Inflation der Demokratie - Historie

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  • Inflation der Demokratie

    von Redaktion, angelegt

    Foto: irtlach0Ein Idyll in Litauen. Könnte man das Land mit knapp 3 Millionen Einwohnern zur Müllhalde der Europäischen Union erklären? Foto: irtlach0 (CC0)

    Für viele Beobachter hat die EU ein massives Demokratieproblem. Denn bei den Europawahlen haben die Stimmen aus kleineren EU-Staaten ein weitaus größeres Gewicht als die Stimmen aus den großen EU-Staaten. Ganz einfach ist das Problem aber nicht zu lösen, wie FelixBlickwinkel Blog schildert...


    *

    Ein Beitrag von FelixBlickwinkel Blog , erstmals erschienen auf dem Blickwinkel Blog

    Demokratie gilt inzwischen vielerorts als Synonym für das Gute. Demokratischer ist immer besser und wenn es mal irgendwo nicht gut läuft, dann liegt es vor allem daran, wie undemokratisch Entscheidungen getroffen werden und Prozesse ablaufen.

    Ich bin ebenfalls „Fan der Demokratie“, schlichtweg weil es frei nach Churchill keine bessere Alternative gibt.

    Aber ist mehr Demokratie immer gut?

    In Extremen gedacht stellt sich mir hier die Frage, was wohl besser ist: A. Eine Demokratie die sich mehrheitlich für die Diktatur entscheidet und dabei absolut demokratisch und souverän ist. B. Oder eine Diktatur, in der eine Minderheit souverän ist und den Menschen die Demokratie aufzwingt.

    Antworten hierauf muss wohl jeder für sich selbst finden - demokratisch ist aber nun mal nur Variante A, vorausgesetzt alle Stimmen sind gleichwertig. In der jüngsten Vergangenheit stelle ich eine zunehmend flapsige Verwendung des demokratischen Gedanken fest. Der Grundgedanke ist natürlich immer irgendwie „gut“, denn umso demokratischer ein Prozess ist, umso eher können sich Betroffene daran beteiligen.

    Aber was ist denn das eigentlich: demokratischer?

    Die EU hat laut dem gängigsten Onlinelexikon ca. eine halbe Milliarde Einwohner. Davon gut 80 Millionen in Deutschland, jeweils ~65 in Frankreich und im VK, 60 in Italien, in Spanien 45 und 10 Millionen in Griechenland. Das macht zusammen 325 Millionen, also eine knappe 2/3 Mehrheit in 6 von 28 Mitgliedsstaaten.

    Wäre es nun demokratischer, dass jede Stimme bei jeder Entscheidung innerhalb der EU gleich gewertet wird? Das würde bedeuten, dass die Minderheit der Staaten mit 66 Prozent der Stimmen so ziemlich jede Entscheidung durchbringen könnte.

    Beispielsweise könnte man Litauen zur Müllhalde der europäischen Union erklären. Das wäre nicht sonderlich nett, aber demokratisch legitimiert, schließlich haben alle Einwohner der EU gleichberechtigt darüber abgestimmt – in Litauen leben etwas weniger als 0,5 Prozent aller Einwohner der EU.

    Das andere Extrem wäre zu sagen jeder Staat erhält eine Stimme. Damit könnten die 15 (19) Bevölkerungsärmsten Staaten der EU über gut 300 Millionen Menschen demokratisch herrschen. Klingt irgendwie auch nicht ganz verlockend.

    "Auf der individuellen Ebene entsteht immer eine Ungleichheit"

    Je mehr Menschen an einer Entscheidung beteiligt sind, umso demokratischer es also wird, umso geringer ist meine eigene Souveränität bzw. die Rolle des Individuums. Eine zunehmende, alles umfassende Demokratisierung entwertet also mein Stimmengewicht und verringert das Maß, in dem ich mich als Person an einer Entscheidung beteiligen kann.

    Das ist natürlich alles kein Geheimnis und es gibt eine gefühlte Unendlichkeit an Vorschlägen und Methoden als unfair empfundene Missstände gegeneinander aufzuheben. Diese reichen von einfachen Dingen wie der Einführung des Wahlalters, der Zuschneidung von Wahlbezirken bis zu Modellen degressiver Proportionalität .

    Auf der individuellen Ebene entsteht dabei immer eine Ungleichheit. Wie so oft entbehrt diese Ungleichheit allerdings einer gewissen Logik, die man wie ich finde durchaus als „gut“ bewerten kann.

    Mangelt es nicht eigentlich am Diskurs?

    Hätte man 100 Dörfer, 80 davon wären mit 20 und 20 mit 50 Einwohnern besiedelt, gäbe das eine Gesamteinwohnerzahl des Dorfverbundes von 2600 Menschen. Für eine 2/3 Mehrheit wären 1560 Stimmen notwendig. Zwangsläufig müssten also große mit kleinen Dörfern kooperieren, nicht jedoch kleine mit großen Dörfern. Ballungsräume wären also in der Minderheit. Menschen mit viel Raum könnten sich also sämtliche/ einen Großteil Wohnungen in den Städten mit wenig Raum kaufen und demokratisch legitim beschließen, dass die Miete in regelmäßigen Abständen um 10% zu steigen hat. Eine landliebende Mehrheit beherrscht also die urbane Minderheit, obwohl sich alle gleichberechtigt in den Prozess mit einbringen können.

    Muss nicht eigentlich der Kompromiss erlernt werden?

    Der Schutz von Minderheiten führt allerdings auch dazu, dass auf 0,8 Millionen Deutsche im europäischen Parlament 1 Sitz und auf 0,4 Millionen Malteser 6 Sitze des selbigen Parlaments kommen.

    Ein jeder Mensch in Malta hat also zwölfmal mehr im europäischen Parlament zu sagen als ich/wir/ Deutschen.

    Gleichzeitig gibt es aber eben 80 Millionen Deutsche und somit 96 Sitze und nur 400.000 Malteser – also 6 Sitze.

    Ist das fair?

    Ist das gut?

    Ist das demokratisch?

    Sind das die wichtigsten Fragen?

    Führen diese nicht immer wieder zur Suche nach Alternativen Formen unüberwindbarer und unvermeidbarer Diskriminierungen im demokratischen Abstimmungsprozess? (Entweder Mehrheitsdiktatur oder Verzerrung individueller Stimmrechte)

    Ist unser eigentliches Problem nicht eher ein mangelnder Diskurs?

    Ist der Gedanke, mehr Demokratie würde zu mehr Partizipation führen wirklich so schlüssig?

    Liegt die Wurzel der populistischen Bestrebungen nicht vor allem darin, dass viele Menschen sich nicht beteiligt fühlen weil ihre Stimme so wenig wiegt, da die Vorgänge demokratisch sind?

    Brauchen wir wirklich mehr Demokratie oder wäre es vielleicht wichtiger Demokratie, Pluralismus und das Schließen von Kompromissen nachhaltig zu erlernen?


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  • Inflation der Demokratie

    von Redaktion, angelegt

    Foto: irtlach0Ein Idyll in Litauen. Könnte man das Land mit knapp 3 Millionen Einwohnern zur Müllhalde der Europäischen Union erklären? Foto: irtlach0 (CC0)

    Für viele Beobachter hat die EU ein massives Demokratieproblem. Denn bei den Europawahlen haben die Stimmen aus kleineren EU-Staaten ein weitaus größeres Gewicht als die Stimmen aus den großen EU-Staaten. Ganz einfach ist das Problem aber nicht zu lösen, wie FelixBlickwinkel Blog schildert...


    *Ein Beitrag von FelixBlickwinkel Blog , erstmals erschienen auf dem Blickwinkel Blog Blickwinkel-Blog

    Demokratie gilt inzwischen vielerorts als Synonym für das Gute. Demokratischer ist immer besser und wenn es mal irgendwo nicht gut läuft, dann liegt es vor allem daran, wie undemokratisch Entscheidungen getroffen werden und Prozesse ablaufen.

    Ich bin ebenfalls „Fan der Demokratie“, schlichtweg weil es frei nach Churchill keine bessere Alternative gibt.

    Aber ist mehr Demokratie immer gut?

    In Extremen gedacht stellt sich mir hier die Frage, was wohl besser ist: A. Eine Demokratie die sich mehrheitlich für die Diktatur entscheidet und dabei absolut demokratisch und souverän ist. B. Oder eine Diktatur, in der eine Minderheit souverän ist und den Menschen die Demokratie aufzwingt.

    Antworten hierauf muss wohl jeder für sich selbst finden - demokratisch ist aber nun mal nur Variante A, vorausgesetzt alle Stimmen sind gleichwertig. In der jüngsten Vergangenheit stelle ich eine zunehmend flapsige Verwendung des demokratischen Gedanken fest. Der Grundgedanke ist natürlich immer irgendwie „gut“, denn umso demokratischer ein Prozess ist, umso eher können sich Betroffene daran beteiligen.

    Aber was ist denn das eigentlich: demokratischer?

    Die EU hat laut dem gängigsten Onlinelexikon ca. eine halbe Milliarde Einwohner. Davon gut 80 Millionen in Deutschland, jeweils ~65 in Frankreich und im VK, 60 in Italien, in Spanien 45 und 10 Millionen in Griechenland. Das macht zusammen 325 Millionen, also eine knappe 2/3 Mehrheit in 6 von 28 Mitgliedsstaaten.

    Wäre es nun demokratischer, dass jede Stimme bei jeder Entscheidung innerhalb der EU gleich gewertet wird? Das würde bedeuten, dass die Minderheit der Staaten mit 66 Prozent der Stimmen so ziemlich jede Entscheidung durchbringen könnte.

    Beispielsweise könnte man Litauen zur Müllhalde der europäischen Union erklären. Das wäre nicht sonderlich nett, aber demokratisch legitimiert, schließlich haben alle Einwohner der EU gleichberechtigt darüber abgestimmt – in Litauen leben etwas weniger als 0,5 Prozent aller Einwohner der EU.

    Das andere Extrem wäre zu sagen jeder Staat erhält eine Stimme. Damit könnten die 15 (19) Bevölkerungsärmsten Staaten der EU über gut 300 Millionen Menschen demokratisch herrschen. Klingt irgendwie auch nicht ganz verlockend.

    "Auf der individuellen Ebene entsteht immer eine Ungleichheit"

    Je mehr Menschen an einer Entscheidung beteiligt sind, umso demokratischer es also wird, umso geringer ist meine eigene Souveränität bzw. die Rolle des Individuums. Eine zunehmende, alles umfassende Demokratisierung entwertet also mein Stimmengewicht und verringert das Maß, in dem ich mich als Person an einer Entscheidung beteiligen kann.

    Das ist natürlich alles kein Geheimnis und es gibt eine gefühlte Unendlichkeit an Vorschlägen und Methoden als unfair empfundene Missstände gegeneinander aufzuheben. Diese reichen von einfachen Dingen wie der Einführung des Wahlalters, der Zuschneidung von Wahlbezirken bis zu Modellen degressiver Proportionalität .

    Auf der individuellen Ebene entsteht dabei immer eine Ungleichheit. Wie so oft entbehrt diese Ungleichheit allerdings einer gewissen Logik, die man wie ich finde durchaus als „gut“ bewerten kann.

    Mangelt es nicht eigentlich am Diskurs?

    Hätte man 100 Dörfer, 80 davon wären mit 20 und 20 mit 50 Einwohnern besiedelt, gäbe das eine Gesamteinwohnerzahl des Dorfverbundes von 2600 Menschen. Für eine 2/3 Mehrheit wären 1560 Stimmen notwendig. Zwangsläufig müssten also große mit kleinen Dörfern kooperieren, nicht jedoch kleine mit großen Dörfern. Ballungsräume wären also in der Minderheit. Menschen mit viel Raum könnten sich also sämtliche/ einen Großteil Wohnungen in den Städten mit wenig Raum kaufen und demokratisch legitim beschließen, dass die Miete in regelmäßigen Abständen um 10% zu steigen hat. Eine landliebende Mehrheit beherrscht also die urbane Minderheit, obwohl sich alle gleichberechtigt in den Prozess mit einbringen können.

    Der Schutz von Minderheiten führt allerdings auch dazu, dass auf 0,8 Millionen Deutsche im europäischen Parlament 1 Sitz und auf 0,4 Millionen Malteser 6 Sitze des selbigen Parlaments kommen.

    Ein jeder Mensch in Malta hat also zwölfmal mehr im europäischen Parlament zu sagen als ich/wir/ Deutschen.

    Gleichzeitig gibt es aber eben 80 Millionen Deutsche und somit 96 Sitze und nur 400.000 Malteser – also 6 Sitze.

    Ist das fair?

    Ist das gut?

    Ist das demokratisch?

    Sind das die wichtigsten Fragen?

    Führen diese nicht immer wieder zur Suche nach Alternativen Formen unüberwindbarer und unvermeidbarer Diskriminierungen im demokratischen Abstimmungsprozess? (Entweder Mehrheitsdiktatur oder Verzerrung individueller Stimmrechte)

    Ist unser eigentliches Problem nicht eher ein mangelnder Diskurs?

    Ist der Gedanke, mehr Demokratie würde zu mehr Partizipation führen wirklich so schlüssig?

    Liegt die Wurzel der populistischen Bestrebungen nicht vor allem darin, dass viele Menschen sich nicht beteiligt fühlen weil ihre Stimme so wenig wiegt, da die Vorgänge demokratisch sind?

    Brauchen wir wirklich mehr Demokratie oder wäre es vielleicht wichtiger Demokratie, Pluralismus und das Schließen von Kompromissen nachhaltig zu erlernen?


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  • Inflation der Demokratie

    von Redaktion, angelegt

    Foto: irtlach0Ein Idyll in Litauen. Könnte man das Land mit knapp 3 Millionen Einwohnern zur Müllhalde der Europäischen Union erklären? Foto: irtlach0 (CC0 Link: https://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/ )

    Für viele Beobachter hat die EU ein massives Demokratieproblem. Denn bei den Europawahlen haben die Stimmen aus kleineren EU-Staaten ein weitaus größeres Gewicht als die Stimmen aus den großen EU-Staaten. Ganz einfach ist das Problem aber nicht zu lösen, wie Felix Link: https://publixphere.net/i/publixphere-de/user/Felix_Peterka Blickwinkel Blog schildert...

    *Ein Beitrag von Felix Link: https://publixphere.net/i/publixphere-de/user/Felix_Peterka Blickwinkel Blog , erstmals erschienen Link: http://blickwinkelblog.com/2016/02/12/inflation-der-demokratie/ auf dem Blickwinkel-Blog

    Demokratie gilt inzwischen vielerorts als Synonym für das Gute. Demokratischer ist immer besser und wenn es mal irgendwo nicht gut läuft, dann liegt es vor allem daran, wie undemokratisch Entscheidungen getroffen werden und Prozesse ablaufen.

    Ich bin ebenfalls „Fan der Demokratie“, schlichtweg weil es frei nach Churchill keine bessere Alternative gibt.

    Aber ist mehr Demokratie immer gut?

    In Extremen gedacht stellt sich mir hier die Frage, was wohl besser ist: A. Eine Demokratie die sich mehrheitlich für die Diktatur entscheidet und dabei absolut demokratisch und souverän ist. B. Oder eine Diktatur, in der eine Minderheit souverän ist und den Menschen die Demokratie aufzwingt.

    Antworten hierauf muss wohl jeder für sich selbst finden - demokratisch ist aber nun mal nur Variante A, vorausgesetzt alle Stimmen sind gleichwertig. In der jüngsten Vergangenheit stelle ich eine zunehmend flapsige Verwendung des demokratischen Gedanken fest. Der Grundgedanke ist natürlich immer irgendwie „gut“, denn umso demokratischer ein Prozess ist, umso eher können sich Betroffene daran beteiligen.

    Aber was ist denn das eigentlich: demokratischer?

    Die EU hat laut dem gängigsten Onlinelexikon ca. eine halbe Milliarde Einwohner. Davon gut 80 Millionen in Deutschland, jeweils ~65 in Frankreich und im VK, 60 in Italien, in Spanien 45 und 10 Millionen in Griechenland. Das macht zusammen 325 Millionen, also eine knappe 2/3 Mehrheit in 6 von 28 Mitgliedsstaaten.

    Wäre es nun demokratischer, dass jede Stimme bei jeder Entscheidung innerhalb der EU gleich gewertet wird? Das würde bedeuten, dass die Minderheit der Staaten mit 66 Prozent 66% der Stimmen so ziemlich jede Entscheidung durchbringen könnte.

    Beispielsweise könnte man Litauen zur Müllhalde der europäischen Union erklären. Das wäre nicht sonderlich nett, aber demokratisch legitimiert, schließlich haben alle Einwohner der EU gleichberechtigt darüber abgestimmt – in Litauen leben etwas weniger als 0,5 Prozent 0,5% aller Einwohner der EU.

    Das andere Extrem wäre zu sagen jeder Staat erhält eine Stimme. Damit könnten die 15 (19) Bevölkerungsärmsten Staaten der EU über gut 300 Millionen Menschen demokratisch herrschen. Klingt irgendwie auch nicht ganz verlockend.

    "Auf der individuellen Ebene entsteht immer eine Ungleichheit"

    Je mehr Menschen an einer Entscheidung beteiligt sind, umso demokratischer es also wird, umso geringer ist meine eigene Souveränität bzw. die Rolle des Individuums. Eine zunehmende, alles umfassende Demokratisierung entwertet also mein Stimmengewicht und verringert das Maß, in dem ich mich als Person an einer Entscheidung beteiligen kann.

    Das ist natürlich alles kein Geheimnis und es gibt eine gefühlte Unendlichkeit an Vorschlägen und Methoden als unfair empfundene Missstände gegeneinander aufzuheben. Diese reichen von einfachen Dingen wie der Einführung des Wahlalters, der Zuschneidung von Wahlbezirken bis zu Modellen degressiver Proportionalität .

    Auf der individuellen Ebene entsteht dabei immer eine Ungleichheit. Wie so oft entbehrt diese Ungleichheit allerdings einer gewissen Logik, die man wie ich finde durchaus als „gut“ bewerten kann.

    Mangelt es nicht eigentlich am Diskurs?

    Hätte man 100 Dörfer, 80 davon wären mit 20 und 20 mit 50 Einwohnern besiedelt, gäbe das eine Gesamteinwohnerzahl des Dorfverbundes von 2600 Menschen. Für eine 2/3 Mehrheit wären 1560 Stimmen notwendig. Zwangsläufig müssten also große mit kleinen Dörfern kooperieren, nicht jedoch kleine mit großen Dörfern. Ballungsräume wären also in der Minderheit. Menschen mit viel Raum könnten sich also sämtliche/ einen Großteil Wohnungen in den Städten mit wenig Raum kaufen und demokratisch legitim beschließen, dass die Miete in regelmäßigen Abständen um 10% zu steigen hat. Eine landliebende Landliebende Mehrheit beherrscht also die urbane Minderheit, obwohl sich alle gleichberechtigt in den Prozess mit einbringen können.

    Der Schutz von Minderheiten führt allerdings auch dazu, dass auf 0,8 Millionen Deutsche im europäischen Parlament 1 Sitz und auf 0,4 Millionen Malteser 6 Sitze des selbigen Parlaments kommen.

    Ein jeder Mensch in Malta hat also zwölfmal mehr im europäischen Parlament zu sagen als ich/wir/ Deutschen.

    Gleichzeitig gibt es aber eben 80 Millionen Deutsche und somit 96 Sitze und nur 400.000 Malteser – also 6 Sitze.

    Ist das fair?

    Ist das gut?

    Ist das demokratisch?

    Sind das die wichtigsten Fragen?

    Führen diese nicht immer wieder zur Suche nach Alternativen Formen unüberwindbarer und unvermeidbarer Diskriminierungen im demokratischen Abstimmungsprozess? (Entweder Mehrheitsdiktatur oder Verzerrung individueller Stimmrechte)

    Ist unser eigentliches Problem nicht eher ein mangelnder Diskurs?

    Ist der Gedanke, mehr Demokratie würde zu mehr Partizipation führen wirklich so schlüssig?

    Liegt die Wurzel der populistischen Bestrebungen nicht vor allem darin, dass viele Menschen sich nicht beteiligt fühlen weil ihre Stimme so wenig wiegt, da die Vorgänge demokratisch sind?

    Brauchen wir wirklich mehr Demokratie oder wäre es vielleicht wichtiger Demokratie, Pluralismus und das Schließen von Kompromissen nachhaltig zu erlernen?

  • Inflation der Demokratie

    von Felix Blickwinkel Blog , angelegt

    Demokratie gilt inzwischen vielerorts als Synonym für das Gute. Demokratischer ist immer besser und wenn es mal irgendwo nicht gut läuft, dann liegt es vor allem daran, wie undemokratisch Entscheidungen getroffen werden und Prozesse ablaufen.

    Ich bin ebenfalls „Fan der Demokratie“, schlichtweg weil es frei nach Churchill keine bessere Alternative gibt.

    Aber ist mehr Demokratie immer gut?

    In Extremen gedacht stellt sich mir hier die Frage, was wohl besser ist: A. Eine Demokratie die sich mehrheitlich für die Diktatur entscheidet und dabei absolut demokratisch und souverän ist. B. Oder eine Diktatur, in der eine Minderheit souverän ist und den Menschen die Demokratie aufzwingt.

    Antworten hierauf muss wohl jeder für sich selbst finden - demokratisch ist aber nun mal nur Variante A, vorausgesetzt alle Stimmen sind gleichwertig. In der jüngsten Vergangenheit stelle ich eine zunehmend flapsige Verwendung des demokratischen Gedanken fest. Der Grundgedanke ist natürlich immer irgendwie „gut“, denn umso demokratischer ein Prozess ist, umso eher können sich Betroffene daran beteiligen.

    Aber was ist denn das eigentlich: demokratischer?

    Die EU hat laut dem gängigsten Onlinelexikon ca. eine halbe Milliarde Einwohner. Davon gut 80 Millionen in Deutschland, jeweils ~65 in Frankreich und im VK, 60 in Italien, in Spanien 45 und 10 Millionen in Griechenland. Das macht zusammen 325 Millionen, also eine knappe 2/3 Mehrheit in 6 von 28 Mitgliedsstaaten.

    Wäre es nun demokratischer, dass jede Stimme bei jeder Entscheidung innerhalb der EU gleich gewertet wird? Das würde bedeuten, dass die Minderheit der Staaten mit 66% der Stimmen so ziemlich jede Entscheidung durchbringen könnte.

    Beispielsweise könnte man Litauen zur Müllhalde der europäischen Union erklären. Das wäre nicht sonderlich nett, aber demokratisch legitimiert, schließlich haben alle Einwohner der EU gleichberechtigt darüber abgestimmt – in Litauen leben etwas weniger als 0,5% aller Einwohner der EU.

    Das andere Extrem wäre zu sagen jeder Staat erhält eine Stimme. Damit könnten die 15 (19) Bevölkerungsärmsten Staaten der EU über gut 300 Millionen Menschen demokratisch herrschen. Klingt irgendwie auch nicht ganz verlockend.

    Je mehr Menschen an einer Entscheidung beteiligt sind, umso demokratischer es also wird, umso geringer ist meine eigene Souveränität bzw. die Rolle des Individuums. Eine zunehmende, alles umfassende Demokratisierung entwertet also mein Stimmengewicht und verringert das Maß, in dem ich mich als Person an einer Entscheidung beteiligen kann.

    Das ist natürlich alles kein Geheimnis und es gibt eine gefühlte Unendlichkeit an Vorschlägen und Methoden als unfair empfundene Missstände gegeneinander aufzuheben. Diese reichen von einfachen Dingen wie der Einführung des Wahlalters, der Zuschneidung von Wahlbezirken bis zu Modellen degressiver Proportionalität .

    Auf der individuellen Ebene entsteht dabei immer eine Ungleichheit. Wie so oft entbehrt diese Ungleichheit allerdings einer gewissen Logik, die man wie ich finde durchaus als „gut“ bewerten kann.

    Hätte man 100 Dörfer, 80 davon wären mit 20 und 20 mit 50 Einwohnern besiedelt, gäbe das eine Gesamteinwohnerzahl des Dorfverbundes von 2600 Menschen. Für eine 2/3 Mehrheit wären 1560 Stimmen notwendig. Zwangsläufig müssten also große mit kleinen Dörfern kooperieren, nicht jedoch kleine mit großen Dörfern. Ballungsräume wären also in der Minderheit. Menschen mit viel Raum könnten sich also sämtliche/ einen Großteil Wohnungen in den Städten mit wenig Raum kaufen und demokratisch legitim beschließen, dass die Miete in regelmäßigen Abständen um 10% zu steigen hat. Eine Landliebende Mehrheit beherrscht also die urbane Minderheit, obwohl sich alle gleichberechtigt in den Prozess mit einbringen können.

    Der Schutz von Minderheiten führt allerdings auch dazu, dass auf 0,8 Millionen Deutsche im europäischen Parlament 1 Sitz und auf 0,4 Millionen Malteser 6 Sitze des selbigen Parlaments kommen.

    Ein jeder Mensch in Malta hat also zwölfmal mehr im europäischen Parlament zu sagen als ich/wir/ Deutschen.

    Gleichzeitig gibt es aber eben 80 Millionen Deutsche und somit 96 Sitze und nur 400.000 Malteser – also 6 Sitze.

    Ist das fair?

    Ist das gut?

    Ist das demokratisch?

    Sind das die wichtigsten Fragen?

    Führen diese nicht immer wieder zur Suche nach Alternativen Formen unüberwindbarer und unvermeidbarer Diskriminierungen im demokratischen Abstimmungsprozess? (Entweder Mehrheitsdiktatur oder Verzerrung individueller Stimmrechte)

    Ist unser eigentliches Problem nicht eher ein mangelnder Diskurs?

    Ist der Gedanke, mehr Demokratie würde zu mehr Partizipation führen wirklich so schlüssig?

    Liegt die Wurzel der populistischen Bestrebungen nicht vor allem darin, dass viele Menschen sich nicht beteiligt fühlen weil ihre Stimme so wenig wiegt, da die Vorgänge demokratisch sind?

    Brauchen wir wirklich mehr Demokratie oder wäre es vielleicht wichtiger Demokratie, Pluralismus und das Schließen von Kompromissen nachhaltig zu erlernen?