall"


picture alliance/dpaAbgelehnte Asylbewerber warten im Dezember 2014 am Baden-Airport in Rheinmünster im Rahmen einer landesweiten Sammelabschiebung auf ihren Abflug. Foto & Teaser: picture alliance/dpa


Ein Beitrag von Doro

Man hatte sich an sie gewöhnt, an die Bettlerinnen vor den Geschäften des Kiezes und an ihren „Boss“, den Straßenmusiker vor dem Café, von dem aus er „seine“ Frauen im Auge hatte. Seit Jahren dieselben Gesichter. Vor allem die Frauen taten einem leid. Wie sie froren, sich mit ihrem flehenden „Hallo“ erniedrigten und kein Wort Deutsch dazu lernten. Man konnte sie nichts fragen, ihnen nicht wirklich helfen, man gab ihnen eine Münze, jeden Tag. Seit kurzem sind sie nicht mehr da. Zurück in Rumänien, kein Aufenthaltsrecht mehr für Deutschland. Eigentlich sollte man erleichtert sein. Kein Angriff mehr auf die eigene Mitmenschlichkeit beim Einkaufen. Aber plötzlich fehlen einem die bekannten Gesichter. Plötzlich ist da eine Leere. Es ist wirklich merkwürdig, was sich in einem selbst abspielt, diese Ambivalenz der Gefühle.

Ehrenamtliche Unterrichtende in den Kirchengemeinden und Schulen, die Flüchtlingen, Kindern, Frauen und Männern Deutschunterricht geben, leiden, wenn sie es erleben, dass wieder Etliche ihrer „Schützlinge“ nicht mehr kommen, weil sie abgeschoben wurden in „sichere Herkunftsländer“.

Es ist ein Dilemma: Willkomenskultur auf der einen Seite. Hilfsbereitschaft, Mitmenschlichkeit ist gefragt und wird in den Sonntagsreden unserer Politiker gefordert und entsteht vielerorts in ungeahntem Maße spontan. Beziehungen entstehen. In den Schulen vielleicht sogar ansatzweise Kinderfreundschaften. Und auf der andern Seite die politische Vernunft: Es können nicht alle kommen, und es können nicht alle bleiben, die das wollen. Es sind zu Viele. Deshalb die Unterscheidung in „sichere“ und „nicht sichere Herkunftsländer“, sowie in Kriegsflüchtlinge, Verfolgte und Wirtschaftsflüchtlinge. Wer hat das größere Recht zu kommen und zu bleiben? Hier schlingern die Parteien.

Die Abschiebung ist keine gute Lösung. Sie zerstört die Hoffnung derer, die es zu uns geschafft haben und führt sie möglicherweise ins Nichts zurück. Und sie lässt die Menschen in unserem Land, die unterschiedslos Flüchtlingen schon Hilfe haben zuteil werden lassen und sie ins Herz geschlossen haben, frustriert zurück.

Menschlich wäre es, die Abschiebepraxis ganz abzuschaffen. Aber geht das? Was wäre, politisch gesehen, und im Hinblick auf unser Sozialgefüge die Konsequenz? Mal ganz unideologisch, pragmatisch?


Kommentare

  • Hallo Doro,

    Deiner Überschrift und der unteren Hälfte deines Beitrags stimme ich weitestgehend zu, dem Anfangsteil eher nicht. Dass Menschen z.B. wegen des Berufs umziehen oder Kinder wegen eines Umzugs die Schule wechseln müssen, halte ich für nicht außergewöhnlich. Daher würde ich diese Normalität des Lebens nicht sentimental überhöhen, sondern auf etwas anderes abstellen. Im Gegensatz zu dem oben beschriebenen handelt es sich bei einer Abschiebung nämlich nicht um die freie Entscheidung der Menschen, sondern um eine Zwangsumsiedlung. Mit Menschen wird also irgendetwas gegen deren Willen gemacht und das ist der Grund, warum Abschiebungen immer auch ein menschliches Schicksal darstellen.

    Zu deinen Kernfragen: Wir werden als Staat leider nicht um Zwangsmaßnahmen herumkommen. Wichtig erscheint mir aber ein Ermessensspielraum um dem Einzelfall gerechter zu werden. Daneben wäre es aus meiner Sicht wünschenswert, Kooperationen zum Beispiel mit Tunesien oder Marokko einzugehen. Sinnvoll wäre es natürlich auch, endlich die Fluchtursachen stärker in den Blick zu nehmen und z.B. zu fragen, in wie weit wir etwas gegen die instabilen Situationen auf der Welt, gegen Unterdrückung oder Armut unternehmen können.

    • Hallo MisterEde,

      mein Anfangsbeispiel bezog sich auf Roma!!!

      Was staatliche "Zwangsmaßnahmen" angeht - das sehe ich genauso wie Sie. Auch Ihr Postulat "endlich die Fluchtursachen stärker in den Blick zu nehmen und z.B. zu fragen, in wie weit wir etwas gegen die instabilen Situationen auf der Welt, gegen Unterdrückung und Armut unternehmen können" unterstütze ich voll und ganz.

      Aber es gibt doch auch das existentielle Problem: Flüchtlinge, woher auch immer, aus welchem Grund auch immer sind jetzt einfach da (und es werden immer mehr). Sie wohnen in einer Turnhalle in der Nachbarschaft. Man hilft ihnen, man zeigt ihnen, dass sie willkommen sind, und dann muss man es erleben, dass ein Teil von ihnen wieder abgeschoben wird. Man hatte sich schon auf sie eingelassen. Natürlich geht es nicht anders. Es ist pragmatisch, vernünftig, politisch gesehen gar nicht anders handhabbar. Es ist diese Aporie zwischen Mitmenschlichkeit und politischer Vernunft, unter der Hilfswillige hier bei uns leiden. Und unter der die Flüchtlinge, die das betrifft, erst recht leiden: Zuerst erfahren sie eine überwältigende Hilfsbereitschaft aus der deutschen Bevölkerung, und dann "dürfen" sie doch wieder gehen. Insofern ist m.E. jede Abschiebung, menschlich gesehen, ein Härtefall, politisch gesehen, nach Prüfung der Sachlage wohl notwendig.

      Um es existentiell noch einmal auf den Punkt zu bringen: An dem einen Tag möchte man mit demonstrieren für eine "bunte, offene Gesellschaft", und an dem andern Tag für eine "gerechte Flüchtlingspolitik" und eine "geregelte Zuwanderung".

      Ich denke, diese Aporie ist nicht auflösbar. Oder doch?

      • Hallo Doro,

        wie gesagt, auch beim freiwilligen Umzug kann es Trennungsschmerz geben, das allerdings ist eben nicht mit einer Abschiebung vergleichbar. Insofern geht es um den Zwang der hinter Abschiebungen steht.

        P.S. Auch wenn es insgesamt etwas fragwürdig ist, EU-Bürger abzuschieben, dachte ich, das sollte nur beispielhaft sein, weil eine Abschiebung ja für Angehörige jeder Nationalität oder Volksgruppe unschön ist.

  • @doro, danke für das thema! ich sehe es ähnlich dem titel: bleiberecht ist menschenrecht - auch wenn das natürlich nach fantasterei klingen mag. geben wir den menschen eine chance, deutschalnd überaltert, wir brauchen sie. wir sollten sie sofort arbeiten und teil in der mitte unserer gesellschaft sein lassen, das immerhin wäre ein anfang...

    • Hallo paul,

      es gibt eine schöne Karikatur, die Deine These unterstützt (?):

      Eine Kleinstadtstraße. Rechts und links niedrige Häuser. In den Fenstern Schilder mit der Aufschrift: Zu Vermieten - Zu Verpachten - Zu Verkaufen. In der Mitte der Straße zwei etwas abgerissen wirkende Asylbewerber. Unterschrift unter dem Bild: "Das Boot ist voll".