#eu2020: Workshop "Europäische Republik"
Foto: NASA
Eine Europäische Republik - was ist das überhaupt? Und was könnte sie sein? Ist sie eine Illusion, eine Utopie? Das diskutierte ein Workshop im Rahmen des Policy Camps: Europa retten!?. Alle sind eingeladen, den Austausch hier online fortzuführen...
Ein Beitrag von Lisa@PolicyLab
Europa heute: ein oft enttäuschendes Bild. Sind wir an dem Punkt, an dem das Alte tot ist, das Neue aber noch nicht geboren werden kann? Das European Democracy Lab beschäftigt sich deswegen mit Alternativen für ein zukunftsfähiges Europa und gibt uns aus ihrer Arbeit heraus ein paar Gedankenanstöße.
Nach den Ereignissen und Entwicklungen der letzten Jahre (z.B. Entkopplung von Staat und Markt durch den Vertrag von Maastricht und die Schaffung des Euro-Raums als Währungsunion, gleichzeitig aber eine fehlende politische Union) stellt sich die Frage: Brauchen wir wirklich mehr von Europa oder brauchen wir nicht vielmehr ein neues Denken, ein neues Europa? Wie kann Europa wirtschaftlich und kulturell funktionieren? Eine grundlegende Frage, die sich anschließt ist die Frage nach der Rolle von Staaten. Macht es Sinn, innerhalb von Europa über Nationen zu sprechen? Aus Sicht einer europäischen Republik machen Nationalstaaten keinen Sinn mehr. Vielmehr könnte von Regionen oder Ballungsräumen gesprochen werden, die hierarchisch nicht geordnet sind (kein "die starken" oder "die schwachen").
Aber was bedeutet europäische Republik eigentlich? Im Grunde soll sie die politische Gleichheit aller Bürger_innen von Europa sicherstellen. Die Idee der politischen Gleichheit ist geleitet von drei wesentlichen Vorstellungen:
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Wahlgerechtigkeit: hin zu "1 man, 1 vote"
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gleicher Zugang zu sozialen Rechten
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Steuergleichheit
Danach stellt sich die Frage, wie eine solche Republik genau gestaltet werden sollte?
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Wie könnte z.B. das Wahlrecht aussehen? Gemäß der Utopie sollten wir als europäische Bürger_innen direkt den_die Präsident_in wählen können. Würde das aber nicht dazu führen, den Nationalstaat als Konstrukt nur oberflächlich, also sprachlich, wegzuradieren, und Ungleichheitsverhältnisse auf eine andere Ebene zu verlagern? Ein Vorteil eines europäischen Wahlrechts wäre es auf jeden Fall, durch Mobilität und ortsbezogene Wahlrechte keine Stimmen zu verlieren.
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Wie könnten die Regionen definiert werden? Welche Faktoren werden dafür herangezogen (BIP, kulturelle Zugehörigkeit, ...)? Gemäß der Vision einer europäischen Republik sollte Europa von unten gestaltet werden: deswegen sollen Regionen vielleicht gar nicht von Konzeptemacher_innen vorgegeben werden, sondern eigene Zuschreibungen und Zugehörigkeiten sollten eine größere Rolle spielen.
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Wie könnte Europa von unten funktionieren? Bzw. kann es überhaupt funktionieren? Wollen wir überhaupt Europa oder hat die Tatsache, dass sich Europa auf einer solch hohen Eben entwickelt hat, auf Ebene der Menschen zu einer Abschreckung von Europa geführt? Wie können wir männlich-alt-weiße Strukturen von unten aufbrechen? Wichtig wäre es, hierbei daran zu erinnern, dass nicht die Idee von Europa, sondern vielmehr die aktuelle Umsetzung zu Ernüchterung führt. Gerade deswegen sollte Europa neu gedacht werden.
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Würde eine europäische Republik mehr Zentralisierung bedeuten als die aktuelle Praktik der EU? Wie können wir innerhalb einer Republik unsere kulturelle Vielfalt wahren? Die Region als Teil des Zugehörigkeitsgefühls wäre hier ein Bezugspunkt, um regionale Vielfalt zu bewahren. Wirken also regionale und europäische Ebene in zwei verschiedene Richtungen (dezentralisierend und zentralisierend)? Bzw. reicht das europäische Zugehörigkeitsgefühl eigentlich oder müssten wir uns nicht konsequenterweise als Weltbürger_innen sehen?
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Wäre das starke amerikanische Zugehörigkeitsgefühl hinsichtlich einer europäischen Identität ein Beispielbild?
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Brauchen wir eine europäische Verfassung? Da Nationalstaaten ihre Souveränität nicht ohne weiteres aufgeben wollen, müssten übergeordnete Mechanismen geschaffen werden.
Alexander Wragge
Utopisch aber sinnvoll
Liebe Policy Camper!
Cooles Thema, wir hatten hier schon eine ausgiebige Kontroverse dazu. Verzeiht mir meinen Mangel an utopischer Vorstellungskraft, aber noch fällt es mir sehr schwer, an die Umsetzung einer Europäischen Republik zu glauben.
Für mich ist die Idee vor allem erstmal ein Gedanken-Vehikel. Also ein Konzept, das unsere Gedanken an andere Orte führt, zu denen wir ohne es nicht gelangt wären. Die Republik-Perspektive lässt die nationalen Grenzen verschwinden, was auch ganz pragmatisch sehr hilfreich sein kann. Zum Beispiel in der Wirtschaftspolitik, wo es in einem gemeinsamen Binnenmarkt viel sinnvoller ist in Industrien, Ballungsräumen und ländlichen Regionen zu denken und zu problematisieren, als an nationalen Grenzen entlang (Ulrike Guerot kann das unübertroffen veranschaulichen, hier das entsprechende Video)
Ich glaube nun nicht daran, dass die Bürger Europas irgendwann mit Heugabeln vor ihren Regierungssitzen stehen und die Europäische Republik einfordern. Aber die Idee kann eine Art europäischen Geist befördern, eine Attitüde, ein Gefühl der Verbundenheit, speziell zwischen jungen EuropäerInnen. Und das ist schon viel!