+7

Europa und die Flüchtlinge


Foto: picture alliance / AAWas erwartet Flüchtlinge in Europa? Wie geht die EU mit ihnen um? Foto: picture alliance / AA

Bislang sollen Flüchtlinge in dem EU-Land Asyl beantragen, in dem sie erstmals den Boden der EU betreten. Dieses sogenannte Dublin-System ist nicht mehr zukunftsfähig - meint Marcel Wollscheid, Chefredakteur von treffpunktpunkteuropa.de. Wie ist die Flucht nach Europa zu meistern?

Ein Beitrag von Marcel Wollscheid von treffpunkteuropa.de

Der für Migration zuständige EU-Kommissar Avramopoulos nennt es die „größte Flüchtlingskrise seit 1945“. 60 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. 800.000 Asylbewerber werden alleine in Deutschland in diesem Jahr erwartet. Im Juli haben nach Angaben der Kommission erstmals 100.000 Menschen die EU-Außengrenze überquert.

Diese Zahlen können kaum adäquat beschreiben, vor welche Herausforderungen die Flucht alle politischen Ebenen in der Europäischen Union aktuell stellt.

In den Kommunen sind schnelle und pragmatische Lösungen zur menschenwürdigen Unterbringung von Asylbewerbern gefordert – ebenso muss dort gesamtgesellschaftlich die Integration der aufgenommenen Menschen gelingen, was nicht ohne Konflikte bleiben wird.

Die Mitgliedsstaaten müssen Ansätze für eine Harmonisierung der Asyl- und Flüchtlingspolitik entwickeln. Denn ohne eine europaweit einheitliche Regelung nach außen sind die offenen Grenzen von Schengen nach innen nicht mehr aufrechtzuerhalten. Die Kommission kann derweil bei der Durchsetzung ihrer Migrationsagenda bislang nur auf die freiwillige Unterstützung der Mitgliedsstaaten hoffen. Die Erfahrungen der vergangenen Monate haben jedoch deutlich gezeigt, dass das Dublin-System in jetziger Form nicht zukunftsfähig ist. Stattdessen ist ein faires Verteilungssystem für Asylbewerber in Europa eine politische Notwendigkeit und der Lackmustest für ein gesamteuropäisches Konzept in der Flüchtlingsfrage.


Das ist die Meinung des Chefredakteurs von treffpunkteuropa.de Marcel Wollscheid. Wir wollen mit Euch diskutieren:

  • Wie lautet euer Standpunkt in der Flüchtlingsdebatte?

  • Wie kann die Europäische Union die politischen Herausforderungen der Flüchtlingswelle meistern?

Den Hintergrundartikel zur Diskussion mit den weiteren Standpunkten zum Thema findet ihr hier.


Kommentare

  • Indem…

    1.) die Einhaltung von Gesetzen erzwungen wird.

    Wenn ich das Verhalten der Migranten in Dänemark sehe, stelle ich mir schon die Frage, was das noch mit Flucht zu tun haben soll. Solange kein Asylantrag gestellt wird, sind es illegale Migranten, die hier nichts zu suchen haben und deshalb abgeschoben werden sollten.

    2.) die EU-Außengrenzen gesichert werden.

    Ich hätte schon längst der Türkei einen ordentlichen Batzen Geld gegeben, um den illegalen Grenzübertritt aus der Türkei zu verhindern. Soldaten an die Grenze, Stacheldraht, Wärmebildkameras, Hubschrauber. Gerne können wir Kontingente schaffen, um legale Wege nach Europa zu eröffnen, aber eben in einem ordentlichen Verfahren und nicht auf diese Weise.

    Bevor man das nicht knallhart umsetzt, wird man vermutlich keine Lösung finden. Sobald das umgesetzt wird, halte ich aber die Punkte, die Sie ansprechen, für den richtigen Weg. Also…

    1. gemeinsames, einheitliches Asylverfahren in der EU
    2. faire Verteilung (Quote, Finanzausgleich) in der EU

    oder auch…

    1. Zentrale EU-Aufnahmelager
    2. Legale Wege, um in der EU Asyl zu beantragen
    3. Vor-Ort-Hilfe

    Kurz gesagt, Rationalität auf der einen und Menschlichkeit auf der anderen Seite

    • Hallo MisterEde, schwierig schwierig das Ganze. Die Aufnahme der Flüchtlinge aus Ungarn in Deutschland war meines Erachtens richtig, und zwar am eigentlich geltenden System vorbei, nämlich ohne Registrierung in Ungarn und quasi als freiwillige Aktion Deutschlands.

      Auf der anderen Seite bringt diese Hilfe im Ausnahmezustand natürlich das System ins Wackeln. Wann ist die Ausnahme wieder vorbei? Wann wird den vielen Zehntausend in Ungarn, Griechenland, Serbien wieder gesagt: es gibt keinen Weg nach Deutschland - ihr müsst euch in Ungarn und Greichenland und so weiter um Asyl bewerben? Und wer setzt das - in der Konsquenz sogar gewaltsam - durch?

      Selbst wenn Junckers Hilfe-mit-System durchkommt, also wenn die anderen Länder den besonders mit Flucht konfrontierten Ländern Kontingente an Flüchtlingen abnehmen, bleibt diese Härte. Irgendwann ist das Kontigent ausgeschöpft. Oder jemand landet nicht in Schweden bei seiner Familie, sondern muss nach Rumänien oder Polen oder Portugal.

      Also eigentlich müssten langfristig alle EU-Länder gleich aufnahmebereit und gleich attraktiv sein. Ich kann es verstehen, dass ich als Syrer nicht in Ungarn Asyl bekommen will. Die fremdenfeindliche Nicht-Einwanderungs-Gesellschaft, die Sprache usw. Sehr schade, dass es seit der Wende 1990 nicht gelungen ist, auch die Haltung zu Flucht und Asyl in der EU zu harmonisieren.

      Parallel müsste es natürlich auch ein einheitliches EU-Einwanderungssystem geben, das auch geringqualifizierten Zuwanderern transparente Chancen eröffnet, damit sie nicht mehr den Weg übers Asylsystem gehen, das nicht für sie gedacht ist. Aber da drehen dann ja alle komplett durch - siehe CSU und Großbritannien.

      • Lieber MisterEde, lieber Emil,

        ich denke, man muss sich zunächst ein Stück weit von der tränenerstickten Betrachtung des Themas lösen. Flüchtlinge sind Menschen und handeln als solche oftmals rational, d.h. nutzenmaximierend. Sie wollen ihr Asyl nicht zwangsläufig auf dem ersten sicheren Boden beantragen, sondern ziehen dorthin, wo sie die beste wirtschaftliche Perspektive für sich sehen, Angehörige wiedersehen möchten oder andere Anreize locken. Soweit ist dieses Verhalten verständlich, es wird jedoch wie bereits heute ersichtlich zu Ungleichgewichten zwischen den Mitgliedsstaaten führen, die nicht tragbar sind. Als politische Gemeinschaft und als Rechtsgemeinschaft muss die EU diesen Prozess steuern. Juncker hat dazu sinnvolle und kohärente Vorschläge vorgebracht: ein permanenter Umverteilungsmechanismus für Asylsuchende, eine gemeinsame Liste sicherer Herkunftsstaaten, stärkere Sicherung der Außengrenzen sowie legale Einreisewege auf den Kontinent. Ich würde hinzufügen, dass zum Umverteilungsmechanismus nicht nur ein quantitativer Schlüssel (Komponenten zB Bevölkerungszahl, BIP, Pro-Kopf-Einkommen, Arbeitslosenquote) gehören sollte, der die Zahl der aufzunehmenden Menschen festlegt. Überlegenswert wäre ebenso ein qualitativer Schlüssel, der anschließend bestimmt, welche Menschen in welches Mitgliedsland aufgenommen werden: weil sie dort Familie und Angehörige haben, weil ihre berufliche Qualifikation dort gefragt ist oder weil sie bereits die Sprache sprechen. Wir kämen damit nicht nur unserer humanitären Pflicht nach, sondern würden für alle Beteiligten die bestmöglichen Rahmenbedingungen für Integration der Asylsuchenden schaffen. Dieses System zusammengenommen wäre ein Ausdruck europäischer Selbstbehauptung im Angesicht dieser epochalen Krise.

        • Hallo Marcel Wollscheid, alles richtig. Ich möchte trotzdem nochmal auf das Grunddilemma hinweisen, das tatsächlich nicht zu lösen ist, wenn es um den Zugang nach Europa geht.

          Das Asylrecht ist unteilbar. Es gilt für alle oder es gilt nicht. Punkt. Nun hat die EU das Recht auf Asyl verankert. Zu Recht. Trotzdem ist allen klar, das das EU-Recht nicht allen potenziell Asylberechtigten auf der ganzen Welt zugänglich gemacht werden kann. Sonst wären ganze Länder asylberechtigt, Millionen könnten und würden wohl auch kommen.

          Die zwangsläufig zynische Verlegenheitslösung war es nun über Jahrzehnte, auf der einen Seite am heeren Asylrecht asl Menschenrecht festzuhalten und es den Menschen auf der anderen so schwer wie möglich zu machen, dieses Recht auch tatsächlich in Anspruch zu nehmen. Grenzzäune, Frontex, Visa-Verweigerung usw. Wir haben sie uns vom Leib gehalten, wie berechtigt ihr Anspruch auch war. Wir haben sie dazu gezwungen, für 5.000 Euro unter Lebensgefahr mit einem Boot übers Mittelmeer zu kommen statt für 500 Euro sicher mit dem Flugzeug. Natürlich ist das eine miese Politik. Sie ist nicht kohärent.

          Trotzdem führt uns die Alternative, der einfache Zugang zum EU-Asyl-Antrag auch zu einem schmerzhaften Punkt. Schafft Europa das? Wäs passiert, wenn die EU zum Beispiel einfach in der Türkei ein Büro aufmacht, die Anträge von dort abwickelt, und dann die asylbereichtigten und schutzbedürftigen Menschen ins Flugzeug setzt - systematisch, für immer, nicht mehr freiwillig von Fall zu Fall wie beim Ressettlement. Ein Homosexueller im Iran ist genauso asylberechtigt wie ein Hamas-Gegner aus dem Gaza oder eine Frau aus dem Jemen.

          Wie gesagt, ich habe hierzu auch keine Meinung, weil ich sehe, dass jeder Weg auf seine Weise eben unmöglich ist. Ein Dilemma wie es im Lexikon steht.

          Und noch zu Deinen qualitativen Verteilungskritierien. Familie natürlich, da bin absolut dafür. Warum sollen Mutter und Vater, Opa und Enkel auseinander gerissen werden? Es gibt dafür keinen einzigen Grund. Für nicht ganz ungefährlich halte ich aber eine Debatte, bei der sich die Aufnahme-Länder ihre Flüchtlinge aussuchen. Der eine will nur Hochqualifizierte junge Menschen, die sich leicht integrieren können, der andere will keine Muslime und so weiter. Finde ich schwierig.

          • Hallo Emil, ganz auflösen lassen wird sich dieses Dilemma wohl nicht. Alle Grenzen zu öffnen wäre fatal. Andererseits macht es sich EU insgesamt nicht so einfach wie etwa die Golfstaaten (aufgenommene Flüchtlinge: 0). Ich würde die Idee der EU-Asylzentren in sicheren Nachbarstaaten der Krisenregionen durchaus befürworten. Letztendlich wäre auch dort jeder Einzelfall zu prüfen. Zu den qualitativen Kriterien: es sollte nicht um Rosinenpickerei gehen, sondern eine Verteilung angestrebt werden, die die Aufnahme der Menschen erleichtert und die schnelle Integration in Gesellschaft und Arbeitsmarkt zum Ziel hat.

          • Die zwangsläufig zynische Verlegenheitslösung war es nun über Jahrzehnte, auf der einen Seite am heeren Asylrecht asl Menschenrecht festzuhalten und es den Menschen auf der anderen so schwer wie möglich zu machen, dieses Recht auch tatsächlich in Anspruch zu nehmen.

            Besser kann man es meines Erachtens nicht auf den Punkt bringen.

            Ich würde mir wünschen, dass auch Spitzenpolitiker so klare Worte finden und das dann nicht zur Stimmungsmache oder zum Angst schüren, sondern um ernsthaft nach Lösungen zu suchen, die die gesamte Menschheit weiter bringen. Fairer Handel, Entwicklungszusammenarbeit, restriktiver Waffenexport und immer wieder der Versuch, weltweit Menschenrechte, Demokratie und eine faire Verteilung von Wohlstand zu fördern.

  • Liebes Forum, die aktuellen Grenzkontrollen Deutschlands sind nun hier eigenes Thema:

    Grenzkontrollen - Gefahr für die europäische Idee?

    Grüße, Alex

  • Der Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) hat meine volle Unterstützung bei der Frage, wie mit den humanitären Katastrophen in den Regionen der Welt umzugehen ist - nämlich mit einer schnellen und ausreichenden Hilfe vor Ort.

    Insgesamt macht Müller auf mich einen sehr guten Eindruck - wenig Show und was er sagt, hat aus meiner Sicht Hand und Fuß.