Kann der Sprung in eine neue Wirtschaftswelt gelingen? Foto: Joshua Earle (CC0 1.0)
Nicht alle Menschen könnten so viele Ressourcen verbrauchen wie der Durchschnitts-Deutsche. Das gibt unser Planet nicht her. Eugen Pissarskoi stellt Ideen vor, wie ein gutes Leben auch in einer Postwachstumsgesellschaft möglich wäre. Überzeugen sie euch?
Ein Beitrag von Eugen Pissarskoi
Unsere Gesellschaft soll hin zu einer Postwachstumsgesellschaft transformiert werden – für diese These will ich argumentieren. Eine Postwachstumsgesellschaft ist eine Gesellschaft, in der die ökologischen Leitplanken eingehalten werden und in der die Lebensqualität ihrer Mitglieder nicht davon abhängt, wie sich die volkswirtschaftliche Leistung, das Bruttoinlandsprodukt, entwickelt. Für diese Transformationsthese will ich zunächst ein moralisches Argument vorbringen: Prinzipien der Gerechtigkeit und ein Vorsorgeprinzip verpflichten uns dazu, unsere Lebens- und Wirtschaftsweise hin zu einer Postwachstumsgesellschaft zu verändern. Ich will aber auch aufzeigen, dass die Postwachstumsgesellschaft uns die Möglichkeit bietet, die Lebensqualität von sehr vielen Menschen im Vergleich zur gegenwärtigen Wachstumsgesellschaft zu verbessern.
1 Das moralische Argument: bestehende Ungerechtigkeiten sollen beseitigt werden
Wir, die heutige Menschheit, verändern ökologische Systeme derart, dass diese die in der Zukunft lebenden Menschen enorm benachteiligen können. Beispielsweise laufen wir Gefahr, durch die Emission von Treibhausgasen die Erdatmosphäre derart aufzuwärmen, dass die dadurch ausgelösten natürlichen Veränderungen (Krankeitsausbreitungen, Überschwemmungen, Wassermangel in manchen Regionen, Zunahme von Extremwettereignissen etc.) zukünftigen Generationen die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse deutlich erschweren werden. Neben der Treibhausgaszirkulation haben NaturwissenschaftlerInnen vier weitere, von uns beeinflusste, Erdsystem-Prozesse identifiziert, welche die Lebensbedingungen von zukünftigen Generationen gravierend verschlechtern können: Mengen von (1) Phosphor und (2) Stickstoff, die in die Böden und Gewässer gelangen; (3) Geschwindigkeit, mit der natürliche Arten verschwinden und (4) Umfang der Waldabholzung.
Wir laufen aber nicht nur Gefahr, den zukünftigen Generationen zu schaden, wir – und nun beziehe ich mich auf die BewohnerInnen westlicher wohlhabender Staaten – fügen bereits heute zahlreichen nicht-menschlichen Lebewesen massiven Schaden zu. Im Jahr 2013 wurden in Deutschland 12 Millionen Rinder, 29 Millionen Schweine, 160 Millionen Hühner gehalten, ein Großteil davon in der konventionellen Landwirtschaft. In der herkömmlichen Tierhaltung haben Landwirbeltiere wie Hühner, Schweine und Rinder keine Möglichkeit, auf ihre arttypische Weise zu leben, und vielfach ist ihr Leben qualvoll (1).
Schließlich ist die Menge von Ressourcen, die wir in einem wohlhabenden Land wie Deutschland im Durchschnitt pro Person verbrauchen, nicht global verallgemeinerungsfähig. Es ist nicht ernsthaft wünschenswert, dass alle Menschen auf der Welt die gleiche Ressourcenmenge verbrauchen, wie wir im Durchschnitt konsumieren. Denn wenn sie es täten, bräuchten wir die 2,3-fache Menge an Böden, Gewässern und Atmosphäre, um all die Güter herzustellen und Dienstleistungen zu erbringen, die dann weltweit nachgefragt werden würden.
Zwischenfazit: die Ungerechtigkeiten
Also: Wir laufen Gefahr, die zukünftigen Generationen an der Realisierung ihrer Grundbedürfnisse zu hindern, unsere durchschnittliche Lebensweise sollte nicht allen Menschen auf der Welt zustehen und wir nehmen in Kauf, dass nicht-menschliche Lebewesen Qualen ausgesetzt werden. Gleichzeitig sind wir – BewohnerInnen eines wohlhabenden Landes – in der Lage, unseren Lebensstil so zu verändern, dass die zukünftigen Generationen und nicht-menschliche Wesen nicht in ihren Grundrechten verletzt werden und so ressourcenschonend zu gestalten, dass er verallgemeinerbar wird, ohne dass dabei unsere moralischen Rechte verletzt werden. Deshalb leben wir, BewohnerInnen eines wohlhabendes Landes wie Deutschland, in intergenerationeller, globaler und ökologischer Hinsicht ungerecht.
2 Das moralische Argument: Vorsorge vor schrumpfender Wirtschaft
Was hat dies jedoch mit Wirtschaftswachstum zu tun? Warum benötigen wir eine Postwachstumsgesellschaft, um diese Ungerechtigkeiten zu beseitigen? Die Einhaltung ökologischer Grenzen, der planetaren Leitplanken, erfordert, dass wir, gerade in den wohlhabenden, frühzeitig industrialisierten Ländern, viel weniger Treibhausgase emittieren, weniger Produkte aus der herkömmlichen Landwirtschaft (in der Phosphat- und Stickstoffdünger eingesetzt werden) konsumieren sowie unseren Flächenverbrauch reduzieren.
Es ist durchaus vorstellbar, dass es uns gelingt, dieses Ziel zu erreichen, ohne dass die Wirtschaftsaktivität insgesamt sinkt. Beispielsweise wenn es uns gelingt, Energie ohne Emission von Treibhausgasen zu erzeugen, Phosphat- und Stickstoff durch natürlichen Dünger zu substituieren, andere Erdölprodukte (wie Plastik, medizinische und chemische Produkte) durch nachwachsende Rohstoffe zu ersetzen, und das alles, ohne zusätzliche Flächen in Anspruch zu nehmen (2).
Doch angesichts des Ausmaßes, in dem wir die planetaren Grenzen bereits überschritten haben und der Menge an Ressourcen, dessen Verbrauch wir zu reduzieren haben, wäre es fahrlässig, die Möglichkeit auszublenden, dass eine Gesellschaft, die die oben genannten Ungerechtigkeiten beseitigt haben wird, ein geringeres BIP erzeugen wird. Um beispielsweise die globale Erwärmung in diesem Jahrhundert auf 2° C zu begrenzen, müssten die Treibhausgasemissionen in einem Land wie Deutschland bis zum Jahr 2050 um ca. 90% reduziert werden. Um das allein mittels technischen Fortschritts bei weiterhin wachsendem BIP zu erreichen, müsste in den nächsten Jahren die Entwicklung von Treibhausgase einsparenden Technologien in einem Ausmaß geschehen, wie wir es bisher auch nur annähernd nicht erlebt haben.
Ein insgesamtes Sinken der Wirtschaftsaktivität ist nicht auszuschließen
Wenn wir also das Ziel, planetare Grenzen einzuhalten, ernsthaft verfolgen, können wir nicht ausschließen, dass dabei die Wirtschaftsaktivität insgesamt sinkt: Es ist ernsthaft möglich, dass wir dabei insgesamt weniger Häuser bauen, weniger Autos herstellen, weniger Plastik und weniger Düngemittel verbrauchen werden.
Doch das klingt nach einem Horrorszenario. Wenn in den letzten 50 Jahren die Wirtschaftsleistung sank, war dies mit sozialen Benachteiligungen verbunden: geringere Steuer- und Sozialkasseneinnahmen, häufig auch steigende Arbeitslosigkeit. In Griechenland oder in Spanien kann man gegenwärtig beobachten, mit welchen sozialen Härten die Schrumpfung ihrer Volkswirtschaften verbunden ist.
Um dies zu vermeiden, sollten wir unsere sozialen Systeme so gestalten, dass sie ausreichende soziale Sicherung gewähren, selbst wenn das BIP schrumpft. Wie ist dies möglich?
3 Ideen einer Postwachstumsgesellschaft
Eine unumstrittene Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Vielmehr befinden wir uns in einem gesellschaftlichen Such- und Diskussionsprozess. Dabei ist inzwischen ein bunter Strauß von Vorschlägen zur Gestaltung einer Postwachstumsgesellschaft vorgebracht worden, von denen ich hier lediglich einige Farbtupfer skizziere. Einen viel größeren Teil des Wirtschaftens könnten arbeitsintensive und ressourcenleichte Tätigkeiten einnehmen: Bildung, Erziehung, Sorge- und Pflegearbeit oder Organisation des sozialen und kommunalen Zusammenlebens. Zum Teil würden diese Tätigkeiten nach wie vor auf Märkten getauscht werden. Zu einem bedeutenden Teil würden sie aber auch außerhalb von Geldmärkten, in so etwas wie nachbarschaftlicher Selbstorganisation, erbracht werden.
Damit sich Menschen allerdings in gemeinschaftlichen Aktivitäten engagieren, benötigen sie Zeit.
Deshalb plädieren zahlreiche BefürworterInnen der Postwachstumsgesellschaft dafür, die durchschnittliche Zeit für die Erwerbsarbeit stark zu reduzieren, beispielsweise auf 20 Stunden pro Woche. Die zusätzliche Freizeit könnten die Mitglieder der Postwachstumsgesellschaft dafür aufwenden, mit ihren jeweiligen Fertigkeiten andere zu unterstützen und dabei selbstbestimmte, erfüllende Tätigkeiten auszuüben: neben der Sorge-Arbeit sich in Reparatur-Cafés, Nachbarschaftsgärtnereien, öffentlichen IT-Unterstützungs-Hotspots; bei juristischen, medizinischen, betriebswirtschaftlichen Beratungsinitiativen engagieren.
Das ehrenamtliche Engagement, selbst wenn es deutlich ausgedehnt wird, kann und soll den Sozialstaat aber nicht ersetzen: Bedürftige haben einen Anspruch auf adäquate Unterstützung durch die Gesellschaft.
Die Finanzierung des Sozialstaates sollte anders organisiert werden
Wir könnten die ökologische Steuerreform ausweiten und aus einer stärkeren Besteuerung des Ressourcenverbrauchs sozialstaatliche Aufgaben finanzieren. Wir könnten auch, der Idee Henry George folgend, Renten aus dem Eigentum natürlicher Ressourcen wie des Bodens abschöpfen. Bedingungsloses Grundeinkommen ist ein Mittel, um allen Menschen eine finanzielle Grundversorgung zu gewähren. Laut Philippe van Parijs ist die Einführung von Grundeinkommen sogar das beste Mittel, um eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung durchzusetzen.
Welche dieser vielfältigen und diversen Vorschläge für die Realisierung einer vom Wirschaftswachstum unabhängigen Gesellschaft tatsächlich greifen, das können wir sehr schlecht vorhersagen – dafür verstehen wir das Funktionieren von Sozialsystemen nicht gut genug. Wir könnten aber durch reale soziale Experimente testen, zu welchen Konsequenzen solche Reformen führen können und dann – mittels trial and error – hin zur Postwachstumsgesellschaft schreiten.
4 Höhere Lebensqualität
Und vielleicht gelingt es uns dabei – und nun bin ich bei meiner letzten These – die Lebensqualität von sehr vielen Menschen im Vergleich zur gegenwärtigen Wachstumsgesellschaft zu verbessern. Denn eine Gesellschaft, in der Menschen weniger Zeit für die Erwerbsarbeit aufwenden, aber mehr Zeit in selbstbestimmten und sinnstiftenden Initiativen verbringen, die gleichzeitig soziale Dienstleistungen erbringen, könnte die durchschnittliche Lebensqualität deutlich höher sein als in der gegenwärtigen Wachstumsgesellschaft, selbst wenn der materielle Wohlstand geringer sein sollte, als er gegenwärtig ist. Die individuelle Lebensqualität würde kraft der besseren Erfüllung der Bedürfnisse nach sozialem Zusammenhalt, nach Anerkennung, weniger Fremd- und mehr Selbstbestimmung des eigenen Lebens und der Umwelt steigen.
Anmerkungen
(1) Detailliert und anschaulich beschreibt die Zustände in der Tierhaltung in Deutschland Friederike Schmitz in Schmitz, 2014, Tierethik – eine Einführung, in: F. Schmitz (Hg.): Tierethik. Grundlagentexte. Suhrkamp: Frankfurt, S. 13-73, hier relevant insbesondere S. 16-21.
(2) Diese Vision veranschaulicht Ralf Fücks in seinem Buch “Intelligent wachsen. Die grüne Revolution.” Hanser Verlag, 2013.
Links zur Debatte auf Publixphere
- Emil: Die pure Macht des Konsumenten
- Thorsten Wiesmann: Die Gesellschaft des Teilens
- treffpunkteuropa.de: Der Preis für "Europas Gemüsegarten"