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Machterhalt durch Hetze gegen Homosexuelle - Wie umgehen mit Verfolgerstaaten?


Picture Alliance / dpaEin junger Mann wird während einer nicht genehmigten Demonstration in Moskau von Polizisten in Gewahrsam genommen. Foto & Teaser: ©picture alliance/dpa


Hinweis: In der Diskussion um die olympischen Spiele im russischen Sotschi brachte Nutzer*in "AronD" die Frage nach der Homophobie in Russland auf. Die Redaktion hat daraufhin den Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) gefragt, wie aus seiner Sicht politisch mit Homophobie im Ausland umzugehen ist. LSVD-Sprecherin Renate Rampf stellt nun folgende Position zur Diskussion:

"Gay ist das schlimmste Schimpfwort. Wo? Auf deutschen Schulhöfen? Ja, aber auch in Uganda oder Nigeria. In 77 Staaten wird homosexuelle Liebe zwischen Erwachsenen strafrechtlich verfolgt, wer in diesen Ländern als „gay“ gilt, verliert den Job, die Wohnung und kann sich seines Lebens nicht mehr sicher sein.

Dabei ist die Hetze gegen Homosexuelle und Transsexuelle in aller Regel ein perfides Machtinstrument. Etwa zur Steigerung der Auflage: Die Ugandische Zeitung „Rolling Stone“ hat es vor Jahren vorgemacht, „Red Pepper“ hat das Hetz-Marketing Januar 2014 perfektioniert: In der Hochphase der Homosexuellenverfolgung veröffentlichten sie eine Liste der 200 „top“ Homosexuellen und rufen nach dem Mob.

Auch in Wahlkämpfen ist das Mittel beliebt. Das Modell wurde in Russland angewandt und in vielen afrikanische Staaten: Politiker stellen sich als die Guten dar, zeigen auf die Anderen, die Homosexuellen, die minderwertigen Menschen, geben der Masse die Möglichkeit auf sie herabzuschauen, lenken von den wahren Problemen im Land und von ihrer schlechten Regierungsführung ab. Das ist undemokratisch und menschenfeindlich – aber es wirkt. Mit Homophobie kann Politik gemacht werden.

Armut, koloniale Gesetze und überforderte Regierungen bilden den Hintergrund dieser Sündenbock-Politik: Die Menschenrechtsverletzungen finden in einem Kontext von Macht- und Gewaltverhältnissen statt. Häufig sind die Gesetze gegen Homosexuelle sogar das Erbe kolonialer Gesetzgebung. Hilft es, der Hetze gegen Homosexuelle eine publizistische Schlacht gegen die Verfolgerstaaten entgegen zu stellen?

In dieser Situation gilt es, umsichtig zu agieren. Die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Partnerlandes müssen berücksichtigt werden, es ist wichtig, die Problematik im Kontext anderer Menschenrechtsverletzungen zu thematisieren und andere Gruppen der Zivilgesellschaft in den Partnerländern einzubinden. Allzu leicht verhalten sich die Staaten des Nordens wie ein strafender Pädagoge, der auf die „Problemkinder“ schaut und polarisieren damit die Debatte. Wer sich nicht im engen Kontakt mit den Partnerländern und den Betroffenen vor Ort abspricht, riskiert, die Dinge zum Schlechteren zu wenden. Es gilt der Grundsatz „Do no harm!“. Die Aktionen dürfen die Menschen vor Ort nicht gefährden.

Direkt vor Ort helfen

Ganz wichtig ist die direkte und unbürokratische Unterstützung für Lesben, Schwule und Transgender vor Ort. Bürgerinnen und Bürger sind aufgerufen mit Spenden zu helfen, Organisationen von Lesben, Schwulen und Transgender brauchen organisatorische und finanzielle Hilfe: Verfolgte Menschen müssen in Sicherheit gebracht, Rechtsanwälte bezahlt und neue Wohnungen gesucht werden (Siehe hierzu etwa den Spendenaufruf der Hirschfeld-Eddy-Stiftung).

Gelder klug umleiten

Dabei ist insbesondere auch die deutsche Regierung gefordert, vor allem das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Deutschland ist einer der größten Player der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und der größte Arbeitgeber in der weltweiten Entwicklungszusammenarbeit. Zivilgesellschaftliche und soziale Organisationen sowie Maßnahmen zur Stärkung der Menschenrechte müssen weitergeführt werden. Falsch ist es hingegen, mit Institutionen zu kooperieren, die die Bürger nicht schützen. Es darf keine direkten Zahlungen an die Regierungen der Verfolgerländer geben. Also nicht etwa Entwicklungshilfe streichen, sondern umleiten: Die Verfolgten brauchen Unterstützung, die Täter nicht.

Stellung beziehen und nicht schweigen

Deutlich Stellung beziehen müssen auch der Außenminister und die Bundeskanzlerin. Man kann Botschafter einbestellen, die deutsche Haltung persönlich unterstreichen, bei Staatsbesuchen Stellung beziehen und das Einfrieren von Hilfsgeldern thematisieren. Aber auch hier sollte das Thema nicht funktionalisiert werden: Eine Regierung, die sich mit der Streichung von Entwicklungshilfe öffentlich brüstet, macht einen Rückzug der Verantwortlichen ohne Gesichtsverlust unmöglich und schadet letztlich auch den Betroffenen.

Konfessionelle Hilfsorganisationen und Stiftungen

In besonderer Verantwortung stehen die christlichen Hilfswerke wie Brot für die Welt, Misereor und die christlich orientierte Konrad-Adenauer-Stiftung. Sie sind aufgefordert, Projekte und Maßnahmen so zu gestalten, dass sie Lesben, Schwulen und Transgender Schutz gewähren. Sie müssen einsehen, dass die Kirchen Teil des Problems waren und noch immer sind und in vielen Ländern aktiv gegen Homosexuelle hetzen. Anti-Homosexualitätsgesetze sind häufig das Ergebnis christlich-fundamentalistischer Einmischung. Wirklich christlich wäre es, wenn diese Organisationen Wege finden, um Teil der Lösung zu werden."


Kommentare

  • Danke für diesen Kommentar! Sehr gut gefällt mir, dass ganz konkrete Handlungsempfehlungen vorgenommen werden. Und dass auch politische Entscheidungsträger in die Verantwortung genommen werden.

    Leider ist das Thema "Hetze gegen Homosexuelle" bislang immer noch ein Nischenthema - so kommt es mir jedenfalls vor. In Deutschland bekommt man davon als Heterosexueller, der nichts gegen Homosexuelle hat, wenig mit. Andererseits hört man durchaus von systematischen Angriffen auf / Verfolgung von Homosexuellen in Russland oder Südafrika, das ist aber sehr weit weg.

    Daher finde ich besonders den Hinweis zu "Gelder klug umleiten" besonders hilfreich. Denn hier können wir ja auch hier vor Ort Druck auf die richtigen Stellen machen. Endlich ein konkreter Handlungsvorschlag!

  • Spinne1 ist dafür
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    Die Fragestellung ist sicherlich gut und angemessen.. und an den Antworten ist nichts auszusetzen. Dennoch muss ich auf einen Punkt hinweisen: Wenn es um das Thema "Spinnen" geht - fragt man die Spinnen, was zu tun ist, oder nicht besser diejenigen, die den Spinnen das Leben schwer, wenn nicht gar fast unmöglich, machen? Und: geht es eigentlich um Spinnenphobie oder um Spinnenhass? - eine Frage, die unbedingt vorher abgeklärt werden sollte. Was ich mir wünsche: Dass nicht die Betroffenen nach der Lösung gefragt werden, sondern die Täterinnen und Täter.

    • Kurzer Kommentar der Redaktion:

      Hallo Spinne1, danke für die Hinweise. Die Redaktion versucht, möglichst viele Institutionen in die Diskussion zu holen, die Frau Rampf direkt oder indirekt anspricht. Auch an die russische Botschaft werden wir uns wenden. Hast Du konkrete Vorschläge, wessen Position zum Thema wir einholen sollen? Die Frage der Sprache - "Hass oder Phobie?" überlassen wir gerne dem Forum.

      • Die Positionen von Kirchenvertretern wäre doch eine Möglichkeit. Zu Homophobie in Deutschland, im Ausland, im Kontext der Entwicklungshilfe...

      • Danke für die prompte Antwort! Ich denke, ein "Hauptproblem" ist das Verständnis von Ehe... - Ist die Ehe als Rechtsinstitut wirklich hauptsächlich für die Fortpflanzung geschaffen? ... DANN dürften nämlich viele kinderlose Ehen gar nicht als Ehe behandelt werden... UND: Wer bestimmt, was Ehe ist - der Staat oder die Religionen? Ist die Ehe ein "Zweckverband" oder hat sie nicht eher mit Liebe zu tun? Solche fundamentalen Fragen kann man JEDEM Menschen stellen... In der Politik aber sollte man inkonsequente Argumente nicht mehr gelten lassen.

    • das ist bestimmt der einzig richtig ansatz, aber wie geht man das an? - outen sich 'täterInnen' einfach so, oder sind es inhärente, latente gesellschaftliche muster, die wir verändern müssen - gemeinsam?

  • Liebes Forum,

    ein Hinweis: die Redaktion hat das Bundesentwicklungsministerium (BMZ) nach seiner Arbeit in und mit Staaten gefragt, die Homosexuelle verfolgen. Das BMZ hat uns eine Stellungnahme geschickt, die hier nachzulesen ist. Darin heißt es unter anderem: "Es ist für die deutsche Entwicklungspolitik nur die schlechteste aller Lösungen, in diesen Fällen die Entwicklungszusammenarbeit einzustellen."

    • Danke sehr! Eine Bemerkung muss ich allerdings doch noch loswerden: Leider ist die aktuelle Regierung immer noch ohne klare Stellung. Man schaue mal nach, was die Antidiskriminierungsstelle der Bundesregierung fordert: 100%ige GLEICHSTELLUNG. Mit einer solchen Gesetzeslage könnte auch im Umgang mit Verfolgerstaaten eine klarere Position bezogen werden. Nicht um Beziehungen abzubrechen, sondern um sie effektiver zu gestalten.

  • Danke für dieses Thread. Ich finde es wirklich wichtig an dieser Stelle zu bedenken, dass wir, bevor wir uns anmaßen über andere Nationen, Kulturen oder Ethnien zu sprechen bei uns selbst anfangen. So aufgeklärt sind wir Abendländer schließlich auch noch immer nicht! Der Schutz der Ehe als hohes Gut, den sich noch immer viele konservative bundesdeutsche Parlamentarier vor die Brust schnallen schreit zum Himmen. Und trotzdem, findet die Debatte nicht recht Platz in der Öffentlichkeit. Sind die Deutschen also homophob? Wenn Themen von Diskursen ausgeschlossen werden neigen sie nicht nur dazu unterrepräsentiert zu sein, sie verweisen gleichermaßen auf latente Gewohntheitsmuster - namentlich Ausschlussverfahren zur Sicherung des eigenen Habitus. Das Abwerten von Minderheiten betrifft faktisch all jene Gruppen aus denen Gesellschaft nun einmal besteht, betrifft jedes Argument, Gener, Ethnie, Sex ect. Sexismen sind nicht weit von Rassismen entfernt. Wir sollten endlich beginnen uns davon zu emanzipieren!