Anschläge von Paris: Werfen wir uns nicht unsere Betroffenheit vor - Historie

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  • Anschläge von Paris: Werfen wir uns nicht unsere Betroffenheit vor

    von admin, angelegt

    Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.comMenschen in New York bekunden spontan ihr Mitgefühl und ihre Solidarität. Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com

    Nach den Anschlägen von Paris geht es in den sozialen Netzwerken erneut auf Facebook viel darum, was uns betroffen macht und was nicht. "Wir Menschen sind keine Rechenmaschinen, die Opferzahlen exakt erfassen und Tragödien 'objektiv' nach ihrer Schrecklichkeit sortieren können", meint Salim Nasereddeen.


    Ein Beitrag von Salim Nasereddeen


    Hinweis: Dieser Text erschien zunächst unter dem Titel "Paris: Mein Tag danach" auf Midaad.de, einer Nachrichtenseite von jungen Muslimen für junge Muslime


    Am Tag danach kam mir dieses endlose Scrollen auf Facebook noch viel mehr als gewöhnlich wie eine krankhafte Sucht vor. So als würde ich verzweifelt in Einträgen bezüglich der Anschlagsserie in Paris in der Nacht am vergangenen Freitag, die mir besonders differenziert, kritisch, vernünftig oder intelligent erschienen, nach Antworten suchen. Viele von ihnen widersprachen sich. Muslime sollten besonders jetzt eine verantwortungsbewusste Haltung zeigen, sagten die einen. Das selektive Mitleid sei ein Ausdruck von Heuchelei, entgegneten die anderen. Und “IS”-Anhänger seien ohnehin keine Muslime. Ich fühle mich machtlos.

    Augenblicklich denke ich an einen ausgerechnet französischen Begriff: Deja-vu. Wieder kommt es zu einem Schlagabtausch über die Frage der Betroffenheit an sich, in dem gegenseitige Vorwürfe dominieren. Die einen sind Heuchler, die anderen kaltherzig. Wo stehe ich?

    Menschen sind subjektiv

    An dem heutigen Tag will ich vor Allem eines vertreten: Wir Menschen sind Subjekte und empfinden subjektiv. Daher finde ich es höchst fragwürdig, Menschen ihre persönliche Betroffenheit kurzerhand schlecht zu reden. Aus unserer Subjektivität resultiert nicht zuletzt eine fundamentale Grundlage für jeden zwischenmenschlichen Prozess: Die Empathie. Um mich auf jemanden einzulassen, blende ich unser Umfeld und auch meine eigen Situation ein Stück weit aus und sehe nur ihn, ein Gegenüber, das es wert ist, verstanden zu werden.

    Diejenigen, die sich in dieser Lage also demonstrativ unbeteiligt zeigen, und das auch kräftig betonen, vergessen also diese grundmenschliche Eigenschaft, von der sie selbst auch nicht befreit sind. In der Forderung “Pray for the World” schlägt sich der reaktive Charakter dieser Haltung nieder. Wird man dieser Forderung wirklich gerecht? Sie ist nicht allgemein formuliert sondern eben nur als Reaktion auf die aktuelle Lage. Sie ist ein Ausdruck ihres Bestrebens möglichst jedes Leid zu relativieren wodurch sie sich letztendlich keinerlei Empathie mehr leisten, an dem Ort, an dem sie leben, wie es Abu Bakr Rieger in einem aktuellen Artikel beschreibt.

    Es darf nicht dazu kommen, dass ein Mensch sich gezwungen sieht, seine Betroffenheit recht zu fertigen. Denn dann ist es nicht mehr weit, bis selbige von einzelnen Hetzern oder der Dynamik feindseliger Stimmungen für politische Zwecke missbraucht wird, wie der Reporter Michel Abdollahi in einem Eintrag ausführt. Dort heißt es weiter: “Betroffenheit ist ein seltsames Phänomen, es überfällt einen einfach, ohne das man eine Chance hat”.

    Die Welt ist ungerecht

    Und dennoch muss aus meiner Sicht auch hier erinnert werden: Es bestehen weiterhin Ungleichheiten in der Gesellschaft, global, wie auch in einzelnen Staaten. Rassistische Mechanismen sind eine Realität. Der Kolonialismus war und ist in gewisser Weise noch heute eine Realität.

    In den Augen vieler entsteht sofort der Eindruck einer Doppelmoral, wenn die Reaktionen auf Paris immer weiter verbreitet werden, während andernorts viele tragische Dinge völlig unbeachtet bleiben. Das beschriebene Verhältnis von Subjektivität und Empathie ist ein sehr persönliches und abhängig von den Identitäten die wir uns geben. So wie das Recht auf Betroffenheit für diejenigen gelten sollte, die betroffen sein wollen, sollte es auch denjenigen zugestanden werden, nicht betroffen zu sein, die es nicht sein wollen.

    Weder ist man mit der einen Haltung ein Heuchler, noch mit der anderen kaltherzig. Man ist einfach Mensch, mit einem gewissen Erfahrungsschatz, einer Herkunft und einer bestimmten Lebensweise. Macht man weiter mit den gegenseitigen Vorwürfen, verhärten sich nur die Fronten und wir verlieren das wesentliche aus den Augen. Ich persönlich habe bewusst nicht mein Profilbild gewechselt und auch sonst keine Statements auf Facebook gemacht. Auch werde ich nicht zu der Kundgebung am Montag vor dem Brandenburger Tor kommen. Ich habe deswegen kein schlechtes Gewissen, verspüre aber auch nicht das Bedürfnis es rauszuposaunen, und allen anderen ihre vermeintliche Falschheit unter die Nase zu reiben.

    Und vielleicht ist genau das die Bilanz aus diesem, meinem “Tag danach”. Vielleicht sollten wir uns einfach für diesen kurzen Moment ein wenig beherrschen. Emotionale Reaktionen waren zu erwarten. Wir Menschen sind keine Rechenmaschinen, die Opferzahlen exakt erfassen und Tragödien “objektiv” nach ihrer Schrecklichkeit sortieren können. Die Zeit für eine sachliche Auseinandersetzungen wird unmittelbar folgen und hierfür muss sichergestellt werden, was für gemeinsame Ziele man sich setzt.


    Links zum Thema

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    Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.comMenschen in New York bekunden ihre Solidarität. Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com

    Nach den Anschlägen von Paris geht es auf Facebook viel darum, was uns betroffen macht und was nicht. "Wir Menschen sind keine Rechenmaschinen, die Opferzahlen exakt erfassen und Tragödien 'objektiv' nach ihrer Schrecklichkeit sortieren können", meint Salim Nasereddeen.

    Ein Beitrag von Salim Nasereddeen


    Hinweis: Dieser Text erschien zunächst unter dem Titel "Paris: Mein Tag danach" auf Midaad.de, einer Nachrichtenseite von jungen Muslimen für junge Muslime


    Am Tag danach kam mir dieses endlose Scrollen auf Facebook noch viel mehr als gewöhnlich wie eine krankhafte Sucht vor. So als würde ich verzweifelt in Einträgen bezüglich der Anschlagsserie in Paris in der Nacht am vergangenen Freitag, die mir besonders differenziert, kritisch, vernünftig oder intelligent erschienen, nach Antworten suchen. Viele von ihnen widersprachen sich. Muslime sollten besonders jetzt eine verantwortungsbewusste Haltung zeigen, sagten die einen. Das selektive Mitleid sei ein Ausdruck von Heuchelei, entgegneten die anderen. Und “IS”-Anhänger seien ohnehin keine Muslime. Ich fühle mich machtlos.

    Augenblicklich denke ich an einen ausgerechnet französischen Begriff: Deja-vu. Wieder kommt es zu einem Schlagabtausch über die Frage der Betroffenheit an sich, in dem gegenseitige Vorwürfe dominieren. Die einen sind Heuchler, die anderen kaltherzig. Wo stehe ich?

    Menschen sind subjektiv

    An dem heutigen Tag will ich vor Allem eines vertreten: Wir Menschen sind Subjekte und empfinden subjektiv. Daher finde ich es höchst fragwürdig, Menschen ihre persönliche Betroffenheit kurzerhand schlecht zu reden. Aus unserer Subjektivität resultiert nicht zuletzt eine fundamentale Grundlage für jeden zwischenmenschlichen Prozess: Die Empathie. Um mich auf jemanden einzulassen, blende ich unser Umfeld und auch meine eigen Situation ein Stück weit aus und sehe nur ihn, ein Gegenüber, das es wert ist, verstanden zu werden.

    Diejenigen, die sich in dieser Lage also demonstrativ unbeteiligt zeigen, und das auch kräftig betonen, vergessen also diese grundmenschliche Eigenschaft, von der sie selbst auch nicht befreit sind. In der Forderung “Pray for the World” schlägt sich der reaktive Charakter dieser Haltung nieder. Wird man dieser Forderung wirklich gerecht? Sie ist nicht allgemein formuliert sondern eben nur als Reaktion auf die aktuelle Lage. Sie ist ein Ausdruck ihres Bestrebens möglichst jedes Leid zu relativieren wodurch sie sich letztendlich keinerlei Empathie mehr leisten, an dem Ort, an dem sie leben, wie es Abu Bakr Rieger in einem aktuellen Artikel beschreibt.

    Es darf nicht dazu kommen, dass ein Mensch sich gezwungen sieht, seine Betroffenheit recht zu fertigen. Denn dann ist es nicht mehr weit, bis selbige von einzelnen Hetzern oder der Dynamik feindseliger Stimmungen für politische Zwecke missbraucht wird, wie der Reporter Michel Abdollahi in einem Eintrag ausführt. Dort heißt es weiter: “Betroffenheit ist ein seltsames Phänomen, es überfällt einen einfach, ohne das man eine Chance hat”.

    Die Welt ist ungerecht

    Und dennoch muss aus meiner Sicht auch hier erinnert werden: Es bestehen weiterhin Ungleichheiten in der Gesellschaft, global, wie auch in einzelnen Staaten. Rassistische Mechanismen sind eine Realität. Der Kolonialismus war und ist in gewisser Weise noch heute eine Realität.

    In den Augen vieler entsteht sofort der Eindruck einer Doppelmoral, wenn die Reaktionen auf Paris immer weiter verbreitet werden, während andernorts viele tragische Dinge völlig unbeachtet bleiben. Das beschriebene Verhältnis von Subjektivität und Empathie ist ein sehr persönliches und abhängig von den Identitäten die wir uns geben. So wie das Recht auf Betroffenheit für diejenigen gelten sollte, die betroffen sein wollen, sollte es auch denjenigen zugestanden werden, nicht betroffen zu sein, die es nicht sein wollen.

    Weder ist man mit der einen Haltung ein Heuchler, noch mit der anderen kaltherzig. Man ist einfach Mensch, mit einem gewissen Erfahrungsschatz, einer Herkunft und einer bestimmten Lebensweise. Macht man weiter mit den gegenseitigen Vorwürfen, verhärten sich nur die Fronten und wir verlieren das wesentliche aus den Augen. Ich persönlich habe bewusst nicht mein Profilbild gewechselt und auch sonst keine Statements auf Facebook gemacht. Auch werde ich nicht zu der Kundgebung am Montag vor dem Brandenburger Tor kommen. Ich habe deswegen kein schlechtes Gewissen, verspüre aber auch nicht das Bedürfnis es rauszuposaunen, und allen anderen ihre vermeintliche Falschheit unter die Nase zu reiben.

    Und vielleicht ist genau das die Bilanz aus diesem, meinem “Tag danach”. Vielleicht sollten wir uns einfach für diesen kurzen Moment ein wenig beherrschen. Emotionale Reaktionen waren zu erwarten. Wir Menschen sind keine Rechenmaschinen, die Opferzahlen exakt erfassen und Tragödien “objektiv” nach ihrer Schrecklichkeit sortieren können. Die Zeit für eine sachliche Auseinandersetzungen wird unmittelbar folgen und hierfür muss sichergestellt werden, was für gemeinsame Ziele man sich setzt.


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    Nach den Anschlägen von Paris geht es auf Facebook viel darum, was uns betroffen macht und was nicht. "Wir Menschen sind keine Rechenmaschinen, die Opferzahlen exakt erfassen und Tragödien 'objektiv' nach ihrer Schrecklichkeit sortieren können", meint Salim Nasereddeen.

    Ein Beitrag von Salim Nasereddeen


    Hinweis: Dieser Text erschien zunächst unter dem Titel "Paris: Mein Tag danach" auf Midaad.de, einer Nachrichtenseite von jungen Muslimen für junge Muslime


    Am Tag danach kam mir dieses endlose Scrollen auf Facebook noch viel mehr als gewöhnlich wie eine krankhafte Sucht vor. So als würde ich verzweifelt in Einträgen bezüglich der Anschlagsserie in Paris in der Nacht am vergangenen Freitag, die mir besonders differenziert, kritisch, vernünftig oder intelligent erschienen, nach Antworten suchen. Viele von ihnen widersprachen sich. Muslime sollten besonders jetzt eine verantwortungsbewusste Haltung zeigen, sagten die einen. Das selektive Mitleid sei ein Ausdruck von Heuchelei, entgegneten die anderen. Und “IS”-Anhänger seien ohnehin keine Muslime. Ich fühle mich machtlos.

    Augenblicklich denke ich an einen ausgerechnet französischen Begriff: Deja-vu. Wieder kommt es zu einem Schlagabtausch über die Frage der Betroffenheit an sich, in dem gegenseitige Vorwürfe dominieren. Die einen sind Heuchler, die anderen kaltherzig. Wo stehe ich?

    Menschen sind subjektiv

    An dem heutigen Tag will ich vor Allem eines vertreten: Wir Menschen sind Subjekte und empfinden subjektiv. Daher finde ich es höchst fragwürdig, Menschen ihre persönliche Betroffenheit kurzerhand schlecht zu reden. Aus unserer Subjektivität resultiert nicht zuletzt eine fundamentale Grundlage für jeden zwischenmenschlichen Prozess: Die Empathie. Um mich auf jemanden einzulassen, blende ich unser Umfeld und auch meine eigen Situation ein Stück weit aus und sehe nur ihn, ein Gegenüber, das es wert ist, verstanden zu werden.

    Diejenigen, die sich in dieser Lage also demonstrativ unbeteiligt zeigen, und das auch kräftig betonen, vergessen also diese grundmenschliche Eigenschaft, von der sie selbst auch nicht befreit sind. In der Forderung “Pray for the World” schlägt sich der reaktive Charakter dieser Haltung nieder. Wird man dieser Forderung wirklich gerecht? Sie ist nicht allgemein formuliert sondern eben nur als Reaktion auf die aktuelle Lage. Sie ist ein Ausdruck ihres Bestrebens möglichst jedes Leid zu relativieren wodurch sie sich letztendlich keinerlei Empathie mehr leisten, an dem Ort, an dem sie leben, wie es Abu Bakr Rieger in einem aktuellen Artikel beschreibt.

    Es darf nicht dazu kommen, dass ein Mensch sich gezwungen sieht, seine Betroffenheit recht zu fertigen. Denn dann ist es nicht mehr weit, bis selbige von einzelnen Hetzern oder der Dynamik feindseliger Stimmungen für politische Zwecke missbraucht wird, wie der Reporter Michel Abdollahi in einem Eintrag ausführt. Dort heißt es weiter: “Betroffenheit ist ein seltsames Phänomen, es überfällt einen einfach, ohne das man eine Chance hat”.

    Die Welt ist ungerecht

    Und dennoch muss aus meiner Sicht auch hier erinnert werden: Es bestehen weiterhin Ungleichheiten in der Gesellschaft, global, wie auch in einzelnen Staaten. Rassistische Mechanismen sind eine Realität. Der Kolonialismus war und ist in gewisser Weise noch heute eine Realität.

    In den Augen vieler entsteht sofort der Eindruck einer Doppelmoral, wenn die Reaktionen auf Paris immer weiter verbreitet werden, während andernorts viele tragische Dinge völlig unbeachtet bleiben. Das beschriebene Verhältnis von Subjektivität und Empathie ist ein sehr persönliches und abhängig von den Identitäten die wir uns geben. So wie das Recht auf Betroffenheit für diejenigen gelten sollte, die betroffen sein wollen, sollte es auch denjenigen zugestanden werden, nicht betroffen zu sein, die es nicht sein wollen.

    Weder ist man mit der einen Haltung ein Heuchler, noch mit der anderen kaltherzig. Man ist einfach Mensch, mit einem gewissen Erfahrungsschatz, einer Herkunft und einer bestimmten Lebensweise. Macht man weiter mit den gegenseitigen Vorwürfen, verhärten sich nur die Fronten und wir verlieren das wesentliche aus den Augen. Ich persönlich habe bewusst nicht mein Profilbild gewechselt und auch sonst keine Statements auf Facebook gemacht. Auch werde ich nicht zu der Kundgebung am Montag vor dem Brandenburger Tor kommen. Ich habe deswegen kein schlechtes Gewissen, verspüre aber auch nicht das Bedürfnis es rauszuposaunen, und allen anderen ihre vermeintliche Falschheit unter die Nase zu reiben.

    Und vielleicht ist genau das die Bilanz aus diesem, meinem “Tag danach”. Vielleicht sollten wir uns einfach für diesen kurzen Moment ein wenig beherrschen. Emotionale Reaktionen waren zu erwarten. Wir Menschen sind keine Rechenmaschinen, die Opferzahlen exakt erfassen und Tragödien “objektiv” nach ihrer Schrecklichkeit sortieren können. Die Zeit für eine sachliche Auseinandersetzungen wird unmittelbar folgen und hierfür muss sichergestellt werden, was für gemeinsame Ziele man sich setzt.


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