+5

Weltmeisterschaft - und keiner schaut hin?


picture alliance/abaca)

Proteste gegen Korruption und Missmanagement bei der WM in Brasilien. Foto: picture alliance/abaca


Ein Beitrag von Henrik

Weltmeisterschaft - und keiner schaut hin? Copa do Mundo - e ninguém olha lá?

Die Geschichte vom Fußball und die ehrliche Leidenschaft zum Ball wird traditionell mit Brasilien verbunden. Der kürzlich veröffentlichte Dokumentarfilm ‚Mata Mata – Spiel des Lebens‘ zeigt auf beindruckende Weise das brasilianische Lebensgefühl. Trotz der Armut, Kriminalität und Drogen in den Favelas haben die Kids ihr Lachen nicht verloren. Das absolute Vertrauen in Gott und die Liebe zu ihren Müttern ist vielen deutschen Jugendlichen eher fremd, der große Kontrast zwischen Brasilien und Europa wird so in allen Szenen deutlich. Brasilianische Jungs haben einen Traum: irgendwann Profifußballer zu werden. Weil die Realität kaum andere Möglichkeiten bietet?

Wenn wir uns am 12.06.2014 vor den Fernseher setzen und uns die Weltmeisterschaft in Brasilien anschauen sehen wir das alles nicht, wir sehen einzig eine große Show!

In den letzten Monaten gab es viel Aufregung über die Durchführung der WM in Brasilien. Wieso eigentlich? Eine negative Schlagzeile jagte die andere – Freude auf die WM sah schon mal anders aus. Es gibt unglaublich viele und gute Gründe, wieso die WM nicht in Brasilien stattfinden sollte und wir alle (die anderen Länder, die Spieler, die Gesellschaft) diese boykottieren sollte. Aber bewirken wir damit etwas?

Ja – ich glaube, wir zeigen eine menschliche Haltung; wir zeigen, dass wir den Tod von über 20 Bauarbeitern während des Baus der pompösen WM Stadien nicht akzeptieren, tolerieren und hinnehmen. Wir zeigen der FIFA, dass wir ihre kapitalistischen Strukturen und das menschlich unwürdige Verhalten ablehnen.

Auf politischer Ebene ist in Brasilien (fast) alles schief gelaufen, die politische Infrastruktur für eine brasilianische WM war nie vorhanden. Die Arbeitssicherheit in Brasilien ist nicht ausreichend verregelt, die brasilianische Regierung funktioniert als Ordnungsorgan nicht so, wie sie eigentlich müsste. (Bau-) Arbeiter kämpfen aus Angst um ihren Arbeitsplatz - nicht aber für bessere Bedingungen, für gesundheitliche Vor- und Nachsorge. Und das schlimmste ist, dass die mächtigste Organisation der Welt, das Veranstaltungsorgan der Weltmeisterschaft -die FIFA- einfach wegschaut und so tut als ginge sie das alles nichts an. Wir als Gesellschaft, die Fans, Väter, Mütter, Kinder, Sportler und Akteure vorm TV-Schirm sollten deshalb bei der Weltmeisterschaft auch wegschauen und damit ein Zeichen setzen.

Wir müssen uns die Frage stellen, ob wir auf Kosten der Bauarbeiter eine ‚blutige‘ Weltmeisterschaft sehen wollen und können. Wollen wir uns Spiele anschauen, die auf einem ‚Blutacker‘ ausgetragen werden? Ich nicht - wäre da nur nicht die große Liebe zum Fußball.


Kommentare

  • Was ich mich außerdem frage: Warum muss ein Franz Beckenbauer - ohne Frage Multimillionär - noch Beratertätigkeiten für irgendwelche seltsamen Firmen übernehmen? Mag er die Welt der Hotellobbies und halbseidenen Anzugmenschen so sehr? Natürlich macht jeder wie er denkt, ich hätte mir nur von ihm gewünscht, dass er sich was Sinnvolles sucht, um seinen Lebensabend zu verbringen, frei von Finanznöten. Fussballplätze in Afrika bauen zum Beispiel, auch wenn das jetzt kitschig klingt.

  • Liebes Forum,

    ein Hinweis: In die FIFA-Diskussion hat sich nun die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt eingemischt. Ihr Vorschlag: Die WM soll künftig nach Kriterien der Unesco vergeben werden. "Ich halte das System FIFA in seiner jetzigen Form für korrupt und maßlos", so Göring-Eckardt im Interview mit der Bild.

    • Auch in der UNESCO müssten doch alle Länder entscheiden, bei so viel Geld im Spiel, muss das nicht sauberer sein oder?

      • das sehe ich auch so, auch wenn frau göring-eckardt vermutlich meint, dass die unesco angemessene kriterien für eine vergabe der meisterschaften entwickeln sollte. aber könnten das nicht besser die fans tun? - über ein partizipatives forum in transparenten verfahren?

  • Danke für das Thema. Ich fand es gestern furchtbar bei Günther Jauch zu sehen, wie sie in Brasilien im besten Sinne 'sozialistische' Stadien (Stehplätze für wenig Geld / für alle Schichten) umwandeln in diese exklusiven Fussball-Tempel für Besservedienende, mit V.I.P-Lounge und dem ganzen Kram. Warum muss die FIFA diese Geldscheffel-Ideologie überall durchsetzen? Und wer kann die FIFA stoppen? Was macht die FIFA eigentlich mit dem ganzen Geld?

    • Henrik ist dafür
      +3

      Ja... das ist eine berechtigte Frage! Wo bleibt das ganze Geld? Das nächste Projekt "WM in KATAR" wird noch schlimmer... viel Geld wandert in die Taschen der Fifa-Funktionäre und die Welt schaut zu!? Korruption... Traurig aber WAHR!

      • Hallo Henrik,

        ich denke auch, die ganze Kultur der WM müsste sich ändern. Mein Vorschlag:

        • alle Tickets (inklusive Finale) kosten 10 Euro und werden unter den Interessierten verlost

        • natürlich bekommen die Verbände der spielenden Mannschaften ein Kontigent zum Verlosen, aber der Preis bleibt derselbe

        • dafür zahlen dürfen die Sponsoren (so könnten wir Coca Cola und Mastercard zum ersten Mal im Leben für etwas dankbar sein) und die FIFA (Einnahmen aus den TV- und Merchandising-Rechten etc.)

        • um die WM müssen sich die Staaten mit einem "Weltverbesserungskonzept" bewerben - wer den größten gesamtgesellschaftlichen Nutzen nachweisen kann (nachhaltige Infrastruktur, Einnahmeumleitung in soziale Projekte etc), gewinnt.

        • die Fifa wird in eine Stiftung oder eine internationale Genossenschaft umgewandelt. Es werden gemeinnützige Ziele definiert, denen Überschüsse zu Gute kommen

        • Kosten lässt man sich einen Trupp der härtesten Bilanzprüfer und Anti-Korruptionskämpfer der Welt, der dauerhaft und frei nach Roland Koch für "brutalstmögliche" Aufklärung sorgt. Hier darf gerne das Motto gelten: "Wer betrügt, der fliegt."

        • vielleicht reicht auch noch das Geld für die (Aus-)Bildung einer Task-Force. Sie analysiert die Fehler aller sportlichen Großveranstaltungen der vergangenen 50 Jahre (inklusive Olympia in Sotschi) - von unnützen Stadien über Korruption bis zu Umweltschäden und berät die neuen WM-Gastgeber von Anfang an.

        • Drei Jahre vor der WM erstellt diese Task-Force (Spitzname: "Die Richter gnadenlos") ein Zwischenzeugnis. Fällt das Land durch, geht die WM automatisch in einen vorher schon festgelegten Staat mit fertigen WM-Stadien (Frankreich, Südafrika, Japan, Deutschland...)

        • Hallo Emil, Deine Vorschläge sind in allen Punkten super! Kommst Du an die Fifa heran, und kannst Du sie nicht einmal sozusagen als Petition den Verantwortlichen unterbreiten? Und Dir bei viel gelesenen Medien, die sie auch veröffentlichen, dabei Unterstützung holen?

    • stimmt es denn, das menschen tatsächlich für den stadien- und straßenbau zwangsumgesiedelt wurden? oder ranken sich nicht doch eine menge verschwörungstheorien um dieses thema?! manche blogs berichten von steinigungen und bewusster medienmanipulation durch die fifa, die nun gerade den fokus auf katar lenkt um dort nochmal zurückrudern und so 'verantwortung' beweisen zu können. irgendwie leuchtet mir das nicht ein... was meint ihr?

    • Auch die Favelas sind im Übrigen nur zum Teil befriedet und wenn die Drogenmafia in den nächsten Ort getrieben wurde handelt man auf den Schwarzmärkten noch immer Waffen. Die Straßen sind deshalb weder sicherer noch unter staatlichem Zugriff. Militär und Polizei agieren hilflos, gewaltsam, hinterlassen verbrannte Erde - und zivile Opfer! Was nach der Kriminalität kommen müsste, was eine Institution, die sich Staat schimpft leisten muss wäre nun folgerichtig Infrastruktur, Bildung, Gesundheitsvorsorge, soziale Netze und das Sicherstellen von angemessenen Arbeitsplätzen. Sonst geht es nach der WM weiter wie bekannt, in der nächstgrößeren Dimension. FIFA-Business as usual.

  • also muss ich mir brasilien jetzt wie südafrika vorstellen? - die jungs, die die stadien bauen werden sich keine karte leisten können?! und bleiben in ihren favelas vor leinwände verbannt um den europäischen groß-wm-touristen nicht zu verärgern?! kids werden von den straßen geholt um das bild zu verbessern, prostituierte sammeln sich seit wochen in den straßen rundum die stadien, kleinhändler müssen aus den bannmeilen raus, profitieren wird nur(!) die fifa. wir sollten genau hinsehen. und bewusst entscheiden nicht zu schauen.

    • Ich habe heute am 22. 6. den Presseclub auf der ARD zum Thema gesehen. Das Geflecht der Korruption rund um die FIFA ist kaum zu durchbrechen. Wenn die Sponsoren sagen, wir zahlen nicht mehr, stehen andere Sponsoren an. Wenn öffentlich-rechtliche Rundfunk- und Fernseh-Anstalten aus moralischen Gründen die WM-Spiele nicht mehr übertragen, übertragen sie private Sender. Wenn Mannschaften, z.B. aus den europäischen Ländern ihre Teilnahme absagen, zerbricht die WM. Eine Möglichkeit des Boykotts wurde zu meinem Erstaunen nicht in Erwägung gezogen: Was wäre, wenn keine Zuschauer aus aller Welt mehr zum Austragungsort fahren würden? Dann würde die WM - z.B. in Katar - vor leeren Tribünen stattfinden. Die katholische Kirche und die protestantischen Kirchen in aller Welt könnten eine solche Kampagne starten. Die Parole herausgeben: es ist moralisch verwerflich, sich durch aktive Teilnahme und Zahlung der hohen Ticketspreise an der Korruption und an den menschenverschleißenden Bedingungen, zu denen am Austragungsort die Stadien gebaut wurden, zu beteiligen. "Was, Sie fahren dahin?" Wenn Reiche aus aller Welt, die die Absicht haben, in das WM-Land zu fahren und dafür viel Geld auszugeben, ähnlich geächtet würden wie inzwischen Träger/innen von Pelzen (z.B. aus Seehundsfell), würde kaum einer noch zur WM fahren wollen. Die WM sollte ausgetragen werden, aber vor leeren Bänken. Fernsehanstalten sollten sie übertragen, denn eine Weltmeisterschaft ist etwas Völkerverbindendes und macht Spass. Hochrangige Politiker können ja ihre Nationalmannschaften mit guten Wünschen verabschieden und wieder in Empfang nehmen. Aber das Establishment sollte nicht wie in einer WM-Auszeit über die Menschenrechtsverletzungen in den Austragungsorten und die Korruption, die im Vorfeld die FIFA bestimmt, hinwegsehen und meinen, sie müßten sich bei den Spielen sehen lassen. Also zusammengefasst: eine WM ist eine gute Sache, kann auch überall in der Welt ausgetragen werden, auch in Diktaturen, ohne diese salonfähig zu machen. Die Länder stellen einfach nur den Ort der Spiele zur Verfügung. Übertragen werden sie mit allen zur Verfügung stehenden Kommunikationsmitteln in alle Welt. Jeder kann sie zu Hause, privat oder beim public viewing verfolgen. Man muss nicht vor Ort dabei sein und sich mit der Korruption innerhalb der FIFA und mit korrupten Austragungsländern gemein machen. Wenn nicht mehr Zuschauer aus aller Welt anreisen, fehlt der Anreiz für Austragungsländer, was darstellen zu wollen. Es geht dann um Funktionalität, und die geht auch ohne Aufwand und Pomp.