Rebecca Harms: Die Rolle von Europa im Ukraine-Konflikt
Foto & Teaer by Maksymenko Oleksandr CC BY 2.0
Thesen von Rebecca Harms, MdEP Bündnis 90/DIE GRÜNEN, zur Frage:
Wie steht es um die Ukraine? Und was kann Europa tun?
-
Mit dem Konflikt in der Ukraine muss die Rolle der OSZE verstärkt werden, nicht der NATO. Die OSZE muss vermitteln und einen runden Tisch einberufen.
-
Wir brauchen keine neue deutsche Ostpolitik, sondern eine gemeinsame europäische Außenpolitik zu Russland.
Diese Thesen konnten im Hangout mit Rebecca Harms am 19.05.2014 um 16:00 Uhr live diskutiert werden. Hier der Link zum Video.
Redaktion
Liebe Foristen,
unser Gespräch mit Rebecca Harms kann auf Youtube nachverfolgt werden: LINK
Die Fragen an Frau Harms stellten Niklas Götz und Daniel Vedder vom CATO-Blog. Unser Redakteur Alexander Wragge brachte die Impulse aus diesem Forum ein.
Hier nun die schriftliche Zusammenfassung der Ergebnisse:
Zur politischen Lage in der Ukraine
Rebecca Harms sieht in der ukrainischen Protest-Bewegung "Euromaidan", die im Regierungswechsel in Kiew mündete, die "stärkste demokratische Bürgerrechtsbewegung seit 1989". Diese werde die Ukraine verändern - "und nicht wir". Verlaufe die demokratische Entwicklung in der Ukraine erfolgreich, werde dies auch in Russland das ähnliche Oligarchen-System stärker erschüttern als "jede Kritik, die von außen kommt".
in der Ostukraine kommt es laut Harms darauf an, eine adäquate Repräsentanz für die Bürger zu finden. "Die Milizen sind nicht diejenigen, denen man zutrauen sollte, das alles zu entscheiden." Das ostukrainische Referendum zur Unabhängigkeit könne keinen Bestand haben, es habe "null" Bedingungen für eine demokratische Abstimmung erfüllt. "Das geht so nicht."
Zum Rechtsradikalismus in der Ukraine
Zu Bachmann 's Frage: "Haben die Grünen den rechtsradikalen und faschistischen Strang der Maidan-Bewegung ausgeblendet und verharmlost?" antwortete Harms, die Bewegung sei nicht von der rechten Partei Swoboda oder anderen Parteien initiiert worden, sondern von "großen Gruppen" aus der Zivilgesellschaft, etwa Studenten. Auch Unternehmer hätten einen Überdruss gehabt am "immer kleptokratischer" werdenden System des früheren Präsidenten Wiktor Janukowytsch. Parteien sind Harms zufolge erst auf dem Maidan aktiv geworden, nachdem versucht wurde, den Protest mit Polizeigewalt niederzuschlagen. "Die,Mehrheit sind Leute, die an Rechtsstaatlichkeit, Menschen- und Bürger-Rechte glauben, und keine Faschisten." Es handele sich um eine "im Kern gewaltfreie und demokratische Bewegung".
vor der Präsidentschaftswahl am 25. Mai spielen laut Harms die rechten Parteien in der Ukraine "Gott sei Dank keine große Rolle"
In der Ostukraine gibt es laut Harms allerdings einen „nationalistischen Amoklauf“ zwischen russischen Seperatisten und ukrainischen Nationalisten.
mit Blick auf die russische Kritik an rechten Kräften in der Ukraine sagte Harms: "Ich wünschte mir, die russische Regierung wäre gegen nationalistische, rechte und zum Teil auch faschistische Bewegungen im eigenen Land so kritisch und sensibel wie gegenüber Rechten in der Ukraine".
Zu den OSZE-Missionen
zu Jonas Frage nach der Transparenz der OSZE-Missionen sagte Harms: "Es gibt überhaupt keinen Grund, die OSZE in diesem Konflikt zu diskreditieren"
Die OSZE sei von allen europäischen Staaten – auch von Russland – gegründet worden, "damit wir gar nicht erst in solche Situationen kommen, wie wir sie jetzt in der Ukraine und auf der Krim erlebt haben".
zu NGoetz : Die OSZE sei genau die richtige Organisation für eine Moderation des Konfliktes. Am Mandat der Missionen seien alle beteiligt.
Die Entführung deutscher OSZE-Beobachter durch seperatistische Milizen nannte Harms "erschreckend"
Zum Umgang mit pro-russischen Seperatisten
Zu (teilweise nur angedrohten) EU-Sanktionen gegen Russland
Zur Frage von (u.a. von Louisa ) nach den Sanktionen: Harms verteidigt das Instrument von Wirtschaftssanktionen, um Russland von weiteren Interventionen in der Ukraine abzuhalten
"Die Sanktionen des Westens zielen darauf, dass Russland seine Rolle in der Auseinandersetzung überdenkt, und die militärische Eskalation, die mit der Besetzung der Krim stattgefunden hat, und die indirekte Unterstützung auch der Seperatisten, der Milizionäre, die auch von Oligarchen unterstützt werden, (...) unterlässt."
Harms kritisiert: "Manchmal ist in Deutschland die Bewertung der Sanktionsidee falsch. Man hat zu Unrecht den Eindruck, mit den Sanktionen werde die Situation eskaliert." Die Idee dahinter sei, keine militärische Intervention zu wollen. Zur Stärkung der Diplomatie müsse aber gezeigt werden, dass die Europäer bereit sind - auch durch Veränderungen in den Wirtschaftsbeziehungen zu Russland - ihre Versprechen gegenüber der Ukraine durchzuhalten.
Zur Verantwortung der EU für die Krise
Harms sieht auf Seiten der EU keine Schuld an der Ukraine-Krise. Den Vorwurf, mit dem Assozierungsabkommen zwischen EU und Ukraine habe man Russland provoziert (geäußert beispielsweise durch den Publizisten Jakob Augstein), weißt Harms zurück.
Für das Assozierungsabkommen mit der EU seien in der Ukraine wechselnde Regierungen, verschiedene Präsidenten und große Mehrheiten im Parlament viele Jahre lang eingetreten. "Die EU hat die Ukraine zu nichts gezwungen." Im Gegenteil, die Verhandlungen seien - nach Desinteresse seitens der EU - auf Wunsch der Ukraine aufgenommen worden. "Da gab es keinen Zwang." Zwang und Druck auf die Ukrainer gebe es seit dem Sommer 2013, "als Russland einen Handelskrieg gegen mehrere osteuropäische Länder eröffnet hat, auch gegen die Ukraine".
Zum europäischen Ansatz
zur Frage von Louisa und sabinemueller nach der EU-Außenpolitik sagte Harms, die EU sei Anwältin der europäischen Intressen. Kein einzelnes EU-Land sei in der Lage, dieses Interesse gegenüber Russland zu vertreten.
zur Ausgangssituation gehöre auch, dass die EU für viele Ukrainer eine "Projektsfläche ihrer Hoffnungen auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit" sei– etwa für die Euromaidan-Bewegung
Laut Harms entscheidet sich In der Auseinandertzung um die Ukraine auch für die EU "sehr viel". Sie müsse mit nichtmilitärischen Miiteln dafür einstehen, dass es das Selbstbestimmungsrecht der Ukrainer gibt. "Für mich sind die Präsidentschaftswahlen und die Verfassungsreform das, was wir denen ermöglichen müssen, die dafür eingetreten sind."
Zur These, die Ukraine sei ein gespaltenes Land
...sagte Harms, "Wer da gewesen ist weiß, dass das so nicht stimmt." Diese These sei "tollkühn". Es habe zwar sowohl im Westen wie im Osten der Ukraine immer wieder viel Kritik an Kiew gegeben, aber das kenne man auch aus vielen anderen Ländern: "Die Hauptstadt und die Regierung sind oft nicht sehr beliebt in Regionen, die weit weg liegen und besondere Probleme haben."
Gegen Kiew zu sein, sei aber keinesfalls gleichbedeutend damit, für eine Abspaltung und einen Anschluss an Russland zu sein. "Diese Debatte ist in dieser Intensität völlig neu. Es gibt sie erst seit der Krim-Besetzung und seit diese Milizen (in der Ostukraine, Anm. d. R.) Rathäuser und Polizeistationen besetzen."
Zur deutschen Sicht auf die Ukraine
Harms beobachtet in der deutschen Debatte viel Unwissenheit
"Wir reden über ein Land, dass die meisten Deutschen gar nicht kennen. Die Ukraine ist für die meisten Deutschen Terra incognita.
so übt Harms Kritik an denen, die behaupten, die Ukraine sei ein tief gespaltenes Land. "Ich weiß nicht wie viele davon die Ukraine in den letzten Jahren besucht haben, und versucht haben, die Menschen zu verstehen. Ich habe das oft getan."
Auch die Sicht von Ex-Kanzler Helmut Schmidt (SPD), wonach die Politik des Westens dem Irrtum aufsitze, „dass es ein Volk der Ukrainer gäbe, eine nationale Identität" weist Harms zurück: "Ich weiß nicht, wann er das letzte Mal in der Urkaine war."
Mit Anspielung auf die Friedensproteste sagte Harms: "Ich habe den Eindruck, dass die Deutschen manche Dinge nicht so gut entscheiden können, die Kriegsangst, die ich verstehe, macht es nicht leichter, nüchtern hinzugucken."
Zum Problem der Oligarchen
Harms sieht die Oligarchen in der Ukraine aber auch in anderen osteuropäischen Staaten kritisch. In der "Übergangszeit" nach der Wende hätten sich die Eliten – zum Teil KGB-Leute, zum Teil auch aus den Politbüros, "einen großen Teil des staatlichen Vermögens unter den Nagel gerissen". "Wie man da wieder raus kommt, ist die große Frage, ob das etwa in Brüchen oder Übergängen passiert".
Bei der Überwindung alter Strukturen sieht Harms die demokratischen Kräfte in der Pflicht. "Ich habe mir mit meinen Freunden aus der Zivilgesellschaft und dem demokratischen Teil des Euromaidan den ganzen Winter den Mund fusselig geredet, dass man nicht immer nur das System kritisieren kann, sondern dass man sich trauen muss, Verantwortung zu übernehmen." In der Übergangsregierung gebe es bereits "tolle Leute", wovon man im Westen aber kaum Kenntnis nehme
Zu den Wahlen in der Ukraine
Harms traut es den Ukrainern zu, die kommenden Präsidentschaftswahlen am 25. Mai "ordentlich durchzuführen". "Das Wahlrecht wird in der Ukraine außerordentlich geschätzt, Ich habe noch nirgendwo so lange Schlangen vor Wahllokalen gesehen."
Harms hätte sich andere Kandidaten vorstellen können: "Alle Präsidentschaftskandidaten haben ihre Füsse noch im alten System." Aber: "Darüber haben die Ukrainer entschieden." Es sei auffällig, dass es Petro Poroschenko, der in Umfragen führt, geglückt sei, "so viel Zustimmung zu bekommen, und zwar im Westen und im Osten".
Harms sagte, die Parlamentswahlen in der Ukraine würden noch wichtiger als die Präsidentschaftswahlen. Sie verweist hier darauf, dass die Macht des Präsidenten beschnitten und das Parlament gestärkt wurde.