Beck (Bündnis 90/Die Grünen): Zum Verhältnis von Staat und Kirche - Historie

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  • Beck (Bündnis 90/Die Grünen): Zum Verhältnis von Staat und Kirche

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    picture alliance / dpa picture alliance / dpa Streikrecht für alle? Aufgrund des kirchlichen Arbeitsrechts dürfen Mitarbeiter kirchlicher Einrichtungen, wie u.a. Erzieher in katholischen Kitas, nicht streiken. Foto: picture alliance / dpa

    Der grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck fordert in seiner Rolle als Sprecher für Religionspolitik seiner Fraktion gleiche Rechte für christliche Kirchen und andere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, Streikrecht auch für Mitarbeiter kirchlicher Träger und einen Spendenfreibetrag für Steuerzahler, die keiner bzw. einer nicht Religionssteuer erhebenden Religion angehören.


    Ein Beitrag von Volker Beck (MdB, Bündnis 90/Die Grünen)

    Der Sinn von Religionspolitik ist Religionsfreiheit. Alle Gläubigen und Religionsfreien müssen in einer demokratischen Gesellschaft die gleichen Entfaltungsmöglichkeiten haben. Niemand darf aufgrund seiner religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung benachteiligt werden. In einer sich zugleich pluralisierenden und säkularisierenden Gesellschaft kommen daher manche Traditionsbestände des Religionsverfassungsrechtes unter Legitimationsdruck. Das ist eigentlich auch gut so, zeigt dies doch, dass Manches einfach unhinterfragte Besitzstände waren, die nicht ihre Begründung in der Verwirklichung der kollektiven Glaubensfreiheit hatten.

    In allererster Linie geht es um Gleichheitsfragen

    Die gesellschaftspolitisch herausragende Rolle der christlichen Großkirchen ist nach dem Zweiten Weltkrieg lange Zeit eine gesellschaftspolitische Selbstverständlichkeit gewesen. Seinen Grund hatte dies sicher vor allem darin, dass eine übergroße Mehrheit, man kann sagen: fast alle, damaligen Bürger*innen der Bundesrepublik Mitglied in einer dieser Religionsgemeinschaften waren. Infolge der Veränderung dieser Situation geht es heute in allererster Linie um Gleichheitsfragen: Wo genießen die christlichen Kirchen Rechte, die andere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften unter gleichen Voraussetzungen nicht haben?

    Bei der Beantwortung dieser Frage spielt neben den Glaubensfreien vor allem „der Islam“ eine Rolle. Mittlerweile stammen mit ca. vier Millionen Menschen etwa fünf Prozent der Gesamtbevölkerung in Deutschland aus mehrheitlich muslimischen Ländern, auch wenn diese nicht alle Muslime sind. Aus politischer Bequemlichkeit oder mangelndem Realitätssinn ist die „religiöse Versorgung“ dieser Bevölkerungsgruppe erst in Ansätzen verwirklicht. Das liegt vor allem an strukturellen Problemen: Den existierenden muslimischen Vereinen gelingt es überwiegend nicht, sich bekenntnisförmig als Religionsgemeinschaften zu organisieren, was im Kern bedeutet, in der Lage zu sein, über Fragen der Lehre verbindlich Auskunft geben und verbindlich angeben zu können, wer Mitglied der eigenen Gemeinschaft ist oder sein kann. Hier sind zwar Übergangslösungen erforderlich, um den Herausbildungsprozess zu beschleunigen. Dies haben wir Grüne schon 2012 mit unserer „Roadmap zur Gleichstellung und rechtlichen Integration des Islam“ gefordert. Aber die Einzelfragen der Organisierung müssen die Gemeinschaften dennoch selbst beantworten.

    Das kirchliche Arbeitsrecht in Deutschland – eine besondere verfassungsrechtliche Situation

    In kaum einem Land gibt es wie in Deutschland die Freiheit für Religionsgemeinschaften, die Dinge durch die Religionsgemeinschaften selbst zu bestimmen. Dies führt gesellschaftlich inzwischen zu immer mehr Spannungen: Zum einen weil die katholische Kirche bei den sogenannten persönlichen Loyalitätspflichten ihre Rechtsposition in unverhältnismäßiger Weise ausgereizt hatte, zum anderen weil der Anteil kirchlicher Träger in der Wohlfahrtspflege heute in keinem Verhältnis mehr zu ihrem Anteil ihrer Anhänger in der Bevölkerung steht.

    Die persönlichen Loyalitätspflichten gehen im kirchlichen Arbeitsrecht weit über den Tendenzschutz bei Medienunternehmen, Parteien oder Gewerkschaften hinaus: Mitarbeitende auch außerhalb des Verkündigungsbereiches werden auf die Befolgung der Sittenlehre auch im außerdienstlichen Bereich verpflichtet. In katholischen Einrichtungen führte dies dazu, dass Homosexuelle, die eine Lebenspartnerschaft eingehen, und zum zweiten Male nach einer Scheidung Heiratende unter Verweis auf den damit begangenen Verstoß gegen die Sittenlehre entlassen wurden. Dies wurde in seiner Uferlosigkeit gerade von der Deutschen Katholischen Bischofskonferenz durch eine neue Grundordnung etwas eingeschränkt. Islamische und andere religiöse Wohlfahrtsverbände könnten sich künftig auf diesen Rechtsrahmen ebenfalls berufen und ähnlich weitgehende Loyalitätsobliegenheiten für ihre Mitarbeiter*innen schaffen. Diesen Zustand empfinden wir als unhaltbar und fordern dringend Änderungen. Ebenso ist aus unserer Sicht schwer begründbar, dass kirchliche Einrichtungen pauschal vom Betriebsverfassungs- und Personalvertretungsgesetz ausgenommen sind. Dies gilt umso mehr, weil das Streikrecht als soziales Grundrecht der Beschäftigten gerade aus Sicht der beiden großen Kirchen im nichtkirchlichen Bereich immer sehr hoch gehalten wird.

    Die Kirchensteuer wird immer wieder zum Politikum

    Der staatliche Einzug der Kirchensteuer (oder im Judentum der Gemeindesteuer) wird immer wieder zum Politikum gemacht. Dabei handelt es sich um ein historisch überkommenes Recht, welches heute mit Sicherheit keine Chance hätte, neu erlassen zu werden. Aber dieser Befund ändert nichts daran, dass der staatliche Kirchensteuereinzug niemanden belastet, der nicht Mitglied einer kirchen-steuererhebenden Religionsgemeinschaft ist. Wegen der Anknüpfung an die Einkommensteuer ist sie eine der gerechtesten Möglichkeiten, die Mitglieder nach ihrer Leistungsfähigkeit zur Finanzierung kirchlicher Arbeit heranzuziehen. Weil die kirchensteuererhebenden Religionsgemeinschaften darüber hinaus die staatlichen Finanzämter kostendeckend für den staatlichen Einzug bezahlen, liegt auch keine verdeckte Subventionierung vor. Eine solche könnte man allenfalls darin erblicken, dass die Kirchensteuer als Sonderausgabe von der Steuerschuld abzugsfähig ist. Hier könnte man eventuelle Ungleichbehandlungen von Religionsfreien oder Mitglieder nichtreligionssteuererhebenden Religionsgemeinschaften beseitigen, indem man diesen einen analogen zusätzlichen Spendenfreibetrag einräumte.

    Die Zahl der Konflikte wird in einer religionspluralen Gesellschaft wahrscheinlich eher größer als kleiner – umso wichtiger scheint es mir darauf hinzuweisen, dass Religionsgemeinschaften als relevante Lebensäußerung in der deutschen Öffentlichkeit einen angemessenen Platz haben sollten – als wichtige zivilgesellschaftliche Organisationen, deren Eintreten für Arme und Schwache einen wichtigen Beitrag zu gesellschaftlichen Zusammenhalt leistet.

    Der weltanschaulich neutrale Staat hat die Religionsfreiheit aller zu schützen und zu wahren. Die Zivilgesellschaft sollte für die verschiedenen weltanschaulichen und religiösen Sichten auf die Welt Toleranz und Respekt aufbringen. Erst wo eine Weltsicht durch die allgemeine Gesetzgebung versucht, ihre Anschauungen für alle Mitglieder in der Gesellschaft verbindlich zu machen, ist die Religionsfreiheit in Gefahr.

    Volker Beck ist innen- und religionspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und seit 2014 Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestags.


    Weitere Links zum #pxp_thema "Religion und Politik"

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    picture alliance / dpa picture alliance / dpa Streikrecht für alle? Aufgrund des kirchlichen Arbeitsrechts dürfen Mitarbeiter kirchlicher Einrichtungen, wie u.a. Erzieher in katholischen Kitas, nicht streiken. Foto: picture alliance / dpa

    Der grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck fordert in seiner Rolle als Sprecher für Religionspolitik seiner Fraktion gleiche Rechte für christliche Kirchen und andere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, Streikrecht auch für Mitarbeiter kirchlicher Träger und einen Spendenfreibetrag für Steuerzahler, die keiner bzw. einer nicht Religionssteuer erhebenden Religion angehören.


    Ein Beitrag von Volker Beck (MdB, Bündnis 90/Die Grünen)

    Der Sinn von Religionspolitik ist Religionsfreiheit. Alle Gläubigen und Religionsfreien müssen in einer demokratischen Gesellschaft die gleichen Entfaltungsmöglichkeiten haben. Niemand darf aufgrund seiner religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung benachteiligt werden. In einer sich zugleich pluralisierenden und säkularisierenden Gesellschaft kommen daher manche Traditionsbestände des Religionsverfassungsrechtes unter Legitimationsdruck. Das ist eigentlich auch gut so, zeigt dies doch, dass Manches einfach unhinterfragte Besitzstände waren, die nicht ihre Begründung in der Verwirklichung der kollektiven Glaubensfreiheit hatten.

    In allererster Linie geht es um Gleichheitsfragen

    Die gesellschaftspolitisch herausragende Rolle der christlichen Großkirchen ist nach dem Zweiten Weltkrieg lange Zeit eine gesellschaftspolitische Selbstverständlichkeit gewesen. Seinen Grund hatte dies sicher vor allem darin, dass eine übergroße Mehrheit, man kann sagen: fast alle, damaligen Bürger*innen der Bundesrepublik Mitglied in einer dieser Religionsgemeinschaften waren. Infolge der Veränderung dieser Situation geht es heute in allererster Linie um Gleichheitsfragen: Wo genießen die christlichen Kirchen Rechte, die andere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften unter gleichen Voraussetzungen nicht haben?

    Bei der Beantwortung dieser Frage spielt neben den Glaubensfreien vor allem „der Islam“ eine Rolle. Mittlerweile stammen mit ca. vier Millionen Menschen etwa fünf Prozent der Gesamtbevölkerung in Deutschland aus mehrheitlich muslimischen Ländern, auch wenn diese nicht alle Muslime sind. Aus politischer Bequemlichkeit oder mangelndem Realitätssinn ist die „religiöse Versorgung“ dieser Bevölkerungsgruppe erst in Ansätzen verwirklicht. Das liegt vor allem an strukturellen Problemen: Den existierenden muslimischen Vereinen gelingt es überwiegend nicht, sich bekenntnisförmig als Religionsgemeinschaften zu organisieren, was im Kern bedeutet, in der Lage zu sein, über Fragen der Lehre verbindlich Auskunft geben und verbindlich angeben zu können, wer Mitglied der eigenen Gemeinschaft ist oder sein kann. Hier sind zwar Übergangslösungen erforderlich, um den Herausbildungsprozess zu beschleunigen. Dies haben wir Grüne schon 2012 mit unserer „Roadmap zur Gleichstellung und rechtlichen Integration des Islam“ gefordert. Aber die Einzelfragen der Organisierung müssen die Gemeinschaften dennoch selbst beantworten.

    Das kirchliche Arbeitsrecht in Deutschland – eine besondere verfassungsrechtliche Situation

    In kaum einem Land gibt es wie in Deutschland die Freiheit für Religionsgemeinschaften, die Dinge durch die Religionsgemeinschaften selbst zu bestimmen. Dies führt gesellschaftlich inzwischen zu immer mehr Spannungen: Zum einen weil die katholische Kirche bei den sogenannten persönlichen Loyalitätspflichten ihre Rechtsposition in unverhältnismäßiger Weise ausgereizt hatte, zum anderen weil der Anteil kirchlicher Träger in der Wohlfahrtspflege heute in keinem Verhältnis mehr zu ihrem Anteil ihrer Anhänger in der Bevölkerung steht.

    Die persönlichen Loyalitätspflichten gehen im kirchlichen Arbeitsrecht weit über den Tendenzschutz bei Medienunternehmen, Parteien oder Gewerkschaften hinaus: Mitarbeitende auch außerhalb des Verkündigungsbereiches werden auf die Befolgung der Sittenlehre auch im außerdienstlichen Bereich verpflichtet. In katholischen Einrichtungen führte dies dazu, dass Homosexuelle, die eine Lebenspartnerschaft eingehen, und zum zweiten Male nach einer Scheidung Heiratende unter Verweis auf den damit begangenen Verstoß gegen die Sittenlehre entlassen wurden. Dies wurde in seiner Uferlosigkeit gerade von der Deutschen Katholischen Bischofskonferenz durch eine neue Grundordnung etwas eingeschränkt. Islamische und andere religiöse Wohlfahrtsverbände könnten sich künftig auf diesen Rechtsrahmen ebenfalls berufen und ähnlich weitgehende Loyalitätsobliegenheiten für ihre Mitarbeiter*innen schaffen. Diesen Zustand empfinden wir als unhaltbar und fordern dringend Änderungen. Ebenso ist aus unserer Sicht schwer begründbar, dass kirchliche Einrichtungen pauschal vom Betriebsverfassungs- und Personalvertretungsgesetz ausgenommen sind. Dies gilt umso mehr, weil das Streikrecht als soziales Grundrecht der Beschäftigten gerade aus Sicht der beiden großen Kirchen im nichtkirchlichen Bereich immer sehr hoch gehalten wird.

    Die Kirchensteuer wird immer wieder zum Politikum

    Der staatliche Einzug der Kirchensteuer (oder im Judentum der Gemeindesteuer) wird immer wieder zum Politikum gemacht. Dabei handelt es sich um ein historisch überkommenes Recht, welches heute mit Sicherheit keine Chance hätte, neu erlassen zu werden. Aber dieser Befund ändert nichts daran, dass der staatliche Kirchensteuereinzug niemanden belastet, der nicht Mitglied einer kirchen-steuererhebenden Religionsgemeinschaft ist. Wegen der Anknüpfung an die Einkommensteuer ist sie eine der gerechtesten Möglichkeiten, die Mitglieder nach ihrer Leistungsfähigkeit zur Finanzierung kirchlicher Arbeit heranzuziehen. Weil die kirchensteuererhebenden Religionsgemeinschaften darüber hinaus die staatlichen Finanzämter kostendeckend für den staatlichen Einzug bezahlen, liegt auch keine verdeckte Subventionierung vor. Eine solche könnte man allenfalls darin erblicken, dass die Kirchensteuer als Sonderausgabe von der Steuerschuld abzugsfähig ist. Hier könnte man eventuelle Ungleichbehandlungen von Religionsfreien oder Mitglieder nichtreligionssteuererhebenden Religionsgemeinschaften beseitigen, indem man diesen einen analogen zusätzlichen Spendenfreibetrag einräumte.

    Die Zahl der Konflikte wird in einer religionspluralen Gesellschaft wahrscheinlich eher größer als kleiner – umso wichtiger scheint es mir darauf hinzuweisen, dass Religionsgemeinschaften als relevante Lebensäußerung in der deutschen Öffentlichkeit einen angemessenen Platz haben sollten – als wichtige zivilgesellschaftliche Organisationen, deren Eintreten für Arme und Schwache einen wichtigen Beitrag zu gesellschaftlichen Zusammenhalt leistet.

    Der weltanschaulich neutrale Staat hat die Religionsfreiheit aller zu schützen und zu wahren. Die Zivilgesellschaft sollte für die verschiedenen weltanschaulichen und religiösen Sichten auf die Welt Toleranz und Respekt aufbringen. Erst wo eine Weltsicht durch die allgemeine Gesetzgebung versucht, ihre Anschauungen für alle Mitglieder in der Gesellschaft verbindlich zu machen, ist die Religionsfreiheit in Gefahr.

    Volker Beck ist innen- und religionspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und seit 2014 Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestags.


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    picture alliance / dpaStreikrecht für alle? Aufgrund des kirchlichen Arbeitsrechts dürfen Mitarbeiter kirchlicher Einrichtungen, wie u.a. Erzieher in katholischen Kitas, nicht streiken. Foto: picture alliance / dpa

    Der grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck fordert in seiner Rolle als Sprecher für Religionspolitik seiner Fraktion gleiche Rechte für christliche Kirchen und andere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, Streikrecht auch für Mitarbeiter kirchlicher Träger und einen Spendenfreibetrag für Steuerzahler, die keiner bzw. einer nicht Religionssteuer erhebenden Religion angehören.


    Ein Beitrag von Volker Beck (MdB, Bündnis 90/Die Grünen)

    Der Sinn von Religionspolitik ist Religionsfreiheit. Alle Gläubigen und Religionsfreien müssen in einer demokratischen Gesellschaft die gleichen Entfaltungsmöglichkeiten haben. Niemand darf aufgrund seiner religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung benachteiligt werden. In einer sich zugleich pluralisierenden und säkularisierenden Gesellschaft kommen daher manche Traditionsbestände des Religionsverfassungsrechtes unter Legitimationsdruck. Das ist eigentlich auch gut so, zeigt dies doch, doch dass Manches einfach unhinterfragte Besitzstände waren, die nicht ihre Begründung in der Verwirklichung der kollektiven Glaubensfreiheit hatten.

    In allererster Linie geht es um Gleichheitsfragen

    Die gesellschaftspolitisch herausragende Rolle der christlichen Großkirchen ist nach dem Zweiten Weltkrieg lange Zeit eine gesellschaftspolitische Selbstverständlichkeit gewesen. Seinen Grund hatte dies sicher vor allem darin, dass eine übergroße Mehrheit, man kann sagen: fast alle, damaligen Bürger*innen der Bundesrepublik Mitglied in einer dieser Religionsgemeinschaften waren. Infolge der Veränderung dieser Situation geht es heute in allererster Linie um Gleichheitsfragen: Wo genießen die christlichen Kirchen Rechte, die andere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften unter gleichen Voraussetzungen nicht haben?

    Bei der Beantwortung dieser Frage spielt neben den Glaubensfreien vor allem „der Islam“ eine Rolle. Mittlerweile stammen mit ca. vier Millionen Menschen etwa fünf Prozent der Gesamtbevölkerung in Deutschland aus mehrheitlich muslimischen Ländern, auch wenn diese nicht alle Muslime sind. Aus politischer Bequemlichkeit oder mangelndem Realitätssinn ist die „religiöse Versorgung“ dieser Bevölkerungsgruppe erst in Ansätzen verwirklicht. Das liegt vor allem an strukturellen Problemen: Den existierenden muslimischen Vereinen gelingt es überwiegend nicht, sich bekenntnisförmig als Religionsgemeinschaften zu organisieren, was im Kern bedeutet, in der Lage zu sein, über Fragen der Lehre verbindlich Auskunft geben und verbindlich angeben zu können, wer Mitglied der eigenen Gemeinschaft ist oder sein kann. Hier sind zwar Übergangslösungen erforderlich, um den Herausbildungsprozess zu beschleunigen. Dies haben wir Grüne schon 2012 mit unserer „Roadmap zur Gleichstellung und rechtlichen Integration des Islam“ gefordert. Aber die Einzelfragen der Organisierung müssen die Gemeinschaften dennoch selbst beantworten.

    Das kirchliche Arbeitsrecht in Deutschland – eine besondere verfassungsrechtliche Situation

    In kaum einem Land gibt es wie in Deutschland die Freiheit für Religionsgemeinschaften, die Dinge durch die Religionsgemeinschaften selbst zu bestimmen. Dies führt gesellschaftlich inzwischen zu immer mehr Spannungen: Zum einen weil die katholische Kirche bei den sogenannten persönlichen Loyalitätspflichten ihre Rechtsposition in unverhältnismäßiger Weise ausgereizt hatte, zum anderen weil der Anteil kirchlicher Träger in der Wohlfahrtspflege heute in keinem Verhältnis mehr zu ihrem Anteil ihrer Anhänger in der Bevölkerung steht.

    Die persönlichen Loyalitätspflichten gehen im kirchlichen Arbeitsrecht weit über den Tendenzschutz bei Medienunternehmen, Parteien oder Gewerkschaften hinaus: Mitarbeitende auch außerhalb des Verkündigungsbereiches werden auf die Befolgung der Sittenlehre auch im außerdienstlichen Bereich verpflichtet. In katholischen Einrichtungen führte dies dazu, dass Homosexuelle, die eine Lebenspartnerschaft eingehen, und zum zweiten Male nach einer Scheidung Heiratende unter Verweis auf den damit begangenen Verstoß gegen die Sittenlehre entlassen wurden. Dies wurde in seiner Uferlosigkeit gerade von der Deutschen Katholischen Bischofskonferenz durch eine neue Grundordnung etwas eingeschränkt. Islamische und andere religiöse Wohlfahrtsverbände könnten sich künftig auf diesen Rechtsrahmen ebenfalls berufen und ähnlich weitgehende Loyalitätsobliegenheiten für ihre Mitarbeiter*innen schaffen. Diesen Zustand empfinden wir als unhaltbar und fordern dringend Änderungen. Ebenso ist aus unserer Sicht schwer begründbar, dass kirchliche Einrichtungen pauschal vom Betriebsverfassungs- und Personalvertretungsgesetz ausgenommen sind. Dies gilt umso mehr, weil das Streikrecht als soziales Grundrecht der Beschäftigten gerade aus Sicht der beiden großen Kirchen im nichtkirchlichen Bereich immer sehr hoch gehalten wird.

    Die Kirchensteuer wird immer wieder zum Politikum

    Der staatliche Einzug der Kirchensteuer (oder im Judentum der Gemeindesteuer) wird immer wieder zum Politikum gemacht. Dabei handelt es sich um ein historisch überkommenes Recht, welches heute mit Sicherheit keine Chance hätte, neu erlassen zu werden. Aber dieser Befund ändert nichts daran, dass der staatliche Kirchensteuereinzug niemanden belastet, der nicht Mitglied einer kirchen-steuererhebenden Religionsgemeinschaft ist. Wegen der Anknüpfung an die Einkommensteuer ist sie eine der gerechtesten Möglichkeiten, die Mitglieder nach ihrer Leistungsfähigkeit zur Finanzierung kirchlicher Arbeit heranzuziehen. Weil die kirchensteuererhebenden Religionsgemeinschaften darüber hinaus die staatlichen Finanzämter kostendeckend für den staatlichen Einzug bezahlen, liegt auch keine verdeckte Subventionierung vor. Eine solche könnte man allenfalls darin erblicken, dass die Kirchensteuer als Sonderausgabe von der Steuerschuld abzugsfähig ist. Hier könnte man eventuelle Ungleichbehandlungen von Religionsfreien oder Mitglieder nichtreligionssteuererhebenden Religionsgemeinschaften beseitigen, indem man diesen einen analogen zusätzlichen Spendenfreibetrag einräumte.

    Die Zahl der Konflikte wird in einer religionspluralen Gesellschaft wahrscheinlich eher größer als kleiner – umso wichtiger scheint es mir darauf hinzuweisen, dass Religionsgemeinschaften als relevante Lebensäußerung in der deutschen Öffentlichkeit einen angemessenen Platz haben sollten – als wichtige zivilgesellschaftliche Organisationen, deren Eintreten für Arme und Schwache einen wichtigen Beitrag zu gesellschaftlichen Zusammenhalt leistet.

    Der weltanschaulich neutrale Staat hat die Religionsfreiheit aller zu schützen und zu wahren. Die Zivilgesellschaft sollte für die verschiedenen weltanschaulichen und religiösen Sichten auf die Welt Toleranz und Respekt aufbringen. Erst wo eine Weltsicht durch die allgemeine Gesetzgebung versucht, ver-sucht, ihre Anschauungen für alle Mitglieder in der Gesellschaft verbindlich zu machen, ist die Religionsfreiheit in Gefahr.

    Volker Beck ist innen- und religionspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und seit 2014 Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestags.


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  • Beck (Bündnis 90/Die Grünen): Zum Verhältnis von Staat und Kirche

    von Community Management , angelegt

    picture alliance / dpaStreikrecht für alle? Aufgrund des kirchlichen Arbeitsrechts dürfen Mitarbeiter MitarbeiterInnen kirchlicher Einrichtungen, wie u.a. Erzieher ErzieherInnen in katholischen Kitas, nicht streiken. Foto: picture alliance / dpa

    Der grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck fordert in seiner Rolle als Sprecher für Religionspolitik seiner Fraktion auf publixphere.net gleiche Rechte für christliche Kirchen und andere anderen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, Streikrecht auch für Mitarbeiter kirchlicher Träger und einen Spendenfreibetrag für Steuerzahler, die keiner bzw. einer nicht Religionssteuer erhebenden Religion angehören.


    Ein Beitrag von Volker Beck (MdB, Bündnis 90/Die Grünen)

    Der Sinn von Religionspolitik ist Religionsfreiheit. Alle Gläubigen und Religionsfreien müssen in einer demokratischen Gesellschaft die gleichen Entfaltungsmöglichkeiten haben. Niemand darf aufgrund seiner religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung benachteiligt werden. In einer sich zugleich pluralisierenden und säkularisierenden Gesellschaft kommen daher manche Traditionsbestände des Religionsverfassungsrechtes unter Legitimationsdruck. Das ist eigentlich auch gut so, zeigt dies doch dass Manches einfach unhinterfragte Besitzstände waren, die nicht ihre Begründung in der Verwirklichung der kollektiven Glaubensfreiheit hatten.

    In allererster Linie geht es um Gleichheitsfragen

    Die gesellschaftspolitisch herausragende Rolle der christlichen Großkirchen ist nach dem Zweiten Weltkrieg lange Zeit eine gesellschaftspolitische Selbstverständlichkeit gewesen. Seinen Grund hatte dies sicher vor allem darin, dass eine übergroße Mehrheit, man kann sagen: fast alle, damaligen Bürger*innen der Bundesrepublik Mitglied in einer dieser Religionsgemeinschaften waren. Infolge der Veränderung dieser Situation geht es heute in allererster Linie um Gleichheitsfragen: Wo genießen die christlichen Kirchen Rechte, die andere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften unter gleichen Voraussetzungen nicht haben?

    Bei der Beantwortung dieser Frage spielt neben den Glaubensfreien vor allem „der Islam“ eine Rolle. Mittlerweile stammen mit ca. vier Millionen Menschen etwa fünf Prozent der Gesamtbevölkerung in Deutschland aus mehrheitlich muslimischen Ländern, auch wenn diese nicht alle Muslime sind. Aus politischer Bequemlichkeit oder mangelndem Realitätssinn ist die „religiöse Versorgung“ dieser Bevölkerungsgruppe erst in Ansätzen verwirklicht. Das liegt vor allem an strukturellen Problemen: Den existierenden muslimischen Vereinen gelingt es überwiegend nicht, sich bekenntnisförmig als Religionsgemeinschaften zu organisieren, was im Kern bedeutet, in der Lage zu sein, über Fragen der Lehre verbindlich Auskunft geben und verbindlich angeben zu können, wer Mitglied der eigenen Gemeinschaft ist oder sein kann. Hier sind zwar Übergangslösungen erforderlich, um den Herausbildungsprozess zu beschleunigen. Dies haben wir Grüne schon 2012 mit unserer „Roadmap zur Gleichstellung und rechtlichen Integration des Islam“ gefordert. Aber die Einzelfragen der Organisierung müssen die Gemeinschaften dennoch selbst beantworten.

    Das kirchliche Arbeitsrecht in Deutschland – eine besondere verfassungsrechtliche Situation

    In kaum einem Land gibt es wie in Deutschland die Freiheit für Religionsgemeinschaften, die Dinge durch die Religionsgemeinschaften selbst zu bestimmen. Dies führt gesellschaftlich inzwischen zu immer mehr Spannungen: Zum einen weil die katholische Kirche bei den sogenannten persönlichen Loyalitätspflichten ihre Rechtsposition in unverhältnismäßiger Weise ausgereizt hatte, zum anderen weil der Anteil kirchlicher Träger in der Wohlfahrtspflege heute in keinem Verhältnis mehr zu ihrem Anteil ihrer Anhänger in der Bevölkerung steht.

    Die persönlichen Loyalitätspflichten gehen im kirchlichen Arbeitsrecht weit über den Tendenzschutz bei Medienunternehmen, Parteien oder Gewerkschaften hinaus: Mitarbeitende auch außerhalb des Verkündigungsbereiches werden auf die Befolgung der Sittenlehre auch im außerdienstlichen Bereich verpflichtet. In katholischen Einrichtungen führte dies dazu, dass Homosexuelle, die eine Lebenspartnerschaft eingehen, und zum zweiten Male nach einer Scheidung Heiratende unter Verweis auf den damit begangenen Verstoß gegen die Sittenlehre entlassen wurden. Dies wurde in seiner Uferlosigkeit gerade von der Deutschen Katholischen Bischofskonferenz durch eine neue Grundordnung etwas eingeschränkt. Islamische und andere religiöse Wohlfahrtsverbände könnten sich künftig auf diesen Rechtsrahmen ebenfalls berufen und ähnlich weitgehende Loyalitätsobliegenheiten für ihre Mitarbeiter*innen schaffen. Diesen Zustand empfinden wir als unhaltbar und fordern dringend Änderungen. Ebenso ist aus unserer Sicht schwer begründbar, dass kirchliche Einrichtungen pauschal vom Betriebsverfassungs- und Personalvertretungsgesetz ausgenommen sind. Dies gilt umso mehr, weil das Streikrecht als soziales Grundrecht der Beschäftigten gerade aus Sicht der beiden großen Kirchen im nichtkirchlichen Bereich immer sehr hoch gehalten wird.

    Die Kirchensteuer wird immer wieder zum Politikum

    Der staatliche Einzug der Kirchensteuer (oder im Judentum der Gemeindesteuer) wird immer wieder zum Politikum gemacht. Dabei handelt es sich um ein historisch überkommenes Recht, welches heute mit Sicherheit keine Chance hätte, neu erlassen zu werden. Aber dieser Befund ändert nichts daran, dass der staatliche Kirchensteuereinzug niemanden belastet, der nicht Mitglied einer kirchen-steuererhebenden Religionsgemeinschaft ist. Wegen der Anknüpfung an die Einkommensteuer ist sie eine der gerechtesten Möglichkeiten, die Mitglieder nach ihrer Leistungsfähigkeit zur Finanzierung kirchlicher Arbeit heranzuziehen. Weil die kirchensteuererhebenden Religionsgemeinschaften darüber hinaus die staatlichen Finanzämter kostendeckend für den staatlichen Einzug bezahlen, liegt auch keine verdeckte Subventionierung vor. Eine solche könnte man allenfalls darin erblicken, dass die Kirchensteuer als Sonderausgabe von der Steuerschuld abzugsfähig ist. Hier könnte man eventuelle Ungleichbehandlungen von Religionsfreien oder Mitglieder nichtreligionssteuererhebenden Religionsgemeinschaften beseitigen, indem man diesen einen analogen zusätzlichen Spendenfreibetrag einräumte.

    Die Zahl der Konflikte wird in einer religionspluralen Gesellschaft wahrscheinlich eher größer als kleiner – umso wichtiger scheint es mir darauf hinzuweisen, dass Religionsgemeinschaften als relevante Lebensäußerung in der deutschen Öffentlichkeit einen angemessenen Platz haben sollten – als wichtige zivilgesellschaftliche Organisationen, deren Eintreten für Arme und Schwache einen wichtigen Beitrag zu gesellschaftlichen Zusammenhalt leistet.

    Der weltanschaulich neutrale Staat hat die Religionsfreiheit aller zu schützen und zu wahren. Die Zivilgesellschaft sollte für die verschiedenen weltanschaulichen und religiösen Sichten auf die Welt Toleranz und Respekt aufbringen. Erst wo eine Weltsicht durch die allgemeine Gesetzgebung ver-sucht, ihre Anschauungen für alle Mitglieder in der Gesellschaft verbindlich zu machen, ist die Religionsfreiheit in Gefahr.

    Volker Beck ist innen- und religionspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und seit 2014 Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestags.


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  • Beck (Bündnis 90/Die Grünen): Zum Verhältnis von Staat und Kirche

    von admin, angelegt

    picture alliance / dpaStreikrecht für alle? Aufgrund des kirchlichen Arbeitsrechts dürfen MitarbeiterInnen kirchlicher Einrichtungen, wie u.a. ErzieherInnen in katholischen Kitas, nicht streiken. Foto: picture alliance / dpa

    Der grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck fordert in seiner Rolle als Sprecher für Religionspolitik seiner Fraktion auf publixphere.net gleiche Rechte für christliche Kirchen und anderen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, Streikrecht auch für Mitarbeiter kirchlicher Träger und einen Spendenfreibetrag für Steuerzahler, die keiner bzw. einer nicht Religionssteuer erhebenden Religion angehören.


    Ein Beitrag von Volker Beck (MdB, Bündnis 90/Die Grünen)

    Der Sinn von Religionspolitik ist Religionsfreiheit. Alle Gläubigen und Religionsfreien müssen in einer demokratischen Gesellschaft die gleichen Entfaltungsmöglichkeiten haben. Niemand darf aufgrund seiner religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung benachteiligt werden. In einer sich zugleich pluralisierenden und säkularisierenden Gesellschaft kommen daher manche Traditionsbestände des Religionsverfassungsrechtes unter Legitimationsdruck. Das ist eigentlich auch gut so, zeigt dies doch dass Manches einfach unhinterfragte Besitzstände waren, die nicht ihre Begründung in der Verwirklichung der kollektiven Glaubensfreiheit hatten.

    In allererster Linie geht es um Gleichheitsfragen

    Die gesellschaftspolitisch herausragende Rolle der christlichen Großkirchen ist nach dem Zweiten Weltkrieg lange Zeit eine gesellschaftspolitische Selbstverständlichkeit gewesen. Seinen Grund hatte dies sicher vor allem darin, dass eine übergroße Mehrheit, man kann sagen: fast alle, damaligen Bürger*innen der Bundesrepublik Mitglied in einer dieser Religionsgemeinschaften waren. Infolge der Veränderung dieser Situation geht es heute in allererster Linie um Gleichheitsfragen: Wo genießen die christlichen Kirchen Rechte, die andere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften unter gleichen Voraussetzungen nicht haben?

    Bei der Beantwortung dieser Frage spielt neben den Glaubensfreien vor allem „der Islam“ eine Rolle. Mittlerweile stammen mit ca. vier Millionen Menschen etwa fünf Prozent der Gesamtbevölkerung in Deutschland aus mehrheitlich muslimischen Ländern, auch wenn diese nicht alle Muslime sind. Aus politischer Bequemlichkeit oder mangelndem Realitätssinn ist die „religiöse Versorgung“ dieser Bevölkerungsgruppe erst in Ansätzen verwirklicht. Das liegt vor allem an strukturellen Problemen: Den existierenden muslimischen Vereinen gelingt es überwiegend nicht, sich bekenntnisförmig als Religionsgemeinschaften zu organisieren, was im Kern bedeutet, in der Lage zu sein, über Fragen der Lehre verbindlich Auskunft geben und verbindlich angeben zu können, wer Mitglied der eigenen Gemeinschaft ist oder sein kann. Hier sind zwar Übergangslösungen erforderlich, um den Herausbildungsprozess zu beschleunigen. Dies haben wir Grüne schon 2012 mit unserer „Roadmap zur Gleichstellung und rechtlichen Integration des Islam“ gefordert. Aber die Einzelfragen der Organisierung müssen die Gemeinschaften dennoch selbst beantworten.

    Das kirchliche Arbeitsrecht in Deutschland – eine besondere verfassungsrechtliche Situation

    In kaum einem Land gibt es wie in Deutschland die Freiheit für Religionsgemeinschaften, die Dinge durch die Religionsgemeinschaften selbst zu bestimmen. Dies führt gesellschaftlich inzwischen zu immer mehr Spannungen: Zum einen weil die katholische Kirche bei den sogenannten persönlichen Loyalitätspflichten ihre Rechtsposition in unverhältnismäßiger Weise ausgereizt hatte, zum anderen weil der Anteil kirchlicher Träger in der Wohlfahrtspflege heute in keinem Verhältnis mehr zu ihrem Anteil ihrer Anhänger in der Bevölkerung steht.

    Die persönlichen Loyalitätspflichten gehen im kirchlichen Arbeitsrecht weit über den Tendenzschutz bei Medienunternehmen, Parteien oder Gewerkschaften hinaus: Mitarbeitende auch außerhalb des Verkündigungsbereiches werden auf die Befolgung der Sittenlehre auch im außerdienstlichen Bereich verpflichtet. In katholischen Einrichtungen führte dies dazu, dass Homosexuelle, die eine Lebenspartnerschaft eingehen, und zum zweiten Male nach einer Scheidung Heiratende unter Verweis auf den damit begangenen Verstoß gegen die Sittenlehre entlassen wurden. Dies wurde in seiner Uferlosigkeit gerade von der Deutschen Katholischen Bischofskonferenz durch eine neue Grundordnung etwas eingeschränkt. Islamische und andere religiöse Wohlfahrtsverbände könnten sich künftig auf diesen Rechtsrahmen ebenfalls berufen und ähnlich weitgehende Loyalitätsobliegenheiten für ihre Mitarbeiter*innen schaffen. Diesen Zustand empfinden wir als unhaltbar und fordern dringend Änderungen. Ebenso ist aus unserer Sicht schwer begründbar, dass kirchliche Einrichtungen pauschal vom Betriebsverfassungs- und Personalvertretungsgesetz ausgenommen sind. Dies gilt umso mehr, weil das Streikrecht als soziales Grundrecht der Beschäftigten gerade aus Sicht der beiden großen Kirchen im nichtkirchlichen Bereich immer sehr hoch gehalten wird.

    Die Kirchensteuer wird immer wieder zum Politikum

    Der staatliche Einzug der Kirchensteuer (oder im Judentum der Gemeindesteuer) wird immer wieder zum Politikum gemacht. Dabei handelt es sich um ein historisch überkommenes Recht, welches heute mit Sicherheit keine Chance hätte, neu erlassen zu werden. Aber dieser Befund ändert nichts daran, dass der staatliche Kirchensteuereinzug niemanden belastet, der nicht Mitglied einer kirchen-steuererhebenden Religionsgemeinschaft ist. Wegen der Anknüpfung an die Einkommensteuer ist sie eine der gerechtesten Möglichkeiten, die Mitglieder nach ihrer Leistungsfähigkeit zur Finanzierung kirchlicher Arbeit heranzuziehen. Weil die kirchensteuererhebenden Religionsgemeinschaften darüber hinaus die staatlichen Finanzämter kostendeckend für den staatlichen Einzug bezahlen, liegt auch keine verdeckte Subventionierung vor. Eine solche könnte man allenfalls darin erblicken, dass die Kirchensteuer als Sonderausgabe von der Steuerschuld abzugsfähig ist. Hier könnte man eventuelle Ungleichbehandlungen von Religionsfreien oder Mitglieder nichtreligionssteuererhebenden Religionsgemeinschaften beseitigen, indem man diesen einen analogen zusätzlichen Spendenfreibetrag einräumte.

    Die Zahl der Konflikte wird in einer religionspluralen Gesellschaft wahrscheinlich eher größer als kleiner – umso wichtiger scheint es mir darauf hinzuweisen, dass Religionsgemeinschaften als relevante Lebensäußerung in der deutschen Öffentlichkeit einen angemessenen Platz haben sollten – als wichtige wich-tige zivilgesellschaftliche Organisationen, deren Eintreten für Arme und Schwache einen wichtigen Beitrag zu gesellschaftlichen Zusammenhalt leistet.

    Der weltanschaulich neutrale Staat hat die Religionsfreiheit aller zu schützen und zu wahren. Die Zivilgesellschaft sollte für die verschiedenen weltanschaulichen und religiösen Sichten auf die Welt Toleranz und Respekt aufbringen. Erst wo eine Weltsicht durch die allgemeine Gesetzgebung ver-sucht, ihre Anschauungen für alle Mitglieder in der Gesellschaft verbindlich zu machen, ist die Religionsfreiheit Religi-onsfreiheit in Gefahr.

    Volker Beck ist innen- und religionspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und seit 2014 Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestags.


    Weitere Links zum #pxp_thema "Religion und Politik"

  • Beck (Bündnis 90/Die Grünen): Zum Verhältnis von Staat und Kirche

    von Community Management , angelegt

    picture alliance / dpa picture alliance / dpa Link: https://publixphere-cms.liqd.net/de/bilder/58470874_picture-alliance-dpa.jpg/@@images/image.jpeg Streikrecht für alle? Aufgrund des kirchlichen Arbeitsrechts dürfen MitarbeiterInnen kirchlicher Einrichtungen, wie u.a. ErzieherInnen in katholischen Kitas, nicht streiken. Foto: picture alliance / dpa


    Ein Beitrag von Volker Beck (MdB, Bündnis 90/Die Grünen)

    Der Sinn von Religionspolitik ist Religionsfreiheit. Alle Gläubigen und Religionsfreien müssen in einer demokratischen Gesellschaft die gleichen Entfaltungsmöglichkeiten haben. Niemand darf aufgrund seiner religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung benachteiligt werden. In einer sich zugleich pluralisierenden und säkularisierenden Gesellschaft kommen daher manche Traditionsbestände des Religionsverfassungsrechtes unter Legitimationsdruck. Das ist eigentlich auch gut so, zeigt dies doch dass Manches einfach unhinterfragte Besitzstände waren, die nicht ihre Begründung in der Verwirklichung der kollektiven Glaubensfreiheit hatten.

    In allererster Linie geht es um Gleichheitsfragen

    Die gesellschaftspolitisch herausragende Rolle der christlichen Großkirchen ist nach dem Zweiten Weltkrieg lange Zeit eine gesellschaftspolitische Selbstverständlichkeit gewesen. Seinen Grund hatte dies sicher vor allem darin, dass eine übergroße Mehrheit, man kann sagen: fast alle, damaligen Bürger*innen der Bundesrepublik Mitglied in einer dieser Religionsgemeinschaften waren. Infolge der Veränderung dieser Situation geht es heute in allererster Linie um Gleichheitsfragen: Wo genießen die christlichen Kirchen Rechte, die andere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften unter gleichen Voraussetzungen nicht haben?

    Bei der Beantwortung dieser Frage spielt neben den Glaubensfreien vor allem „der Islam“ eine Rolle. Mittlerweile stammen mit ca. vier Millionen Menschen etwa fünf Prozent der Gesamtbevölkerung in Deutschland aus mehrheitlich muslimischen Ländern, auch wenn diese nicht alle Muslime sind. Aus politischer Bequemlichkeit oder mangelndem Realitätssinn ist die „religiöse Versorgung“ dieser Bevölkerungsgruppe erst in Ansätzen verwirklicht. Das liegt vor allem an strukturellen Problemen: Den existierenden muslimischen Vereinen gelingt es überwiegend nicht, sich bekenntnisförmig als Religionsgemeinschaften zu organisieren, was im Kern bedeutet, in der Lage zu sein, über Fragen der Lehre verbindlich Auskunft geben und verbindlich angeben zu können, wer Mitglied der eigenen Gemeinschaft ist oder sein kann. Hier sind zwar Übergangslösungen erforderlich, um den Herausbildungsprozess zu beschleunigen. Dies haben wir Grüne schon 2012 mit unserer „Roadmap zur Gleichstellung und rechtlichen Integration des Islam“ gefordert. Aber die Einzelfragen der Organisierung müssen die Gemeinschaften dennoch selbst beantworten.

    Das kirchliche Arbeitsrecht in Deutschland – eine besondere verfassungsrechtliche Situation

    In kaum einem Land gibt es wie in Deutschland die Freiheit für Religionsgemeinschaften, die Dinge durch die Religionsgemeinschaften selbst zu bestimmen. Dies führt gesellschaftlich inzwischen zu immer mehr Spannungen: Zum einen weil die katholische Kirche bei den sogenannten persönlichen Loyalitätspflichten ihre Rechtsposition in unverhältnismäßiger Weise ausgereizt hatte, zum anderen weil der Anteil kirchlicher Träger in der Wohlfahrtspflege heute in keinem Verhältnis mehr zu ihrem Anteil ihrer Anhänger in der Bevölkerung steht.

    Die persönlichen Loyalitätspflichten gehen im kirchlichen Arbeitsrecht weit über den Tendenzschutz bei Medienunternehmen, Parteien oder Gewerkschaften hinaus: Mitarbeitende auch außerhalb des Verkündigungsbereiches werden auf die Befolgung der Sittenlehre auch im außerdienstlichen Bereich verpflichtet. In katholischen Einrichtungen führte dies dazu, dass Homosexuelle, die eine Lebenspartnerschaft eingehen, und zum zweiten Male nach einer Scheidung Heiratende unter Verweis auf den damit begangenen Verstoß gegen die Sittenlehre entlassen wurden. Dies wurde in seiner Uferlosigkeit gerade von der Deutschen Katholischen Bischofskonferenz durch eine neue Grundordnung etwas eingeschränkt. Islamische und andere religiöse Wohlfahrtsverbände könnten sich künftig auf diesen Rechtsrahmen ebenfalls berufen und ähnlich weitgehende Loyalitätsobliegenheiten für ihre Mitarbeiter*innen schaffen. Diesen Zustand empfinden wir als unhaltbar und fordern dringend Änderungen. Ebenso ist aus unserer Sicht schwer begründbar, dass kirchliche Einrichtungen pauschal vom Betriebsverfassungs- und Personalvertretungsgesetz ausgenommen sind. Dies gilt umso mehr, weil das Streikrecht als soziales Grundrecht der Beschäftigten gerade aus Sicht der beiden großen Kirchen im nichtkirchlichen Bereich immer sehr hoch gehalten wird.

    Die Kirchensteuer wird immer wieder zum Politikum

    Der staatliche Einzug der Kirchensteuer (oder im Judentum der Gemeindesteuer) wird immer wieder zum Politikum gemacht. Dabei handelt es sich um ein historisch überkommenes Recht, welches heute mit Sicherheit keine Chance hätte, neu erlassen zu werden. Aber dieser Befund ändert nichts daran, dass der staatliche Kirchensteuereinzug niemanden belastet, der nicht Mitglied einer kirchen-steuererhebenden Religionsgemeinschaft ist. Wegen der Anknüpfung an die Einkommensteuer ist sie eine der gerechtesten Möglichkeiten, die Mitglieder nach ihrer Leistungsfähigkeit zur Finanzierung kirchlicher Arbeit heranzuziehen. Weil die kirchensteuererhebenden Religionsgemeinschaften darüber hinaus die staatlichen Finanzämter kostendeckend für den staatlichen Einzug bezahlen, liegt auch keine verdeckte Subventionierung vor. Eine solche könnte man allenfalls darin erblicken, dass die Kirchensteuer als Sonderausgabe von der Steuerschuld abzugsfähig ist. Hier könnte man eventuelle Ungleichbehandlungen von Religionsfreien oder Mitglieder nichtreligionssteuererhebenden Religionsgemeinschaften beseitigen, indem man diesen einen analogen zusätzlichen Spendenfreibetrag einräumte.

    Die Zahl der Konflikte wird in einer religionspluralen Gesellschaft wahrscheinlich eher größer als kleiner – umso wichtiger scheint es mir darauf hinzuweisen, dass Religionsgemeinschaften als relevante Lebensäußerung in der deutschen Öffentlichkeit einen angemessenen Platz haben sollten – als wich-tige zivilgesellschaftliche Organisationen, deren Eintreten für Arme und Schwache einen wichtigen Beitrag zu gesellschaftlichen Zusammenhalt leistet.

    Der weltanschaulich neutrale Staat hat die Religionsfreiheit aller zu schützen und zu wahren. Die Zivilgesellschaft sollte für die verschiedenen weltanschaulichen und religiösen Sichten auf die Welt Toleranz und Respekt aufbringen. Erst wo eine Weltsicht durch die allgemeine Gesetzgebung ver-sucht, ihre Anschauungen für alle Mitglieder in der Gesellschaft verbindlich zu machen, ist die Religi-onsfreiheit in Gefahr.

    Volker Beck ist innen- und religionspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und seit 2014 Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestags.


    Weitere Links zum #pxp_thema "Religion und Politik"

  • Beck (Bündnis 90/Die Grünen): Zum Verhältnis von Staat und Kirche

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    picture alliance / dpa Link: https://publixphere-cms.liqd.net/de/bilder/58470874_picture-alliance-dpa.jpg/@@images/image.jpeg Streikrecht für alle? Aufgrund des kirchlichen Arbeitsrechts dürfen MitarbeiterInnen kirchlicher Einrichtungen, wie u.a. ErzieherInnen in katholischen Kitas, nicht streiken. Foto: picture alliance / dpa


    Ein Beitrag von Volker Beck (MdB, Bündnis 90/Die Grünen)

    Der Sinn von Religionspolitik ist Religionsfreiheit. Alle Gläubigen und Religionsfreien müssen in einer demokratischen Gesellschaft die gleichen Entfaltungsmöglichkeiten haben. Niemand darf aufgrund seiner religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung benachteiligt werden. In einer sich zugleich pluralisierenden und säkularisierenden Gesellschaft kommen daher manche Traditionsbestände des Religionsverfassungsrechtes unter Legitimationsdruck. Das ist eigentlich auch gut so, zeigt dies doch dass Manches einfach unhinterfragte Besitzstände waren, die nicht ihre Begründung in der Verwirklichung der kollektiven Glaubensfreiheit hatten.

    In allererster Linie geht es um Gleichheitsfragen

    Die gesellschaftspolitisch herausragende Rolle der christlichen Großkirchen ist nach dem Zweiten Weltkrieg lange Zeit eine gesellschaftspolitische Selbstverständlichkeit gewesen. Seinen Grund hatte dies sicher vor allem darin, dass eine übergroße Mehrheit, man kann sagen: fast alle, damaligen Bürger*innen der Bundesrepublik Mitglied in einer dieser Religionsgemeinschaften waren. Infolge der Veränderung dieser Situation geht es heute in allererster Linie um Gleichheitsfragen: Wo genießen die christlichen Kirchen Rechte, die andere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften unter gleichen Voraussetzungen nicht haben?

    Bei der Beantwortung dieser Frage spielt neben den Glaubensfreien vor allem „der Islam“ eine Rolle. Mittlerweile stammen mit ca. vier Millionen Menschen etwa fünf Prozent der Gesamtbevölkerung in Deutschland aus mehrheitlich muslimischen Ländern, auch wenn diese nicht alle Muslime sind. Aus politischer Bequemlichkeit oder mangelndem Realitätssinn ist die „religiöse Versorgung“ dieser Bevölkerungsgruppe erst in Ansätzen verwirklicht. Das liegt vor allem an strukturellen Problemen: Den existierenden muslimischen Vereinen gelingt es überwiegend nicht, sich bekenntnisförmig als Religionsgemeinschaften zu organisieren, was im Kern bedeutet, in der Lage zu sein, über Fragen der Lehre verbindlich Auskunft geben und verbindlich angeben zu können, wer Mitglied der eigenen Gemeinschaft ist oder sein kann. Hier sind zwar Übergangslösungen erforderlich, um den Herausbildungsprozess zu beschleunigen. Dies haben wir Grüne schon 2012 mit unserer „Roadmap zur Gleichstellung und rechtlichen Integration des Islam“ gefordert. Aber die Einzelfragen der Organisierung müssen die Gemeinschaften dennoch selbst beantworten.

    Das kirchliche Arbeitsrecht in Deutschland – eine besondere verfassungsrechtliche Situation

    In kaum einem Land gibt es wie in Deutschland die Freiheit für Religionsgemeinschaften, die Dinge durch die Religionsgemeinschaften selbst zu bestimmen. Dies führt gesellschaftlich inzwischen zu immer mehr Spannungen: Zum einen weil die katholische Kirche bei den sogenannten persönlichen Loyalitätspflichten ihre Rechtsposition in unverhältnismäßiger Weise ausgereizt hatte, zum anderen weil der Anteil kirchlicher Träger in der Wohlfahrtspflege heute in keinem Verhältnis mehr zu ihrem Anteil ihrer Anhänger in der Bevölkerung steht.

    Die persönlichen Loyalitätspflichten gehen im kirchlichen Arbeitsrecht weit über den Tendenzschutz bei Medienunternehmen, Parteien oder Gewerkschaften hinaus: Mitarbeitende auch außerhalb des Verkündigungsbereiches werden auf die Befolgung der Sittenlehre auch im außerdienstlichen Bereich verpflichtet. In katholischen Einrichtungen führte dies dazu, dass Homosexuelle, die eine Lebenspartnerschaft eingehen, und zum zweiten Male nach einer Scheidung Heiratende unter Verweis auf den damit begangenen Verstoß gegen die Sittenlehre entlassen wurden. Dies wurde in seiner Uferlosigkeit gerade von der Deutschen Katholischen Bischofskonferenz durch eine neue Grundordnung etwas eingeschränkt. Islamische und andere religiöse Wohlfahrtsverbände könnten sich künftig auf diesen Rechtsrahmen ebenfalls berufen und ähnlich weitgehende Loyalitätsobliegenheiten für ihre Mitarbeiter*innen schaffen. Diesen Zustand empfinden wir als unhaltbar und fordern dringend Änderungen. Ebenso ist aus unserer Sicht schwer begründbar, dass kirchliche Einrichtungen pauschal vom Betriebsverfassungs- und Personalvertretungsgesetz ausgenommen sind. Dies gilt umso mehr, weil das Streikrecht als soziales Grundrecht der Beschäftigten gerade aus Sicht der beiden großen Kirchen im nichtkirchlichen Bereich immer sehr hoch gehalten wird.

    Die Kirchensteuer wird immer wieder zum Politikum

    Der staatliche Einzug der Kirchensteuer (oder im Judentum der Gemeindesteuer) wird immer wieder zum Politikum gemacht. Dabei handelt es sich um ein historisch überkommenes Recht, welches heute mit Sicherheit keine Chance hätte, neu erlassen zu werden. Aber dieser Befund ändert nichts daran, dass der staatliche Kirchensteuereinzug niemanden belastet, der nicht Mitglied einer kirchen-steuererhebenden Religionsgemeinschaft ist. Wegen der Anknüpfung an die Einkommensteuer ist sie eine der gerechtesten Möglichkeiten, die Mitglieder nach ihrer Leistungsfähigkeit zur Finanzierung kirchlicher Arbeit heranzuziehen. Weil die kirchensteuererhebenden Religionsgemeinschaften darüber hinaus die staatlichen Finanzämter kostendeckend für den staatlichen Einzug bezahlen, liegt auch keine verdeckte Subventionierung vor. Eine solche könnte man allenfalls darin erblicken, dass die Kirchensteuer als Sonderausgabe von der Steuerschuld abzugsfähig ist. Hier könnte man eventuelle Ungleichbehandlungen von Religionsfreien oder Mitglieder nichtreligionssteuererhebenden Religionsgemeinschaften beseitigen, indem man diesen einen analogen zusätzlichen Spendenfreibetrag einräumte.

    Die Zahl der Konflikte wird in einer religionspluralen Gesellschaft wahrscheinlich eher größer als kleiner – umso wichtiger scheint es mir darauf hinzuweisen, dass Religionsgemeinschaften als relevante Lebensäußerung in der deutschen Öffentlichkeit einen angemessenen Platz haben sollten – als wich-tige zivilgesellschaftliche Organisationen, deren Eintreten für Arme und Schwache einen wichtigen Beitrag zu gesellschaftlichen Zusammenhalt leistet.

    Der weltanschaulich neutrale Staat hat die Religionsfreiheit aller zu schützen und zu wahren. Die Zivilgesellschaft sollte für die verschiedenen weltanschaulichen und religiösen Sichten auf die Welt Toleranz und Respekt aufbringen. Erst wo eine Weltsicht durch die allgemeine Gesetzgebung ver-sucht, ihre Anschauungen für alle Mitglieder in der Gesellschaft verbindlich zu machen, ist die Religi-onsfreiheit in Gefahr.

    Volker Beck ist innen- und religionspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und seit 2014 Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestags.


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    von Redaktion, angelegt

    Ein Beitrag von Volker Beck (MdB, Bündnis 90/Die Grünen)

    Der Sinn von Religionspolitik ist Religionsfreiheit. Alle Gläubigen und Religionsfreien müssen in einer demokratischen Gesellschaft die gleichen Entfaltungsmöglichkeiten haben. Niemand darf aufgrund seiner religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung benachteiligt werden. In einer sich zugleich pluralisierenden und säkularisierenden Gesellschaft kommen daher manche Traditionsbestände des Religionsverfassungsrechtes unter Legitimationsdruck. Das ist eigentlich auch gut so, zeigt dies doch dass Manches einfach unhinterfragte Besitzstände waren, die nicht ihre Begründung in der Verwirklichung der kollektiven Glaubensfreiheit hatten.

    In allererster Linie geht es um Gleichheitsfragen

    Die gesellschaftspolitisch herausragende Rolle der christlichen Großkirchen ist nach dem Zweiten Weltkrieg lange Zeit eine gesellschaftspolitische Selbstverständlichkeit gewesen. Seinen Grund hatte dies sicher vor allem darin, dass eine übergroße Mehrheit, man kann sagen: fast alle, damaligen Bürger*innen der Bundesrepublik Mitglied in einer dieser Religionsgemeinschaften waren. Infolge der Veränderung dieser Situation geht es heute in allererster Linie um Gleichheitsfragen: Wo genießen die christlichen Kirchen Rechte, die andere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften unter gleichen Voraussetzungen nicht haben?

    Bei der Beantwortung dieser Frage spielt neben den Glaubensfreien vor allem „der Islam“ eine Rolle. Mittlerweile stammen mit ca. vier Millionen Menschen etwa fünf Prozent der Gesamtbevölkerung in Deutschland aus mehrheitlich muslimischen Ländern, auch wenn diese nicht alle Muslime sind. Aus politischer Bequemlichkeit oder mangelndem Realitätssinn ist die „religiöse Versorgung“ dieser Bevölkerungsgruppe erst in Ansätzen verwirklicht. Das liegt vor allem an strukturellen Problemen: Den existierenden muslimischen Vereinen gelingt es überwiegend nicht, sich bekenntnisförmig als Religionsgemeinschaften zu organisieren, was im Kern bedeutet, in der Lage zu sein, über Fragen der Lehre verbindlich Auskunft geben und verbindlich angeben zu können, wer Mitglied der eigenen Gemeinschaft ist oder sein kann. Hier sind zwar Übergangslösungen erforderlich, um den Herausbildungsprozess zu beschleunigen. Dies haben wir Grüne schon 2012 mit unserer „Roadmap zur Gleichstellung und rechtlichen Integration des Islam“ gefordert. Aber die Einzelfragen der Organisierung müssen die Gemeinschaften dennoch selbst beantworten.

    Das kirchliche Arbeitsrecht in Deutschland – eine besondere verfassungsrechtliche Situation

    In kaum einem Land gibt es wie in Deutschland die Freiheit für Religionsgemeinschaften, die Dinge durch die Religionsgemeinschaften selbst zu bestimmen. Dies führt gesellschaftlich inzwischen zu immer mehr Spannungen: Zum einen weil die katholische Kirche bei den sogenannten persönlichen Loyalitätspflichten ihre Rechtsposition in unverhältnismäßiger Weise ausgereizt hatte, zum anderen weil der Anteil kirchlicher Träger in der Wohlfahrtspflege heute in keinem Verhältnis mehr zu ihrem Anteil ihrer Anhänger in der Bevölkerung steht.

    Die persönlichen Loyalitätspflichten gehen im kirchlichen Arbeitsrecht weit über den Tendenzschutz bei Medienunternehmen, Parteien oder Gewerkschaften hinaus: Mitarbeitende auch außerhalb des Verkündigungsbereiches werden auf die Befolgung der Sittenlehre auch im außerdienstlichen Bereich verpflichtet. In katholischen Einrichtungen führte dies dazu, dass Homosexuelle, die eine Lebenspartnerschaft eingehen, und zum zweiten Male nach einer Scheidung Heiratende unter Verweis auf den damit begangenen Verstoß gegen die Sittenlehre entlassen wurden. Dies wurde in seiner Uferlosigkeit gerade von der Deutschen Katholischen Bischofskonferenz durch eine neue Grundordnung etwas eingeschränkt. Islamische und andere religiöse Wohlfahrtsverbände könnten sich künftig auf diesen Rechtsrahmen ebenfalls berufen und ähnlich weitgehende Loyalitätsobliegenheiten für ihre Mitarbeiter*innen schaffen. Diesen Zustand empfinden wir als unhaltbar und fordern dringend Änderungen. Ebenso ist aus unserer Sicht schwer begründbar, dass kirchliche Einrichtungen pauschal vom Betriebsverfassungs- und Personalvertretungsgesetz ausgenommen sind. Dies gilt umso mehr, weil das Streikrecht als soziales Grundrecht der Beschäftigten gerade aus Sicht der beiden großen Kirchen im nichtkirchlichen Bereich immer sehr hoch gehalten wird.

    Die Kirchensteuer wird immer wieder zum Politikum

    Der staatliche Einzug der Kirchensteuer (oder im Judentum der Gemeindesteuer) wird immer wieder zum Politikum gemacht. Dabei handelt es sich um ein historisch überkommenes Recht, welches heute mit Sicherheit keine Chance hätte, neu erlassen zu werden. Aber dieser Befund ändert nichts daran, dass der staatliche Kirchensteuereinzug niemanden belastet, der nicht Mitglied einer kirchen-steuererhebenden Religionsgemeinschaft ist. Wegen der Anknüpfung an die Einkommensteuer ist sie eine der gerechtesten Möglichkeiten, die Mitglieder nach ihrer Leistungsfähigkeit zur Finanzierung kirchlicher Arbeit heranzuziehen. Weil die kirchensteuererhebenden Religionsgemeinschaften darüber hinaus die staatlichen Finanzämter kostendeckend für den staatlichen Einzug bezahlen, liegt auch keine verdeckte Subventionierung vor. Eine solche könnte man allenfalls darin erblicken, dass die Kirchensteuer als Sonderausgabe von der Steuerschuld abzugsfähig ist. Hier könnte man eventuelle Ungleichbehandlungen von Religionsfreien oder Mitglieder nichtreligionssteuererhebenden Religionsgemeinschaften beseitigen, indem man diesen einen analogen zusätzlichen Spendenfreibetrag einräumte.

    Die Zahl der Konflikte wird in einer religionspluralen Gesellschaft wahrscheinlich eher größer als kleiner – umso wichtiger scheint es mir darauf hinzuweisen, dass Religionsgemeinschaften als relevante Lebensäußerung in der deutschen Öffentlichkeit einen angemessenen Platz haben sollten – als wich-tige zivilgesellschaftliche Organisationen, deren Eintreten für Arme und Schwache einen wichtigen Beitrag zu gesellschaftlichen Zusammenhalt leistet.

    Der weltanschaulich neutrale Staat hat die Religionsfreiheit aller zu schützen und zu wahren. Die Zivilgesellschaft sollte für die verschiedenen weltanschaulichen und religiösen Sichten auf die Welt Toleranz und Respekt aufbringen. Erst wo eine Weltsicht durch die allgemeine Gesetzgebung ver-sucht, ihre Anschauungen für alle Mitglieder in der Gesellschaft verbindlich zu machen, ist die Religi-onsfreiheit in Gefahr.

    Volker Beck ist innen- und religionspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und seit 2014 Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestags.


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    von Redaktion, angelegt

    Ein Beitrag von Volker Beck (MdB, Bündnis 90/Die Grünen)

    Der Sinn von Religionspolitik ist Religionsfreiheit. Alle Gläubigen und Religionsfreien müssen in einer demokratischen Gesellschaft die gleichen Entfaltungsmöglichkeiten haben. Niemand darf aufgrund seiner religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung benachteiligt werden. In einer sich zugleich pluralisierenden und säkularisierenden Gesellschaft kommen daher manche Traditionsbestände des Religionsverfassungsrechtes unter Legitimationsdruck. Das ist eigentlich auch gut so, zeigt dies doch dass Manches einfach unhinterfragte Besitzstände waren, die nicht ihre Begründung in der Verwirklichung der kollektiven Glaubensfreiheit hatten.

    In allererster Linie geht es um Gleichheitsfragen

    Die gesellschaftspolitisch herausragende Rolle der christlichen Großkirchen ist nach dem Zweiten Weltkrieg lange Zeit eine gesellschaftspolitische Selbstverständlichkeit gewesen. Seinen Grund hatte dies sicher vor allem darin, dass eine übergroße Mehrheit, man kann sagen: fast alle, damaligen Bürger*innen der Bundesrepublik Mitglied in einer dieser Religionsgemeinschaften waren. Infolge der Veränderung dieser Situation geht es heute in allererster Linie um Gleichheitsfragen: Wo genießen die christlichen Kirchen Rechte, die andere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften unter gleichen Voraussetzungen nicht haben?

    Bei der Beantwortung dieser Frage spielt neben den Glaubensfreien vor allem „der Islam“ eine Rolle. Mittlerweile stammen mit ca. vier Millionen Menschen etwa fünf Prozent der Gesamtbevölkerung in Deutschland aus mehrheitlich muslimischen Ländern, auch wenn diese nicht alle Muslime sind. Aus politischer Bequemlichkeit oder mangelndem Realitätssinn ist die „religiöse Versorgung“ dieser Bevölkerungsgruppe erst in Ansätzen verwirklicht. Das liegt vor allem an strukturellen Problemen: Den existierenden muslimischen Vereinen gelingt es überwiegend nicht, sich bekenntnisförmig als Religionsgemeinschaften zu organisieren, was im Kern bedeutet, in der Lage zu sein, über Fragen der Lehre verbindlich Auskunft geben und verbindlich angeben zu können, wer Mitglied der eigenen Gemeinschaft ist oder sein kann. Hier sind zwar Übergangslösungen erforderlich, um den Herausbildungsprozess zu beschleunigen. Dies haben wir Grüne schon 2012 mit unserer „Roadmap zur Gleichstellung und rechtlichen Integration des Islam“ gefordert. Aber die Einzelfragen der Organisierung müssen die Gemeinschaften dennoch selbst beantworten.

    Das kirchliche Arbeitsrecht in Deutschland – eine besondere verfassungsrechtliche Situation

    In kaum einem Land gibt es wie in Deutschland die Freiheit für Religionsgemeinschaften, die Dinge durch die Religionsgemeinschaften selbst zu bestimmen. Dies führt gesellschaftlich inzwischen zu immer mehr Spannungen: Zum einen weil die katholische Kirche bei den sogenannten persönlichen Loyalitätspflichten ihre Rechtsposition in unverhältnismäßiger Weise ausgereizt hatte, zum anderen weil der Anteil kirchlicher Träger in der Wohlfahrtspflege heute in keinem Verhältnis mehr zu ihrem Anteil ihrer Anhänger in der Bevölkerung steht.

    Die persönlichen Loyalitätspflichten gehen im kirchlichen Arbeitsrecht weit über den Tendenzschutz bei Medienunternehmen, Parteien oder Gewerkschaften hinaus: Mitarbeitende auch außerhalb des Verkündigungsbereiches werden auf die Befolgung der Sittenlehre auch im außerdienstlichen Bereich verpflichtet. In katholischen Innkatholischen Einrichtungen führte dies dazu, dass Homosexuelle, die eine Lebenspartnerschaft eingehen, und zum zweiten Male nach einer Scheidung Heiratende unter Verweis auf den damit begangenen Verstoß gegen die Sittenlehre entlassen wurden. Dies wurde in seiner Uferlosigkeit gerade von der Deutschen Katholischen Bischofskonferenz durch eine neue Grundordnung etwas eingeschränkt. Islamische und andere religiöse Wohlfahrtsverbände könnten sich künftig auf diesen Rechtsrahmen ebenfalls berufen und ähnlich weitgehende Loyalitätsobliegenheiten für ihre Mitarbeiter*innen schaffen. Diesen Zustand empfinden wir als unhaltbar und fordern dringend Änderungen. Ebenso ist aus unserer Sicht schwer begründbar, dass kirchliche Einrichtungen pauschal vom Betriebsverfassungs- und Personalvertretungsgesetz ausgenommen sind. Dies gilt umso mehr, weil das Streikrecht als soziales Grundrecht der Beschäftigten gerade aus Sicht der beiden großen Kirchen im nichtkirchlichen Bereich immer sehr hoch gehalten wird.

    Die Kirchensteuer wird immer wieder zum Politikum

    Der staatliche Einzug der Kirchensteuer (oder im Judentum der Gemeindesteuer) wird immer wieder zum Politikum gemacht. Dabei handelt es sich um ein historisch überkommenes Recht, welches heute mit Sicherheit keine Chance hätte, neu erlassen zu werden. Aber dieser Befund ändert nichts daran, dass der staatliche Kirchensteuereinzug niemanden belastet, der nicht Mitglied einer kirchen-steuererhebenden Religionsgemeinschaft ist. Wegen der Anknüpfung an die Einkommensteuer ist sie eine der gerechtesten Möglichkeiten, die Mitglieder nach ihrer Leistungsfähigkeit zur Finanzierung kirchlicher Arbeit heranzuziehen. Weil die kirchensteuererhebenden Religionsgemeinschaften darüber hinaus die staatlichen Finanzämter kostendeckend für den staatlichen Einzug bezahlen, liegt auch keine verdeckte Subventionierung vor. Eine solche könnte man allenfalls darin erblicken, dass die Kirchensteuer als Sonderausgabe von der Steuerschuld abzugsfähig ist. Hier könnte man eventuelle Ungleichbehandlungen von Religionsfreien oder Mitglieder nichtreligionssteuererhebenden Religionsgemeinschaften beseitigen, indem man diesen einen analogen zusätzlichen Spendenfreibetrag einräumte.

    Die Zahl der Konflikte wird in einer religionspluralen Gesellschaft wahrscheinlich eher größer als kleiner – umso wichtiger scheint es mir darauf hinzuweisen, dass Religionsgemeinschaften als relevante Lebensäußerung in der deutschen Öffentlichkeit einen angemessenen Platz haben sollten – als wich-tige zivilgesellschaftliche Organisationen, deren Eintreten für Arme und Schwache einen wichtigen Beitrag zu gesellschaftlichen Zusammenhalt leistet.

    Der weltanschaulich neutrale Staat hat die Religionsfreiheit aller zu schützen und zu wahren. Die Zivilgesellschaft sollte für die verschiedenen weltanschaulichen und religiösen Sichten auf die Welt Toleranz und Respekt aufbringen. Erst wo eine Weltsicht durch die allgemeine Gesetzgebung ver-sucht, ihre Anschauungen für alle Mitglieder in der Gesellschaft verbindlich zu machen, ist die Religi-onsfreiheit in Gefahr.

    Volker Beck ist innen- und religionspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und seit 2014 Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestags.


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    Der Sinn von Religionspolitik ist Religionsfreiheit. Alle Gläubigen und Religionsfreien müssen in einer demokratischen Gesellschaft die gleichen Entfaltungsmöglichkeiten haben. Niemand darf aufgrund seiner religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung benachteiligt werden. In einer sich zugleich pluralisierenden und säkularisierenden Gesellschaft kommen daher manche Traditionsbestände des Religionsverfassungsrechtes unter Legitimationsdruck. Das ist eigentlich auch gut so, zeigt dies doch dass Manches einfach unhinterfragte Besitzstände waren, die nicht ihre Begründung in der Verwirklichung der kollektiven Glaubensfreiheit hatten.

    In allererster Linie geht es um Gleichheitsfragen

    Die gesellschaftspolitisch herausragende Rolle der christlichen Großkirchen ist nach dem Zweiten Weltkrieg lange Zeit eine gesellschaftspolitische Selbstverständlichkeit gewesen. Seinen Grund hatte dies sicher vor allem darin, dass eine übergroße Mehrheit, man kann sagen: fast alle, damaligen Bürger*innen der Bundesrepublik Mitglied in einer dieser Religionsgemeinschaften waren. Infolge der Veränderung dieser Situation geht es heute in allererster Linie um Gleichheitsfragen: Wo genießen die christlichen Kirchen Rechte, die andere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften unter gleichen Voraussetzungen nicht haben?

    Bei der Beantwortung dieser Frage spielt neben den Glaubensfreien vor allem „der Islam“ eine Rolle. Mittlerweile stammen mit ca. vier Millionen Menschen etwa fünf Prozent der Gesamtbevölkerung in Deutschland aus mehrheitlich muslimischen Ländern, auch wenn diese nicht alle Muslime sind. Aus politischer Bequemlichkeit oder mangelndem Realitätssinn ist die „religiöse Versorgung“ dieser Bevölkerungsgruppe erst in Ansätzen verwirklicht. Das liegt vor allem an strukturellen Problemen: Den existierenden muslimischen Vereinen gelingt es überwiegend nicht, sich bekenntnisförmig als Religionsgemeinschaften zu organisieren, was im Kern bedeutet, in der Lage zu sein, über Fragen der Lehre verbindlich Auskunft geben und verbindlich angeben zu können, wer Mitglied der eigenen Gemeinschaft ist oder sein kann. Hier sind zwar Übergangslösungen erforderlich, um den Herausbildungsprozess zu beschleunigen. Dies haben wir Grüne schon 2012 mit unserer „Roadmap zur Gleichstellung und rechtlichen Integration des Islam“ gefordert. Aber die Einzelfragen der Organisierung müssen die Gemeinschaften dennoch selbst beantworten.

    Das kirchliche Arbeitsrecht in Deutschland – eine besondere verfassungsrechtliche Situation

    In kaum einem Land gibt es wie in Deutschland die Freiheit für Religionsgemeinschaften, die Dinge durch die Religionsgemeinschaften selbst zu bestimmen. Dies führt gesellschaftlich inzwischen zu immer mehr Spannungen: Zum einen weil die katholische Kirche bei den sogenannten persönlichen Loyalitätspflichten ihre Rechtsposition in unverhältnismäßiger Weise ausgereizt hatte, zum anderen weil der Anteil kirchlicher Träger in der Wohlfahrtspflege heute in keinem Verhältnis mehr zu ihrem Anteil ihrer Anhänger in der Bevölkerung steht.

    Die persönlichen Loyalitätspflichten gehen im kirchlichen Arbeitsrecht weit über den Tendenzschutz bei Medienunternehmen, Parteien oder Gewerkschaften hinaus: Mitarbeitende auch außerhalb des Verkündigungsbereiches werden auf die Befolgung der Sittenlehre auch im außerdienstlichen Bereich verpflichtet. Innkatholischen Einrichtungen führte dies dazu, dass Homosexuelle, die eine Lebenspartnerschaft eingehen, und zum zweiten Male nach einer Scheidung Heiratende unter Verweis auf den damit begangenen Verstoß gegen die Sittenlehre entlassen wurden. Dies wurde in seiner Uferlosigkeit gerade von der Deutschen Katholischen Bischofskonferenz durch eine neue Grundordnung etwas eingeschränkt. Islamische und andere religiöse Wohlfahrtsverbände könnten sich künftig auf diesen Rechtsrahmen ebenfalls berufen und ähnlich weitgehende Loyalitätsobliegenheiten für ihre Mitarbeiter*innen schaffen. Diesen Zustand empfinden wir als unhaltbar und fordern dringend Änderungen. Ebenso ist aus unserer Sicht schwer begründbar, dass kirchliche Einrichtungen pauschal vom Betriebsverfassungs- und Personalvertretungsgesetz ausgenommen sind. Dies gilt umso mehr, weil das Streikrecht als soziales Grundrecht der Beschäftigten gerade aus Sicht der beiden großen Kirchen im nichtkirchlichen Bereich immer sehr hoch gehalten wird.

    Die Kirchensteuer wird immer wieder zum Politikum

    Der staatliche Einzug der Kirchensteuer (oder im Judentum der Gemeindesteuer) wird immer wieder zum Politikum gemacht. Dabei handelt es sich um ein historisch überkommenes Recht, welches heute mit Sicherheit keine Chance hätte, neu erlassen zu werden. Aber dieser Befund ändert nichts daran, dass der staatliche Kirchensteuereinzug niemanden belastet, der nicht Mitglied einer kirchen-steuererhebenden Religionsgemeinschaft ist. Wegen der Anknüpfung an die Einkommensteuer ist sie eine der gerechtesten Möglichkeiten, die Mitglieder nach ihrer Leistungsfähigkeit zur Finanzierung kirchlicher Arbeit heranzuziehen. Weil die kirchensteuererhebenden Religionsgemeinschaften darüber hinaus die staatlichen Finanzämter kostendeckend für den staatlichen Einzug bezahlen, liegt auch keine verdeckte Subventionierung vor. Eine solche könnte man allenfalls darin erblicken, dass die Kirchensteuer als Sonderausgabe von der Steuerschuld abzugsfähig ist. Hier könnte man eventuelle Ungleichbehandlungen von Religionsfreien oder Mitglieder nichtreligionssteuererhebenden Religionsgemeinschaften beseitigen, indem man diesen einen analogen zusätzlichen Spendenfreibetrag einräumte.

    Die Zahl der Konflikte wird in einer religionspluralen Gesellschaft wahrscheinlich eher größer als kleiner – umso wichtiger scheint es mir darauf hinzuweisen, dass Religionsgemeinschaften als relevante Lebensäußerung in der deutschen Öffentlichkeit einen angemessenen Platz haben sollten – als wich-tige zivilgesellschaftliche Organisationen, deren Eintreten für Arme und Schwache einen wichtigen Beitrag zu gesellschaftlichen Zusammenhalt leistet.

    Der weltanschaulich neutrale Staat hat die Religionsfreiheit aller zu schützen und zu wahren. Die Zivilgesellschaft sollte für die verschiedenen weltanschaulichen und religiösen Sichten auf die Welt Toleranz und Respekt aufbringen. Erst wo eine Weltsicht durch die allgemeine Gesetzgebung ver-sucht, ihre Anschauungen für alle Mitglieder in der Gesellschaft verbindlich zu machen, ist die Religi-onsfreiheit in Gefahr.

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